Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 IV 102



96 IV 102

26. Urteil des Kassationshofes vom 16. Oktober 1970 i.S. Kern gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. Regeste

    Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 StGB. Bedingter Strafvollzug bei
Angetrunkenheit am Steuer.

    Wegen angetrunkenen Fahrens Verurteilte trifft in der Regel der Vorwurf
der Hemmungs- und Rücksichtslosigkeit. Dieser kann dadurch entkräftet
werden, dass die Tatumstände zwar nicht für sich allein, jedoch zusammen
mit dem Vorleben den Schluss erlauben, der Verurteilte lasse sich durch
eine bedingt aufgeschobene Strafe dauernd bessern. Die Tat ist daher mit
den persönlichen Verhältnissen gesamthaft zu würdigen (Bestätigung der
in BGE 95 IV 49 ff. und 55 ff. eingeleiteten Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Kern hielt sich Freitagabend, den 13. Juni 1969, nach dem
Nachtessen am Familientisch, in einem Aarauer Restaurant auf, wo er,
nachdem er ein alkoholfreies Getränk genossen hatte, bei einer Runde
Weisswein mithielt. Etwa um 21.15 Uhr begab er sich zu einer privaten
Einladung. Dort wurden nach 22.00 Uhr Champagner, um 23.00 Uhr kalte
Speisen (kaltes Buffet) und anschliessend roter Aigle serviert. Kern
sprach dem Alkohol dabei so zu, dass er, als er sich um 01.00 Uhr
(14. Juni) mit seinem Wagen auf den Heimweg machte, völlig betrunken
war und wegen seiner Fahrweise auffiel. Die um 02.10 Uhr vorgenommene
Blutprobe ergab 2,45-2,51 Gewichtspromille Alkohol im Blut, was für die
Zeit der Beendigung seiner Autofahrt (01.15 Uhr) einem Alkoholgehalt von
2,5-2,6 Gewichtspromille entsprach.

    B.- Das Bezirksgericht Aarau verurteilte Kern in Anwendung von
Art. 91 Abs. 1 SVG zu 12 Tagen Gefängnis und Fr. 3000.-- Busse. Für die
Freiheitsstrafe verweigerte es den bedingten Strafvollzug.

    Eine gegen dieses Urteil gerichtete Berufung wies das Obergericht
des Kantons Aargau am 25. Mai 1970 ab.

    C.- Kern führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, die Sache
sei zur Gewährung des bedingten Strafvollzuges und zur Bewilligung der
vorzeitigen Löschung der Busse, eventuell zur Neubeurteilung, an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt, die Beschwerde
sei kostenfällig abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 41 Ziff. 1 StGB kann der Richter den Vollzug einer
Haft- oder Gefängnisstrafe unter anderem dann aufschieben, wenn Vorleben
und Charakter des Verurteilten erwarten lassen, er werde durch diese
Massnahme von weitern Verbrechen und Vergehen abgehalten. Ob sich diese
Erwartung rechtfertige, ist Ermessenssache. Der Kassationshof greift
deshalb erst bei Ermessensüberschreitung ein (BGE 88 IV 6; 82 IV 151
Erw. 2).

    Bei der Gewährung des bedingten Strafvollzuges ist gegenüber
wegen angetrunkenen Fahrens Verurteilten besondere Zurückhaltung
geboten (BGE 95 IV 53/54 Erw. 1b). Es trifft sie in der Regel der
Vorwurf der Hemmungs- und Rücksichtslosigkeit. Heute sollte jedem
Fahrer bekannt sein, dass die Fähigkeit, ein Fahrzeug zu beherrschen,
bereits bei leichter Alkoholisierung beeinträchtigt wird, der Fahrer
sich aber gerade in diesem Stadium für besonders fahrtüchtig hält,
und dass ferner die Leistungsfähigkeit eines Fahrers jedenfalls von
einem Alkoholgehalt von 0,8 Promille an allgemein nachlässt und die
Unfallgefahr erheblich zunimmt. Wer beim heutigen Verkehr, der oft
auch schon den nüchternen Fahrer überfordert, vor der Fahrt trotz aller
Warnungen in der Öffentlichkeit übermässig alkoholische Getränke geniesst,
muss als unzuverlässiger und verantwortungsloser Verkehrsteilnehmer
behandelt werden. Im Hinblick auf die grossen Gefahren, die das Fahren
in angetrunkenem Zustand mit sich bringt, sind an die Gewähr, die ein
gestützt auf Art. 91 Abs. 1 SVG Verurteilter für künftiges Wohlverhalten
bieten muss, aus spezial- wie aus generalpräventiven Gründen selbst
dann strenge Anforderungen zu stellen, wenn der Täter zum ersten Mal
wegen Fahrens in angetrunkenem Zustande vor dem Richter steht und seine
bisherige Führung nicht zu bemängeln ist (BGE 95 IV 52/53 Erw. 1b, 58
Erw. 1). Verharmlosender Nachsicht ist entschieden entgegenzutreten.

    Damit indessen die Gewährung des bedingten Strafvollzuges nicht
einseitig von der Art und den Umständen der Tat abhange, sind die letzteren
mit den persönlichen Verhältnissen des Täters gesamthaft zu würdigen. Der
Vorwurf der Rücksichtslosigkeit kann dadurch entkräftet werden, dass die
Tatumstände zwar nicht für sich allein, jedoch zusammen mit dem Vorleben
den Schluss erlauben, der Verurteilte lasse sich schon durch eine bedingt
aufgeschobene Warnungsstrafe dauernd bessern (BGE 95 IV 52 Erw. 1 a;
95 IV 57 Erw. 1).

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Fall wusste der Beschwerdeführer, dass er mit
dem Wagen heimkehren und diesen selber lenken werde. Gleichwohl genoss er
bereits in einem Restaurant Alkohol und liess sich zu einem privaten Anlass
einladen, von dem er wissen oder annehmen musste, dass weitere alkoholische
Getränke angeboten würden, und er sich diesem Angebot gegenüber nicht
ablehnend verhalten werde. Zum mindesten musste er spätestens dann darauf
aufmerksam werden, dass man privat reichlich Alkohol geniessen werde,
als der Champagner serviert wurde. Trotzdem genoss der Beschwerdeführer im
Übermass Alkohol und versetzte sich in einen schweren Rauschzustand. Indem
er nach einer ausgedehntenZecherei völlig betrunken seinen Wagen lenkte,
setzte er die Sicherheit und das Leben anderer gewissenlos aufs Spiel. Die
Vorinstanz geht davon aus, dass die Tat einen schweren Charakterfehler
des Beschwerdeführers erkennen lässt. Sie wirft ihm zu Recht vor, dass
er, ohne seinen Wagen zu benutzen, den privaten Anlass hätte besuchen und
einen Taxi nehmen oder aber sich bei der privaten Einladung des Alkohols
hätte enthalten können. Dazu kommt, dass er sich seines Zustandes durchaus
bewusst war und demzufolge äusserst langsam nach Hause fuhr.

    Hinsichtlich des Leumundes wirft die Vorinstanz dem Angeklagten vor,
er habe einen geringfügigen Zusammenstoss mit einem parkierten Wagen gehabt
und bei dieser Gelegenheit den Geschädigten nicht benachrichtigt; überdies
habe er sich später für eine wegen unerlaubten Parkierens ausgesprochene
Busse betreiben lassen. Der Beschwerdeführer wendetzum ersten Vorwurf ein,
die damals verhängte Busse sei in Rechtskraft erwachsen, weil er sich
im Ausland aufgehalten und kein Rechtsmittel habe ergreifen können. Die
ihm zur Last gelegte Tat habe er nicht begangen. Das Vorbringen des
Beschwerdeführers richtet sich damit in erster Linie gegen die verbindliche
tatsächliche Feststellung der Vorinstanz, er habe sich nicht korrekt
verhalten. Gemäss Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP ist diese Rüge unzulässig. Es
kann indessen dahingestellt bleiben, wie es sich damals verhalten haben
mag, da jedenfalls daraus, dass der Beschwerdeführer sich weigerte,
eine Busse zu bezahlen und die Behörde zwang, Betreibung einzuleiten,
ebenfalls ein Charaktermangel abgeleitet werden muss. Wer weiss, dass
er eine in Rechtskraft erwachsene Busse zu bezahlen hat, wird dies
vernünftigerweise ohne weiteres tun, was in Anbetracht seiner günstigen
finanziellen Verhältnisse auch dem Beschwerdeführer möglich gewesen wäre.

    Wenn die Vorinstanz in Berücksichtigung aller dieser Umstände
den bedingten Strafvollzug verweigerte, so überschritt sie das ihr
zustehende Ermessen nicht. Die Tat des Beschwerdeführers hat einen
schweren Charakterfehler offenbart; er wird durch dessen sonstiges
Verhalten nicht entkräftet. Der Beschwerdeführer hat nicht unter
Umständen gehandelt, die ihm zugute gehalten werden könnten. Es besteht
deshalb kein Grund zur Annahme, es handle sich um eine einmalige
Entgleisung. Eine solche hat der Kassationshof beispielsweise im Falle
Gajek (unveröffentlichtes Urteil vom 15. April 1970) wegen des tadellosen
Leumundes des Täters als wahrscheinlich erachtet und deshalb die Gewährung
des bedingten Strafvollzuges durch den kantonalen Richter nicht als
Ermessensüberschreitung beurteilt.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.