Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 IV 86



96 IV 86

21. Entscheid der Anklagekammer vom 19. August 1970 i.S. Schweizerische
Bundesanwaltschaft gegen Nomura. Regeste

    1.  Art. 11, 127 ff. und 214 BStP. Aufgaben der Anklagekammer im
Bundesstrafverfahren.

    2.  Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BStP. Die Sicherheitsleistung durch
Bürgschaft unterliegt nicht der Genehmigung der Anklagekammer, wenn sie
vom Bundesanwalt im Ermittlungsverfahren angeordnet wird.

Sachverhalt

    A.- Die Bundesanwaltschaft setzte den in Düsseldorf wohnenden
japanischen Staatsangehörigen Mitsuo Nomura, gegen den sie ein
Ermittlungsverfahren wegen wirtschaftlichen Nachrichtendienstes führt,
in Sicherungshaft. Nachdem der Beschuldigte bei ihr Fr. 100'000.-- als
Sicherheit hinterlegt hatte, hob sie die Haft am 28. Juli 1970 auf. Der
Verteidiger beantragte hierauf, den hinterlegten Barbetrag durch eine
Bürgschaft des Schweizerischen Bankvereins in gleicher Höhe ersetzen zu
dürfen. Die Bundesanwaltschaft war unter Vorbehalt der Zustimmung der
Anklagekammer einverstanden, worauf der Schweizerische Bankverein am
4. August sich schriftlich als Bürge verpflichtete.

    B.- Mit Eingabe vom 7. August legt die Bundesanwaltschaft der
Anklagekammer des Bundesgerichtes diese Bürgschaftserklärung "angesichts
der sehr weit gefassten Bestimmung des Art. 54 Abs. 2 letzter Satz zur
allfällig als notwendig erachteten Genehmigung vor".

Auszug aus den Erwägungen:

              Die Anklagekammer zieht in Erwägung:

    Die Bestimmungen über die Ermittlungen der gerichtlichen Polizei
(Art. 100-107 BStP) räumen der Anklagekammer keinerlei Befugnisse
ein. Die Ermittlungen werden vom Bundesanwalt geleitet (Art. 15, 104
Abs. 1 BStP), der dabei unter der Aufsicht und Leitung des Bundesrates
steht (Art. 14 Abs. 1 BStP). Die Anklagekammer ist nicht befugt, dem
Bundesanwalt Weisungen zu erteilen. Ihre Aufgaben im Bundesstrafverfahren
erschöpfen sich in der Aufsicht über die Voruntersuchung, im Entscheid von
Beschwerden gegen den Untersuchungsrichter und in der Beschlussfassung
über die Zulassung oder Nichtzulassung der Anklage (Art. 11, 214, 127
ff. BStP). Verhaftungen und Haftentlassungen sind der Anklagekammer denn
auch nur dann mitzuteilen, wenn sie während der Voruntersuchung verfügt
werden (Art. 51 Abs. 1 BStP). Auch kann sich der Beschuldigte gegen die
Abweisung seines Haftentlassungsgesuches nur dann bei der Anklagekammer
beschweren, wenn sie durch den Untersuchungsrichter erfolgt (Art. 52
Abs. 2 BStP).

    Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BStP, wonach die Sicherheitsleistung durch
Bürgschaft der Genehmigung durch die Anklagekammer unterliegt, kann
daher nicht den Sinn haben, die Anklagekammer sei auch dann anzugehen,
wenn der Bundesanwalt im Ermittlungsverfahren den Beschuldigten gegen
Bürgschaft in Freiheit lassen oder aus der Haft entlassen oder eine in Geld
oder Wertgegenständen hinterlegte Sicherheit gegen Bürgschaft freigeben
will. In der Pflicht zur Einholung der Zustimmung der Anklagekammer läge
eine Unterwerfung des Bundesanwaltes unter deren Aufsicht. Es ist nicht
zu ersehen, inwiefern das Gesetz diese beschränkte Aufsicht durch die
Anklagekammer für nötig erachten könnte, wo es sie im übrigen allgemein
und im besonderen in Haftsachen ablehnt. Es wäre namentlich nicht zu
verstehen, weshalb es der Anklagekammer nicht auch das Recht einräumt,
dem Bundesanwalt auf Beschwerde des Beschuldigten hin die Annahme
einer Bürgschaft vorzuschreiben oder die Haftentlassung - mit oder ohne
Bestellung einer Sicherheit - anzuordnen.

    Dass Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BStP nach seinem Wortlaut nicht ausdrücklich
bloss dann gelten will, wenn die Sicherheitsleistung durch Bürgschaft
vom Untersuchungsrichter angenommen wird, führt zu keinem anderen
Schluss. Nach dem ersten Satze des Art. 54 Abs. 2 BStP bestimmt "der
Richter" den Betrag und die Art der Sicherheit. Diese Norm ist also
nicht direkt auch auf das Ermittlungsverfahren der gerichtlichen Polizei
zugeschnitten, denn in diesem Verfahren gibt es keinen Richter. Es war
deshalb überflüssig, im zweiten Satze des Art. 54 Abs. 2 auszudrücken,
dass er im Ermittlungsverfahren nicht anwendbar sei. Seine Geltung in
diesem Verfahren würde einen Analogieschluss erfordern. Ein solcher
ist jedoch nicht am Platze, da die Anklagekammer die Tätigkeit, welche
die Bundesanwaltschaft im Ermittlungsverfahren entfaltet, nicht zu
beaufsichtigen hat.

    Auch aus Art. 45 Ziff. 1 BStP, wonach der Bundesanwalt und die
nach kantonalem Recht zuständigen Beamten der gerichtlichen Polizei
"die Vorschriften dieses Gesetzes zu befolgen haben", wenn sie einen
Haftbefehl erlassen, kann die Geltung des Art. 54 Abs. 2 Satz 2 für
das Ermittlungsverfahren nicht abgeleitet werden. Art. 45 Ziff. 1
BStP bestimmt nur, was die Organe der gerichtlichen Polizei in
Haftangelegenheiten tun oder nicht tun dürfen, unterwirft sie dagegen
nicht der Aufsicht der Anklagekammer. Das gleiche ist in bezug auf
das Recht zur Beschlagnahme und zur Durchsuchung (Art. 73 Abs. 1 BStP)
zu sagen. Aus dem zweiten Satze dieser Bestimmung kann nicht abgeleitet
werden, das in Art. 69 Abs. 3 BStP vorgesehene Recht der Anklagekammer,
über Einsprachen gegen die Durchsuchung von Papieren zu entscheiden,
gelte auch im Ermittlungsverfahren.

    Im gleichen Sinne hat die Anklagekammer bereits am 1. April 1942 i.S.
Rüttimann über eine Beschwerde wegen Verweigerung der Akteneinsicht
(Art. 124 BStP) entschieden (vgl. ferner STÄMPFLI, Bundesgesetz über die
Bundesstrafrechtspflege, Anm. zu Art. 52 und 214; Geschäftsbericht des
Bundesrates 1941 S. 178, 1945 S. 243).

Entscheid:

Demnach erkennt die Anklagekammer:

    Auf das Gesuch der Bundesanwaltschaft wird nicht eingetreten.