Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 IV 150



96 IV 150

39. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. November 1970
i.S. Steffen gegen Generalprokurator des Kantons Bern. Regeste

    Art. 85 Abs. 2 ZG, Art. 251 und 110 Ziff. 5 StGB.

    1.  Idealkonkurrenz zwischen den durch Falschbeurkundung der Warenmenge
verletzten Strafbestimmungen des Zollgesetzes und Art. 251 StGB (Erw. 1).

    2.  Der Verkäufer, der in einer für die Einfuhrbehörden bestimmten
Rechnung zu niedrige Mengenangaben macht, begeht eine Falschbeurkundung
(Erw. 2 lit. a).

    3.  Die Eintragung falscher Gewichte im Frachtbrief, in der
Zolldeklaration und im Pflanzenschutzzeugnis begründet keine
Falschbeurkundung (Erw. 2 lit. b-d).

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Steffen führte in den Jahren 1959 bis 1964 über die zugeteilten
Kontingente hinaus 1'433,970 kg Frühkartoffeln und 140'000 kg
Speisezwiebeln ohne Bewilligung aus Italien in die Schweiz ein. Um
die Umgehung der Kontingentierungsvorschriften zu verheimlichen,
veranlasste er seinen italienischen Lieferanten, in den Frachtbriefen,
Zolldeklarationen, Pflanzenschutzzeugnissen und beigelegten Fakturen nur
die bewilligten Mengen anzugeben, nicht aber die Mehrgewichte, die darüber
hinaus verladen wurden. Als Folge der falsch deklarierten Gewichte erlitt
die Eidgenossenschaft einen Ausfall von Fr. 89'596.20 an Zollabgaben und
die SBB einen solchen von Fr. 37'530.-- an Frachtgebühren.

    B.- Das Eidg. Finanz- und Zolldepartement verurteilte Steffen auf Grund
von Art. 74 und 76 des Zollgesetzes zu einer Busse von Fr. 254'115.20.

    Ausserdem verurteilte ihn das Obergericht des Kantons Bern am
5. September 1969 wegen wiederholter und fortgesetzter Urkundenfälschung,
Unterdrückung von Urkunden und Betruges zum Nachteil der SBB zu 12
Monaten Gefängnis.

    C.- Die gegen das Urteil des Obergerichts gerichtete
Nichtigkeitsbeschwerde, mit welcher der Verurteilte seine Freisprechung
verlangte, wurde vom Kassationshof teilweise gutgeheissen, das
angefochtene Urteil im entsprechenden Umfange aufgehoben und die Sache
zur Neubeurteilung der Strafe an die Vorinstanz zurückgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 85 Abs. 2 ZG finden die Strafbestimmungen des
Zollgesetzes neben denjenigen des Strafgesetzbuches Anwendung, wenn eine
Handlung gleichzeitig sowohl den Tatbestand eines Zollvergehens als auch
einen des StGB erfüllt. Der Wortlaut der Bestimmung lässt den Schluss zu,
dass der Täter stets nach beiden Gesetzen zu bestrafen sei. In diesem Sinne
wird Art. 85 Abs. 2 ZG von SCHULTZ (ZStR 1953 S. 467 und in Referat 1967/68
S. 18) ausgelegt, und der gleichen Auffassung scheint auch WAIBLINGER
(ZbJV 1954 S. 486) gewesen zu sein. Das Bundesgericht hat dagegen die
Möglichkeit unechter Gesetzeskonkurrenz bisher offen gelassen (BGE 77
IV 46/47, 80 IV 39). Diese Rechtsprechung braucht im vorliegenden Falle
nicht neu überprüft zu werden.

    Der Beschwerdeführer beging die strafbaren Handlungen nicht in erster
Linie zum Zwecke der Hinterziehung des Zolls, sondern hauptsächlich zur
Umgehung der Einfuhrbeschränkungen, um dadurch geschäftliche Vorteile zu
erlangen. Diese bestanden darin, dass er dank der grösseren Warenmengen,
die er illegal über die bewilligten Kontingente hinaus einführte, sich
zum Nachteil der Konkurrenz (Importeure und inländische Produzenten) eine
begünstigte Marktstellung verschaffte. Die damit verbundene Schädigung
der Konkurrenten war weder nach dem Ausmass des Erfolges noch nach der
Absicht des Beschwerdeführers eine bloss untergeordnete Nebenwirkung der
Zollvergehen, so dass die Strafbestimmungen des Zollgesetzes, die nur
die Verletzung fiskalischer und anderer öffentlicher Interessen ahnden
(BGE 72 IV 190 f., 81 IV 188 f.), den Unrechtsgehalt der unter das StGB
fallenden Delikte nicht nach allen Seiten erfassen. Auch der Schaden,
welcher der SBB durch die Hinterziehung von Frachtgebühren zugefügt wurde,
wird durch die Zollbusse nicht abgegolten. Es besteht daher zwischen den
durch die gleiche Handlung verletzten Strafbestimmungen des StGB und des
Zollgesetzes Idealkonkurrenz.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer wird der Falschbeurkundung gemäss
Art. 251 Ziff. 1 Abs. 2 StGB beschuldigt, weil er in den den
schweizerischen Zollbehörden und der SBB für die Einfuhr und Spedition
von Kartoffeln und Speisezwiebeln vorgelegten Zolldeklarationen,
Pflanzenschutzzeugnissen, Fakturen und Frachtbriefen zu niedrige Gewichte
eintragen liess. Voraussetzung der Verurteilung ist, dass die genannten
Schriften Urkundencharakter haben, d.h. im Sinne von Art. 110 Ziff. 5
StGB dazu bestimmt oder geeignet sind, die unrichtig wiedergegebenen
Tatsachen zu beweisen.

    a) Rechnungen haben im allgemeinen nur insoweit Urkundencharakter,
als sie die darin gemachten Angaben des Ausstellers ein für allemal
festhalten. Inhaltlich handelt es sich um einseitige Erklärungen, die der
Aussteller im eigenen Interesse macht, weshalb Rechnungen in der Regel
nicht dazu taugen, die Richtigkeit des dargestellten Sachverhalts zu
beweisen (BGE 88 IV 35). Anders verhält es sich bei Äusserungen, die für
den Erklärenden ungünstig sind. Von einem schriftlichen Zugeständnis einer
Partei wird angenommen, dass es nicht gemacht worden wäre, wenn es nicht
der Wahrheit entspräche, so dass es erhöhte Überzeugungskraft besitzt
und sich als Beweismittel eignet (SCHWANDER, Schweiz. Strafgesetzbuch,
2. Aufl. S. 453; GROSSENBACHER, Urkundenfälschung S. 10). Da Verkäufer
normalerweise nicht weniger in Rechnung stellen, als sie geliefert haben,
liegt in der für eine bestimmte Warenmenge ausgestellten Rechnung die
Bestätigung, dass die Lieferung die angegebene Menge nicht überstieg. In
Bezug auf diese rechtserhebliche Tatsache vermag die Rechnung Beweis zu
schaffen und ist insoweit Urkunde.

    Der Beschwerdeführer hat gerade im Vertrauen auf diese Beweiseignung
seinen ausländischen Lieferanten zur Ausstellung von Rechnungen mit
zu niedrigen Mengenangaben veranlasst, um, wie verbindlich feststeht,
die schweizerischen Einfuhrbehörden darüber zu täuschen, dass er in
Wirklichkeit grössere Warenmengen einführte. Er hat sich daher der
mittelbaren Falschbeurkundung schuldig gemacht.

    b) Mit dem Frachtbrief, in dem der Absender die für die
Güterbeförderung wesentlichen Angaben (Bestimmungsstation, Adresse des
Absenders und Empfängers, Bezeichnung des Gutes, Angabe des Gewichts)
einzutragen hat, beantragt er den Abschluss eines Frachtvertrages, der
zustandekommt, sobald die Versandstation durch Aufdruck des Tagesstempels
die Annahme des Beförderungsantrages bestätigt (Art. 35 und 41 des
Bundesgesetzes über den Transport auf Eisenbahnen und Schiffen vom
11. März 1948). Die Angaben des Absenders im Frachtbrief sind somit
ihrer Natur nach nur Parteibehauptungen und nicht dazu bestimmt oder
geeignet, die Eisenbahn von der Wahrheit der behaupteten Tatsachen zu
überzeugen. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass der Absender für
die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben haftet; das bedeutet
nur, dass er den Frachtunterschied nachzuzahlen, Frachtzuschläge zu
entrichten und einen allfälligen Schaden zu vergüten hat (Art. 134
und 137 des Transportreglements vom 2. Oktober 1967). Dass den
Eintragungen des Absenders keine beweisbildende Kraft beigemessen
wird, folgt auch daraus, dass die Eisenbahn berechtigt ist, jederzeit
nachzuprüfen, ob die Sendung mit den Angaben des Absenders übereinstimmt
(Art. 136 Transportreglement). Dazu kommt, dass der Frachtbrief nach der
ausdrücklichen Bestimmung des Art. 143 Abs. 3 des Transportreglements
erst mit der Abstempelung durch die Bahn die Funktion eines Beweismittels
erhält und lediglich den Abschluss des Frachtvertrages beweist. Der
Beschwerdeführer hat sich daher durch die Eintragung unrichtiger Gewichte
keiner Falschbeurkundung schuldig gemacht.

    c) Zollmeldepflichtig war sowohl der ausländische Lieferant, der
die Waren über die Grenzen bringen liess, als auch der Beschwerdeführer
als Auftraggeber. Sie hafteten für die geschuldeten Abgaben solidarisch
(Art. 9 und 13 ZG); beide zogen auch aus der illegalen Einfuhr Nutzen. An
den in der Zolldeklaration unrichtig angegebenen Warenmengen war daher
nicht nur der Beschwerdeführer, sondern auch der Lieferant unmittelbar
interessiert, so dass die von diesem abgegebenen Erklärungen hinsichtlich
ihrer Wahrheit keinen Beweiswert hatten und blosse Behauptungen waren. Die
Zolldeklaration erhielt auch nicht dadurch Urkundencharakter, dass Art. 47
Abs. 2 der Vollziehungsverordnung zum Zollgesetz bestimmt, der Deklarant
trage die Verantwortung für die Richtigkeit seiner Angaben. Damit wird nur
darauf hingewiesen, dass er durch falsche Erklärungen die ihm im Zollgesetz
auferlegte Pflicht zur Mitwirkung bei der Zollveranlagung verletzt und
die strafrechtlichen Folgen einer Zollübertretung auf sich zu nehmen
hat. Der Beschwerdeführer hat infolgedessen auch mit den unrichtigen
Gewichtsangaben in den Zolldeklarationen keine Falschbeurkundung begangen.

    d) Das bei der Einfuhr gewisser landwirtschaftlicher Erzeugnisse
vorzulegende Pflanzenschutzzeugnis ist eine Erklärung der zuständigen
Amtsstelle des Exportlandes, in der diese bestätigt, dass die in der
Sendung bezeichneten Pflanzen von gefährlichen Schädlingen und Krankheiten
frei sind (Art. 16 der bundesrätlichen Verordnung über Pflanzenschutz vom
5. März 1962). Alle übrigen Angaben, die anhangsweise zur Beschreibung der
Sendung gemacht werden, sind nicht Bestandteil des amtlichen Zeugnisses und
werden auf Grund der Erklärungen des Absenders beigefügt. Den Angaben über
Stückzahl oder Gewicht der Ware kommt daher ebenso wie den entsprechenden
Erklärungen in der Zolldeklaration kein Beweiswert zu, so dass sie nicht
Gegenstand einer Falschbeurkundung sein können.