Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 I 292



96 I 292

48. Urteil vom 24. Juni 1970 i.S. Schweiz. Eidgenossenschaft gegen Senn
und Eidg. Schätzungskommission des IV. Kreises. Regeste

    Beizug besonderer Sachverständiger durch die Schätzungskommission
(Art. 72 EntG, 22. lit. b und 97 OG, 5 VwG).

    Der Entscheid, durch den die Schätzungskommission eine Expertise
anordnet, kann nicht durch Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das
Bundesgericht weitergezogen werden (Erw. 1).

    Unter welchen Voraussetzungen hat die Schätzungskommission "besondere
Sachverständige" (Art. 47 Abs. 2 der VO für die Schätzungskommissionen)
beizuziehen? (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Vor der Schätzungskommission des IV. Kreises (ESchK) ist ein
Schätzungsverfahren hängig, das die Enteignung einer Liegenschaft in
Liestal zugunsten der PTT-Betriebe zum Gegenstand hat. Es handelt sich
um ein 1524 m2 haltendes, Fräulein S. Senn gehörendes Grundstück mit
einem Wohn- und Geschäftshaus. Der Präsident der ESchK beabsichtigte,
den Architekten W. Zimmer, Ersatzmann der ESchK, als Experten mit der
Schätzung zu beauftragen und ihn in der ESchK durch ein anderes Mitglied
zu ersetzen, doch widersetzte sich die Enteignete diesem Vorgehen und
verlangte den Beizug von Drittexperten. Der Präsident der ESchK gab
den Parteien hievon mit Schreiben vom 26. Dezember 1969 Kenntnis und
setzte ihnen eine Frist, um einen Expertenvorschlag und Expertenfragen
einzureichen. Die Enteignete schlug hierauf zwei Architekten wahlweise
oder gemeinsam als Experten vor und reichte die ihnen zu stellenden
Fragen ein. Die PTT-Betriebe dagegen erachteten, nachdem bereits die
Nachbarliegenschaft durch besondere Experten geschätzt worden war, den
Beizug solcher für überflüssig und verlangten, dass Architekt Zimmer die
Schätzung vornehme und sich nicht in Ausstand begebe.

    Die ESchK beschloss am 6. Februar 1970, einen oder zwei ihr nicht
angehörende Experten mit der Expertise der Liegenschaft zu betrauen. Zur
Begründung führte sie aus: Der gemäss Art. 62 EntG auf die Mitglieder
der Schätzungskommissionen anwendbare Art. 22 lit. b OG schliesse es aus,
dass Architekt Zimmer zuerst als Sachverständiger eine Expertise erstatte
und nachher als Ersatzmann der ESchK in der gleichen Sache tätig sei;
er müsste, wenn er den Expertenauftrag ausführte, als Mitglied der ESchK
in Ausstand treten. Das liege aber nicht im Interesse der Sache, da die
ESchK, besonders in Baufragen, neben den eigentlichen Experten auch über
sachverständige Mitglieder verfügen sollte.

    Dieser Entscheid der ESchK wurde den Parteien am 13. März 1970
eröffnet mit dem Hinweis, dass gegen ihn innert 10 Tagen beim Bundesgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben werden könne (Art. 106 rev. OG).

    B.- Am 23. März 1970 reichten die PTT-Betriebe eine solche Beschwerde
ein mit dem Antrag, den Entscheid der ESchK vom 6. Februar 1970 aufzuheben
und die ESchK anzuweisen, unverzüglich und ohne Beizug von Experten
die Schätzungsverhandlung durchzuführen. Sie machen geltend, im Beizug
besonderer Experten liege ein Ermessensmissbrauch im Sinne des Art.
104 lit. a rev. OG.

    Fräulein Senn beantragt Abweisung der Beschwerde. Den gleichen Antrag
stellt dem Sinne nach auch die ESchK.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die ESchK verweist in der dem angefochtenen Entscheid beigefügten
Rechtsmittelbelehrung auf Art. 106 rev. OG. Sie übersieht, dass diese
Vorschrift nur die Beschwerdefrist, nicht dagegen die Zulässigkeit der
Beschwerde regelt. Aus Art. 106 kann nur geschlossen werden, dass sich die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch gegen Zwischenverfügungen richten kann,
nicht aber gegen welche. Dies ergibt sich aus Art. 97 OG, der auf Art. 5
des BG vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwG) verweist.

    Nach Art. 5 Abs. 1 VwG gelten als (anfechtbare) Verfügungen
Anordnungen im Einzelfall über die dort unter lit. a) - c) aufgezählten
Gegenstände. Eine Beweisverfügung, durch die eine Expertise angeordnet
wird, fällt nicht unter diese Bestimmung. Art. 5 Abs. 2 VwG erwähnt
zwar bei den ebenfalls als Verfügungen geltenden Entscheiden auch
"Zwischenverfügungen (Art. 45)". Doch sind solche Zwischenverfügungen
nur dann mit Beschwerde anfechtbar, wenn sie die Voraussetzungen des
vorangehenden Abs. 1 erfüllen, d.h. wenn sie die Begründung, Änderung oder
Aufhebung von Rechten usw. zum Gegenstand haben, was bei der vorliegenden
Beweisverfügung nicht zutrifft. Nach Abs. 1 des in Art. 5 Abs. 2 VwG
erwähnten Art. 45 VwG sind übrigens verfahrensleitende und andere
Zwischenverfügungen in einem der Endverfügung vorangehenden Verfahren
nur dann selbständig durch Beschwerde anfechtbar, wenn sie einen nicht
wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können. Das ist beim angefochtenen
Entscheid, der einzig die Anordnung einer Expertise zum Gegenstand hat,
offensichtlich nicht der Fall (vgl. BGE 93 I 607/8). Die Kosten der
angeordneten Expertise stellen keinen solchen Nachteil dar. Dass gegen
die Bestellung von Experten durch eine ESchK kein Rekursrecht besteht,
hat das Bundesgericht übrigens schon unter der Herrschaft des EntG von
1850 entschieden (BGE 18 S. 62 E. 1). Die vorliegende, gegen die Anordnung
einer Expertise gerichtete Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich
daher als unzulässig, und es ist auf sie nicht einzutreten.

    Daran ändert auch der Umstand nichts, dass nach Art. 45 Abs. 2
lit. b VwG als selbständig anfechtbare Zwischenverfügungen auch solche
"über den Ausstand" gelten. Der angefochtene Entscheid begründet zwar die
angeordnete Expertise durch nicht der ESchK angehörende Experten damit,
dass das Mitglied der ESchK, das die Begutachtung vornehmen könnte,
gemäss Art. 22 lit. b OG in Ausstand zu treten hätte. Das Dispositiv des
Entscheids enthält indes keine Anordnung über den Ausstand, und gegen
die nicht rechtskraftfähigen Motive ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
nicht gegeben (GYGI, Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im
Bund S. 113).

Erwägung 2

    2.- Obwohl auf die Beschwerde nicht einzutreten ist, erscheint
die dem Bundesgericht durch sie zur Kenntnis gelangte Begründung des
angefochtenen Entscheids als so abwegig, dass es angezeigt ist, aufgrund
der dem Bundesgericht nach Art. 63 EntG zustehenden Aufsichtsgewalt
dazu Stellung zu nehmen und der ESchK eine nochmalige Überprüfung ihres
Entscheides zu empfehlen.

    Die Mitglieder und Ersatzmänner der Schätzungskommissionen sind
Sachverständige, die in der Regel die erforderliche Schätzung selber
vorzunehmen vermögen. Nur soweit dies ausnahmsweise nicht zutrifft, sind
besondere Sachverständige beizuziehen (Art. 47 Abs. 2 VO für die eidg.
Schätzungskommissionen). Die Beachtung dieses Grundsatzes ist vor allem
deshalb wichtig, weil der Beizug von aussenstehenden Sachverständigen
regelmässig zu einer Verzögerung des Verfahrens führt, die eben dadurch
vermieden werden kann und soll, dass aus den zur Auswahl stehenden
Mitgliedern und Ersatzmänner der Schätzungskommissionen die geeignetsten
beigezogen werden. Die Tätigkeit der sachverständigen Mitglieder der
Schätzungskommissionen stellt einen Beitrag zur Urteilsfindung dar, und
zwar auch insoweit, als diese Mitglieder mit der Vorprüfung von Fragen
betraut werden und den Schätzungskommissionen hierüber schriftlich Bericht
erstatten. Die ESchK hat daher Sinn und Zweck der gesetzlichen Ordnung
verkannt, wenn sie den von ihr offenbar zu Recht als sachverständig
betrachteten Ersatzmann W. Zimmer gerade deshalb nicht beauftragte,
inbezug auf die Liegenschaft Senn die erforderlichen Feststellungen zu
treffen und der ESchK Vorschläge für die Schätzung zu unterbreiten, weil er
nachher in Ausstand zu treten hätte. Von einer solchen Ausstandspflicht
kann keine Rede sein. Wer als Mitglied einer Behörde dieser Bericht
erstattet, hat nicht im Sinne von Art. 22 lit. b OG "in anderer Stellung
als Sachverständiger gehandelt". W. Zimmer hätte daher, wie zunächst in
Aussicht genommen wurde, mit der Berichterstattung betraut werden sollen,
denn die Voraussetzungen für den Beizug weiterer Sachverständiger sind
solange nicht gegeben, als nicht Fragen zu prüfen sind, für welche allen
Mitgliedern der ESchK die nötigen Kenntnisse abgehen.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nicht eingetreten.