Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 I 104



96 I 104

20. Auszug aus dem Urteil vom 18. März 1970 i.S. N. gegen
Sanitätsdepartement und Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt Regeste

    Ungeschriebene verfassungsmässige Rechte. Voraussetzungen ihrer
Anerkennung (Erw. 1).

    Friedhöfe. Gestaltung der Grabmäler.

    Zulässigkeit einer Vorschrift, welche die Bewilligung zur Aufstellung
eines Grabmals von der Erfüllung ästhetischer Voraussetzungen abhängig
macht (Erw. 2).

    Willkürliche oder rechtsungleiche Anwendung dieser Vorschrift auf
eine für ein Familiengrab bestimmte Rehplastik? (Erw. 3).

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Das basel-städtische Gesetz vom 9. Juli 1931 betreffend das
Bestattungswesen, das mit der Eröffnung des neuen Friedhofs auf dem Hörnli
in Wirksamkeit trat (§ 30), macht die Aufstellung von Denkmälern auf
den Grabstätten von einer Bewilligung der Friedhofverwaltung abhängig
und ermächtigt den Regierungsrat, auf dem Verordnungswege nähere
Bestimmungen über Form, Grösse und Material der Denkmäler zu erlassen
(§ 13). Diese Bestimmungen finden sich in den §§ 54 ff. der Bestattungs-
und Friedhofordnung vom 29. April 1932 (BFO). § 58 Abs. 2 bestimmt:

    "Die Zulassung (eines Grabmals) kann verweigert werden, wenn
das Grabmal den Vorschriften dieser Verordnung oder den ästhetischen
Anforderungen nicht genügt oder nicht in die Umgebung passt."

    B.- Der Beschwerdeführer N. möchte auf einem Familiengrab des
Hörnli-Friedhofes, in dem sein im Jahre 1967 verstorbenes Kind bestattet
ist, eine vom Bildhauer X. entworfene Rehplastik aus Bronze aufstellen und
kam um die Bewilligung dafür ein. Das Friedhofamt lehnte das Gesuch ab,
da es sich um eine "banale Gartenplastik" handle, die auf dem Friedhof
deplaziert wirke. Ein Rekurs hiegegen wurde vom Sanitätsdepartement des
Kantons Basel-Stadt gestützt auf einen Bericht der Grabmalkommission am
26. September 1968 abgewiesen.

    Gegen diesen Entscheid rekurrierte N. an den Regierungsrat, der den
Rekurs ohne materiellen Entscheid dem Verwaltungsgericht überwies. Dieses
nahm einen Augenschein vor und wies dann den Rekurs mit Urteil vom
5. August 1969 ab. Die Rehplastik, die der Beschwerdeführer aufstellen
wolle, sei nicht naturalistisch, sondern stilisiert und passe wegen
ihrer kleinen Ausmasse und der weichlichen Formgebung nicht zu den
übrigen Denkmälern auf dem gleichen Grabfeld. Auf einem Familiengrab
auf dem Wolfsgottesacker, ja sogar auf einem Kindergrab auf dem Hörnli
könnte sie noch hingenommen werden, nicht aber auf einem Familiengrab
in einer Umgebung, zu der sie nicht passe. Da Tierplastiken auf einem
Friedhof allgemein als problematisch zu bezeichnen seien, erscheine es
zudem als richtig, an solche Darstellungen strenge Massstäbe anzulegen.
Insbesondere in der vom Beschwerdeführer gewählten Form entspreche die
Rehfigur nicht den ästhetischen Anforderungen, die an Grabmäler zu stellen
seien. Der Vorwurf der rechtsungleichen Behandlung sei unbegründet. Die
Praxis sei zwar bis vor 5 oder 6 Jahren etwas nachgiebiger gewesen, doch
habe sich in letzter Zeit die Auffassung durchgesetzt, dass im Hinblick auf
den Ernst und die Würde einer Stätte der gemeinsamen Totenehrung strengere
Anforderungen zu stellen seien. Eine solche Praxisänderung sei zulässig. Im
übrigen habe der Augenschein ergeben, dass andere Tierplastiken sich vom
Modell des Beschwerdeführers deutlich unterschieden.

    C.- Gegen dieses Urteil des Verwaltungsgerichts hat N.
staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Er erhebt insbesondere folgende
Rügen:

    1. Das ungeschriebene verfassungsmässige Recht auf freie
Grabmalgestaltung sei verletzt.

    2. Art. 4 BV sei verletzt

    - durch eine Ablehnung des Grabmals aus "anstaltsfremden" Erwägungen,

    - durch eine rechtsungleiche Behandlung gegenüber andern
Friedhofbenützern,

    - durch eine ungerechtfertigte Praxisänderung.

    Die Begründung dieser Rügen ergibt sich, soweit notwendig, aus den
nachstehenden Erwägungen. - Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer macht in erster Linie geltend, der
angefochtene Entscheid verletze das "ungeschriebene verfassungsmässige
Recht auf freie Grabmalgestaltung".

    Dass es ungeschriebenes Verfassungsrecht des Bundes gibt und dieses
auch Freiheitsrechte gewährleistet, deren Verletzung mit staatsrechtlicher
Beschwerde gerügt werden kann, hat das Bundesgericht schon wiederholt
erkannt (BGE 91 I 485/6). Bei der Anerkennung solcher durch ungeschriebenes
Verfassungsrecht des Bundes gewährleisteten Freiheitsrechte ist jedoch
Zurückhaltung geboten (AUBERT, Traité de droit constitutionnel suisse Nr.
312). Es geht nicht an, von jeder Befugnis und Freiheit, die an sich als
Gegenstand eines verfassungsmässigen Rechtes denkbar wäre, ohne weiteres
anzunehmen, sie werde, sofern sie nicht ausdrücklich gewährleistet sei,
durch ungeschriebenes Verfassungsrecht des Bundes garantiert. Diese
Annahme rechtfertigt sich nur bei Befugnissen, die eine Voraussetzung
für die Ausübung anderer Freiheitsrechte bilden oder die sonst als
unentbehrliche Bestandteile der demokratischen und rechtsstaatlichen
Ordnung des Bundes erscheinen. In diesem Sinne hat das Bundesgericht die
Garantie der persönlichen Freiheit und des Eigentums, die Meinungsfreiheit
und die Sprachenfreiheit als ungeschriebene Grundrechte des Bundes
anerkannt (BGE 91 I 485/6 und dort angeführte Urteile; vgl. auch 91 I
119 sowie HANS HUBER, Probleme des ungeschriebenen Verfassungsrechts,
ZBJV 91 bis 1955 S. 104/5). Ein Recht auf "freie Grabmalgestaltung"
kann niemals ein Grundrecht in diesem Sinne sein. Es ist für den Bestand
des demokratischen Rechtsstaates keineswegs notwendig; dieser lässt sich
auch mit einer einheitlichen Gestaltung der Friedhöfe vereinbaren. Die
Rechte der Friedhofbenützer werden durch Art. 53 Abs. 2 BV sowie durch
die kantonalen und kommunalen Erlasse über das Bestattungswesen gegenüber
ungerechtfertigten Übergriffen der Verwaltung hinreichend geschützt, auch
wenn das Bundesgericht die Auslegung und Anwendung dieser Erlasse nur unter
dem beschränkten Gesichtswinkel des Art. 4 BV überprüfen kann. Die Rüge,
der angefochtene Entscheid verletze das ungeschriebene verfassungsmässige
Recht auf freie Grabmalgestaltung, ist somit unbegründet; es gibt
kein solches Recht. Zu prüfen bleibt, ob der Entscheid gegen Art. 4
BV verstosse.

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 53 Abs. 2 BV steht die Verfügung über die
Begräbnisplätze den bürgerlichen Behörden zu und haben diese dafür
zu sorgen, dass jeder Verstorbene schicklich beerdigt werde. Hieraus
folgt sowohl, dass die Verfügung mit Einschluss der Rechtsetzung
nicht kirchlichen Behörden überlassen werden darf, wie auch, dass die
Kantone und die politischen Gemeinden Vorschriften über die Benützung
der Friedhöfe erlassen dürfen. Diese Vorschriften können nicht nur der
Wahrung der Ordnung und Gesundheit dienen, sondern auch dem Zweck, den
Friedhöfen ein würdiges und harmonisches Aussehen zu verschaffen und zu
erhalten. Dazu gehört, wie das Bundesgericht von jeher angenommen hat,
auch die ästhetische Gestaltung der Friedhöfe (BGE 48 I 242/3, bestätigt
in BGE 80 I 126 und 82 I 220/21). Wenn ästhetische Rücksichten selbst
Eingriffe in das private Eigentum durch baupolizeiliche Vorschriften
und solche des Heimat- und Naturschutzes rechtfertigen (BGE 88 I 253
und dort angeführte frühere Urteile), darfihnen erst recht Bedeutung
beigemessen werden, wenn die Ausgestaltung eines Begräbnisplatzes und
damit die Benützung von Eigentum des Gemeinwesens in Frage steht. Auch
in andern Kantonen sind Vorschriften erlassen worden, welche sich gegen
die Vernachlässigung der Denkmalkunst in früheren Jahrzehnten richten und
sich auf Form, Material, Grösse und Farbe der Grabmäler beziehen (REMUND,
Die rechtliche Organisation des Bestattungswesens im Aargau, 1948 S. 99
und Entscheid des Luzerner Regierungsrates in ZBl 65/1964 S. 530 ff.;
vgl. schon BGE 48 I 243). Die Berücksichtigung ästhetischer Anforderungen
an Grabmäler ist daher, entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers,
nicht "anstaltsfremd".

Erwägung 3

    3.- Nach § 58 Abs. 2 BFO kann die Zulassung eines Grabmals verweigert
werden, wenn es den ästhetischen Anforderungen nicht genügt oder nicht
in die Umgebung passt. Dass diese Bestimmung auf gesetzlicher Grundlage
beruht, bestreitet der Beschwerdeführer mit Recht nicht. Es kann sich
bloss fragen, ob die kantonalen Behörden sie willkürlich ausgelegt
und angewendet haben, d.h. in einer Weise, die mit keinen ernsthaften,
sachlichen Überlegungen zu vertreten ist, oder ob sie den Beschwerdeführer
rechtsungleich behandelt haben.

    a) Von einer willkürlichen Auslegung oder Anwendung kann nicht
die Rede sein. Dass das vom Beschwerdeführer vorgeschlagene Grabmal
künstlerische Mängel aufweise, ist kaum zu übersehen und lässt sich
jedenfalls mit guten Gründen vertreten. Man kann auch ohne Willkür
sagen, dass es das Niveau einer Gartenplastik kaum überschreite. Die
Vorwürfe, dass die Haltung des Tieres "unnatürlich und verquält" sei
(Vernehmlassung des Sanitätsdepartements), dass das Reh an eine Figur des
Filmzeichners Walt Disney erinnere und wegen seiner verniedlichenden
Wirkung auf einem Friedhof als Fremdkörper störe (angefochtener
Entscheid), mögen streng sein, sind aber nicht völlig abwegig. Sicher
sind auf schweizerischen Friedhöfen weit schlimmere Grabmäler zu finden
und geht das basellandschaftliche Verwaltungsgericht (BJM 1968 S. 301
ff.) inbezug auf die ästhetischen Anforderungen an Grabmäler weniger weit
als die basel-städtischen Behörden im Falle BJM 1968 S. 298 ff. und im
vorliegenden Falle. Das kann aber nicht entscheidend sein. Dem Gemeinwesen
als Eigentümer des Friedhofs kann nicht verwehrt werden, für besondere
Teile desselben erhöhte Anforderungen an Grabmäler zu stellen. Das tun
offenbar die basel-städtischen Behörden im Bereich der Familiengräber
des in neuerer Zeit angelegten Hörnli-Friedhofes. Dies hat seinen guten
Sinn, da Familiengräber ihrer Bestimmung gemäss über Generationen bestehen
bleiben und Fehlleistungen sich daher sehr lange auswirken. Die Absicht,
in dem für Familiengräber bestimmten Teil des Friedhofs in künstlerischer
Hinsicht besondere Gediegenheit anzustreben, lässt sich vertreten. In
diesem Bereich besonders guter Grabmäler stört aber ein minderwertiges Werk
viel empfindlicher und beeinträchtigt die angestrebte Würde und Schönheit
des Friedhofs weit mehr als anderswo. Die von den Parteien eingereichten
Photographien belegen dies. Sind auch nicht alle aufgestellten Werke von
gleichem künstlerischen Wert, so erreichen manche doch einen beachtlichen
Stand, auf den Rücksicht genommen werden darf.

    Es kann auch nicht gesagt werden, die Basler Behörden gingen mit ihren
Anforderungen offensichtlich zu weit und schränkten die Wahlfreiheit
des Beschwerdeführers allzu sehr ein. Sie wären nicht nur bereit,
die vorgeschlagene Rehplastik auf einem Kindergrab zuzulassen, sondern
lehnen auch eine Rehplastik auf einem Familiengrab nicht grundsätzlich
ab, wollen es dem Beschwerdeführer also nicht verwehren, aus den von ihm
angegebenen Gründen gerade eine solche Plastik auf seinem Familiengrab
aufzustellen. Doch hätte diese in ihren Dimensionen einem solchen Grab
zu entsprechen und eine künstlerisch bessere Lösung zu bringen, die wenn
nicht vom Bildhauer X., dem Schöpfer des streitigen Entwurfs, so doch von
einem andern Künstler unschwer zu finden sein dürfte. Der künstlerischen
Phantasie und dem persönlichen Geschmack lässt die Praxis der Behörden,
wie die bei den Akten liegenden Photographien zeigen, offensichtlich
einen weiten Spielraum.

    b) Nach dem angefochtenen Entscheid hat die Friedhofverwaltung die
Praxis vor 5 bis 6 Jahren verschärft. Der Beschwerdeführer bestreitet
eine solche Verschärfung und erblickt darin eventuell eine gegen Art. 4
BV verstossende "ungerechtfertigte Praxisänderung". Was in diesem
Zusammenhang vorgebracht wird, wird jedoch durch die Ausführungen in der
Ergänzungsvernehmlassung des Sanitätsdepartements vom 30. Oktober 1969
widerlegt und ist jedenfalls nicht geeignet, eine Verletzung des Art. 4
BV darzutun.

    c) Der Vorwurf der rechtsungleichen Behandlung wäre nur begründet, wenn
heute Gleiches ungleich behandelt würde. Eine solche Ungleichbehandlung
liegt nicht schon darin, dass für den Wolfgottesacker, der immerhin in
40 Jahren aufgehoben werden soll und viele den heutigen Anschauungen
nicht mehr entsprechende Grabmäler enthalten dürfte, weniger strenge
Anforderungen gestellt werden und dass auch für Einzel- und insbesondere
Kindergräber auf dem Hörnli-Friedhof grösseres Entgegenkommen gezeigt
wird. Es könnte nur dann von rechtsungleicher Behandlung gesprochen werden,
wenn der Beschwerdeführer dargetan hätte, dass in der Gegenwart Vorschläge
für die Gestaltung von Familiengräbern angenommen worden wären, die mit
dem seinen vergleichbar wären. Dafür ist er aber den Beweis schuldig
geblieben; insbesondere ergibt sich dies aus den zu den Akten gegebenen
Photographien nicht.