Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 I 334



96 I 334

54. Urteil vom 1. Juli 1970 i.S. "Elan" Hemijska Industrija gegen
Tivoli-Werke AG und Obergericht des Kantons Basel-Landschaft. Regeste

    Schiedsvertrag; kantonales Beschwerdeverfahren.

    Die Gültigkeit des Schiedsvertrages ist Voraussetzung der Zuständigkeit
des Schiedsrichters und wie diese von Amts wegen zu prüfen. Die Gültigkeit
des Schiedsvertrages berührende Tatsachen, von denen das Gericht
Kenntnis hat, sind in jedem Prozesstadium zu berücksichtigen. Eine erst
im Beschwerdeverfahren nach § 278 ZPO-BL erhobene Einrede, mit der eine
solche Tatsache geltend gemacht wird, ist zu hören.

Sachverhalt

    A.- Die Tivoli-Werke AG, Hamburg, und die "Elan" Hemijska Industrija,
Prijepolje (Jugoslawien), schlossen am 20. Juni 1963 in Belgrad einen
Vertrag für die Dauer von drei Jahren zum Zwecke einer geschäftlich
technischen Zusammenarbeit. Namens der "Elan" unterzeichnete ein Herr
Eremija. Der Vertrag enthielt eine Schiedsklausel, wonach für den Fall
von Meinungsverschiedenheiten die Internationale Handelskammer in Paris
als entscheidende Stelle anerkannt wurde, die jeder Vertragspartner
anzurufen berechtigt war (Punkt 11). Punkt 12 des Vertrages bestimmte,
dass der Vertrag nach Unterzeichnung durch die Vertragspartner erst
mit der Genehmigung der zuständigen jugoslawischen staatlichen Stellen
rechtswirksam werde.

    B.- Am 16. August 1965 rief die Tivoli-Werke AG die Internationale
Handelskammer in Paris an mit dem Begehren, es sei ein Schiedsrichter zu
bestellen und die "Elan" zu verurteilen, bis zum 19. Juni 1966 gemäss
Vertrag Halbfabrikate im Gesamtpreis von DM 2'702,415.-- abzunehmen,
eventuell DM 162'145.-- Schadenersatz zu bezahlen.

    Die "Elan" bestritt die Zuständigkeit des Schiedsgerichts und
beantragte in der Sache selbst Abweisung der Klage, wobei sie insbesondere
geltend machte, die Vereinbarung vom 20. Juni 1963 stelle, da sie von
den zuständigen jugoslawischen Behörden nie genehmigt worden sei, keinen
rechtsgültigen Vertrag, sondern lediglich einen Entwurf dar.

    Der Schiedsgerichtshof der Internationalen Handelskammer in
Paris bestellte am 13. April 1966 Prof. Dr. E. Fischli, Präsident
des Verwaltungsgerichts des Kantons Basel-Landschaft in Liestal, zum
Einzelschiedsrichter. Prof. Fischli führte eine mündliche Verhandlung
sowie einen doppelten Schriftwechsel durch und fällte dann am 31. Oktober
1968 einen Schiedsspruch, in welchem er seine Zuständigkeit bejahte und
die Beklagte zur Bezahlung von DM 160'000.-- an die Klägerin sowie zur
Tragung der Verfahrenskosten verurteilte.

    C.- Gegen diesen Schiedsspruch reichte die "Elan" beim Obergericht des
Kantons Basel-Landschaft eine Beschwerde ein gestützt auf § 278 ZPO-BL,
der in Abs. 1 bestimmt:

    "Haben die Schiedsrichter nicht im Rahmen ihrer Befugnisse gehandelt,
so kann das Obergericht auf erhobene Beschwerde und nach Anhörung der
Parteien das Urteil entweder in seinem ganzen Umfange aufheben oder bloss
in den betreffenden Punkten".

    Sie beantragte Aufhebung des Schiedsspruchs und machte zur Begründung
im wesentlichen geltend, die Schiedsklausel gemäss Punkt 11 des Vertrags
vom 20. Juni 1963, auf welche der Schiedsrichter seine Zuständigkeit
gestützt habe, sei aus zwei Gründen ungültig. Einmal fehle die nach
den massgeblichen jugoslawischen Gesetzen erforderliche und in Punkt
12 des Vertrages vorbehaltene Genehmigung durch die jugoslawischen
Behörden. Sodann sei Herr Eremija, der den Vertrag namens der
"Elan" unterschrieben habe, weder gemäss Handelsregister noch durch
Spezialvollmacht zeichnungsberechtigt gewesen.

    Das Obergericht wies die Beschwerde am 29. Oktober 1968 ab. Es
begründete seinen Beschluss im wesentlichen damit, dass die vorbehaltene
behördliche Genehmigungspflicht sich lediglich auf den materiellen
Teil des Vertrages und nicht auf die Schiedsklausel beziehe, sodass
das Fehlen der Genehmigung deren Gültigkeit und damit die Zuständigkeit
des Schiedsrichters nicht beeinträchtige. Hingegen könnte die geltend
gemachte fehlende Zeichnungsberechtigung Herrn Eremijas zum Abschluss der
Schiedsvereinbarung an sich die Gültigkeit der Schiedsklausel in Frage
stellen, doch sei diese erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebrachte
Einrede "nach dem basellandschaftlichen Prozessrecht verspätet
(Eventualmaxime: § 107 ZPO)", weshalb sie nicht mehr gehört werden könne.

    D.- Gegen diesen Beschluss des Obergerichtes erhob die "Elan"
am 13. Dezember 1968 staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Artikel 4 BV.

    Mit Urteil vom 18. Juni 1969 hiess das Bundesgericht die Beschwerde gut
und hob den angefochtenen Beschluss auf. Es liess sich dabei von folgenden
Erwägungen leiten: Ob der von der "Elan" neu geltend gemachte Mangel der
Vertretungsmacht Eremijas beachtlich war, hange davon ab, ob nach Natur,
Sinn und Zweck des in § 278 ZPO vorgesehenen Beschwerdeverfahrens zur
Begründung einer rechtzeitig erhobenen Unzuständigkeitseinrede neue
Tatsachen aufgrund von § 37 ZPO zu hören oder gemäss § 107 ZPO nicht
zu hören seien. Da das Obergericht diese Frage ausschliesslich unter
dem Gesichtspunkt des § 107 ZPO geprüft und die für die Entscheidung
offensichtlich ebenfalls massgebenden §§ 37 und 278 ZPO völlig ausser
acht gelassen habe, habe es seine Prüfungspflicht und damit Art. 4 BV
verletzt. Es sei Sache des Obergerichtes, abzuklären, in welchem Verhältnis
die §§ 37 und 107 ZPO zueinander und zu § 278 ZPO stehen.

    E.- In der Folge wies das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft mit
Beschluss vom 23. September 1969 die Beschwerde der "Elan" erneut wegen
Verspätung der Einrede der mangelnden Vollmacht Eremijas zum Abschluss
der Schiedsklausel ab.

    F.- Gegen diesen Entscheid des Obergerichtes hat die "Elan"
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV erhoben mit
dem Antrag, ihn aufzuheben. Die Begründung der Beschwerde ergibt sich,
soweit erforderlich, aus den nachstehenden Erwägungen.

    G.- Die Tivoli-Werke AG beantragt Abweisung der Beschwerde. Das
Obergericht des Kantons Basel-Lansdchaft und der Schiedsrichter beantragen
sinngemäss Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Obergericht habe Art. 4
BV verletzt, weil es die entscheidende Frage, ob das von ihm festgestellte
Verhältnis zwischen § 37 und § 107 ZPO auch für das Beschwerdeverfahren
nach § 278 ZPO gelte, nicht beurteilt habe. Die Rüge ist unbegründet. Das
Obergericht hat § 278 ZPO zwar nicht ausdrücklich erwähnt. Seinen
Erörterungen über die Frage, inwieweit § 37 ZPO die Überprüfung von
Gerichtsstandsklauseln - gemeint sind offensichtlich auch Schiedsverträge
und Schiedsklauseln - von Amts wegen verlange, stellte es jedoch voran,
entsprechend den Erwägungen des Bundesgerichtes sei das Verhältnis zwischen
§ 37 ZPO und § 107 ZPO "im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin
erst vor Obergericht erhobene Einrede der fehlenden Zeichnungsberechtigung
des Eremija" zu klären. Damit hat das Obergericht ausdrücklich gesagt,
diese Prüfung erfolge im Hinblick auf die im Beschwerdeverfahren erhobene
Einrede, und in seinen allgemein gehaltenen Erwägungen hat es auch dieses
Prozesstadium miteinbezogen.

Erwägung 2

    2.- Nach § 37 ZPO prüft das Gericht von Amts wegen seine Zuständigkeit.
Das Obergericht vertritt die von der Beschwerdeführerin als willkürlich
gerügte Auffassung, bei Prorogations- und Schiedsverträgen bestehe eine
beschränkte richterliche Prüfungspflicht der Zuständigkeitsvoraussetzungen.
Zur Begründung stützt es sich auf die den Parteien vom Gesetz eingeräumte
Autonomie in der Wahl des Gerichtsstandes. Es wäre, so folgert das
Obergericht, der Sache nicht angemessen, diese Autonomie nur auf den
Abschluss von Gerichtsstandsverträgen - worunter es auch Schiedsverträge
und Schiedsklauseln versteht - zu beziehen; vielmehr habe sie auch ihre
Auswirkungen auf die Befugnis des Richters zur Ungültigerklärung solcher
Verträge. Soweit das allgemeine Vertragsrecht die Ungültigerklärung
von Verträgen nur dann vorsehe, wenn sie die Parteien ausdrücklich
verlangen, sei auch die von § 37 ZPO statuierte Prüfungspflicht des
Richters eingeschränkt. Daraus ergebe sich, dass der Richter auf Mängel
von Gerichtsstandsverträgen, die er nach allgemeinem Vertragsrecht
nur dann berücksichtigen dürfe, wenn sich die Parteien darauf berufen,
nicht die Offizialmaxime des § 37 ZPO, sondern die Eventualmaxime des §
107 ZPO anzuwenden habe.

    a) Schiedsverträge, Schiedsklauseln und Prorogationsverträge
sind nicht privatrechtlicher Natur, sondern prozessuale Verträge, die
vom öffentlichen Recht beherrscht sind. Die Schiedsabrede bewirkt die
Unzuständigkeit des an sich zuständigen staatlichen Richters und begründet
die Zuständigkeit des Schiedsrichters. Dieses Ziel kann aber nur eine
in gültiger Weise abgeschlossene Schiedsklausel, bzw. Schiedsvertrag,
erreichen. Die Prüfung der Zuständigkeit des angerufenen Schiedsrichters
erfordert somit die Prüfung der Gültigkeit der Schiedsabrede, und
zwar nach den Bestimmungen des massgebenden Prozessrechtes (GULDENER,
Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Auflage, S. 211 f., 572, 579;
BGE 85 II 150/151). Nach § 37 ZPO prüft das Gericht vom Amts wegen seine
Zuständigkeit. Es gilt hier die Offizialmaxime, nach welcher die Sammlung
des Prozesstoffes neben den Parteien auch dem Gericht obliegt. Das bedeutet
unter anderem, dass das Gericht - unter Wahrung des rechtlichen Gehörs
der Parteien - in seinem Urteil auch solche Tatsachen zu berücksichtigen
hat, die von keiner Partei behauptet worden sind. Das gilt insbesondere
bei Prozessvoraussetzungen - wie die Zuständigkeit des Gerichtes -, weil
es zu vermeiden gilt, dass ein Sachurteil ergeht, ohne dass sämtliche
Prozessvoraussetzungen gegeben sind (GULDENER, aaO, S. 144 ff.). Ist das
Gericht verpflichtet, von Amts wegen zu handeln, so folgt daraus, dass
es in jedem Stadium des Prozesses auf diese Pflicht aufmerksam gemacht
werden darf (GULDENER, aaO, S. 144 ff., S. 186 N 41).

    Das basellandschaftliche Zivilprozessrecht hat Geltung und
Wirkungen der Offizialmaxime im Schiedsgerichtsverfahren in keiner Weise
beschränkt. § 37 ZPO, wonach das Gericht seine Zuständigkeit von Amts
wegen zu prüfen hat, gilt im Schiedsgerichtsverfahren gleichermassen wie
im ordentlichen Verfahren. Dem Schiedsrichter obliegt keine weniger
weitgehende und weniger umfassende Prüfungspflicht hinsichtlich
der Zuständigkeitsvoraussetzungen als dem ordentlichen staatlichen
Richter. Auch im schiedsgerichtlichen Verfahren hat demnach der Richter
für die Zuständigkeit massgebliche Tatsachen in jedem Stadium des
Prozesses zu beachten. Dass insbesondere im Beschwerdeverfahren nach §
278 ZPO der Grundsatz der Offizialmaxime nur beschränkt anwendbar sei,
ist dem Gesetz nicht zu entnehmen; dies widerspräche schon Sinn und
Zweck dieser Beschwerde, die eigens in Fällen gewährt wird, da die
Schiedsrichter nicht im Rahmen ihrer Befugnisse handeln, also gerade auch
gegen Entscheide unzuständiger Schiedsrichter. Die mit der Zulassung des
Schiedsgerichtsverfahrens den Parteien eingeräumte "Autonomie in der Wahl
des Gerichtsstandes", bzw. Richters, hat somit den basellandschaftlichen
Gesetzgeber entgegen der Annahme des Obergerichtes nicht veranlasst,
weniger strenge Anforderungen an die Zuständigkeitsüberprüfung im
Schiedsgerichtsverfahren zu stellen als im ordentlichen Verfahren. Die
Auffassung des Obergerichtes findet nicht nur keine Stütze im Gesetz,
sondern widerspricht eindeutig Wortlaut und Sinn der §§ 37 und 271-278 ZPO.

    b) Die Gültigkeit der Schiedsklausel, bzw. des Schiedsvertrages,
ist eine Voraussetzung der Zuständigkeit des Schiedsrichters. Die vom
Schiedsrichter von Amts wegen vorzunehmende Prüfung seiner Zuständigkeit
bedingt daher die Überprüfung des Schiedsvertrages auf seine Gültigkeit
hin. Diese beurteilt sich nach den Bestimmungen des anzuwendenden
Prozessrechtes über den Abschluss des Schiedsvertrages. Soweit solche
fehlen, kommen die Normen des Privatrechts analog zur Anwendung. Das gilt
namentlich hinsichtlich der Frage der Beachtlichkeit von Willensmängeln,
während sich die Frage, ob die vertragschliessenden Parteien die
nötige Befähigung zum Vertragsabschluss hatten, nach den Normen über
die Prozessfähigkeit und über die Prozessvollmacht beurteilt (GULDENER
aaO S. 212).

    Gemäss § 271 ZPO muss der Schiedsvertrag schriftlich abgefasst
und von den Parteien unterzeichnet sein. Weitere Bestimmungen über den
Vertragsabschluss enthält die ZPO nicht, sodass für die Beurteilung der
Gültigkeit auch die angeführten Grundsätze heranzuziehen sind. Ob nun
der Richter seiner Pflicht, den Schiedsvertrag auf seine Gültigkeit
hin zu überprüfen, bereits Genüge getan hat, wenn er sich von dessen
Schriftlichkeit und dem Vorhandensein der Unterschriften der Parteien
überzeugt hat, oder ob er z.B. auch die Zeichnungsberechtigung der
Unterzeichneten zu überprüfen und den Vertrag auf allfällige Willensmängel
hin zu untersuchen hat, kann offen bleiben. Hier steht allein in Frage,
inwieweit das Gericht eine die Gültigkeit des Schiedsvertrages berührende
Tatsache, von der es Kenntnis hat, zu beachten verpflichtet ist. Dadurch,
dass sich die Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren ausdrücklich auf
die fehlende Zeichnungsberechtigung Eremijas berief, erhielt es Kenntnis
vom allfälligen Vorliegen eines Vertragsmangels. Es handelt sich dabei
um eine Tatsache, die für die Zuständigkeit erheblich ist, weshalb sie,
um die Fällung eines Sachurteils bei mangelnder Prozessvoraussetzung zu
vermeiden, in jedem Stadium des Prozesses vom Gericht zu berücksichtigen
ist. Da diese aus § 37 ZPO sich ergebende Pflicht zur Prüfung der
Zuständigkeit im Beschwerdeverfahren nach § 278 ZPO uneingeschränkt gilt,
hat das Gericht Tatsachen, die für die Zuständigkeit erheblich sind,
auch dann zu beurteilen und abzuklären, wenn sie ihm erst in diesem
Verfahrensabschnitt zur Kenntnis gelangen.

    c) Das Obergericht hat entgegen dem klaren Wortlaut des Gesetzes
und ohne sachlich vertretbare Gründe die nach den §§ 37 und 278 ZPO für
die Überprüfung der Zuständigkeit geltende Offizialmaxime hinsichtlich
der von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Tatsache der fehlenden
Zeichnungsberechtigung Eremijas ausgeschlossen und dafür die Eventualmaxime
des § 107 ZPO sowie das Novenrecht des § 130 ZPO anwendbar erklärt. Indem
es gestützt auf diese völlig unhaltbare Auslegung der Zivilprozessordnung
auf die im Beschwerdeverfahren erhobene Einrede der fehlenden Vollmacht
wegen Verspätung nicht eingegangen ist, hat es seine Überprüfungsbefugnis
willkürlich beschränkt. Dadurch hat es der Beschwerdeführerin das
rechtliche Gehör verweigert und damit Art. 4 BV verletzt (BGE 92 I 80
lit. c). Die Beschwerde ist daher gutzuheissen und der angefochtene
Entscheid aufzuheben.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Beschluss des Obergerichts
des Kantons Basel-Landschaft vom 23. September 1969 aufgehoben.