Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 I 26



95 I 26

5. Auszug aus dem Urteil vom 2. April 1969 i.S. Erben Bosshardt gegen
Kantone Graubünden und St. Gallen. Regeste

    Beteiligung an einer Mieter-Aktiengesellschaft.

    Auch bei Mieter-Aktiengesellschaften mit Sitz am Ort der Liegenschaft
kommt dem Sitzkanton nur die Steuerhoheit über die Gesellschaft zu. Die
Aktien und ihre Erträgnisse sind im Kanton des Wohnsitzes der Aktionäre
zu besteuern.

    War der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes an einer Liegenschaft
über eine Mieter-AG berechtigt, dann darf der entsprechende Teil des
Nachlasses nur am Ort des letzten Wohnsitzes des Erblassers besteuert
werden. Dies gilt (Steuerumgehung vorbehalten) selbst dann, wenn die
Gesellschaft in jenem Zeitpunkt schon beschlossen hat, ihr Grundeigentum
in das Miteigentum der Aktionäre übergehen zu lassen.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Die Alpha-Appartement AG mit Sitz in Davos stellte für ihre
Aktionäre Ferienwohnungen bereit. Gemäss Vertrag vom 8. März 1963 kaufte
Rudolf Bosshardt sen., St. Gallen, von der Normabau AG in Hergiswil 23
Aktien der Alpha-Appartement AG zum Preise von Fr. 23'000.--. Gleichzeitig
gewährte er der Normabau AG ein Darlehen von Fr. 91'500.--, um ihr die
Restfinanzierung gegenüber der Alpha-Appartement AG zu ermöglichen;
an die Stelle dieser Forderung trat später eine direkte Forderung von
Rudolf Bosshardt sen. gegen die Alpha-Appartement AG. Auf Grund des
erwähnten Vertrages erhielt Rudolf Bosshardt das Recht, im Haus VIII/4
(Block B) in Davos eine 2 1/2- Zimmer-Wohnung mit Garage zu beziehen. §
20 des Vertrages sieht vor, bei Einführung des Stockwerk eigentums sei
der Vertrag sinngemäss den neuen gesetzlichen Bestimmungen anzupassen.

    Am 11. März 1967 fand eine ausserordentliche Generalver sammlung
der Alpha-Appartement AG statt, an der Rudolf Bosshardt sen. nicht
teilnahm. Als Traktanden waren angekündigt:

    "1. Protokoll der 5. ordentlichen Generalversammlung vom 17. September
1966.

    2. Genehmigung des Steuermodus bis 31. Dezember 1966 betr. Alpha
Appartement AG und Verteilung der anfallenden Steuerlasten gemäss Antrag
der Kontrollstelle.

    3. Einführung des Stockwerkeigentums per 1. Januar 1967.

    a) Reglementsentwurf für die Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer des
Alpha Hauses in Davos-Platz, Grundstück Nr. 4899, GB Davos, mit Nachträgen
vom 21. und 28. Feb. 1967.

    b) Genehmigung Planunterlagen.

    4. Diverses und Umfrage".

    Zu Traktandum 2 enthält das Protokoll folgende Ausführungen:

    "Genehmigung des Steuermodus bis 31. Dezember 1966 betr. Alpha
Appartement AG und Verteilung der anfallenden Steuerlasten gemäss Antrag
der Kontrollstelle:

    Mit eingeschriebenem Brief vom 8. Dezember 1966 ist den Aktionären
ein Exposé der Curia Treuhand AG, Chur, über die Besteuerung der Alpha
Appartement AG bis 31. Dezember 1966 bzw. eine Aufstellung mit der
Zulastung des Steueraufwandes auf die einzelnen Aktionäre zugestellt
worden.

    Der Präsident erläutert die getroffene Regelung, die für den einzelnen
Aktionär als günstig bezeichnet werden darf.

    Obwohl der Entscheid in die Kompetenz des Verwaltungsrates fallen
würde, überlässt er ihn den Aktionären.

    Schwierigkeiten ergaben sich bei einzelnen Schweizer Aktionären
infolge Doppelbesteuerung. Im Auftrag des Verwaltungsrates hat die Curia
Treuhand AG bei den ausserkantonalen Steuerverwaltungen u.W. erfolgreich
interveniert.

    Ab 1. Januar 1967 werden die Aktionäre bzw. Stockwerkeigentümer
einzeln besteuert. Die Kontrollstelle wird im Sinne einer allgemeinen
Richtlinie bei den Steuerbehörden für eine einheitliche Bewertung der
Steuerwerte eintreten.

    Die zur Diskussion gestellte Steuerregelung bis 31. 12.1966 wird
abschliessend einstimmig genehmigt".

    An der Generalversammlung wurden im weiteren eine "Erklärung auf
Begründung von Stockwerkeigentum" und ein "Reglement für die Gemeinschaft
der Stockwerkeigentümer" durchberaten. Über das weitere Vorgehen erklärte
der Präsident des Verwaltungsrates was folgt:

    "Der Verwaltungsrat wird beim Grundbuchamt Davos die notwendigen
Eintragungen anmelden. Sobald diese vom Grundbuchamt vollzogen sind,
wird allen Aktionären offeriert, ihre Stockwerkeinheiten zu beziehen. Die
Aktien und die Aktionär-Darlehen werden daraufhin abgeschrieben. Der
Verwaltungsrat wird, sobald eine Mehrzahl der Aktionäre Stockwerkeigentum
bezogen hat, zurücktreten; gleichzeitig schlägt er der Versammlung der
Stockwerkeigentümer den zu wählenden Verwalter vor".

    In der Folge wurde Rudolf Bosshardt eine Eigentumswohnung
offeriert. Ein Vertrag kamjedoch nicht mehr zustande, da Rudolf
Bosshardt sen. am 18. Oktober 1967 starb. Mit Erbteilungsvereinbarung
vom 18. November 1967 traten die Erben von Rudolf Bosshardt sen. die
23 Namensaktien und das Darlehensguthaben von Fr. 91'500.-- gegenüber
der Alpha-Appartement AG an Rudolf Bosshardt jun., Birmensdorf, ab. Am
7. Dezember 1967 erfolgte die Übertragung von 23/1000 Miteigentumsanteil
an Parzelle 4899 zu Stockwerkeigentum an Rudolf Bosshardt jun.

    B.- Am 10. Januar 1968 stellte die Steuerverwaltung des Kantons
St. Gallen, dem Ort des letztenWohnsitzes von Rudolf Bosshardt
sen., der Erbengemeinschaft des Verstorbenen die "Erbschafts- und
Vermächtnissteuer"-Rechnung zu. Im entsprechenden Vermögensstatus waren
auch die 23 Alpha-Aktien und das Darlehen von Fr. 91'500.-- enthalten. Die
Steuerrechnung wurde Ende Januar 1968 bezahlt.

    Mit Schreiben vom 1. Februar 1968 forderte die Steuerverwaltung
des Kantons Graubünden die Erben Bosshardt auf, eine Steuerklärung
einzureichen. Sie nimmt an, die Erben seien für die Wohnung des Erblassers
im Appartementhaus "Alpha", Davos, erbschaftssteuerpflichtig. Nachdem die
Erbengemeinschaft es abgelehnt hatte, eine Steuererklärung einzureichen,
bestätigte die bündnerische Steuerbehörde ihre Ansicht mit einer Verfügung
vom 18. April 1968.

    C.- Auf Doppelbesteuerungsbeschwerde der Erben Bosshardt hin hebt
das Bundesgericht die Verfügung der Bündner Steuerverwaltung auf.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach ständiger Rechtsprechung sind Erbschaftssteuern vom
beweglichen Vermögen im Kanton des letzten Wohnsitzes des Erblassers,
diejenige von Liegenschaften im Kanton der gelegenen Sache zu erheben
(BGE 73 I 17/8 Erw. 4 mit Hinweisen, LOCHER, das interkantonale
Doppelbesteuerungsrecht, § 7 II Nr. 5). Der Kanton Graubünden darf den
auf die Beteiligung an der Alpha-Appartement AG entfallenden Teil des
Nachlasses somit nur besteuern, wenn Rudolf Bosshardt sen. im Zeitpunkt
seines Todes auf Grund jener Beteiligung dingliche Rechte am Alpha-Haus
zustanden.

    Es ist unbestritten, dass der Erblasser noch kein Stockwerkeigentum
erworben hatte, also auch auf die Erben nur das Eigentum an den Aktien
und das Forderungsrecht aus dem Darlehen, nicht aber Grundeigentum
überging. Trotzdem glaubt der Kanton Graubünden, im vorliegenden Fall
die entsprechenden Vermögenswerte mit einer Nachlasssteuer belegen
zu dürfen. Er macht einmal geltend, wirtschaftlich habe zur Zeit des
Todes Bosshardt's bereits Stockwerkeigentum bestanden. Die Aktionäre
hätten an der Generalversammlung vom 11. März 1967 beschlossen, sich
ab 1. Januar 1967 als Stockwerkeigentümer besteuern zu lassen. Dieser
Beschluss binde auch die damals nicht anwesenden Aktionäre. Rudolf
Bosshardt sen. sei zwar nicht gezwungen gewesen, einen Miteigentumsanteil
zu übernehmen. Andernfalls wäre ihm bzw. seinen Erben aber nur die
Möglichkeit geblieben, einen Liquidationserlös in Empfang zu nehmen. Die
wirtschaftliche Betrachtungsweise sei der zivilrechtlichen unter diesen
Umständen vorzuziehen.

    In seiner zweiten Vernehmlassung legt der Kanton Graubünden
das Gewicht dann weit mehr auf die grundsätzliche Frage, ob der
Liegenschaftskanton bei sog. Mieter-Aktiengesellschaften auch Aktien und
deren Erträgnisse besteuern dürfe. Wenn man bei derartigen Gesellschaften
dem Liegenschaftskanton den "Durchgriff" auf die einzelnen Aktionäre
gestatte, könne der betreffende Kanton erheblich höhere Einnahmen erzielen;
dies sei gerade für "Ferien-Kantone" von grösster Bedeutung. Je nach dem
Ausgang des vorliegenden Rechtsstreites stehe im Kanton Graubünden ein
Betrag von jährlich Fr. 200'000.-- kantonaler Steuern und solcher der
Gemeinden Davos, St. Moritz, Arosa und Flims auf dem Spiele.

    Eine Immobilien-Aktiengesellschaft mit Sitz am Standort der
Liegenschaft ist im Liegenschaftskanton steuerpflichtig; die einzelnen
Aktien und ihre Erträgnisse hingegen sind von den Aktionären in deren
Wohnortskanton zu versteuern. An diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung
bisher stets festgehalten. Sie liess höchstens insofern eine gewisse
Einschränkung zu, als Liegenschaftsgewinne, die durch den Verkauf
sämtlicher Aktien einer Immobilien-Aktiengesellschaft entstehen,
dem Liegenschaftskanton zur Besteuerung zugewiesen wurden (BGE 85
I 96 Erw. 2 und 3, 91 I 470 ff.). Hier geht es jedoch nicht um die
Besteuerung eines Liegenschaftsgewinnes. Vielmehr frägt es sich, ob bei
sog. Mieter-Aktiengesellschaften - die u.a. aus steuerrechtlichen Gründen
zum Teil nach Einführung des Stockwerkeigentums weiter bestehen bleiben
- auf die selbständige Besteuerung der Immobilien-Aktiengesellschaft
verzichtet werden soll. Nur wenn diese Frage verneintwird, ist ferner zu
prüfen, ob im vorliegenden Fall angesichts des schon weit fortgeschrittenen
Stadiums der Umwandlung des Grundeigentums der Aktiengesellschaft in
Miteigentum der Aktionäre ein Steuerdomizil der Beschwerdeführer im Kanton
Graubünden zu bejahen ist.

Erwägung 3

    3.- Das Bundesgericht hat auch bei der
Einmann-Immobilien-Aktiengesellschaft bisher an der selbständigen
Besteuerung der Gesellschaft festgehalten (vgl. die oben zitierten
Entscheide). Der gleiche Grundsatz muss bei Mieter-Aktiengesellschaften
gelten, haben doch Mieter-Aktionäre jedenfalls keine stärkere Stellung
als der Alleinaktionär einer Immobilien-Aktiengesellschaft. Die
Auffassung des Kantons Graubünden hätte zur Folge, dass das gesamte
Steuerstatut der Immobilien-Aktiengesellschaft hinsichtlich der
interkantonalen Steuerausscheidung zu ändern wäre. Dies wäre
wohl eine der weittragendsten Änderungen der Rechtsprechung des
Bundesgerichtes auf dem Gebiet von Art. 46 Abs. 2 BV; denn die Zahl
der Einmann-Immobilien-Aktiengesellschaften ist sehr gross. Liesse
die Rechtsprechung bei den Einmann-Immobilien-Aktiengesellschaften den
Durchgriff auf die Aktionäre zu, indem sie ein sekundäres Steuerdomizil
des Liegenschaftskantons zur Besteuerung der Aktien einer solchen
Aktiengesellschaft anerkennte, so stellte sich zudem sogleich die
Frage, wie es sich mit Aktiengesellschaften verhält, die nicht
im ausschliesslichen Eigentum eines Aktionäres stehen. Für die von
Graubünden gewünschte Änderung der Rechtsprechung müssten demnach ganz
schwerwiegende Gründe ins Feld geführt werden können; die Nachteile der
geltenden Praxis für alle Kantone müssten offensichtlich sein. Solche
Nachteile vermag jedoch der Kanton Graubünden nicht aufzuzeigen. Er bringt
zur Hauptsache vor, es wäre für ihn als "Ferien-Kanton" günstiger, wenn bei
den Mieter-Aktiengesellschaften auf die Aktionäre "durchgegriffen" werden
könnte. Das ist jedoch eine einseitig fiskalpolitische Überlegung. Die
heute in der grossen Mehrheit der Kantone geltende Ordnung, wonach bei
Einmann-Immobilien-Gesellschaften und bei Mieter-Aktiengesellschaften
dem Liegenschaftskanton stets die Aktiengesellschaft, dem Wohnsitzkanton
der Aktionäre die Aktien zur Besteuerung zugewiesen werden (Fälle der
offensichtlichen Steuerumgehung vorbehalten), hat den grossen Vorteil
der Systemgerechtigkeit und damit der Schaffung klarer Verhältnisse. Die
Steuereinnahmen von Wohnsitzkanton und Liegenschaftskanton zusammen
sind dabei jedenfalls nicht geringer, wie wenn unter sonst gleichen
Umständen die Aktiengesellschaft nicht mehr besteuert würde und der
Liegenschaftskanton ausschliesslich den Aktionär für die Liegenschaft
und deren Ertrag besteuern könnte. Wer das Nutzungsrecht an einem Haus
oder an einer Wohnung über eine Immobilien-Aktiengesellschaft ausübt, muss
sich als Steuerpflichtiger mit der Doppelbelastung AG - Aktionär abfinden;
somit haben auch die beteiligten Kantone eine entsprechende Aufteilung der
Steuereinnahmen hinzunehmen und zwar selbst dann, wenn diese Aufteilung
für sie in irgendeiner Beziehung Nachteile mit sich bringen sollte.

    Es trifft zu, dass der Nutzniesser an unbeweglichem Vermögen das
Nutzniessungsrecht im Liegenschaftskanton zu versteuern hat (BGE 8, 22; 12,
252; LOCHER, aaO § 7 I C Nr. 1). Im Gegensatz zum Mieter-Aktionär besitzt
indessen der Nutzniesser ein dingliches Recht an der Liegenschaft. Den
grundsätzlichen Überlegungen des Kantons Graubünden hinsichtlich der
Besteuerung der Mieter-Aktionäre kann aus diesen Gründen nicht gefolgt
werden.

Erwägung 4

    4.- Es besteht aber auch kein Anlass, im vorliegenden Falle mit
Rücksicht auf die vorgesehene Auflösung der Mieter-Aktiengesellschaft
(Umwandlung ihres Grundeigentums in Stockwerkeigentum) die wirtschaftliche
Betrachtungsweise der zivilrechtlichen vorzuziehen. Entscheidend
ist hiefür, dass zur Zeit des Todes von Rudolf Bosshardt sen. die
Alpha-Appartement AG noch bestand, die Beschwerdeführer somit Eigentum
an den Aktien und nicht Grundeigentum erwarben. Die Steuerhoheit
des Liegenschaftskantons über den Käufer einer Liegenschaft beginnt
nach bisheriger Rechtsprechung mit dem Erwerb des Eigentums (Urteil vom
9. Oktober 1963 i.S. Zürcher gegen Kanton Zug, wiedergegeben im ASA Bd. 33,
S. 61). Ob unter dem "Erwerb" des Eigentums der Übergang von Nutzen und
Gefahr oder derjenige des Eigentums im Grundbuch zu verstehen ist, kann
hier offen bleiben. Weder das eine noch das andere war nämlich im Zeitpunkt
des Todes des Erblassers bereits der Fall. Im Lichte der genannten Praxis
begründet der blosse Beschluss einer Immobilien-Aktiengesellschaft,
ihr Grundeigentum in das Miteigentum der Aktionäre übergehen zu lassen,
jedenfalls noch kein sekundäres Steuerdomizil der Aktionäre.

    Das Grundeigentum der Alpha-Appartement AG wurde unbestrittenermassen
in der üblichen Weise in Stockwerkeigentum umgewandelt. Von einer
Steuerumgehung kann deshalb nicht gesprochen werden. Steht aber
keine Steuerumgehung in Frage, so hält sich die Rechtsprechung in
Doppelbesteuerungsfällen grundsätzlich an die zivilrechtliche Ausgestaltung
der Rechtsverhältnisse und weicht davon in der Regel nicht ab. Dass an der
ausserordentlichen Generalversammlung vom 11. März 1967 eine Besteuerung
der Aktionäre als Miteigentümer der Liegenschaft ab 1. Januar 1967
in Aussicht genommen wurde, ist belanglos. Ein Beschluss war nämlich,
wie sich aus dem Protokoll ergibt, nur hinsichtlich der Steuerregelung
"bis 31. Dezember 1966" gefasst worden.