Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 V 32



96 V 32

8. Auszug aus dem Urteil vom 11. Februar 1970 i.S. Bundesamt für
Sozialversicherung gegen Stamm und Verwaltungsgericht des Kantons Bern
Regeste

    Art. 16 Abs. 2 lit. c IVG: Erstmalige berufliche Ausbildung.
   Über den Begriff der Weiterausbildung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 16 Abs. 1 IVG, welcher dem früheren Art. 16 entspricht
und von der Gesetzesrevision nicht betroffen worden ist, haben Versicherte,
die noch nicht erwerbstätig waren und denen infolge Invalidität bei der
erstmaligen beruflichen Ausbildung in wesentlichem Umfang zusätzliche
Kosten entstehen, Anspruch auf deren Ersatz, sofern die Ausbildung den
Fähigkeiten des Versicherten entspricht. Durch den seit dem 1. Januar
1968 geltenden Art. 16 Abs. 2 lit. c, auf welchen sich der Versicherte
heute beruft, wird "die berufliche Weiterausbildung, sofern dadurch die
Erwerbsfähigkeit wesentlich verbessert werden kann", der erstmaligen
beruflichen Ausbildung im Sinn des Absatzes 1 gleichgestellt.

    Es fragt sich heute erneut, was unter Weiterausbildung im Sinn des
Art. 16 Abs. 2 lit. c grundsätzlich zu verstehen ist, ob lediglich die
Erweiterung bereits erworbener Kenntnisse innerhalb ein und derselben
Berufsart oder aber auch eine zweite Berufsausbildung mit wesentlich
anderem Ziel, der sich ein Versicherter unterzieht, nachdem er die erste
Ausbildung abgeschlossen und sogar während Jahren mit normaler Entlöhnung
verwertet hat (vgl. das nicht publizierte Urteil vom 25. Februar
1969 i.S. Wyss, in welchem diese Frage erstmals aufgeworfen, jedoch
offengelassen wurde). - In diesem Zusammenhang sind auch der französische
und der italienische Wortlaut des Art. 16 Abs. 2 lit. c zu beachten. Diese
sprechen von "perfectionnement professionnel" bzw. "perfezionamento
professionale". Die hier verwendeten Ausdrücke deuten darauf hin, dass
unter Weiterausbildung jene Berufsbildung zu verstehen ist, welche
die im wesentlichen bereits erworbenen Kenntnisse eines Berufes im
Hinblick auf ein Ziel innerhalb derselben Berufsart weiter ausbaut. In
die gleiche Richtung weisen die Ausführungen des Bundesrates in seiner
Botschaft vom 27. Februar 1967 zu der am 1. Januar 1968 in Kraft getretenen
Gesetzesnovelle, wenn zu Art. 16 Abs. 2 lit. c erklärt wird: "In Berufen,
die mehrere in sich abgeschlossene Ausbildungsetappen voraussetzen (wie
beispielsweise akademische Berufe), kann das endgültige Berufsziel nicht
immer bereits zu Beginn der erstmaligen beruflichen Ausbildung festgelegt
werden. Zum Teil - namentlich bei höheren technischen Berufen - sind die
einzelnen Ausbildungsetappen sogar durch Erwerbstätigkeiten unterbrochen."
(Botschaft S. 21.) Diese Ausführungen lassen erkennen, dass die zitierte
Bestimmung sich lediglich auf die Mehrkosten fortschreitender, ähnlich
gearteter Ausbildungsetappen im Hinblick auf das im Rahmen dieser
Etappen liegende Endziel bezieht. Es wäre nicht einzusehen, wie sich
die in Art. 17 IVG normierte "Umschulung auf eine neue Erwerbstätigkeit"
von der "Weiterausbildung" gemäss Art. 16 Abs. 2 lit. c abgrenzen liesse,
wenn unter Weiterausbildung eine Berufsschulung verstanden werden müsste,
die auf ein wesentlich anderes berufliches Endziel als die ursprüngliche
Ausbildung gerichtet ist. Eine zweite Berufsbildung mit wesentlich
anderem Ziel ist nur im Rahmen des Art. 17 IVG gesetzmässig. Bei der
Weiterausbildung im Sinn des Art. 16 Abs. 2 lit. c hingegen muss es sich
um die Fortsetzung oder Vervollkommnung einer erstmaligen Berufsbildung
handeln.

Erwägung 3

    3.- Martin Stamm hat den Beruf eines kaufmännischen Angestellten
erlernt und diesen während mehrerer Jahre mit Erfolg ausgeübt. Die
Regionalstelle Zürich hat ihn am 31. Mai 1966 als vollwertigen
kaufmännischen Angestellten qualifiziert. Der Versicherte möchte
sich heute auf Kosten der Invalidenversicherung für die Sozialarbeit
ausbilden lassen. Damit verfolgt er ein wesentlich neues, gegenüber dem
kaufmännischen Beruf völlig anders geartetes Berufsziel. Dies ergibt sich
auch daraus, dass die kaufmännische Lehre keineswegs Grundvoraussetzung
für die Ausbildung zum Sozialarbeiter ist. Wie die Regionalstelle selber
ausführt, wird eine "kaufmännische oder Verwaltungslehre als zweckmässige
Vorbereitung unter anderen Möglichkeiten" von den Schulen für Sozialarbeit
"bejaht". Die kaufmännische Lehre ist für den Sozialarbeiter aber keine
unerlässliche Ausbildungsetappe. Von einer Weiterausbildung im Sinn
des Art. 16 Abs. 2 lit. c IVG kann im vorliegenden Fall nicht die Rede
sein. Daher vermag der Versicherte aus dieser Bestimmung keine Ansprüche
abzuleiten.

    Schliesslich ist auch auf den dem Art. 16 IVG übergeordneten,
in Art. 8 Abs. 1 IVG verankerten Grundsatz hinzuweisen, wonach
invalide oder von Invalidität unmittelbar bedrohte Versicherte nur so
weit Eingliederungsmassnahmen beanspruchen können, als diese für die
Wiederherstellung oder Verbesserung der Erwerbsfähigkeit notwendig
sind. Eine derartige invaliditätsbedingte Notwendigkeit zu weiterer
Ausbildung besteht im vorliegenden Fall nicht, denn der Beschwerdegegner
ist schon als qualifizierter kaufmännischer Angestellter hinlänglich ins
Erwerbsleben eingegliedert gewesen...