Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 I 314



96 I 314

51. Urteil vom 23. September 1970 i.S. Seepark Mannenbach AG gegen
Schellenberg und Obergericht des Kantons Thurgau Regeste

    Rechtsverweigerung durch überspitzten Formalismus im Zivilprozess.

    Kantonale Bestimmung, wonach der Appellant innert 10 Tagen seit
Eröffnung des motivierten Urteils bei der ersten Instanz die Berufung
zu erklären und innert 30 Tagen bei der zweiten Instanz die doppelte
erstinstanzliche Gerichtsgebühr nebst einer Einschreibgebühr einzuzahlen
sowie unter Angabe der Anträge die "Durchführung" der Appellation zu
erklären hat.

    Stellt es einen überspitzten Formalismus dar, wenn auf die Appellation
deshalb nicht eingetreten wird, weil

    -  die zu leistenden Beträge an die erste statt an die zweite Instanz
überwiesen wurden? (Erw. 1).

    - bei der zweiten Instanz keine Durchführungserklärung eingereicht
wurde? (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Nach der thurgauischen ZPO beurteilt das Obergericht (bzw. seine
Rekurskommission) die Berufungen gegen die appellabeln Urteile der
Bezirksgerichte (§§ 63 und 65). Was die Partei, welche Berufung einlegen
will, vorzukehren hat, ergibt sich aus den §§ 283 und 284. Diese lauten:

    § 283. Berufungserklärung.  Die Partei, die von der Berufung Gebrauch
machen will, hat die Berufungserklärung innert der Verwirkungsfrist von 10
Tagen bei der erstinstanzlichen Gerichtskanzlei abzugeben und innert der
Verwirkungsfrist von 30 Tagen, von der Eröffnung des motivierten Urteils
an gerechnet, bei der Kanzlei des Obergerichts in doppelter schriftlicher
Eingabe und unter Einsendung des doppelten Betrages des erstinstanzlichen
Gerichtsgeldes, sowie der Einschreibgebühren die Durchführung der Berufung
zu erklären.

    In der Eingabe an das Obergericht ist anzugeben, in welchen Punkten
das erstinstanzliche Urteil angefochten wird, welche Nova geltend gemacht
und welche Anträge gestellt werden. Die Nichtbeachtung dieser Vorschrift
zieht eine Busse von 5 bis 50 Fr. und ausserdem die in § 176 angedrohten
Folgen nach sich.

    § 284. Einschreibung.

    Die erstinstanzliche Gerichtskanzlei merkt die Berufungserklärung im
Gerichtsprotokoll vor und stellt dem Berufungskläger hierüber, sowie über
den Betrag des erstinstanzlichen Gerichtsgeldes eine Bescheinigung aus.

    Die Gerichtskanzlei hat binnen der Frist von 20 Tagen, von der
Berufungserklärung an gerechnet, sämtliche Akten und eine Abschrift
sämtlicher auf den Prozess bezüglicher Verhandlungsprotokolle, sowie des
erstinstanzlichen Urteils (Appellationsbrief) der Obergerichtskanzlei
einzusenden...

    B.- Heinz A. Schellenberg führte vor Bezirksgericht Steckborn
einen Forderungsprozess gegen die Seepark Mannenbach AG, vertreten
durch Rechtsanwalt Dr. X. in Zürich. Mit Urteil vom 1. April 1969
verpflichtete das Bezirksgericht Steckborn die Beklagte in teilweiser
Gutheissung der Klage zur Zahlung von Fr. 84 977.15 nebst Zins sowie
einer Parteientschädigung von Fr. 4000.-- an den Kläger und auferlegte
ihr einen Teil der Verfahrenskosten. Dr. X., dem das motivierte Urteil
am 16. April 1969 zugestellt wurde, reichte am 23. April 1969 bei der
Bezirksgerichtskanzlei Steckborn für die Beklagte Berufung ein mit
dem Antrag, die Klage sei vollumfänglich abzuweisen unter Kosten- und
Entschädigungsfolgen zulasten des Klägers. Die Bezirksgerichtskanzlei
stellte ihm hierauf am 3. Mai 1969 die Appellationsbescheinigung aus,
wonach das erstinstanzliche Gerichtsgeld Fr. 2500.-- beträgt. Am Fusse des
Formulars ist der Wortlaut der §§ 283 und 284 abgedruckt und beigefügt,
dass die Appellationsbescheinigung bei der Ausführung der Appellation
der Eingabe an das Obergericht beizulegen sei. Dr. X. stellte die
Bescheinigung am 9. Mai 1969 der Beklagten zu mit dem Hinweis, dass
bis zum 15. Mai 1969 Fr. 5010.-- bei der Kanzlei des Obergerichts
einzubezahlen seien. Die Beklagte überwies diesen Betrag am 14. Mai 1969
an die Bezirksgerichtskanzlei Steckborn, die ihn am 20. Mai 1969 an das
Obergericht weiterleitete.

    Am 10. Juni 1969 erliess die Kanzlei des Obergerichts eine nicht
unterzeichnete Mitteilung an die Parteivertreter, worin es heisst, dass
bis heute beim Obergericht keine Durchführungserklärung eingegangen sei
und daher Verzicht auf die Durchführung angenommen werden müsse.

    Mit Eingabe vom 18. Juni 1969 ersuchte die Seepark Mannenbach AG das
Obergericht, ihre Berufung vom 23. April 1969 als gültig zu erklären
und die Appellationsverhandlung durchzuführen, eventuell im Sinne von
§ 88 Abs. 2 ZPO die versäumte Frist zur Durchführungserklärung wieder
herzustellen.

    Das Obergericht wies am 22. Januar 1970 sowohl das Gesuch um
Eintreten auf die Berufung als auch das Wiederherstellungsbegehren ab,
das erstere im wesentlichen aus folgenden Gründen: Die Gesuchstellerin
habe als Berufungsklägerin die Vorschriften der ZPO in dreifacher Hinsicht
verletzt, denn sie habe das doppelte erstinstanzliche Gerichtsgeld und
die Einschreibegebühr an die erstinstanzliche Gerichtskanzlei statt an
die Obergerichtskanzlei einbezahlt, die Durchführungserklärung bei der
Obergerichtskanzlei nicht abgegeben und die Appellationsbescheinigung nicht
an die Obergerichtskanzlei weitergeleitet. Da der Betrag von Fr. 5010.--
erst am 20. Mai 1969, also nach Ablauf der Verwirkungsfrist des § 283 ZPO
bei der Obergerichtskanzlei eingegangen sei, die rechtzeitige Bezahlung
aber als Gültigkeitserfordernis gelte, könne auf die Berufung schon aus
diesem Grunde nicht eingetreten werden. Die rechtzeitige Einreichung der
Durchführungserklärung bei der Obergerichtskanzlei sei nach dem klaren
Wortlaut und nach der Entstehungsgeschichte des § 283 ZPO ebenfalls eine
Gültigkeitsvoraussetzung der Berufung und nicht nur Ordnungsprinzip. Es sei
entgegen der Auffassung der Gesuchstellerin kein überspitzter Formalismus,
wenn § 283 ZPO die Partei, die Berufung einlegen wolle, anhalte, neben der
Berufungserklärung an den iudex a quo auch noch eine Durchführungserklärung
an den iudex ad quem abzugeben. Der vorliegende Fall lasse sich mit dem in
BGE 95 I 1 ff. beurteilten nicht vergleichen, wo es um die rechtzeitige
Bezahlung einer Gebühr von Fr. 20.- bzw. 10.- bei der Appellation in
einem Strafprozess gegangen sei. Während diese Gebühr den angestrebten
Zweck, die Parteien von trölerischen oder unzweckmässigen Appellationen
zurückzuhalten, nach Auffassung des Bundesgerichts nicht erfülle, könne
es keinem Zweifel unterliegen, dass die Durchführungserklärung fähig
sei, den angestrebten Zweck zu erfüllen, d.h. die Berufungsinstanz über
die Hängigkeit einer Berufungssache und über die gestellten Anträge zu
orientieren. Dass die Gesuchstellerin die Appellationsbescheinigung
dem Obergericht nicht eingereicht habe, würde dagegen dem Eintreten
auf die Berufung nicht entgegenstehen, da das Gesetz diese Einreichung
nicht vorschreibe und es sich bei ihr um ein lediglich durch die Praxis
eingeführtes Formerfordernis handle.

    C.- Gegen diesen Entscheid hat die Seepark Mannenbach staatsrechtliche
Beschwerde erhoben. Sie macht Verletzung des Art. 4 BV geltend und wirft
dem Obergericht überspitzten Formalismus vor.

    D.- Das Obergericht des Kantons Thurgau und der Beschwerdegegner
Heinz A. Schellenberg schliessen auf Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Obergericht ist auf die Berufung der Beschwerdeführerin gegen
das Urteil des Bezirksgerichts Steckborn vom 1. April 1969 schon deshalb
nicht eingetreten, weil das innert der Frist des § 283 Abs. 1 ZPO bei der
unzuständigen Bezirksgerichtskanzlei einbezahlte doppelte erstinstanzliche
Gerichtsgeld samt Einschreibgebühr im Betrag von Fr. 5010.-- erst nach
Ablauf dieser Frist an die zuständige Obergerichtskanzlei gelangt ist.

    § 283 Abs. 1 ZPO bestimmt, dass die Partei, die Berufung einlegen will,
innert einer "Verwirkungsfrist" die Durchführung der Berufung bei der
Kanzlei des Obergerichts "unter Einsendung des doppelten erstinstanzlichen
Gerichtsgeldes sowie der Einschreibgebühr" zu erklären hat. Das
Bundesgericht hat im nicht veröffentlichten Urteil vom 12. November
1962 i.S. Eberle entschieden, dass es angesichts des Wortlauts der
Bestimmung auf keinen Fall willkürlich sei, wenn die thurgauische Praxis
die rechtzeitige Bezahlung dieser Beträge als Gültigkeitserfordernis
auffasse und annehme, dass die Berufung bei verspäteter Bezahlung
verwirkt sei. Auf die Rüge, dass die so ausgelegte Gesetzesbestimmung
vor Art. 4 BV nicht standhalte, ist das Bundesgericht in jenem Urteil
mangels einer hinreichenden Begründung nicht eingetreten (Erw. 7). Wie
es sich damit verhält, ist auch im vorliegenden Falle nicht zu prüfen,
da die Beschwerdeführerin die vorgeschriebenen Beträge rechtzeitig
bezahlt hat. Streitig ist einzig, ob das Obergericht das Eintreten auf
die Berufung deshalb ablehnen durfte, weil das Geld zwar innert der Frist
bei der Bezirksgerichtskanzlei, aber erst nach Ablauf der Frist bei der
Obergerichtskanzlei eingelangt ist. Die Beschwerdeführerin bestreitet
das und bezeichnet den Entscheid des Obergerichts als überspitzten,
mit Art. 4 BV unvereinbaren Formalismus.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts verstösst ein durch
die Praxis eingeführtes oder im Gesetz aufgestelltes Formerfordernis
dann gegen Art. 4 BV, wenn es sich durch kein schutzwürdiges Interesse
rechtfertigen lässt und die Durchsetzung des materiellen Rechts ohne
sachlich vertretbaren Grund erschwert (BGE 95 I 4 E. 2 und dort angeführte
frühere Urteile).

    Die ZPO gibt den Zweck nicht an, der damit verfolgt wird, dass
sie die Gültigkeit der Berufung von einer so erheblichen finanziellen
Leistung des Berufungsklägers abhängig macht. Nach einem im angefochtenen
Entscheid enthaltenen Zitat aus den Gesetzesmaterialien rechtfertigt
sich die Höhe der Gebühr, weil die Obergerichtskasse auch für ein
höheres als das erstinstanzliche Gerichtsgeld gedeckt sein soll und
weil ferner eine etwas hohe Gebühr den besten Schutz gegen trölerhafte
Appellationen bildet und, soweit sie nicht in die Gerichtskasse
fällt, zugleich eine indirekte Kaution für die Prozesskostenforderung
der Gegenpartei bildet. Alle diese Zwecke werden nicht nur mit der
rechtzeitigen Zahlung der festgesetzten Beträge an die in § 283 Abs. 1
ZPO ausdrücklich als zuständig bezeichnete Obergerichtskanzlei erreicht,
sondern auch durch Zahlung an eine andere Gerichtsbehörde, sofern diese
den einbezahlten Betrag entweder an die Obergerichtskanzlei weiterzuleiten
verpflichtet ist oder doch erfahrungsgemäss weiterzuleiten pflegt. Das
ist aber hier der Fall. Eine obergerichtliche Verordnung vom 16. März
1948 bestimmt in § 12, dass jede Gerichtsbehörde verpflichtet ist,
Rechtsvorkehren von Parteien unverzüglich an die zuständige Stelle
weiterzuleiten. Die Bezirksgerichtskanzlei Steckborn hat denn auch die von
der Beschwerdeführerin einbezahlten Fr. 5010.-- innert weniger Tage an die
Obergerichtskanzlei überwiesen. Wenn das Obergericht trotz rechtzeitiger
Zahlung an die zur Weiterleitung an die zuständige Obergerichtskanzlei
verpflichtete Bezirksgerichtskanzlei in wörtlicher Auslegung des § 283
Abs. 1 ZPO auf die Berufung nicht eingetreten ist, so ist das mit Art. 4
BV unvereinbar, weil dafür ein schützenswerter, legitimer Zweck fehlt und
das ungerechtfertigte Festhalten an der zum blossen Selbstzweck gewordenen
Form die Beschwerdeführerin an der Ausübung ihrer Parteirechte hinderte.

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht ist auf die Berufung der Beschwerdeführerin auch
deshalb nicht eingetreten, weil diese es unterlassen hat, innert der
Verwirkungsfrist gemäss § 283 Abs. 1 ZPO bei der Obergerichtskanzlei
"die Durchführung der Berufung zu erklären".

    Nach dem Wortlaut und Sinn des § 283 Abs. 1 ZPO ist, wie bereits in
BGE 87 I 8 festgestellt wurde, die Abgabe der Durchführungserklärung
bei der vorgeschriebenen Instanz, d.h. bei der Obergerichtskanzlei,
zweifellos Gültigkeitserfordernis der Berufung. Fragen kann sich nur,
ob die gesetzliche Ordnung selber oder doch ihre Anwendung unter den
vorliegenden Umständen auf einen überspitzten Formalismus hinausläuft
und gegen Art. 4 BV verstösst.

    Die Beschwerdeführerin behauptet, die Aufteilung der dem
Berufungskläger obliegenden Willenserklärungen in Berufungserklärung und
Durchführungserklärung habe keinen schutzwürdigen Sinn. Ein vernünftiger
Sinn kann dieser Aufteilung, die sich in ähnlicher Form auch in andern
Kantonen findet (vgl. z.B. §§ 225 und 229 der basel-städt. ZPO), indessen
schon deshalb nicht abgesprochen werden, weil sie im allgemeinen auch
im Interesse des Berufungsklägers liegt. Sie erlaubt ihm, innert der
verhältnismässig kurzen Frist von 10 Tagen nach Eröffnung des motivierten
erstinstanzlichen Urteils zunächst bloss die Berufung zu erklären und
dann während weiterer 20 Tage zu überlegen, ob er an ihr festhalten und
was er in diesem Fall mit ihr geltend machen will.

    Nach dem angefochtenen Entscheid hat die Durchführungserklärung den
Zweck, "die Berufungsinstanz über die Hängigmachung einer Berufungssache
und über die gestellten Anträge zu orientieren". Diese Zwecke vermögen
in der Tat das Erfordernis einer besonderen beim Obergericht abzugebenden
Durchführungserklärung im Regelfall zu rechtfertigen. Aus den ihm nach §
283 Abs. 2 ZPO auf die Berufungserklärung hin einzusendenden Akten sieht
das Obergericht nur, dass die Berufung erklärt worden ist, nicht aber,
ob an dieser festgehalten wird und, sofern sich die Berufungserklärung
auf die gesetzlichen Erfordernisse beschränkt, auch nicht inwieweit das
erstinstanzliche Urteil angefochten wird und welche Änderungen desselben
verlangt werden. Die gesetzliche Ordnung als solche lässt sich somit auf
ernsthafte sachliche Gründe stützen und verstösst nicht gegen Art. 4
BV. Das schliesst indes nicht aus, dass ihre Anwendung im Einzelfall
einen überspitzten Formalismus bedeuten kann. Ein solcher liegt dann
vor, wenn alle mit dem Erfordernis der Durchführungserklärung verfolgten
Zwecke auch ohne sie in vollem Umfange erreicht sind und das Beharren
auf diesem Erfordernis jedes vernünftigen Sinnes entbehrt. So verhält
es sich im vorliegenden Fall. Die Beschwerdeführerin hat schon in der
Berufungserklärung, die sie innert der ersten Verwirkungsfrist des §
283 Abs. 1 ZPO eingereicht hatte und die dem Obergericht innert der für
die Abgabe der Durchführungserklärung geltenden Frist zukam, bekannt
gegeben, inwieweit sie das Urteil des Bezirksgerichts anfechte und welche
Änderungen desselben sie verlange. Wenn sie überdies innert der zweiten
Verwirkungsfrist die dort vorgeschriebene Zahlung des sehr beträchtlichen
Betrages von Fr. 5010.-- geleistet hat, so hat sie damit unmissverständlich
zum Ausdruck gebracht, dass sie an der zuvor erklärten Berufung festhalte
und ihre Durchführung verlange. Aus dem versehentlichen Unterlassen
der gleichzeitigen Abgabe einer ausdrücklichen Durchführungserklärung
zu schliessen, die Beschwerdeführerin habe auf die Durchführung der
Berufung verzichtet oder das Recht darauf verwirkt, verbietet sich. Da
die Zahlung ohne den Willen, die Durchführung zu verlangen, mit Sicherheit
nicht erfolgt wäre, muss in der Zahlung die Erklärung dieses Willens durch
konkludentes Verhalten erblickt werden. Diese Willenserklärung ausser Acht
zu lassen und an das Fehlen der Durchführungserklärung den Verlust des
Rechts auf Berufung zu knüpfen, stellt einen durch keine schutzwürdigen
Interessen des Gerichts oder der Gegenpartei zu rechtfertigenden, mit
Art. 4 BV unvereinbaren Formalismus dar (vgl. BGE 93 I 213 E. 2).

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerin erblickt einen solchen Formalismus
schliesslich noch darin, dass das Obergericht das Eintreten
auf ihre Berufung auch deshalb abgelehnt habe, weil sie die
Appellationsbescheinigung dem Obergericht nicht eingereicht habe. Diese
Rüge geht fehl. Das Obergericht hat zwar in Erw. 2 des angefochtenen
Entscheids erklärt, die Beschwerdeführerin habe damit eine Vorschrift der
ZPO verletzt. Es hat dann aber in Erw. 9 selber festgestellt, dass die ZPO
die Einreichung nicht vorschreibe, dass es sich dabei um ein lediglich
durch die Praxis eingeführtes Formerfordernis handle und dass daher das
Nichteinreichen der Bescheinigung kein Grund wäre, auf die vorliegende
Berufung nicht einzutreten.

Erwägung 4

    4.- Da der angefochtene Entscheid, der die Berufung der
Beschwerdeführerin als ungültig erklärt und deswegen das Eintreten auf sie
verweigert, nach dem in Erw. 1 und 2 Gesagten gegen Art. 4 BV verstösst,
ist er aufzuheben.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Beschluss des Obergerichts
des Kantons Thurgau vom 22. Januar 1970 aufgehoben.