Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 I 406



96 I 406

63. Auszug aus dem Urteil vom 3. Juli 1970 i.S. Personalfürsorgestiftung
der Firma Johanne Schaller und Mitbeteiligte gegen Regierungsrat des
Kantons Basel-Stadt Regeste

    Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Verfügungen der
Aufsichtsbehörde über Stiftungen.

    1.  Anwendbarkeit des OG in der Fassung vom 20. Dezember 1968 (Erw. 1).

    2.  Bestimmungen des ZGB über die Stiftungsaufsicht, die
der Aufsichtsbehörde die Kompetenz verleihen, von Amtes wegen in
Angelegenheiten der Stiftung einzugreifen, sind öffentlichen Rechts im
Sinne von Art. 5 VwG (Erw. 2).

Sachverhalt

                      Aus dem Sachverhalt:

    Am 15. Dezember 1969 beschloss der Regierungsrat des
Kantons Basel-Stadt als obere Aufsichtsbehörde über Stiftungen im
Anschluss an längere Auseinandersetzungen mit dem Stiftungsrat der
Personalfürsorgestiftung der Firma Johanne Schaller, diesen abzuberufen
und das Handelsregisteramt anzuweisen, die Mitglieder des Stiftungsrates
im Register zu löschen. Dagegen erheben die Stiftung und die abberufenen
Mitglieder des Stiftungsrates Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesgericht tritt auf die Beschwerde ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerde richtet sich gegen den Regierungsratsbeschluss vom
15. Dezember 1969 auf Abberufung des Stiftungsrates. Die Beschwerdeführer
vertreten die Auffassung, dieser Beschluss bezwecke die Liquidation
der Stiftung, die Liquidation stelle eine Umwandlung der Stiftung im
Sinne von Art. 99 Ziff. IV OG dar, gegen den Beschluss sei somit die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig. Sie übersehen dabei, dass Art. 99
Ziff. IV OG auf den vorliegenden Fall nicht mehr anwendbar ist, da der
angefochtene Beschluss nach dem 1. Oktober 1969 ergangen ist und somit
ihre Beschwerde nach den durch das BG über die Änderung des Bundesgesetzes
über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 20. Dezember 1968 neu
ins OG eingefügten Art. 97 ff. OG zu beurteilen ist (Ziff. III des zit.
Gesetzes.)

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 97 Abs. 1 OG in der Fassung vom 20. Dezember 1968
beurteilt das Bundesgericht letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden
gegen Verfügungen im Sinne von Artikel 5 des Bundesgesetzes über
das Verwaltungsverfahren (VwG). Solche Beschwerden sind unter einem
im vorliegenden Falle unwesentlichen Vorbehalt insbesondere zulässig
gegen Verfügungen letzter Instanzen der Kantone (Art. 98 lit. g OG). Der
angefochtene Beschluss des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt fällt
unter keine der in Art. 99 bis 102 OG aufgezählten Ausnahmen. Er ist
letztinstanzlich. Nach Art. 11 Ziff. 7 des kantonalen Gesetzes über
die Verwaltungsrechtspflege vom 14. Juni 1928 ist grundsätzlich der
Weiterzug von Verfügungen der Aufsichtsbehörden über Stiftungen an das
kantonale Verwaltungsgericht ausgeschlossen (vgl. BJM 1959 S. 261 ff). Die
Ausnahmebestimmung von Art. 19 EGZGB findet nur auf Verfügungen Anwendung,
die sich auf Art. 85 und 86 ZGB stützen und bei Aufrechterhaltung
der Stiftung im Interesse der Stiftung eine Änderung des Zweckes
oder der Organisation anordnen. Die hier in Frage stehende Verfügung
des Regierungsrates des Kantons Basel-Stadt gründet jedoch auf Art. 88
ZGB. Sie setzt voraus, dass die Stiftung von Gesetzes wegen aufgehoben ist.

    Verfügungen sind gemäss Art. 5 VwG Anordnungen der Behörden im
Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen. Der
Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt bezweifelt, dass im Rahmen der
Aufsicht über Stiftungen ergehende Anordnungen sich im Sinne von Art. 5
VwG auf öffentliches Recht des Bundes stützen und damit kraft Art. 97
OG mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht angefochten
werden können. Dies ist zu prüfen.

    a) Die Aufsicht über Stiftungen ist im ZGB geregelt.  Formell stellt
das Aufsichtsrecht damit Privatrecht des Bundes dar. Anerkanntermassen
enthält das ZGB aber neben materiellem Privatrecht auch Vorschriften,
welche materiell als öffentliches Recht bezeichnet werden müssen. Für
die von Art. 5 VwG getroffene Unterscheidung von öffentlichem Recht
und Privatrecht fällt die rein formelle, lediglich auf die Rechtsquelle
abstellende Unterscheidung ausser Betracht. Dies zeigt schon Art. 100
lit. g OG, der gegen Verfügungen auf dem Gebiete der Aufsicht über die
Vormundschaftsbehörden die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ausdrücklich
ausschliesst. Diese Bestimmung wäre überflüssig, wenn Art. 5 VwG von der
rein formellen Unterscheidung des privaten vom öffentlichen Recht nach der
Rechtsquelle ausginge, denn die Aufsicht in Vormundschaftsachen gründet
ebenso wie die Aufsicht über Stiftungen im ZGB.

    b) Verschiedentlich wird argumentiert, die Stiftungsaufsicht bezwecke
einzig die Wahrung privater Interessen; die sie regelnden Vorschriften
seien deshalb dem Privatrecht zuzuzählen (vgl. GUTZWILLER, Schweizerisches
Privatrecht, 1967 Bd. II, S. 616, KIRCHHOFER, Die Verwaltungsrechtspflege
beim Bundesgericht, 1930, S. 19). Zwar lehnt sich auch das Bundesgericht
bei der Abgrenzung von privatem und öffentlichem Recht gelegentlich
an diese sogenannte Interessentheorie an, die besagt, dem öffentlichen
Recht gehörten jene Vorschriften an, die in erster Linie und wesentlich
im öffentlichen Interesse erlassen worden seien (BGE 85 I 21 und
dort zitierte Entscheide zur Abgrenzung zwischen Bundeszivilrecht und
kantonalem öffentlichem Recht). Dieses Unterscheidungskriterium hilft
im vorliegenden Falle jedoch nicht weiter, liegen doch die Vorschriften
über die Stiftungsaufsicht entgegen oben zitierter Ansicht sowohl im
öffentlichen wie auch im privaten Interesse, ohne dass sich eindeutig
entscheiden liesse, welcher der beiden Zwecke vorherrscht (vgl. die bei
GUTZWILLER, Privatrecht, S. 616 zitierten divergierenden Meinungen).

    c) Zur Lösung führt ein anderes vom Bundesgericht vor allem in
seiner Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Berufung oft angewendetes
Kriterium. Das Bundesgericht hat in der erwähnten Rechtsprechung bei
der Abgrenzung des materiellen privaten vom materiellen öffentlichen
Recht wiederholt, der sogenannten Subordinationstheorie folgend,
festgestellt, das Privatrecht ordne die Rechtsbeziehungen zwischen
gleichartigen, gleichwertigen, gleichberechtigten Rechtssubjekten,
während das öffentliche Recht das Unterordnungsverhältnis des Bürgers zur
Staatsgewalt regle (BGE 54 II 122, 40 II 85). Eine derartige Über- und
Unterordnung kommt nun aber gerade im vorliegenden Falle zum Ausdruck:
die Bestimmungen des ZGB über die Stiftungsaufsicht verleihen der
Aufsichtsbehörde die Kompetenz, von Amtes wegen in Angelegenheiten der
Stiftung einzugreifen. Der Regierungsrat hat beim Erlass seiner Verfügung
von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht. Seine Verfügung stützt sich auf
materielles öffentliches Recht.

    Das Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren unterscheidet
öffentliches und privates Recht nach ähnlichen Gesichtspunkten. Nach der
gleichzeitig und in sachlichem Zusammenhang mit ihm erlassenen Änderung
der Bestimmungen des OG über die Verwaltungsrechtspflege durch das
Bundesgericht (Art. 97 ff. OG) ist laut Art. 100 lit. g OG, wie bereits
erwähnt, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Verfügungen auf dem
Gebiete der Aufsicht über die Vormundschaftsbehörden unzulässig. Dies
ausdrücklich festzustellen war aber nur notwendig, wenn der Gesetzgeber der
Auffassung war, solche Verfügungen stützten sich auf öffentliches Recht
des Bundes im Sinne von Art. 5 VwG und wären deshalb eigentlich mit der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar. Auch den vormundschaftlichen
Aufsichtsbehörden verleiht das ZGB die Kompetenz, nötigenfalls von Amtes
wegen direkt in die Führung einer Vormundschaft einzugreifen.

    Sind aber die Bestimmungen des ZGB, welche die Aufsichtsbehörde über
Stiftungen zum Eingreifen von Amtes wegen ermächtigen, öffentlichen Rechts
im Sinne von Art. 5 VwG, so sind Anordnungen, die eine Aufsichtsbehörde
im Rahmen dieser Befugnis trifft, kraft Art. 97 Abs. 1 OG mit der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
ist somit generell zulässig gegen die von der Aufsichtsbehörde kraft
ihrer Stellung getroffenen Verfügungen.

    d) Zum selben Schluss zwingt die Besinnung auf den Zweck der
Gesetzesnovelle vom 20. Dezember 1968. Nach Art. 99 Ziff. IV des OG
in der Fassung vom 16. Dezember 1943 unterlagen Entscheide über die
Zugehörigkeit der Stiftungen zum Gemeinwesen und über die Umwandlung von
Stiftungen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht. Wollte
man nun annehmen, die Verfügungen der Aufsichtsbehörden über Stiftungen
stützten sich nicht auf öffentliches, sondern auf privates Recht des
Bundes, so wäre die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht
gegen sie ausgeschlossen. Dies würde im Vergleich zum früheren
Recht eine klare Einschränkung der Verwaltungsrechtspflege durch das
Bundesgericht bedeuten. Gerade das Gegenteil, nämlich einen Ausbau
der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bunde, wollte die Gesetzesnovelle
grundsätzlich aber erreichen (vgl. Botschaft des Bundesrates an die
Bundesversammlung BBl 1965 Bd. II S. 1265 ff.).

    Wenn die Vorinstanz befürchtet, durch die generelle Zulassung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde werde die Ausübung der Aufsicht kompliziert
und erschwert, so weist sie damit lediglich auf hier nicht zu beachtende
Nebenerscheinungen des Ausbaus der Verwaltungsrechtspflege im Bunde hin,
die der Gesetzgeber, wie die Mehrbelastung des Bundesgerichtes, wohl in
Rechnung gestellt hat (BBl 1965 Bd. II S. 1302).

    e) Im vorliegenden Falle hat der Regierungsrat des Kantons
Basel-Stadt als obere Aufsichtsbehörde über Stiftungen den Stiftungsrat
der Personalfürsorgestiftung der Firma Johanne Schaller abberufen. Diese
Anordnung stützt sich, wie gesehen, auf öffentliches Recht des Bundes im
Sinne von Art. 5 VwG und ist deshalb gemäss Art. 97 Abs. 1 OG mit der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht anfechtbar. Auf die
Beschwerde ist somit einzutreten.