Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 II 47



96 II 47

10. Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Februar 1970 i.S. Suter gegen
Dübendorfer und Mitbeteiligte. Regeste

    Verzug des Käufers.

    1.  Art. 82, 108 Ziff. 3 und 214 Abs. 1 und 2 OR. Recht des Verkäufers,
bei einem Grundstückkauf ohne weiteres vom Vertrage zurückzutreten, wenn
der Käufer bis zu einer bestimmten Zeit zahlen sollte, aber nicht zahlt
(Erw. 1 und 2).

    2.  Art. 91 OR. Die Ablösung eines Pfandrechtes durch den Verkäufer
ist keine Vorbereitungshandlung im Sinne dieser Bestimmung (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Frau Ida Dübendorfer und ihre fünf Kinder, die zusammen eine
Erbengemeinschaft bildeten, verkauften mit öffentlich beurkundetem Vertrag
vom 16. Mai 1959 dem Liegenschaftenhändler Jakob Suter 12'960 m2 Acker- und
Wiesland in der Gemeinde Rümlang. Der Preis betrug Fr. 298'080.--, wovon
Fr. 40'000.-- bei der Beurkundung erlegt wurden und Fr. 258'000.-- bei
"der grundbuchlichen Eigentumsübertragung", die bis spätestens 1. Oktober
1959 stattfinden sollte (Ziff. 9 des Vertrages), zu bezahlen waren. Nach
weitern Vertragsbestimmungen war das Land von dem darauf lastenden
Pfandrecht zu befreien und der Käufer berechtigt, an seiner Stelle einen
Dritten in die Rechte und Pflichten des Vertrages eintreten zu lassen.

    Die Eigentumsübertragung fand bis zum 1. Oktober nicht statt. Am 7.
Oktober 1959 teilte die Erbengemeinschaft dem Suter mit, dass sie wegen
Verzuges des Käufers vom Vertrag zurücktrete. Zur Fertigung des Kaufes
sei ein fester Termin vereinbart worden, den er nicht eingehalten habe;
der Vertrag sei deshalb gemäss Art. 108 Ziff. 3 OR dahingefallen.

    Am 14. Oktober 1959 begab Suter sich mit dem Kaufpreisrest auf
das Notariat Niederglatt, um seine Erfüllungsbereitschaft darzutun. Er
forderte die Verkäufer zudem schriftlich auf, am 20. Oktober 1959 um 14
Uhr bei der Eigentumsübertragung mitzuwirken.

    Die Erbengemeinschaft hielt an ihrer Rücktrittserklärung jedoch
fest. Am 9. Juli 1963 verkaufte sie das Land zum Preise von Fr. 583'200.--
an einen Dritten.

    B.- Mit Klage vom 18. November 1963 belangte Suter Frau Dübendorfer und
vier ihrer Kinder auf Fr. 407'220.-- Schadenersatz wegen Nichterfüllung
des mit ihm abgeschlossenen Kaufvertrages. Im Verlaufe des Verfahrens
setzte er die Schadenersatzforderung auf Fr. 285'120.-- (nebst 5% Zins
seit 26. September 1963) herab.

    Das Bezirksgericht Dielsdorf und am 11. Juli 1969 auch das Obergericht
des Kantons Zürich wiesen die Klage ab.

    Das Bezirksgericht hielt den Kaufvertrag vom 16. Mai 1959 wegen
Missachtung der Sperrfrist des Art. 218 OR für nichtig, und das Obergericht
begründet seinen Entscheid vor allem damit, es sei vorab Sache des Klägers
gewesen, Vorbereitungen für die Übergabe des Kaufpreises und die damit
verbundene Eigentumsübertragung zu treffen, wenn er vermeiden wollte, dass
die Beklagten vom Vertrag zurücktraten; er habe es indes unterlassen,
den Beklagten den Kaufpreisrest rechtzeitig auch nur anzubieten,
weshalb die Verkäufer berechtigt gewesen seien, ohne weiteres vom Vertrag
zurückzutreten (Art. 214 Abs. 1 OR). Unter diesen Umständen habe der Kläger
keinen Anspruch auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung des Vertrages.

    C.- Mit der Berufung beantragt der Kläger dem Bundesgericht, das
Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Klage gutzuheissen.

    D.- Die Beklagten halten die Berufung für unbegründet und beantragen,
sie abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Ob die Beklagten befugt waren, am 7. Oktober 1959 den mit dem
Kläger abgeschlossenen Kaufvertrag vom 16. Mai 1959 durch Rücktritt
aufzuheben, hängt vor allem von der Bedeutung ab, welche Ziffer 9 des
Vertrages beizumessen ist. Nach dieser Bestimmung hatte "die grundbuchliche
Eigentumsübertragung" bis spätestens 1. Oktober 1959 stattzufinden. Die
Bezahlung des Kaufpreisrest hing damit zusammen, da die Schuld von Fr.
258'080.-- "anlässlich der grundbuchlichen Eigentumsübertragung" zu
begleichen war.

    Daraus erhellt, dass der Vertrag nach dem Willen der Parteien in
der Zeit vom 16. Mai bis 1. Oktober 1959 erfüllt werden sollte. Die
gegenseitigen Leistungen waren während dieser Zeit nicht nur erfüllbar,
sondern vom 16. Mai an auch fällig (Art. 75 OR). Jede Partei konnte unter
der Voraussetzung, dass sie selber erfüllungsbereit war, die andere zur
Erfüllung des Vertrages anhalten (Art. 82 OR): Der Käufer durfte von den
Verkäufern die schriftliche Anmeldung verlangen, die zur Eintragung des
neuen Eigentümers im Grundbuch erforderlich war (Art. 665 Abs. 1 ZGB,
Art. 11 ff., insbes. Art. 18 GBV), und die Verkäufer konnten vom Käufer
den noch ausstehenden Kaufpreis fordern.

    Nach dem angefochtenen Urteil hat der Kläger die Beklagten in der
Zeit zwischen dem Vertragsabschluss und dem 1. Oktober 1959 weder
zur Eigentumsübertragung aufgefordert noch ihnen den Kaufpreisrest
angeboten. Er will sich auf den 1. Oktober hin mit dem Notariat Niederglatt
in Verbindung gesetzt haben, um die Fertigung des Kaufes durch die Erben
Dübendorfer zu veranlassen, versäumte jedoch den äussersten Termin für
die Erfüllung des Vertrages. Da er bis zum 1. Oktober nicht leistete,
kam er, wie die Vorinstanz ihm mit Recht entgegenhält, mit Ablauf dieses
Tages in Verzug.

Erwägung 2

    2.- Die Beklagten hatten dem Kläger das Eigentum am Grundstück Zug
um Zug gegen Zahlung des Kaufpreisrestes zu übertragen. Daher konnten
sie gemäss Art. 214 OR, der auf den Grundstückkauf sinngemäss anwendbar
ist (Art. 221 OR; BGE 86 II 234), beim Zahlungsverzug des Klägers vom
Vertrag zurücktreten, obwohl sie sich dieses Recht nicht ausdrücklich
vorbehalten hatten.

    Der Rücktritt konnte "ohne weiteres" erfolgen (Art. 214 Abs. 1). Die
Beklagten brauchten also dem Kläger keine Frist zur nachträglichen
Erfüllung anzusetzen.

    Sie mussten ihm aber den Rücktritt "sofort" anzeigen (Art. 214
Abs. 2), d.h. sobald es ihnen nach dem gewöhnlichen Geschäftsgang und den
besonderen Umständen des Falles zugemutet werden konnte (vgl. BGE 69 II 245
Erw. 5). Das haben sie am 7. Oktober 1959 getan. Ihre Erklärung erfolgte
rechtzeitig. Sie haben sie nicht spekulativ verzögert, und dem Kläger
ist aus dem Zeitablauf von nur sechs Tagen kein Nachteil entstanden. Es
steht namentlich nicht fest, dass er in der Zwischenzeit Vorbereitungen
für die Erfüllung getroffen habe und dadurch benachteiligt worden wäre.

    Dass sich die Beklagten in der Erklärung vom 7. Oktober 1959 auf
Art. 108 Ziff. 3 OR berufen haben, schadet nichts. Der Kläger wurde
dadurch nicht irregeführt. Der Rücktritt stand den Beklagten auch nach
dieser Bestimmung zu. Sie erlaubt dem Gläubiger, ohne Ansetzung einer
Frist zur nachträglichen Erfüllung vom Vertrag zurückzutreten, "wenn sich
aus dem Vertrage die Absicht der Parteien ergibt, dass die Leistung genau
zu einer bestimmten oder bis zu einer bestimmten Zeit erfolgen soll". Im
vorliegenden Falle traf das letztere zu, denn die Eigentumsübertragung
hatte "bis spätestens 1. Oktober 1959" zu erfolgen, weshalb auch der
"bei der grundbuchlichen Eigentumsübertragung" zu zahlende Kaufpreisrest
spätestens in diesem Zeitpunkt zu leisten war. Die Rücktrittserklärung war
ferner auch unter dem Gesichtspunkt der Art. 107/108 nicht etwa verspätet,
so dass der Kläger sie als ungültig hätte betrachten dürfen. Wer nach
Art. 108 OR auf die nachträgliche Erfüllung verzichten will, muss dies
"unverzüglich" nach dem Eintritt des Schuldnerverzuges tun (Art. 107
Abs. 2 OR; BGE 54 II 31 f.). Die Erklärung der Beklagten vom 7. Oktober
1959 entsprach dieser Anforderung sogut wie dem Art. 214 Abs. 2 OR.

Erwägung 3

    3.- Der Kläger bestreitet den Beklagten das Recht, vom Vertrage
zurückzutreten, weil sie ihrer Pflicht, das Pfandrecht abzulösen, nicht
nachgekommen, am 7. Oktober 1959 also selber nicht erfüllungsbereit gewesen
seien. Solange sie diese Vorbereitungshandlung für die Eigentumsübertragung
nicht vorgenommen hätten, seien sie zudem im Sinne von Art. 91 OR in
Verzug gewesen; sie könnten sich daher nicht auf Art. 214 OR berufen, noch
einwenden, der Kläger hätte sie zuerst zur Erfüllung auffordern müssen.

    a) Der Kläger vermöchte aus der Nichtablösung des Pfandrechtes
höchstens dann etwas abzuleiten, wenn er die Beklagten rechtzeitig
und erfolglos zur Erfüllung angehalten, d.h. sie aufgefordert hätte,
ihm spätestens am 1. Oktober 1959 gegen Zahlung des Kaufpreisrestes das
vom Pfandrecht befreite Grundstück zu übertragen. Er wäre dann vielleicht
nicht in Verzug gekommen, denn die allfällige Säumnis der Beklagten hätte
ihn berechtigt, den Kaufpreisrest zurückzuhalten (Art. 82 OR). Der Kläger
hat jedoch die Erfüllung erst am 14. Oktober 1959 verlangt. Zu dieser Zeit
war der Vertrag durch den Rücktritt der Beklagten schon aufgehoben. Der
Rücktritt setzte die Ablösung des Pfandrechtes nicht voraus. Nur wer den
andern zur Erfüllung der Gegenleistung anhalten will, muss allenfalls
entweder schon erfüllt haben oder die eigene Leistung vertragsgemäss
anbieten.

    b) Auch Art. 91 OR hilft dem Kläger nicht. Die Beklagten waren
nicht im Annahmeverzug. Die Ablösung des Pfandrechtes war nicht eine
Vorbereitungshandlung, ohne die der Kläger nicht zu erfüllen imstande
gewesen wäre. Er hat die Zahlung des Kaufpreises auch nicht rechtzeitig,
d.h. spätestens am 1. Oktober 1959 angeboten. Ob er dies gemäss Art. 74
Abs. 2 Ziff. 1 OR am Wohnsitz der Beklagten hätte tun müssen oder
wegen der Abrede, der Kaufpreisrest sei "anlässlich der grundbuchlichen
Eigentumsübertragung" zu zahlen, beim zuständigen Notariat und Grundbuchamt
tun durfte, kann offen bleiben, denn der Kläger hielt das Geld auf dem
Notariat erst am 14. Oktober 1959 zur Verfügung. In diesem Zeitpunkt
war der Vertrag schon aufgelöst und brauchten die Beklagten die Leistung
nicht mehr anzunehmen.

Erwägung 4

    4.- Waren die Beklagten somit zum Rücktritt befugt, so verletzten
sie dadurch, dass sie das Land im Juli 1963 an einen Dritten verkauften,
den mit dem Kläger abgeschlossenen Vertrag nicht, sind ihm folglich auch
nicht zu Schadenersatz verpflichtet. Da die Klage schon aus diesem Grunde
abgewiesen werden muss, braucht nicht geprüft zu werden, ob es sich um
ein landwirtschaftliches Grundstück im Sinne von Art. 218 OR handelte und,
wenn ja, ob die Beklagten es bereits am 16. Mai 1959 ohne Verletzung der
Sperrfrist hätten veräussern können.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts (I.
Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 11. Juli 1969 bestätigt.