Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 IV 108



96 IV 108

28. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 17. April 1970
i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen gegen Kellenberger.
Regeste

    Art. 64 Abs. 5 StGB. Tätige Reue.

    Wann hat der Täter das ihm Zumutbare zur Schadensdeckung unternommen?

Sachverhalt

    A.- Kellenberger, der am 19. Dezember 1966 als Redaktor der "Neuen
Glarner Zeitung" fristlos entlassen worden war, nahm in seiner misslichen
finanziellen Lage zum Teil unter unwahren Angaben verschiedene Darlehen
auf, deren Rückzahlung sich in der Folge stark verzögerte.

    Unter anderem erhielt Kellenberger am 30. Dezember 1966 von der Filiale
Glarus der Schweizerischen Volksbank durch Vermittlung des Direktors
ein Darlehen von 2000 Franken, nachdem er jenem telefonisch mitgeteilt
hatte, er habe seine Brieftasche verloren und brauche dringend Geld,
um die von seiner Familie bezogene Ferienwohnung zu bezahlen, was nicht
den Tatsachen entsprach.

    Sodann gelang es Kellenberger, von der Bank Rohner & Co.AG in
St. Gallen am 12. April 1967 unter verschiedenen wahrheitswidrigen Angaben
und mit Hilfe einer gefälschten Unterschrift ein Darlehen von 4000 Franken
erhältlich zu machen.

    In allen Fällen hatte Kellenberger verschwiegen, dass er stellen-
und mittellos war, und jeweils versprochen, das Geld kurzfristig
zurückzuzahlen.

    B.- Mit Urteil vom 26. September 1969 sprach das Obergericht des
Kantons Schaffhausen Kellenberger des Betrugs und der Urkundenfälschung
zum Nachteil der Bank Rohner & Co.AG schuldig und verurteilte ihn
zu einer bedingt aufgeschobenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten
Gefängnis. In allen übrigen Fällen sprach es ihn von der Anklage des
gewerbsmässigen Betruges frei. Das Gericht milderte zudem die Strafe,
indem es dem Angeklagten tätige Reue im Sinne von Art. 64 Abs. 5 StGB
zugute hielt, mit der Begründung, jener sei von dem Augenblicke an,
da er wieder gearbeitet habe, unverzüglich an die Schuldentilgung gegangen.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen führt
Nichtigkeitsbeschwerde. Sie beantragt unter anderem, es sei der
Strafmilderungsgrund der tätigen Reue nicht zu berücksichtigen und das
Strafmass entsprechend neu festzusetzen.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

    Das Obergericht hat dem Angeklagten tätige Reue im Sinne von Art. 64
Abs. 5 StGB zugute gehalten mit der Begründung, er sei zwar reichlich
spät, aber immerhin vom Antritt einer Stelle hinweg daran gegangen, seine
Schulden abzutragen; er habe die Mehrheit seiner Gläubiger befriedigt. An
die Bank Rohner & Co. AG und die Schweizerische Volksbank seien erste
Zahlungen geleistet worden, nachdem ein Abzahlungsmodus habe gefunden
werden können. Dem hält die Beschwerdeführerin entgegen, Kellenberger habe
zur Zeit der Hauptverhandlung vor Kantonsgericht, d.h. am 2. November 1967
noch keine Zahlungen an die Geschädigten geleistet gehabt, obschon er jede
sich ihm bietende Arbeit angenommen haben wolle. Einer geregelten Arbeit
sei er erst im Sommer 1969 nachgegangen, so dass er bloss kurz vor der
Berufungsverhandlung vom 26. September 1969 einige wenige Zahlungen an die
Geschädigten habe leisten können. Eine derart verspätete Schadensdeckung
könne nicht Ausdruck tätiger Reue sein, zumal dem Angeklagten eine frühere
teilweise oder gänzliche Befriedigung der Geschädigten möglich und zumutbar
gewesen wäre.

    Der Beschwerdeführerin ist in diesem Zusammenhange insoweit
beizupflichten, als nicht jede Schadensdeckung durch den Täter als
Zeichen aufrichtiger Reue gelten kann. Nach dem Wortlaut des Art. 64
Abs. 5 StGB muss der Täter den Schaden, "soweit es ihm zuzumuten war",
ersetzt haben. Mit dem Hinweis auf die Zumutbarkeit verlangt das Gesetz
eine besondere Anstrengung von seiten des Fehlbaren. Dieser muss alles
daran setzen, um das geschehene Unrecht wiedergutzumachen. Ist er
stellenlos, so hat er unverzüglich jede Arbeit anzunehmen, die ihm nach
seinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten zugemutet werden kann. Im
vorliegenden Fall kann vom Angeklagten als Journalisten erwartet werden,
dass er beispielsweise Arbeiten in einem Büro oder in einem Auskunftsdienst
annehme. Er darf nicht zuwarten, bis er einen dem früheren gleichwertigen
oder ähnlichen Arbeitsplatz findet. Wer sich erst unter dem Drucke eines
drohenden Strafverfahrens zu einer besonderen Anstrengung herbeilässt,
bekundet nicht aufrichtige Reue, sondern handelt aus taktischen Gründen
und verdient deshalb keine besondere Milde. Nicht anders verhält es sich
mit demjenigen Täter, der zwar andere als seiner beruflichen Ausbildung
entsprechende Arbeit annimmt, der aber entweder ohne triftigen Grund oft
die Stelle wechselt und dadurch nichts an die Schadensdeckung leisten
kann, oder aber seine persönlichen Bedürfnisse im Rahmen des Zumutbaren
nicht so weit einschränkt, dass es ihm möglich ist, die Deliktsschulden
ohne Verzug aus seinem Arbeitseinkommen zu tilgen. Wie es sich damit
im vorliegenden Fall verhält, geht aus dem angefochtenen Urteil nicht
hervor. Die von der Vorinstanz festgestellte späte und bloss teilweise
Schadensdeckung genügt für sich allein nicht zur Annahme aufrichtiger
Reue im Sinne der genannten Gesetzesbestimmung. Die Sache ist daher
an das Obergericht zurückzuweisen, damit es namentlich prüfe, ob der
Angeklagte jede ihm zumutbare Arbeit angenommen habe, wann und wie lange
er jeweils einer Tätigkeit nachgegangen sei und welchen Verdienst er
dabei erzielt habe. Was die Schadensdeckung selber anbelangt, so wird
die Vorinstanz sich auf diejenigen Darlehensschulden beschränken müssen,
deren Begründung sie als betrügerisch bezeichnet hat; denn wenn Art. 64
Abs. 5 StGB vom Ersatz des Schadens spricht, so kann damit sinngemäss nur
der Schaden gemeint sein, den der Täter durch die strafbaren Handlungen
verursacht hat, für welche die Strafe ausgesprochen werden soll.