Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 I 411



96 I 411

64. Auszug aus dem Urteil vom 5. Juni 1970 i.S. X und Konsorten gegen
Kanton St. Gallen Regeste

    Steueramnestie gemäss BG vom 15. März 1968.

    Zulässigkeit der Erhebung einer kantonalen Schenkungssteuer auf
Erbvorempfängen.

    1.  Die vom Amnestiegesetz verwendeten Begriffe "Vermögenserwerb von
Todes wegen" (Art. 2 Abs. 1 lit. a AmnG) und "Schenkung" (Art. 2 Abs. 1
lit. d AmnG) sind Begriffe des Bundesrechts (E. 2).

    2.  Jede zu Lebzeiten des Verfügenden vollzogene unentgeltliche
Zuwendung ist eine Schenkung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. d AmnG (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 2. September 1968 schloss der im Kanton St.  Gallen wohnhafte Y
mit seinen fünf Kindern einen "Abtretungsvertrag (Vorempfang auf Rechnung
künftiger Erbschaft)", worin festgestellt wurde, einer der Söhne habe
von Y im Jahre 1964 1145 Aktien Royal Dutch erhalten, die übrigen Kinder
erhielten am Tage des Vertragsschlusses je 1260 Aktien Royal Dutch,
jedes der Kinder habe ausserdem bereits Fr. 15 000.-- in bar erhalten.

    Y starb am 12. September 1968. Die seinen Kindern zugewendeten
Teile seines Vermögens hatte er nicht versteuert. Sie wurden dem
Fiskus auch beim Erbgang nicht angegeben. Hingegen hat jedes der fünf
Kinder den ihm zukommenden Teil deklariert: ein Sohn anlässlich einer
kantonalen Steueramnestie auf den 1. Januar 1965, die anderen im Rahmen
der allgemeinen Steueramnestie des Bundes auf den 1. Januar 1969. Die
Steuerbehörden des Kantons St. Gallen erhielten hievon Kenntnis.

    B.- Die kantonale Steuerverwaltung St. Gallen stellte für die
Zuwendungen, welche sie auf total Fr. 1 370 425.-- bewertete, gegen
die Kinder des Y eine Schenkungssteuerforderung von Fr. 41 112.75. Die
Einsprache hiegegen wies sie am 28. November 1969 ab.

    Auf diesen Entscheid hin hat der Sohn X zusammen mit seinen vier
Geschwistern beim Bundesgericht verwaltungsrechtliche Klage gegen den
Kanton St. Gallen erhoben. Die Kläger sind der Ansicht, die Zuwendungen
ihres Vaters an sie seien nach Bundesprivatrecht als Vermögenserwerb von
Todes wegen zu qualifizieren. Die allgemeine Steueramnestie des Bundes
erstrecke sich deshalb gemäss Art. 2 Abs. 1 lit. a AmnG auch auf sie.

    Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, da kantonales Recht
die Begriffe der Steuern bestimme, welche auf Grund des Amnestiegesetzes
nicht mehr erhoben werden dürften und nach st. gallischem Erbschafts- und
Schenkungssteuerrecht die in Frage stehenden Zuwendungen Schenkungen seien,
die gemäss Art. 2 Abs. 1 lit. d AmnG besteuert werden dürften. Auch das
Wesen dieser Zuwendungen und der Zweck des Amnestiegesetzes verlangten,
dass im vorliegenden Falle eine Schenkungssteuer erhoben werden dürfe.

    Das Bundesgericht weist die Klage ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Zu entscheiden ist, ob der Beklagte auf Grund des Amnestiegesetzes
auf den Zuwendungen des Y an seine Kinder eine Steuer erheben darf oder
nicht. Das Amnestiegesetz lässt die Besteuerung zu, wenn die Zuwendung
eine Schenkung ist (Art. 2 Abs. 1 lit. d AmnG), es verbietet sie, wenn
die Zuwendung Vermögenserwerb von Todes wegen darstellt (Art. 2 Abs. 1
lit. a AmnG).

    Das Amnestiegesetz selbst gibt keine ausdrückliche Bestimmung
der von ihm verwendeten Begriffe "Schenkung" und "Vermögenserwerb von
Todes wegen". Den Klägern ist darin zuzustimmen, dass diese Begriffe
Begriffe des Bundesrechts und nicht des kantonalen Rechts sind. Mit ihrer
Bestimmung wird zugleich der Umfang der allgemeinen Steueramnestie des
Bundes gegenüber der kantonalen Steuerhoheit abgegrenzt. Wie weit die
allgemeine Steueramnestie des Bundes in die Steuerhoheit der Kantone
eingreift, bestimmt Bundesrecht und nicht kantonales Recht. Begriffe des
st. gallischen Steuerrechts können nur soweit beigezogen werden, als sie
allgemeinen steuerrechtlichen Grundsätzen entspringen, die auch Geltung
im Recht des Bundes haben und als das Bundesrecht nicht ausdrücklich
etwas anderes bestimmt.

    Die Begriffe "Schenkung" und "Vermögenserwerb von Todes wegen" dürfen
aber nicht einfach den gleich bezeichneten Begriffen des Bundeszivilrechts
gleichgesetzt werden. Durch Auslegung von Art. 2 Abs. 1 lit. a und
lit. d AmnG ist zu ermitteln, ob die Zuwendung des Y an seine Kinder im
Sinne des Amnestiegesetzes eine Schenkung oder Vermögenserwerb von Todes
wegen ist. Dabei ist das Privatrecht des Bundes erst zuhilfe zu ziehen,
wenn dem Steuerrecht, insbesondere auch dessen allgemeinen Grundsätzen,
für diesen Fall nichts entnommen werden kann.

Erwägung 3

    3.- a) Einem allgemeinen Grundsatz des Steuerrechtes zufolge ist
jeder Übergang von Vermögen in dem Zeitpunkt zu besteuern, in dem er
stattfindet. Dieser Grundsatz fliesst aus den praktischen Bedürfnissen
der Steuererhebung. Überträgt jemand zu Lebzeiten seinen Erben Vermögen
als Vorempfang auf den Erbteil, so wird dieser Vorgang im Zeitpunkt des
Eigentumsübergangs oder eines diesem entsprechenden Rechtsüberganges
besteuert. Es müsste zu schweren Unzukömmlichkeiten führen, wollte man
einen solchen Vorgang erst beim Tod des Erblassers besteuern, denn bis
dahin können viele Jahre vergehen und der Erblasser kann seinen Wohnsitz
in einen anderen Kanton verlegen. Die Erbschaftssteuer muss deshalb
beschränkt bleiben auf den Vermögensübergang aus Anlass des Todes des
Erblassers. Aus der Natur des Steuerrechtes selbst ergibt sich somit, dass
eine unentgeltliche Zuwendung unter Lebenden als Schenkung zu besteuern
ist, gleichgültig, ob es sich dabei um eine Zuwendung handelt, die sich
der Bedachte an seinen Erbteil anrechnen lassen muss oder nicht.

    b) Auch die Rechtsprechung verwendet in Steuersachen diesen
steuerrechtlichen Schenkungsbegriff, der Erbvorempfänge mitumfasst. Das
Bundesgericht und ihm folgend die Oberrekurskommission des Kantons Zürich
haben in anderem Zusammenhang bereits vor einiger Zeit festgestellt,
dass Vorempfänge auf Anrechnung an den Erbteil richtigerweise, als was sie
tatsächlich sind, nämlich als Schenkungen unter Lebenden zu besteuern sind
(BGE 55 I 83, BlZR 47 Nr. 28 E. 3).

    c) Dieser steuerrechtliche Begriff der Schenkung liegt nun auch dem
Amnestiegesetz zugrunde. Schenkung und Vermögenserwerb von Todes wegen
sind im Amnestiegesetz verschieden behandelt. Verschiedene Behandlung
erfuhren sie schon in den Amnestien des Bundes von 1940 und 1945. Das
Gesetz trägt damit der praktischen Schwierigkeit Rechnung, das Datum
einer Schenkung genau zu bestimmen und will Missbräuchen vorbeugen
(vgl. Bericht des Bundesrates zur Motion Mäder an den Nationalrat
vom 12. Mai 1967 S. 10, BLUMENSTEIN ASA Bd. 9 S. 209). Die erwähnte
Schwierigkeit besteht aber natürlich bei allen Zuwendungen unter Lebenden,
so auch bei Erbvorempfängen. Auch sie sind deshalb den Schenkungen im
Sinne des Amnestiegesetzes zuzuzählen. Es liegt auf der Hand, dass das
Amnestiegesetz, das wie schon die früheren derartigen Erlasse des Bundes
die Steuerehrlichkeit fördern will, die Umgehung der Erbschaftssteuer auf
dem Weg einer im Jahre 1968 nach seinem Erlass vollzogenen unentgeltlichen
Zuwendung nicht begünstigen, sondern verhindern will.

    Recht und Billigkeit entspricht es schliesslich auch, wenn das
Amnestiegesetz durch die getroffene Unterscheidung die zu Lebzeiten des
Erblassers vor Inkrafttreten des Amnestiegesetzes bedachten Erben den
Erben gleichstellt, die nach Inkrafttreten des Gesetzes durch Erbgang
Vermögen erworben haben.

    Damit ergibt sich, dass das Amnestiegesetz zulässt, jede zu Lebzeiten
des Verfügenden vollzogene unentgeltliche Zuwendung als Schenkung zu
besteuern.

Erwägung 4

    4.- Die hier in Frage stehenden Zuwendungen stellen
unbestrittenermassen Erbvorempfänge der Kläger dar. Wesentlich ist aber,
dass Y sie seinen Kindern noch zu Lebzeiten, spätestens nämlich am
2. September 1968, dem Tag der Unterzeichnung des "Abtretungsvertrags",
zukommen liess. Steuerrechtlich gesehen handelt es sich dabei also
um Schenkungen. Auf Schenkungen darf gemäss Art. 2 Abs. 1 lit. d AmnG
der einfache Steuerbetrag erhoben werden. Die Klage auf Befreiung von
dieser Steuer muss deshalb abgewiesen werden. Festzustellen, ob sie nach
kantonal st. gallischem Recht geschuldet wird, ist Sache der kantonalen
Behörden. Allerdings bestreiten die Kläger dies nicht.