Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 96 III 100



96 III 100

17. Entscheid vom 28. August 1970 i.S. Aeschimann Regeste

    Die Beschwerde (Art. 17 SchKG) einer Organisation, die als einfache
Gesellschaft nicht partei- und prozessfähig ist, ist unwirksam (Erw. 1).

    Beschlüsse der I. Gläubigerversammlung (Art. 238 SchKG) im Konkurs
einer Aktiengesellschaft, die der einzige Verwaltungsrat und Alleinaktionär
der Gemeinschuldnerin mit Hilfe von durch irreführende Angaben erlangten
Vertretungsvollmachten zahlreicher Gläubiger durchgesetzt hat, sind als
nichtig von Amtes wegen aufzuheben, es wäre denn, dass die beschlossenen
Anordnungen nicht mehr rückgängig gemacht oder berichtigt werden können
(Art. 13 und 21 SchKG).

Sachverhalt

    A.- Im Konkurs der Tuchfabrik Escholzmatt AG richtete Paul
Äschimann, der einziges Mitglied der Verwaltung und nach seiner
eigenen Darstellung "praktisch" Alleinaktionär der Gemeinschuldnerin
ist und selbst eine grössere Forderung angemeldet hatte, am 21. April
1970 an die Konkursgläubiger ein Rundschreiben, worin er Angaben über
die Lage der Gemeinschuldnerin machte und den Gläubigern mitteilte,
er werde an der gemäss Ausschreibung vom 18. April 1970 am 27. April
1970 stattfindenden ersten Gläubigerversammlung 1. die Wahl einer
andern (ausseramtlichen) Konkursverwaltung, 2. die Ermächtigung zur
Fortsetzung des Geschäftsbetriebs der Gemeinschuldnerin und 3. die
Kenntnisnahme vom vorläufigen Antrag der Gemeinschuldnerin auf Abschluss
eines Nachlassvertrags vorschlagen. Zu Ziffer 1 bemerkte er u.a., die
bisherige Konkursverwaltung sei ungeeignet und "von der Doppelfunktion
Konkursverwalter/Gerichtsschreiber her untragbar und unzumutbar". Der
vorletzte Absatz des Rundschreibens lautet:

    "Damit an der so kurzfristig einberufenen 1. Gläubigerversammlung das
nach Art. 235 Abs. 3 SchKG erforderliche Quorum erreicht wird, bitten wir
Sie, auch in Ihrem eigenen Interesse, an dieser 1. Gläubigerversammlung ...
unbedingt teilzunehmen. Falls Ihnen dies wider Erwarten nicht möglich ist,
Sie den obigen 3 Anträgen aber zustimmen, bitten wir Sie, Ihre Vertretung
umgehend gemäss beiliegender Vertretungs-Erklärung an uns zu delegieren."

    Dem Rundschreiben lag eine "Vertretungs-Erklärung" folgenden Inhalts
bei:

    "Gemäss Art. 235 Abs. 3 SchKG erklärt der untenstehende Gläubiger
der Gemeinschuldnerin Tuchfabrik Escholzmatt AG, dass er sich mit einer
Forderungssumme von Fr. an der 1. Gläubigerversammlung vom Montag, den
27. April 1970 in Escholzmatt LU durch Herrn Paul Aeschimann, Feldmoos,
6182 Escholzmatt vertreten lässt und seinen ihm bekannten Anträgen
zustimmt.

    Ort und Datum Stempel und Unterschrift

    38 Gläubiger unterzeichneten diese Erklärung.

    B.- An der Gläubigerversammlung vom 27. April 1970 waren von
175 bekannten Gläubigern 73 anwesend oder vertreten, wovon 38 durch
Äschimann, so dass dieser zusammen mit seiner eigenen Stimme über 39
Stimmen verfügte (wozu übrigens noch die Stimmen seiner Ehefrau und seiner
Tochter kamen). Verschiedene Teilnehmer an der Verhandlung, u.a. der
Vertreter der "Schweizerischen Inlandwollzentrale", beanstandeten die an
Äschimann erteilten Vollmachten. Der Vorsitzende erklärte, man werde "unter
Vorbehalt der Gültigkeit der Vollmachtstimmen" Äschimanns abstimmen. Die
Versammlung beschloss darauf mit Mehrheiten, die hauptsächlich durch
Äschimann und die von ihm vertretenen Glaübiger gebildet wurden, eine
ausseramtliche Konkursverwaltung einzusetzen, Sachwalter Alfred Bachmann
zum Konkursverwalter zu wählen, einen Gläubigerausschuss einzusetzen,
diesem die Befugnis zur vorzeitigen Verwertung zu verweigern und den
Betrieb der Gemeinschuldnerin "teilweise" fortzusetzen.

    C.- Die Schweizerische Inlandwollzentrale und der Gläubiger Jules
Äberli fochten diese Beschlüsse durch Beschwerden an. Die untere
Aufsichtsbehörde hiess die Beschwerden am 13. Mai 1970 gut und hob die
angefochtenen Beschlüsse auf. Die obere kantonale Aufsichtsbehörde,
an die Äschimann rekurrierte, erkannte am 25. Juni 1970, auf die
Beschwerde Äberlis werde nicht eingetreten; im übrigen werde der Rekurs
abgewiesen. In ihren Erwägungen führte sie im wesentlichen aus, Äberli sei
zur Beschwerdeführung nicht befugt, weil er an der Gläubigerversammlung
nichts unternommen habe, um die angefochtenen Beschlüsse womöglich
zu verhindern; die Schweizerische Inlandwollzentrale sei bloss die
Geschäftsstelle einer aus dem Schweizerischen Schafzuchtverband und
dem Verein Schweizerischer Wollindustrieller bestehenden einfachen
Gesellschaft; daher sei sie nicht parteifähig; es stehe aber ausser
Frage, dass die beiden erwähnten Gesellschafter Gläubiger seien; die
Parteibezeichnung sei daher in dem Sinne zu berichtigen, "dass als
Beschwerdeführer bzw. Rekursgegner der Schweizerische Schafzuchtverband
und der Verein Schweizerischer Wollindustrieller, bildend die einfache
Gesellschaft 'Schweizerische Inlandwollzentrale', anzuschreiben sind";
es könne sich fragen, ob die an Äschimann erteilten Vollmachten
wegen unzulässiger Doppelvertretung oder wegen Erschleichung (weil
das Zirkular vom 21. April 1970 den Sachverhalt entstelle) unwirksam
seien; diese Frage könne jedoch offen bleiben; ein "Stimmenkauf", der die
Bevollmächtigung ungültig mache, liege nämlich nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichts schon dann vor, wenn die Bevollmächtigung zur Vertretung im
Konkursverfahren durch die Zusicherung "besonderer Vorteile" erwirkt werde
(BGE 86 III 100 E. 5 mit Hinweisen); ein solcher Vorteil sei hier darin
zu erblicken, dass Äschimann die Vertretung unentgeltlich übernommen habe
und dass die vertretenen Gläubiger sich den erheblichen Zeitaufwand und
die beträchtlichen Auslagen ersparen konnten, die mit der persönlichen
Teilnahme an der Versammlung in Escholzmatt verbunden gewesen wären.

    D.- Den Entscheid der obern kantonalen Aufsichtsbehörde hat Äschimann
an das Bundesgericht weitergezogen mit dem Antrag, auf die Beschwerde
sei nicht einzutreten; eventuell sei sie abzuweisen.

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Als einfache Gesellschaft oder Geschäftsstelle einer solchen
besitzt die Schweizerische Inlandwollzentrale keine Rechtspersönlichkeit
und ist sie nicht partei- und prozessfähig. Der Mangel, welcher ihrer
Beschwerde deshalb anhaftet, lässt sich entgegen der Auffassung der
Vorinstanz nicht dadurch heilen, dass an ihrer Stelle kurzerhand die beiden
in ihr zusammengeschlossenen Verbände als Beschwerdeführer bezeichnet
werden. Es ist nicht dargetan, dass diese Verbände selbst Beschwerde führen
wollten und den Auftrag hiezu erteilten. Die Beschwerde der Schweizerischen
Inlandwollzentrale ist daher unwirksam. Die Vorinstanzen hätten darauf
nicht eintreten sollen.

    Ob die Vorinstanz dem Beschwerdeführer Äberli die
Beschwerdelegitimation zu Recht abgesprochen habe oder ob Äberli
von der ihm einzig möglichen Vorkehr, die Gültigkeit der Äschimann
erteilten Vollmachten auch seinerseits zu bestreiten, absehen durfte,
nachdem der Vorsitzende erklärt hatte, die Abstimmungen würden "unter
Vorbehalt der Gültigkeit der Vollmachtstimmen" durchgeführt, ist nicht zu
prüfen. Der Entscheid der Vorinstanz, auf die Beschwerde Äberlis werde
nicht eingetreten, ist nämlich rechtskräftig geworden, da Äberli ihn
nicht weitergezogen hat.

    Unter diesen Umständen lässt sich der Entscheid der Vorinstanz,
soweit dadurch der Rekurs Äschimanns abgewiesen und die von der untern
Aufsichtsbehörde ausgesprochene Aufhebung der Beschlüsse der ersten
Gläubigerversammlung bestätigt wurde, nur aufrechterhalten, wenn diese
Beschlüsse sich als schlechthin nichtig erweisen und daher von Amtes
wegen aufzuheben waren.

Erwägung 2

    2.- Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine Anordnung der
Vollstreckungsorgane nichtig, wenn sie gegen eine Vorschrift verstösst,
die im öffentlichen Interesse oder im Interesse eines unbestimmten Kreises
Dritter aufgestellt und daher zwingend ist (BGE 93 III 87 mit Hinweisen).

    a) Es kann bezweifelt werden, ob Äschimann den von ihm
vertretenen Gläubigern damit, dass er ihre Vertretung in der ersten
Gläubigerversammlung (nicht im ganzen Konkursverfahren) unentgeltlich
übernahm und ihnen den Zeitaufwand und die Auslagen für eine persönliche
Teilnahme an der Gläubigerversammlung ersparte, einen "besondern
Vorteil" im Sinne der Rechtsprechung (BGE 86 III 100 E. 5 mit Hinweisen)
zusicherte und sich damit des "Stimmenkaufs" schuldig machte, und es ist
erst recht zweifelhaft, ob die Gläubigerbeschlüsse, die Äschimann dank
den ihm erteilten Vollmachten durchsetzen konnte, wegen des angeführten
Sachverhalts nicht bloss durch Beschwerde anfechtbar, sondern geradezu
nichtig seien. Diese Frage kann jedoch offen bleiben, da diese Beschlüsse
aus einem andern Grunde nichtig sind.

    b) Es ist eine Grundtendenz des Konkursrechts, die Interessen der
Gläubiger einerseits und jene des Gemeinschuldners anderseits klar
auseinanderzuhalten und die verschiedenen Beteiligten in den Stand zu
setzen, ihre oft gegensätzlichen Interessen auf Grund einer objektiven
Orientierung über die für ihre Entschlussbildung massgebenden Tatsachen
wahrnehmen zu können. Hiefür zu sorgen, ist nicht nur mit Rücksicht
auf die am Konkursverfahren beteiligten Personen geboten, was nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts für sich allein nicht genügen würde,
um das Gebot als zwingend erscheinen zu lassen (BGE 93 III 87, 88 III 80,
86 III 23/24, 79 III 9, 12). Vielmehr ist an einer saubern Durchführung
des Konkursverfahrens auch die Öffentlichkeit interessiert. Die durch
unlautere Machenschaften herbeigeführten Verfügungen und Beschlüsse von
Konkursorganen sind also jedenfalls dann, wenn es sich um einen schweren
Verstoss gegen das erwähnte Gebot handelt, als schlechthin nichtig zu
betrachten und von den Aufsichtsbehörden ohne Rücksicht darauf, ob sie
von einer hiezu befugten Person durch rechtzeitige Beschwerde angefochten
wurden oder nicht, von Amtes wegen aufzuheben, es wäre denn, die in Frage
stehende Anordnung könne nicht mehr rückgängig gemacht oder berichtigt
werden (vgl. zum letzten Punkte BGE 94 III 71 Mitte).

    Obschon Äschimann im Konkurs der Tuchfabrik Escholzmatt AG auch
selbst eine Forderung angemeldet hat, kommt ihm in diesem Konkurs in
seiner Eigenschaft als einziges Mitglied der Verwaltung und als praktisch
alleiniger Aktionär doch in erster Linie die Rolle eines Vertreters der
Gemeinschuldnerin zu. Seine Bevollmächtigung zur Vertretung von Gläubigern
an der ersten Gläubigerversammlung bedeutete also in Wirklichkeit,
dass die Gemeinschuldnerin mit der Vertretung von Gläubigern betraut
wurde. Äschimann und mit ihm die Gemeinschuldnerin erhielten durch die
Erteilung von 38 Vollmachten in der Gläubigerversammlung eine beherrschende
Stellung. Dadurch wurde eine schwere Interessenkollision geschaffen. Die
Übernahme dieser Doppelfunktion durch Äschimann begründete die Gefahr einer
einseitigen Beeinflussung des Verfahrensganges und stellte eine saubere
Durchführung des Konkurses in Frage. Diese Gefahren wurden dadurch, dass
die Vollmachtgeber den Hauptanträgen Äschimanns zum voraus zustimmten,
nicht beseitigt. Sie waren um so grösser, als Äschimann die Vollmachten
nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz durch irreführende
Angaben erlangt hatte. Was Äschimann gegen diese Feststellungen einwendet,
ist im wesentlichen eine Kritik an der Beweiswürdigung der Vorinstanz,
die im Rekursverfahren vor Bundesgericht nicht zu hören ist. Auf Grund
ihrer tatsächlichen Feststellungen hat die Vorinstanz überzeugend
dargelegt, dass die Angaben Äschimanns im Zirkular vom 21. April 1970
den wahren Sachverhalt in wesentlichen Punkten entstellten. Die mit
Hilfe der Vollmachtstimmen Äschimanns herbeigeführten Beschlüsse der
ersten Gläubigerversammlung verdienen daher, als nichtig erklärt zu
werden. Durch diese Beschlüsse wurde nicht etwa eine Lage geschaffen,
an der nichts mehr geändert werden könnte.