Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 IV 21



96 IV 21

5. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. Februar 1970
i.S. Gantenbein gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen. Regeste

    Art. 143 StGB. Begriff der Sachentziehung.

Sachverhalt

    A.- Am 8. September 1962 stieg Gallus Gantenbein über den Zaun
seiner Liegenschaft in Gossau und entriss einer Nachbarin gewaltsam eine
Teppichklopfstange, die sie in die dort angebrachte Vorrichtung einsetzen
wollte. Gantenbein nahm die Stange fort. Die Nachbarin erhob Strafklage,
wobei sie darauf verwies, dass sie als Mieterin der Hausmeisterin gegenüber
für Ersatz der Stange verantwortlich sei. Die Eigentümerin des Hauses
schloss sich der Strafklage an. In seiner ersten Einvernahme erklärte
Gantenbein, er gebe die Stange nicht freiwillig zurück, sondern verlange im
Gegenteil, dass die ganze Teppichklopfanlage beseitigt werde. Noch am 14.
Januar 1963 verweigerte er die vorbehaltlose Rückgabe; schliesslich
übergab er die Stange dem Berechtigten.

    B.- Das Kantonsgericht St. Gallen verurteilte Gantenbein am
9./22. September 1964 im Abwesenheitsverfahren wegen Sachentziehung zu
einer Busse von Fr. 100.--. Das Urteil konnte zunächst nicht zugestellt
werden, weil sich Gantenbein nach Madagaskar begeben hatte. Als er
anfangs 1969 vorübergehend in Gossau weilte, stellte das Bezirksamt ihm
am 13. Januar 1969 das Urteil zu.

    Gantenbein stellte ein Reinigungsbegehren und erhob sowohl kantonale
Kassationsbeschwerde wie eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde.

    Das Kantonsgericht wies das Reinigungsbegehren am 22. April 1969
ab. Das Kassationsgericht verwarf mit Urteil vom 25. Oktober 1969 die
kantonale Kassationsbeschwerde. Mit der Nichtigkeitsbeschwerde ans
Bundesgericht verlangt Gantenbein Aufhebung des kantonsgerichtlichen
Urteils und Freisprechung des Angeklagten.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Art. 143 StGB bedroht denjenigen mit Strafe, der ohne
Bereicherungsabsicht eine bewegliche Sache dem Berechtigten entzieht und
ihn dadurch schädigt.

    Der Tatbestand der Sachentziehung ist subsidiär zum Diebstahl wie zur
Veruntreuung und zur Unterschlagung (BGE 72 IV 61, 77 IV 162 oben); die
Entziehung kann in einem Wegnehmen oder Vorenthalten der Sache bestehen.

    Art. 143 schützt entgegen BGE 77 IV 162 nicht nur das Eigentum,
sondern das Vermögen (in diesem Sinn BGE 73 IV 40). Dass die Bestimmung
im Abschnitt "Strafbare Handlungen gegen das Eigentum" eingereiht ist,
ändert an dem sich aus dem Wortlaut ergebenden Sinn nichts (BGE 85 IV
26). Danach können aber nicht nur der Eigentümer, sondern auch andere
Berechtigte verletzt werden. Der durch die Entziehung verursachte
Schaden muss ein vermögenswerter sein (BGE 77 IV 162 mit Hinweisen). Dabei
genügt ein bloss vorübergehender Schaden (BGE 82 IV 90 zu Art. 148 StGB;
vgl. HEIM, Journal des Tribunaux 1952 IV S. 18 ff.).

    Subjektiv ist erforderlich der Vorsatz, den Berechtigten zu schädigen,
wobei Eventualvorsatz genügt. Nicht nötig ist dagegen, dass der Täter mit
Aneignungsabsicht gehandelt habe (BGE 85 IV 20). Etwas anderes meint auch
SCHWANDER, Strafgesetzbuch 2. Aufl. Nr. 552 trotz der missverständlichen
Verwendung des Ausdrucks der Aneignungsabsicht nicht, wie sein Hinweis
auf BGE 85 IV 20 in der ergänzenden Nr. 552 a Ziff. 3 zeigt.

Erwägung 2

    2.- Der Einwand des Beschwerdeführers, er habe nicht in
Aneignungsabsicht gehandelt, vermag ihn somit nicht zu entlasten. Auch
seine Berufung auf BGE 72 IV 62 geht fehl. Die Frage, ob der
Beschwerdeführer lediglich eine Rückgabepflicht nicht oder nicht
rechtzeitig erfüllt habe, stellt sich nicht. Die Teppichklopfstange
ist ihm nicht anvertraut worden oder gegen seinen Willen zugekommen. Er
hat sie unberechtigterweise aus dem Gewahrsam der Nachbarin weggenommen,
eigenmächtig von ihr Besitz ergriffen. Nach der Feststellung der Vorinstanz
konnten Eigentümerin und Mieterin die Stange während rund drei Monaten
nicht benutzen. Wie der Beschwerdeführer heute nicht mehr bestreitet,
liegt in der Entziehung einer solchen arbeitserleichternden Einrichtung
eine wirtschaftliche Schädigung. Da sie, wie das Kantonsgericht verbindlich
feststellt (Art. 277 bis Abs. 1 BStP), vom Vorsatz des Beschwerdeführers,
die Stange wegzunehmen und nicht mehr herauszugeben, mitumfasst war,
ist er mit Recht der Sachentziehung schuldig erklärt worden.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.