Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 I 433



96 I 433

67. Auszug aus dem Urteil vom 7. Oktober 1970 i.S. Mächler gegen Schuler
sowie Gerichtspräsidium Höfe Justizkommission des Kantons Schwyz. Regeste

    Art. 4 BV; Missachtung von Vorschriften eines Gesamtarbeitsvertrags.

    Eine gesamtarbeitsvertragliche Bestimmung, wonach bei der Berechnung
der vereinbarten periodischen Lohnerhöhungen vom tatsächlich bezahlten
Gehalt auszugehen ist, hat normative Wirkung; ihre Missachtung stellt eine
Verletzung von klarem Recht und damit einen Verstoss gegen Art. 4 BV dar.

Sachverhalt

    A.- Eugen Kessler, Inhaber eines Holzbearbeitungsbetriebes, schloss
am 1. Oktober 1963 einen Dienstvertrag ab mit Martin Mächler, dem er
Schreinerarbeiten zur Ausführung übertrug. Am 1. Januar 1964 gründeten
Eugen Kessler und Alois Schuler eine "Arbeitsgemeinschaft für die Fertigung
von Holztafeln". Mächler blieb in den Diensten der neuen Unternehmung,
und zwar als verantwortlicher Vorarbeiter.

    Vom Oktober 1963 bis Ende März 1965 bezog Mächler einen Monatslohn
von Fr. 1000.--. Auf 1. April 1965 wurde sein monatliches Gehalt um
Fr. 100.--, auf 1. Juni 1966 um weitere Fr. 50.- und auf 1. April
1967 schliesslich auf Fr. 1205.-- erhöht. Ende August 1967 wurde das
Arbeitsverhältnis auf gelöst.

    B.- Am 30. Oktober 1968 reichte Mächler beim Gerichtspräsidium
Höfe Klage ein mit dem Begehren, Schuler sei zur Zahlung einer Summe
von Fr. 2046.75 zu verurteilen. Zur Begründung führte er aus, aufgrund
der Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrags (GAV) für die schweizerische
Holzindustrie stehe ihm eine Nachforderung von Fr. 1637.40 zu. Wegen
Nichteinhaltung des GAV habe ihm der Beklagte zudem eine Konventionalstrafe
von 25% (= Fr. 409.35) zu entrichten (Art. 5 GAV). Schuler machte geltend,
der Kläger unterstehe dem GAV nicht, weil er die Stelle eines technischen
Angestellten bekleidet habe; Mächler habe im übrigen einen höheren Lohn
erhalten, als ihm nach den Vorschriften des GAV zugestanden hätte, so
dass er auch aus diesem Grund keine Nachforderung durchsetzen könne.

    C.- Mit Urteil vom 24. Februar 1969 wies das Gerichtspräsidium
Höfe die Klage ab. Es nahm an, Mächler habe dem GAV unterstanden, da
er vorwiegend Schreinerarbeiten ausgeführt habe und somit nicht als
technischer Angestellter tätig gewesen sei. Es ging indessen davon aus,
das massgebliche Arbeitsverhältnis habe erst am 1. Januar 1964 begonnen,
da Mächler vor der Gründung der Arbeitsgemeinschaft ausschliesslich für
den Betrieb Kesslers gearbeitet habe. Bei der Lohnberechnung nach GAV sei
somit vom 1. Januar 1964 auszugehen, und zwar von einem Monatslohn von
Fr. 1000.--. Die Berechnung der Gehaltsansprüche Mächlers laut GAV führe
zum Ergebnis, dass dieser für die Zeit vom 1. Januar 1964 bis zu seinem
Austritt am 31. August 1967 insgesamt Fr. 65.- mehr erhalten habe, als
ihm nach den Bestimmungen des GAV zugestanden hätte. Das Gericht erwog
weiter, der Kläger wäre selbst dann nicht durchgedrungen, wenn das für
die Lohnberechnung massgebliche Arbeitsverhältnis bereits am 1. Oktober
1963 begonnen hätte. Mächler habe sich mit dem Eintritt in den Betrieb
Kesslers finanziell erheblich verbessern können; Lohnerhöhungen, die seit
dem 1. September 1963 im Hinblick auf die Teuerung gewährt wurden, könnten
bei der Festsetzung des ab 1. Januar 1964 geltenden Mindestlohnes laut
Art. 13 Abs. 2 GAV (vom 17. Dezember 1963) angerechnet werden, weshalb
Mächler am 1. Januar 1964 ohnehin nicht in den Genuss einer Lohnerhöhung
gekommen wäre.

    D.- Mächler erhob gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde bei der
Justizkommission des Kantons Schwyz. Mit Beschluss vom 18. August 1969
wies diese den Rekurs ab. Sie ging im Gegensatz zum erstinstanzlichen
Urteil davon aus, das Arbeitsverhältnis habe am 1. September 1963 begonnen
und sei durch die Gründung der Arbeitsgemeinschaft nicht unterbrochen
worden, denn aufgrund der Akten müsse angenommen werden, dass diese in
den bestehenden Vertrag eingetreten sei. Wie im angefochtenen Entscheid
mit Recht festgestellt worden sei, dürften gestützt auf Art. 13 Abs. 2 GAV
teuerungsbedingte Lohnerhöhungen seit 1. September 1963 in die Berechnung
des ab 1. Januar 1964 geltenden Mindestlohnes einbezogen werden. Da
sich Mächler mit seinem Übertritt in die Dienste Kesslers finanziell
erheblich habe verbessern können, dürfe ohne Willkür angenommen werden,
dass im vereinbarten Monatslohn von Fr. 1000.-- eine teuerungsbedingte
Gehaltserhöhung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GAV eingeschlossen gewesen sei
und dass demzufolge eine Lohnerhöhung auf den 1. Januar 1964 auch nach
den Bestimmungen des GAV ausser Betracht gefallen wäre. Die Berechnungen,
welche das erstinstanzliche Gericht angestellt habe, sowie die daraus
gezogenen Schlüsse in bezug auf das Verhältnis zwischen dem während der
gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses tatsächlich bezogenen und dem
nach GAV geschuldeten Gehalt seien im übrigen nicht willkürlich, so dass
die Beschwerde abgewiesen werden müsse.

    E.- Mächler führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung
von Art. 4 BV. Er beantragt, die Urteile der Justizkommission vom
18. August 1969 und des Gerichtspräsidiums Höfe vom 24. Februar 1969
seien aufzuheben. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde im Sinne der
Erwägungen gut.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.- Das Gerichtspräsidium Höfe kam aufgrund einer Vergleichsrechnung
zum Schluss, die dem Beschwerdeführer tatsächlich gewährten Lohnerhöhungen
überstiegen den Gesamtbetrag der Lohnanpassungen, welche ihm nach den
gesamtarbeitsvertraglichen Mindestansätzen zugestanden hätten.

    Der Beschwerdeführer macht geltend, bei der Festsetzung der nach
GAV geschuldeten Lohnerhöhungen sei kraft ausdrücklicher Vorschrift
(Art. 13 Abs. 1 GAV) vom effektiv bezahlten Gehalt auszugehen. Die
Berechnungen, welche vom Gerichtspräsidium Höfe angestellt und von der
Justizkommission geschützt worden seien, ständen im Widerspruch zu dieser
Bestimmung; sie beruhten mithin auf einer Verletzung von klarem Recht,
weshalb die angefochtenen Entscheide wegen Willkür aufzuheben seien.

    a) Die Bestimmungen des GAV über den Inhalt der einzelnen
Dienstverhältnisse gelten während der Dauer des Vertrags unmittelbar für
die beteiligten Parteien und können nicht wegbedungen werden, wenn im GAV
nichts anderes bestimmt ist. Abreden zwischen den beteiligten Arbeitgebern
und Arbeitnehmern, die gegen zwingende Vorschriften verstossen, sind
nichtig und werden durch die Bestimmungen des GAV ersetzt; doch können
abweichende Abreden zugunsten der Arbeitnehmer getroffen werden (Art. 323
OR). Art. 13 GAV hat normative Wirkung; die Bestimmung sieht vor, dass
bei der Berechnung der Gehaltserhöhungen vom effektiven Lohn auszugehen
ist. Wortlaut und Sinn der Vorschrift sind klar; die Missachtung von
Art. 13 GAV stellt somit einen Verstoss gegen klares Recht und damit eine
Verletzung von Art. 4 BV dar (vgl. BGE 93 I 262/3 mit Verweisungen).

    b) Wie in Erw. 4 dargelegt wurde, darf im vorliegenden Fall ohne
Willkür davon ausgegangen werden, die laut GAV auf 1. Januar 1964 fällige
Gehaltserhöhung sei im Anfangslohn von Fr. 1000.-- inbegriffen gewesen. Die
Bezüge des Beschwerdeführers hätten somit nach den Vorschriften des
GAV erstmals auf Juli 1964 erhöht werden müssen, und zwar um Fr. 20.-
pro Monat. Auf April 1965 hätte der Beschwerdeführer unbestrittenermassen
Anspruch auf eine weitere Lohnerhöhung von Fr. 40.- pro Monat gehabt. Bis
zu diesem Zeitpunkt ergibt sich somit für die Vergleichsrechnung ein
Guthaben des Beschwerdeführers von Fr. 180.-- (Juli 1964 bis März 1965, 9
x Fr. 20.-). Nach dem Gesagten hätte dem Beschwerdeführer vom April 1965
an ein Monatslohn von Fr. 1060.-- zugestanden. Auf diesen Zeitpunkt kam
er jedoch in den Genuss einer tatsächlichen Lohnerhöhung von Fr. 100.--
pro Monat, d.h. er bezog vom April 1965 an Fr. 1100.-- pro Monat, mit
anderen Worten Fr. 40.- mehr, als ihm nach den Minimalansätzen laut GAV
zugestanden hätte. Wohl lässt sich ohne Willkür annehmen, mit dieser
effektiven Lohnerhöhung seien die Parteien für die Vergleichsrechnung
bis zum April 1965 auseinandergesetzt, denn die zu diesem Zeitpunkt
bestehende Nachforderung des Beschwerdeführers von Fr. 180.-- wäre
durch die Ausrichtung des den gesamtarbeitsvertraglichen Minimalansatz
um Fr. 40.- übersteigenden Gehalts innerhalb weniger Monate getilgt
worden. Unhaltbar ist jedoch der Schluss, damit bleibe die für September
1965 laut GAV vorgesehene Lohnerhöhung von Fr. 40.- pro Monat (von
Fr. 1060.-- auf Fr. 1100.--) unbeachtlich, da der Beschwerdeführer zu
dieser Zeit bereits den ihm nach GAV zustehenden Minimallohn erhalten
habe. Art. 13 GAV sieht ausdrücklich vor, dass sich die periodischen
Gehaltserhöhungen auf den effektiv bezahlten Lohn zu beziehen haben. Es
geht nicht an, eine über das geforderte Mindestmass hinausgehende
Lohnerhöhung auf künftige gesamtarbeitsvertragliche Gehaltsanpassungen
anzurechnen. Die entgegengesetzte Auffassung des Gerichtspräsidiums Höfe
und der Justizkommission des Kantons Schwyz steht mithin im Widerspruch
zum klaren Wortlaut von Art. 13 GAV und verletzt demnach klares Recht;
die Beschwerde ist daher gutzuheissen, und die angefochtenen Entscheide
sind aufzuheben.

    In der Vergleichsrechnung ist nach dem Gesagten vom effektiven
Monatslohn von Fr. 1100.-- auszugehen. Laut GAV hätte sich dieses Gehalt
vom September 1965 an um Fr. 40.- auf Fr. 1140.--, vom April 1966 an um
weitere Fr. 40.- auf Fr. 1180.-- und vom April 1967 an um Fr. 60.- auf
Fr. 1240.-- erhöht. Berücksichtigt man die tatsächlichen Lohnerhöhungen
auf Juni 1966 (Fr. 50.-) und auf April 1967 (Fr. 55.-), so ergibt sich
daraus ein Guthaben des Beschwerdeführers von Fr. 915.--.