Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 II 301



96 II 301

41. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. November 1970
i.S. K. gegen K. Regeste

    Art. 153 Abs. 2 ZGB. Herabsetzung einer Bedürftigkeitsrente.

    Vorbedingung für eine Herabsetzung ist eine erhebliche und dauernde
Veränderung der Vermögensverhältnisse (Erw. 3 und 4).

    Eine Erhöhung des Einkommens des Anspruchsberechtigten im Rahmen der
allgemeinen Teuerung und der üblichen Verbesserung der Reallöhne ist noch
keine erhebliche Abnahme der Bedürftigkeit (Erw. 5 a).

    Bedeutung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums für die
Festsetzung der Rentenhöhe (Erw. 5 b und d).

Sachverhalt

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Die der Beklagten im gerichtlich genehmigten Vergleich vom
7. Juni 1968 zuerkannte Rente ist eine Bedürftigkeitsrente im Sinne
von Art. 152 ZGB. Nach Art. 153 Abs. 2 ZGB wird eine solche Rente auf
Verlangen des pflichtigen Ehegatten aufgehoben oder herabgesetzt, wenn die
Bedürftigkeit nicht mehr besteht oder in erheblichem Masse abgenommen hat,
sowie wenn die Vermögensverhältnisse des Pflichtigen der Höhe der Rente
nicht mehr entsprechen. Da der Kläger nicht geltend macht, es habe sich
seine eigene finanzielle Lage verschlechtert, ist lediglich zu prüfen,
ob sich eine Herabsetzung der Rente wegen veränderter Verhältnisse der
Beklagten rechtfertige. Voraussetzung einer solchen Herabsetzung ist
jedoch, dass sich die Vermögensverhältnisse erheblich und nach menschlichem
Ermessen dauernd verändert haben (Kommentar EGGER N. 6 zu Art. 153 ZGB;
HINDERLING, 3. Aufl., S. 146).

Erwägung 4

    4.- Gemäss den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz war dem
Kläger im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses (7. Juni 1968) bekannt, dass
die Beklagte als Aushilfsangestellte in einem Warenhaus ein monatliches
Einkommen von ca. Fr. 400.-- erzielte. Im Jahre 1969 verdiente sie nach
den Angaben des Bezirksgerichts dann durchschnittlich Fr. 640.-- im Monat.

    Die Vorinstanz scheint dieser Einkommenserhöhung den dauernden
Charakter absprechen zu wollen, denn sie sagt in ihrem Urteil, die
Beklagte habe nicht die Gewissheit, dass sie dauernd und auch im Falle
von Arbeitsunfähigkeit oder Krankheit beschäftigt sein werde. Damit stellt
indessen das Obergericht zu hohe Anforderungen an die Dauerhaftigkeit der
Veränderung der Einkommensverhältnisse, wie sie vorstehend in Auslegung
des Art. 153 Abs. 2 ZGB gefordert worden ist. Wenn die Beklagte vom
1. Januar 1969 an zeitweise ganztägig, d.h. in vermehrtem Masse als
früher, tätig sein konnte, darf sowohl angesichts ihres Alters (48 Jahre)
als auch angesichts ihrer persönlichen Verhältnisse (der älteste Sohn ist
volljährig, die Tochter geht in die Lehre, und der jüngste, 13-jährige Sohn
ist zwar geistig etwas zurückgeblieben, kann aber gleichwohl eine Schule
besuchen) und angesichts der Arbeitsmarktlage angenommen werden, dass sie
auch in Zukunft in diesem vermehrten Umfange dem Erwerb werde nachgehen
können. Wohl besteht wie bei allen Erwerbstätigen theoretisch jederzeit die
Gefahr einer krankheits- oder unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit. Konkrete
Anhaltspunkte dafür, dass sich diese Gefahr bei der Beklagten in naher
Zukunft verwirklichen werde (z.B. infolge angegriffener Gesundheit oder
vorhandener Krankheitsdisposition), bestehen indessen nicht. Unter diesen
Umständen muss die Erhöhung des monatlichen Einkommens um ca. Fr. 240.--
nach menschlichem Ermessen als dauernd betrachtet werden. Es bleibt
demnach lediglich zu prüfen, ob eine solche Erhöhung auch eine wesentliche
Veränderung der Verhältnisse darstelle.

Erwägung 5

    5.- a) Im Scheidungsurteil sind die Ansprüche der geschiedenen Frau
nach Möglichkeit endgültig und dauernd festzulegen. Dementsprechend
sind bei der Bemessung der Unterhaltsbeiträge gewöhnlich nicht nur
diejenigen Verhältnisse zu berücksichtigen, die zur Zeit der Scheidung
gerade bestehen, sondern auch diejenigen, die sich voraussichtlich in
naher Zukunft mit grosser Wahrscheinlichkeit verwirklichen werden. Eine
wesentliche Veränderung in den Verhältnissen des anspruchsberechtigten
Ehegatten kann deshalb in der Regel nur angenommen werden, wenn
Ereignisse vorliegen, die bei der Scheidung weder bestanden haben
noch mit Bestimmtheit vorauszusehen waren (WÄSCH, Die Abänderung von
Scheidungsurteilen nach Art. 153 ZGB, Diss. Bern 1950, S. 51 f.). Eine
Erhöhung des Einkommens des Anspruchsberechtigten im Rahmen der allgemeinen
Teuerung und der üblichen Verbesserung der Reallöhne bedeutet daher noch
keine erhebliche Abnahme der Bedürftigkeit.

    Im vorliegenden Falle nun wusste der Kläger beim Abschluss des
Vergleichs, dass die Beklagte im März 1968 Fr. 405.-- verdient hatte,
und nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz rechnete er damals
bereits damit, dass sie "in Kürze mindestens Fr. 850.--" werde verdienen
können. Wenn er trotzdem vergleichsweise der Beklagten für die folgenden
zehn Jahre monatlich Fr. 300.-- offerierte, so ist anzunehmen, dass er
bereit war, auch dann diese Beträge zu entrichten, wenn die Beklagte
"in Kürze" mehr als Fr. 400.-- verdienen sollte. Wenn die Vorinstanz
unter diesen Umständen die nun eingetretene Erhöhung des Einkommens
von ca. Fr. 240.-- noch nicht als wesentliche Veränderung betrachtete,
so kann darin keine Verletzung von Bundesrecht erblickt werden, zumal
wenn mitberücksichtigt wird, dass seit dem Abschluss des Vergleiches vom
7. Juni 1968 auch die Teuerung fortgeschritten ist.

    b) Die Bedürftigkeitsrente dient grundsätzlich zur Deckung des
Notbedarfs, für dessen Ermittlung das betreibungsrechtliche Existenzminimum
gewisse Anhaltspunkte bieten kann. Lebt der Pflichtige in guten
finanziellen Verhältnissen, so darf - nicht zuletzt auch mit Rücksicht
auf die ständig fortschreitende Geldentwertung - aus Billigkeitsgründen
der Ehefrau auch eine Rente zugesprochen werden, die mehr als nur das
betreibungsrechtliche Existenzminimum zu decken vermag (HINDERLING,
3. Aufl., S. 133). Was aber für die erstmalige Festsetzung der Rentenhöhe
gilt, gilt sinngemäss auch für die Herabsetzung der Rente. Eine solche
hat nicht immer schon zu erfolgen, wenn die Bedürftigkeitsrente und die
Einkünfte der Ehefrau deren Existenzminimum übersteigen, sondern die
Rente hat angemessen zu bleiben. Es ist auf die konkreten Verhältnisse
des einzelnen Falles abzustellen.

    Nach dem bezirksgerichtlichen Entscheid beläuft sich das
Existenzminimum der Beklagten auf Fr. 1120.--. Davon ist jedoch die
Kinderzulage von Fr. 140.-- für die Tochter abzuziehen, die nach den
Feststellungen des Bezirksgerichtes seit 1. Dezember 1969 monatlich
Fr. 700.-- verdient, also voll erwerbsfähig und inzwischen auch 18 Jahre
alt geworden ist, so dass der Kläger für sie gemäss dem Scheidungsurteil
keine Beiträge mehr leisten muss. Das Existenzminimum der Beklagten zur
Zeit des vorinstanzlichen Urteils muss deshalb mit Fr. 980.-- in Rechnung
gestellt werden. Auf der andern Seite betragen ihre monatlichen Einkünfte
gegenwärtig Fr. 1190.-- (Fr. 640.-- aus Erwerbseinkommen, Fr. 400.--
und Fr. 150.-- aus Unterhaltsbeiträgen für sich bzw. ihren jüngsten
Sohn), zuzüglich der Kinderzulagen von Fr. 35.-. Das sind Fr. 210.--
bzw. Fr. 245.-- mehr als das Existenzminimum. Das liegt im Rahmen dessen,
was der Kläger der Beklagten selbst zuzubilligen gewillt ist. In seiner
Berufung führt er nämlich aus, er sei bereit, der Beklagten weiterhin
eine Rente von Fr. 200.-- zu entrichten, obwohl sie ihren Notbedarf
praktisch mit ihrem eigenen Verdienst zu decken vermöge. Damit bringt er
aber zum Ausdruck, dass er grundsätzlich einverstanden ist, der Beklagten
über das Existenzminimum hinaus Fr. 200.-- zu bezahlen. Es kann schon
deshalb nicht gesagt werden, die von der Vorinstanz getroffene Regelung
entspreche nicht mehr der heutigen Lage und die Beibehaltung der bisherigen
Unterhaltsbeiträge verletze Bundesrecht.

    Auch unter dem Gesichtspunkt der Vermögensverhältnisse des Pflichtigen
drängt sich keine Herabsetzung der Bedürftig keitsrente auf...

    d) Schliesslich billigte die Vorinstanz der Beklagten zu, dass sie
bescheidene Einkommenserhöhungen als Rücklage für weniger günstige Zeiten
verwenden dürfe. Inwiefern sie damit Bundesrecht verletzt haben sollte,
wie der Kläger behauptet, ist nicht ersichtlich. Gesteht man der Beklagten
eine etwas über dem Existenzminimum liegende Bedürftigkeitsrente zu,
was nach den gemachten Ausführungen zulässig ist und auch dem Willen
des Klägers entspricht, und gibt sich die Beklagte trotzdem mit einer
bescheidenen Lebensführung zufrieden, so muss es ihr frei stehen, die
nicht für den Unterhalt verwendeten Mittel als Rücklage für spätere
Zeiten zu verwenden. Die Berufung ist auch in diesem Punkte unbegründet
und abzuweisen.