Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 I 401



96 I 401

62. Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. September 1970 i.S. Reisdorf
gegen Eidgen. Amt für geistiges Eigentum. Regeste

    Art. 1 Abs. 1, 2 Ziff. 1, 59 Abs. 1 und 2 PatG.

    Gewerbliche Anwendbarkeit einer Rechenmaschine, der eine umstrittene
Theorie zugrunde liegt.

    Verstösst die Verwertung einer solchen Maschine gegen die guten Sitten?

Sachverhalt

    A.- Reisdorf ersuchte das Eidgenössische Amt für geistiges Eigentum am
30. Mai 1969, die Erfindung einer "Rechenvorrichtung zur gleichzeitigen
Berechnung und Anzeige von primären und sekundären Biorhythmen" zu
patentieren.

    Die Rechenvorrichtung stützt sich auf die zu Beginn dieses Jahrhunderts
insbesondere von W. Fliess und H. Swoboda begründete Theorie, wonach jeder
Mensch drei periodischen Rhythmen unterworfen ist, einem männlichen von
23, einem weiblichen von 28 und einem intellektuellen von 33 Tagen. Die
Rhythmen sollen durch im Körper vorhandene Substanzen verursacht sein,
in der Stunde der Geburt mit positiven Halbwellen beginnen und sich wie
Sinusschwingungen mit Wellenlängen von 23, 28 und 33 Tagen durchs ganze
Leben fortsetzen. Stunden oder Tage, in denen die Ablösung der positiven
Halbwelle durch die negative bei zwei oder drei Rhythmen zusammenfällt,
gelten als kritisch, weil der Mensch in dieser Zeit dazu neigen soll,
körperlich oder geistig zu versagen. Diese primären Rhythmen sind in
den letzten Jahren durch sekundäre von gleicher Dauer ergänzt worden,
die aber angeblich nicht von der Geburtsstunde, sondern vom letzten
Geburtstag an laufen.

    B.- Mit Verfügung vom 1. April 1970 wies das Eidgenössische Amt für
geistiges Eigentum das Patentgesuch des Reisdorf gestützt auf Art. 59
Abs. 1 PatG zurück, weil die behaupteten Biorhythmen von der Wissenschaft
abgelehnt würden und für ihren Einfluss auf den menschlichen Organismus
nicht die geringste Andeutung bestehe. Die Erfindung beruhe auf einer
unbewiesenen, wissenschaftlich unhaltbaren Theorie und tauge daher nicht,
die kritischen Tage und Stunden eines Menschen zu bestimmen; sie sei
folglich auch nicht gewerblich anwendbar im Sinne von Art. 1 PatG. Ihre
Verwertung verstiesse übrigens gegen die guten Sitten, weil sie Betrug
und Irreführung Vorschub leisten würde.

    C.- Reisdorf führt gegen diese Verfügung Verwaltungsgerichtsbeschwerde
mit dem Antrag, sie aufzuheben und das Amt anzuweisen, die Prüfung des
Gesuches fortzusetzen.

    Das Amt beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Amt hat bereits am 20. Juni 1969 entschieden, das Patentgesuch
des Beschwerdeführers unterliege der amtlichen Vorprüfung nicht, weil der
Gegenstand der Erfindung nicht dem Gebiet der Zeitmessungstechnik angehöre
(Art. 87 Abs. 2 lit. b PatG). Der Beschwerdeführer hat diesen Entscheid
nicht angefochten. Das Bundesgericht hat sich daher zu den Fragen, ob
der Rechenapparat, den der Beschwerdeführer patentieren lassen will,
technisch neu sei und Erfindungshöhe besitze (BGE 85 II 138 und 513, 94
II 325), nicht zu äussern. Es hat bloss zu prüfen, ob die angefochtene
Verfügung Bundesrecht verletze, auf einer unrichtigen oder unvollständigen
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes beruhe oder aus dem
Rahmen des dem Amt zustehenden Ermessens falle (Art. 104 Abs. 1 lit. a
und b OG). Der Beschwerdeführer macht denn auch solche Gründe geltend.

    a) Er wirft dem Amt in erster Linie vor, es sei von einem unrichtigen
Begriff der gewerblichen Anwendbarkeit im Sinne von Art. 1 Abs. 1 PatG
ausgegangen. Die zur Patentierung angemeldete Rechenmaschine könne als
Arbeitsmittel gebraucht werden, da sie den Zweck, zu dem sie geschaffen
werde, erfülle.

    Die gewerbliche Anwendbarkeit der Erfindung hängt im vorliegenden Fall
entgegen der Annahme des Amtes nicht von der Richtigkeit der Theorie ab,
die dem Rechenapparat des Beschwerdeführers zugrunde liegt. Der Apparat
will nicht die Gültigkeit der Biorhythmik dartun, mag der Beschwerdeführer
ihn auch in der Erwartung herstellen und vertreiben wollen, dass weitere
Untersuchungen zugunsten der Theorie ausfallen und diese sich durchsetzen
werde. Die Lehre von den Biorhythmen ist, wie der Beschwerdeführer selber
ausführt, seit ihrer Begründung in der Wissenschaft umstritten, da sie
von den einen befürwortet und angewendet, von andern aber abgelehnt
wird. Die Erforschung der Biorhythmen steckt auch nach Befürwortern,
auf die der Beschwerdeführer sich beruft, angeblich heute noch in den
Anfängen; insbesondere soll man über die Ursachen und Auswirkungen der
Rhythmen noch immer im ungewissen sein.

    Das Rechengerät des Beschwerdeführers will Anhängern und Befürwortern
der Theorie lediglich helfen, die sogenannten kritischen Tage einer
bestimmten Person nach den von der Lehre behaupteten Rhythmen sogleich
zu errechnen; es soll mit elektronischen Mitteln unverzüglich eine
rechnerische Aufgabe lösen, die sonst viel Zeit beanspruchen würde. Dass
es dazu nicht tauge, steht nicht fest und wird vom Amt auch nicht
behauptet. Das Amt führt in der Vernehmlassung zur Beschwerde vielmehr aus,
das Gerät sei fest programmiert, und zwar so, dass es für ein einstellbares
Geburts- und Stichdatum Angaben über die primären und sekundären Rhythmen
("Rhythmogramme") liefere. Wenn der Rechenapparat die ihm gestellte
Aufgabe aber rasch und sicher zu lösen vermag, so kann weder von einer
offenbar unsinnigen (BGE 72 I 371) noch von einer gewerblich unbrauchbaren
Erfindung die Rede sein (BGE 71 I 136 Erw. 2 und 91 I 154).

    b) Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, die Auffassung des Amtes,
dass die Verwertung der Erfindung gegen die guten Sitten verstossen würde,
beruhe auf einer unrichtigen Feststellung des Sachverhaltes, denn die
Theorie von den Biorhythmen sei entgegen der Annahme in der angefochtenen
Verfügung wissenschaftlich nicht widerlegt; statistisch ausgewertete
Untersuchungen sprächen vielmehr für das Vorhandensein solcher Rhythmen
im menschlichen Körper. Verschiedene Spitäler und Ärzte hielten sich,
zum Teil schon seit vielen Jahren, an die Lehre, der man nun auch im
Sport und im Strassenverkehr Bedeutung beimesse.

    Nach der angefochtenen Verfügung wird die Biorhythmik von der
Wissenschaft als unhaltbar abgelehnt. Das Amt verweist auf die Arbeiten von
Dr. ing. W. DÄLLENBACH (Zur Frage von Biorhythmen und deren technischen
Anwendung, in Schweizer Archiv für angewandte Wissenschaft und Technik,
1948 Heft 11), Dr. med. J. ÄBLY (Die Fliess'sche Periodenlehre im
Lichte biologischer und mathematischer Kritik, Stuttgart 1928) und
Dr. med. M. SARKISSIANTZ (La Loi de la Périodicité d'après Fliess et
Swoboda, Diss. Lausanne 1917). Diesen ablehnenden Stimmen stehen heute
jedoch, wie das Amt in seiner Vernehmlassung zur Beschwerde einräumt,
die Untersuchungen und Auffassungen von namhaften Persönlichkeiten
gegenüber. Prof. Dr. med. H. KRAYENBÜHL, Direktor der Neurochirurgischen
Universitätsklinik Zürich, der auf Ersuchen des Beschwerdeführers 1969 die
Lehre auf 638 Fälle von Herzinfarkt und 253 Fälle von Hirnschlag anwandte,
äusserte sich an einer Presseorientierung vom 3. April 1970 dahin, dass
er von den sich während der Untersuchung laufend einstellenden positiven
Resultaten überrascht gewesen sei; nach Auswertung der Fälle könne gesagt
werden, dass der Mensch an kritischen Tagen im Sinne der Biorhythmik für
bestimmte Ereignisse in erhöhtem Masse anfällig sei. Prof. Krayenbühl
hält eine grössere Grundlageforschung nicht nur für berechtigt, sondern
für notwendig. Prof. Dr. H. L. LE ROY, Ordinarius für Biometrik und
Populationsgenetik an der ETH Zürich, der 2917 selbstverschuldete
Verkehrsunfälle statistisch auswertete, gelangte in einem Gutachten
vom 23. Februar 1970 und an der Presseorientierung vom 3. April 1970 zu
ähnlichen Feststellungen und Schlussfolgerungen.

    Bei dieser Wendung, die der Streit um die Gültigkeit der Biorhythmik
nun genommen hat, lässt sich nicht sagen, die gewerbliche Verwertung
des vom Beschwerdeführer zur Patentierung angemeldeten Rechenapparates
verstosse gegen die guten Sitten. Freilich verleiht die Patenterteilung
einer Erfindung erhöhte Glaubwürdigkeit, wenn diese Wirkung auch nicht
überschätzt werden darf. Es geht hier indes nicht um die Patentierung
der Biorhythmik, sondern nur um den Apparat, und wer ihn verwenden
will, weil er an die Lehre glaubt, ist nicht getäuscht. Die Erteilung
des Patentes kann daher nicht mit der Begründung verweigert werden, der
Apparat des Beschwerdeführers begünstige Täuschungen oder diene bloss der
Befriedigung von Leichtgläubigkeit. Die Lehre bleibt streitig, gleichviel
ob dem Beschwerdeführer ein Patent erteilt wird oder nicht. Die Forschung
ist jedoch in Fluss gekommen, und der Apparat des Beschwerdeführers
kann sie fördern. Die Professoren Krayenbühl und Le Roy sind sich
denn auch bewusst, dass ihre Feststellungen und Schlussfolgerungen zu
weiteren Auseinandersetzungen Anlass geben werden; sie halten neue und
ausgedehnte Analysen aber für angebracht, um der Sache auf den Grund zu
gehen. Dass die Ergebnisse ihrer bisherigen Forschung auf eine versteckte
Bevorzugung bestimmter Fälle zurückgehen, ist nach ihrem Vorgehen nicht
anzunehmen, da sie der Gefahr einer Beeinflussung der Ergebnisse durch
den Beschwerdeführer mit 121 fingierten Fällen vorbeugten.

Erwägung 2

    2.- Die angefochtene Verfügung ist aus diesen Gründen aufzuheben und
die Sache zur Prüfung der weiteren Voraussetzungen, welche das Patentgesuch
erfüllen muss (Art. 59 Abs. 2 PatG), an das Amt zurückzuweisen.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen, die angefochtene Verfügung des Eidg.
Amtes für geistiges Eigentum vom 1. April 1970 aufgehoben und die Sache
zur weiteren Behandlung des Patentgesuches an das Amt zurückgewiesen.