Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 I 728



96 I 728

110. Auszug aus dem Urteil vom 20. November 1970 i.S. Wälli gegen
Wehrsteuer-Rekurskommission des Kantons Zürich Regeste

    Wehrsteuer vom Einkommen: Der Bezug von Gratisaktien unterliegt der
Besteuerung nach Art. 21 Abs. 1 lit. c WStB. Dem Empfänger, der nicht
zur Führung kaufmännischer Bücher verpflichtet ist, wird als Einkommen
der Betrag angerechnet, den die Gesellschaft für die Liberierung der
neuen Aktien aus dem angesammelten Gewinn aufgebracht hat (Bestätigung
der Rechtsprechung).

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Art. 21 Abs. 1 lit. c WStB erfasst jedes Einkommen aus beweglichem
Vermögen. Unter anderem erwähnt die Bestimmung Gewinnanteile aus
Beteiligungen aller Art sowie besondere Entgelte oder geldwerte Vorteile,
die neben diesen Einkünften oder an deren Stelle gewährt werden. Als
Gewinnanteile aus Beteiligungen gelten nach einem durch BRB vom 31. Oktober
1944 angefügten Zusatz "alle durch Zahlung, Überweisung, Gutschrift,
Verrechnung oder auf andere Weise bewirkten geldwerten Leistungen
der Gesellschaft oder Genossenschaft an die Inhaber gesellschaftlicher
Beteiligungsrechte, die keine Rückzahlung der bestehenden Kapitalanteile
darstellen". Diese Ordnung betrifft die natürlichen Personen,
die - wie der Beschwerdeführer - nicht zur Führung kaufmännischer
Bücher verpflichtet sind. Für die buchführungspflichtigen physischen
Personen sind besondere Bestimmungen massgebend, wonach Kapitalgewinne
aus Veräusserung und Verwertung sowie verbuchte Wertvermehrungen von
Vermögensstücken Bestandteile des Roheinkommens bilden (Art. 21 Abs. 1
lit. d und f WStB), während anderseits verbuchte Entwertungen und
Geschäftsverluste abgezogen werden dürfen (Art. 22 lit. b und c WStB).

    Art. 21 Abs. 1 lit. c WStB lehnt sich, was die Gewinnanteile aus
Beteiligungen anlangt, in der ursprünglichen und insbesondere in der
durch BRB vom 31. Oktober 1944 erweiterten Fassung an Bestimmungen
der Bundesgesetzgebung über die Stempelabgaben an, vor allem an Art. 5
Abs. 2 CG. Mit jener Erweiterung wollte der Bundesrat die Angleichung noch
deutlicher hervorheben und damit klarstellen, dass alle nach der damaligen
Gesetzgebung der Couponabgabe und der Verrechnungssteuer unterworfenen
geldwerten Leistungen der Gesellschaft oder Genossenschaft an die Inhaber
gesellschaftlicher Beteiligungsrechte auch der Wehrsteuer vom Einkommen
unterliegen sollten (Zwischenbericht des Bundesrates vom 31. Oktober
1944 über die auf Grund der ausserordentlichen Vollmachten ergriffenen
Massnahmen, BBl 1944 S. 1216). Insbesondere sollte nach der Meinung des
Bundesrates auch die Zuteilung von Gratisaktien, die in Art. 5 Abs. 2
CG ausdrücklich als geldwerte Leistung genannt war, unter Art. 21 Abs. 1
lit. c WStB fallen.

    Das Bundesgericht hat in ständiger Rechtsprechung angenommen, dass die
Gratisaktien in der Tat gemäss dem Willen des historischen Gesetzgebers
von Art. 21 Abs. 1 lit. c WStB erfasst werden; es hat ausgeführt, dass
sie nach dieser Bestimmung dem nicht buchführungspflichtigen Empfänger
im Zeitpunkt der Zuteilung, und zwar in der Regel zum Nennwert, als
Einkommen angerechnet werden (BGE 70 I 319, 80 I 40, 83 I 194, 85 I 117;
ASA Bd. 20 S. 138, Bd. 25 S. 42, 85 und 493, Bd. 26 S. 131, 511 und 515,
Bd. 28 S. 165, Bd. 33 S. 212).

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer macht unter Berufung auf neuere Literatur
geltend, diese Rechtsprechung sei mit dem Wehrsteuerbeschluss
nicht vereinbar und führe zu stossenden Unzukömmlichkeiten. Er greift
Einwendungen wieder auf, mit denen das Bundesgericht sich schon wiederholt
auseinandergesetzt hat. Sie erweisen sich auch bei neuer Prüfung nicht
als triftig.

    a) Wiederum wird vor allem eingewendet, die Ausgabe von Gratisaktien
sei keine geldwerte Leistung, weil der Aktionär dadurch von der
Gesellschaft nicht einen Wert erhalte, der ihm vorher noch nicht gehört
habe.

    Freilich mag zutreffen, dass die Aktionäre durch den Bezug der
Gratisaktien, wirtschaftlich betrachtet, nicht reicher werden. Darauf
kommt es jedoch nicht an. Tritt eine Bereicherung nicht ein, so schliesst
dies die Annahme einer geldwerten Leistung im Sinne von Art. 21 Abs. 1
lit. c WStB nicht aus. Der Aktionär kann ja aus der Gesellschaft überhaupt
keinen Wert beziehen, an dem er nicht schon bisher als Gesellschafter
wirtschaftlich Anteil hatte (BGE 83 I 282). Das gilt auch für die
Dividende, die unbestrittenermassen von Art. 21 Abs. 1 lit. c WStB
erfasst wird.

    Unrichtig ist dagegen die weitergehende Behauptung, dass die
Aktiengesellschaft bei der Ausgabe von Gratisaktien, anders als bei
der Ausschüttung von Dividenden, nichts zugunsten der Aktionäre aus
ihrem Vermögen ausscheide, keinen Vermögenswert auf die Aktionäre
übertrage, sondern lediglich auf der Passivseite der Bilanz Reserven
auf das Kapitalkonto umbuche. Das neue Aktienkapital muss aufgebracht
werden. Die Gesellschaft fordert die dafür notwendigen Mittel nicht von
den Aktionären ein, sondern stellt sie selbst zur Verfügung, indem sie
auf Gewinne greift, die sie angesammelt hat. Die so bereitgestellten
Mittel werden den Aktionären zugewendet, durch Gutschrift auf ihre
persönliche Aktienbeteiligung übertragen. Damit werden sie der Verfügung
der Gesellschaft entzogen. Die Aktionäre, die bisher eine blosse
Anwartschaft auf einen Anteil an dem nun zur Liberierung der Gratisaktien
verwendeten Gewinn hatten, erhalten diesen Anteil durch Zuteilung der
neuen Aktien. Die alten Aktien werfen ihnen so einen Ertrag in Gestalt
eines neuen gesellschaftlichen Beteiligungsrechts ab. Es werden ihnen neue
Wertpapiere ausgestellt, über die sie zu eigenem Nutzen verfügen können.
Sie empfangen ein neues Vermögensrecht, das im gleichen Umfange rechtlich
geschützt ist wie das Aktienkapital als Ganzes. Gewiss dient der Schutz
des Aktienkapitals vorab den Interessen der Gesellschaftsgläubiger, aber
zugleich auch denjenigen der Aktionäre. Das Zivilgesetz gewährleistet dem
Aktionär die Erhaltung des von ihm - oder für ihn von der Gesellschaft
- in Aktien investierten Vermögens; er hat einen mit Klage gegen die
Gesellschaft durchsetzbaren Anspruch darauf, dass das Aktienkapital - und
damit auch sein Anteil daran - nicht geschwächt werde (Art. 646 ff. OR,
mit dem Randtitel: "Schutz der Aktionäre und des Grundkapitals"; SIEGWART,
Kommentar zu Art. 620-659 OR, Einleitung N. 247 f.). Der zusätzlichen
festen, in einem neuen Wertpapier verkörperten Beteiligung, welche der
Aktionär von der Gesellschaft gratis erhält, muss Geldwert zuerkannt
werden. Die Ausgabe von Gratisaktien ist also eine geldwerte Leistung,
mit der den Aktionären ein Gewinnanteil aus Beteiligung ausgerichtet wird,
so dass sie unter Art. 21 Abs. 1 lit. c WStB fällt (ASA Bd. 25 S. 494,
Bd. 28 S. 166, Bd. 33 S. 213/4).

    b) Das Bundesgericht hat festgestellt, dass im Wortlaut von Art. 21
Abs. 1 lit. c WStB die vom historischen Gesetzgeber angestrebte Angleichung
an die Ordnung der Couponabgabe und der Verrechnungssteuer verwirklicht ist
(BGE 80 I 41; ASA Bd. 33 S. 214 E. 3). Der Beschwerdeführer meint, diese
Feststellung sei jedenfalls heute nicht mehr schlüssig; er weist darauf
hin, dass das Couponsteuergesetz durch das BG über die Verrechnungssteuer
vom 13. Oktober 1965 aufgehoben worden ist. Er übersieht jedoch, dass
die Gratisaktien von diesem neuen Gesetz ebenfalls erfasst werden. Sie
sind Ertrag beweglichen Kapitalvermögens gemäss Art. 4 Abs. 1 lit. b
daselbst (BGE 95 I 600). Würden sie nicht auch als Einkommen aus
beweglichem Vermögen im Sinne von Art. 21 Abs. 1 lit. c WStB angerechnet,
so entstände ein Widerspruch zum Verrechnungssteuergesetz, das u.a. gerade
die direkten Steuern vom Ertrag beweglichen Kapitalvermögens, den es
belastet, sichern soll.

    c) Dem Beschwerdeführer hilft auch der Einwand nicht, dass die
von ihm beanstandete Rechtsprechung des Bundesgerichts zu stossenden
Ergebnissen führe.

    Nach der Ordnung der Wehrsteuer vom Einkommen nicht
buchführungspflichtiger natürlicher Personen kommt es nicht darauf
an, ob das Vermögen des Steuerpflichtigen infolge der Zuweisung eines
Gewinnanteils aus Beteiligung wertmässig zugenommen hat oder nicht. Der
Gewinnanteil wird bei demjenigen besteuert, der ihn bezieht, also im
Zeitpunkt der Leistung Inhaber des Beteiligungsrechts ist, ohne Rücksicht
darauf, was er ausgelegt hat, um dieses Recht zu erwerben. Die Leistung
wird ihm in dem Betrage, den die Gesellschaft dafür aus dem angesammelten
Gewinn aufbringt, als Einkommen angerechnet (vgl. BGE 90 I 261 E. 3,
betreffend Obligationenzinsen).

    Dies gilt auch für die Zuteilung von Gratisaktien. Der Geldwert
dieser Leistung entspricht dem Betrage, der für sie aus dem Gewinn der
Gesellschaft ausgeschieden wird, d.h. in der Regel dem Nennwert der neu
ausgegebenen Aktien. In diesem Betrage empfängt der Aktionär einen Ertrag
der bisherigen Beteiligung, ein Einkommen aus ihr. Die Bundesratsbeschlüsse
von 1934 und 1938 über die Krisenabgabe hatten freilich in einer
besonderen Bestimmung für die Verteilung von Gratisaktien, Genussscheinen
und Gründeranteilen den Abzug "des sich daraus ergebenden Minderwertes
der bisherigen Beteiligungsrechte und allfälliger Gegenleistungen des
Empfängers" vorgesehen (Art. 21 bzw. 22, Ziff. 3). Diese Sonderregelung
ist indes nicht in den Wehrsteuerbeschluss übernommen worden; sie hatte
sich in der Praxis als unbefriedigend erwiesen (BGE 70 I 322 E. 2 a;
ASA Bd. 33 S. 214).

    Dem System einer Subjektsteuer, welches der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen Rechnung trägt, entspricht
die Ordnung der Wehrsteuer auf Gewinnanteilen aus Beteiligung nicht
buchführungspflichtiger natürlicher Personen allerdings nicht (KÄNZIG,
Wehrsteuer, N. 60 zu Art. 21 WStB). Sie wird in der Literatur denn auch
als "objektives" System bezeichnet, während die abweichende Regelung,
die der Wehrsteuerbeschluss für buchführungspflichtige Personen trifft,
"subjektives" System genannt wird (FLÜGE, in "Die schweizerische
Aktiengesellschaft" 1959/60, S. 201 ff.). Die Unzukömmlichkeiten, die
sich aus der Anwendung dieser Ordnung auf die Zuteilung von Gratisaktien
- wie auch auf die Zuweisung anderer Gewinnanteile aus Beteiligung -
unter Umständen ergeben können, sind jedoch von der Steuerbehörde und
vom Richter hinzunehmen; Abhilfe könnte nur der Gesetzgeber schaffen
(ASA Bd. 33 S. 215; KÄNZIG aaO).