Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 IV 6



95 IV 6

3. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. April 1969
i.S. P. Zingg und Mitbeteiligte gegen Staatsanwaltschaft des Kantons
Graubünden. Regeste

    1.  Art. 272 Abs. 1 BStP. Die Nichtigkeitsbeschwerde kann schon
auf die Eröffnung des Urteilsspruches hin erklärt werden, auch wenn das
kantonale Recht die Frist dazu erst von der Zustellung der schriftlichen
Urteilsausfertigung an laufen lässt (Erw. I).

    2.  Art. 144 Abs. 1 StGB. Wer ein Auto veruntreut, indem er es
verkauft, erlangt durch die strafbare Handlung den Verkaufserlös, nicht
das Fahrzeug selber.

    Der Dritte, der diesen Erlös verspielen hilft, obschon er um dessen
deliktische Herkunft weiss, macht sich daher wegen Hehlerei strafbar
(Erw. III).

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    I

    Der Urteilsspruch wurde den amtlichen Verteidigern am 12. Juli,
das begründete Urteil am 31. Oktober 1968 zugestellt. Anton und Peter
Zingg erklärten am 22. Juli, Hans Zingg bereits am 19. Juli 1968 die
Nichtigkeitsbeschwerde. Die Vorinstanz bezeichnet diese Erklärungen
als verfrüht und unbeachtlich, weil nach Art. 128 der bündnerischen
Strafprozessordnung (StPO) die Rechtsmittelfristen erst von der Zustellung
des schriftlichen Urteils an zu laufen begännen.

    Nach Art. 272 Abs. 1 BStP muss die Nichtigkeitsbeschwerde innert
zehn Tagen seit der nach dem kantonalen Recht massgebenden Eröffnung
des angefochtenen Entscheides schriftlich erklärt werden. Was unter
der "massgebenden" Eröffnung im Sinne dieser Bestimmung zu verstehen
ist, hängt vom kantonalen Verfahrensrecht ab, auf das das Bundesrecht
verweist. Nach dem kantonalen Recht kann damit aber nur die Eröffnung
des Entscheides gemeint sein, von der an die Fristen für kantonale
Rechtsmittel, insbesondere für die kantonale Kassationsbeschwerde, zu
laufen beginnen. Wenn ein Kanton die Rechtsmittelfristen z.B. bereits von
der mündlichen Verkündung des Urteilsspruches an laufen lässt, stellt diese
Verkündung daher auch die "massgebende" Eröffnung im Sinne von Art. 272
Abs. 1 BStP dar. Davon ist der Kassationshof schon bisher ausgegangen
(BGE 75 IV 142, 86 IV 71, 87 IV 149).

    Im Kanton Graubünden laufen die Rechtsmittelfristen nicht schon
von der (mündlichen oder schriftlichen) Eröffnung des Urteilsspruches,
sondern erst von der Zustellung der schriftlichen Urteilsausfertigung an
(Art. 128 Abs. 2 StPO). Da das schriftlich begründete Urteil den amtlichen
Verteidigern am 30. Oktober 1968 zugestellt wurde, lief daher auch die
Frist für die Erklärung der Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 272 Abs. 1
BStP frühestens von diesem Zeitpunkt an.

    Allein das heisst nur, dass die Erklärungen, um gültig zu sein, innert
dieser Frist eingereicht werden mussten, nicht auch, wie die Vorinstanz
annimmt, dass sie nicht schon auf die Mitteilung des Urteilsspruches
eingereicht werden konnten. Gewiss kann die Nichtigkeitsbeschwerde nicht
in jedem beliebigen Zeitpunkt des Verfahrens, insbesondere nicht schon
vor Fällung des Entscheides erklärt werden. Ist der Entscheid aber einmal
gefällt, so besteht kein sachlicher Grund, eine daraufhin abgegebene
Beschwerdeerklärung als unbeachtlich zu behandeln, dies zumal dann nicht,
wenn der Urteilsspruch, wie es hier geschehen ist, den Parteien amtlich
mitgeteilt wird. Nach Art. 272 Abs. 2 BStP steht dem Beschwerdeführer sogar
frei, die Beschwerde schon vor der Zustellung des schriftlichen Entscheides
zu begründen; erst recht muss daher die Erklärung der Beschwerde schon
vorher möglich sein.

    III

    Der Beschwerdeführer Anton Zingg wirkte mit, als Peter und Hans
Zingg im Casino von Divonne das Geld, das Peter aus dem Verkauf des
Personenwagens Bärtsch erlangte, zum grössten Teil verspielten. Er wurde
hiefür wegen Hehlerei verurteilt, weil er nach der Annahme der Vorinstanz
wusste, dass Bärtsch nie seine Einwilligung zum Verkauf des Wagens erteilte
und dass Peter Zingg nicht berechtigt war, den Erlös zum Glücksspiel zu
verwenden. Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, dass die sog. Ersatz-
oder Erlöshehlerei nach ständiger Rechtsprechung nicht strafbar sei; die
hehlerische Tätigkeit müsse sich auf die Sache selbst beziehen. Vortat
sei aber die Veruntreuung des Wagens durch Peter Zingg gewesen. Er, Anton
Zingg, hätte daher nur am Wagen selber, nicht an dessen Erlös Hehlerei
begehen können.

    a) Nach der Rechtsprechung wird in der Tat die Ersatz- oder
Erlöshehlerei von Art. 144 StGB nicht erfasst (BGE 68 IV 138 Nr. 30,
69 IV 71 Erw. 4). Allein veruntreut hat der Vortäter Peter Zingg den
Wagen erst durch den Verkauf. Dass er sich denselben schon vorher durch
irgendeine Handlung angeeignet hätte, wird ihm nicht vorgeworfen. Die
strafbare Handlung bestand also darin, dass er den ihm anvertrauten Wagen
veräusserte, ihn weggab. Dann hat er aber durch seine strafbare Handlung
nicht das Fahrzeug selber, sondern den Verkaufserlös erlangt. Nur wer sich
durch eine strafbare Handlung die Verfügung über die Sache verschafft, sie
z.B. stiehlt oder ertrügt, hat sie im Sinne von Art. 144 StGB erlangt. Das
traf bei Peter Zingg nicht zu; nach dem Verkauf konnte nicht mehr er,
sondern nur noch der Käufer über das Auto verfügen. Was Peter Zingg sich
durch die Veruntreuung verschaffte, war nicht der unrechtmässige Besitz des
Wagens, sondern des Verkaufserlöses. Hehlerei war demnach nicht schon am
Fahrzeug selber, sondern erst am Gelde möglich, das Peter Zingg aus dem
Verkauf des Wagens erlangte. Dieses Geld war folglich auch nicht Erlös
im Sinne der straflosen Ersatzhehlerei, denn unter Erlös in diesem Sinne
ist erst die Gegenleistung zu verstehen, die der Vortäter für die durch
die strafbare Handlung erworbene Sache durch ihre Veräusserung erhält,
so namentlich aus dem Verkauf gestohlener oder ertrogener Sachen erlangtes
Geld und mit gestohlenem oder ertrogenem Geld erworbene Sachen (BGE 68 IV
138 oben, 69 IV 71 Erw. 4; SCHWANDER, Das schweizerische Strafgesetzbuch,
2. Aufl. S. 341 unten).

    Diese Unterscheidung ergibt sich zwangsläufig daraus, dass die
Rechtsprechung im wesentlichen gestützt auf die Gesetzesmaterialien die
Erlöshehlerei nicht unter Art. 144 StGB subsumiert, was, wie SCHWANDER
mit Recht bemerkt, teilweise zu merkwürdigen Ergebnissen führt. Zu
einer weitern Einschränkung der Bestimmung besteht jedoch, vor allem
aus kriminalpolitischen Überlegungen, kein Anlass. Eine Änderung der
Rechtsprechung wäre eher im Sinne einer Ausdehnung von Art. 144 auf die
Erlöshehlerei zu erwägen, die unter Umständen ebenso strafwürdig sein kann.
Der Hehler wird bestraft, weil er den rechtswidrigen Zustand, der durch
die strafbare Handlung geschafft wird, aufrechterhält und sichert. Das ist
aber auch bei der Erlöshehlerei möglich, wenn dadurch die Wiedergutmachung
des Schadens erschwert oder gar vereitelt wird.

    b) Aus dem nicht veröffentlichten Urteil des Kassationshofes
vom 24. Mai 1968 i.S. Wunderlin lässt sich nichts zugunsten des
Beschwerdeführers ableiten. Gewiss wurde dort unter Bezugnahme auf BGE
69 IV 71 und WAIBLINGER, ZStR 1946 S. 265, ausgeführt, dass die Praxis
den Grundsatz, Erlöshehlerei nicht zu bestrafen, nur in einem Falle
durchbreche: Werde Geld gestohlen und gewechselt, so sei auch derjenige
strafbar, der das Wechselgeld in Kenntnis der Vortat erwerbe oder
verheimliche. Das steht der Bestrafung des Beschwerdeführers jedoch nicht
entgegen. Anton Zingg wird nicht bestraft, weil auch die Erlöshehlerei
als strafbar erklärt würde; bestraft wird er vielmehr, weil es sich beim
Gelde, mit dem gespielt wurde, gar nicht um den Erlös aus der strafbar
erlangten Sache, sondern um die Sache selber handelte.

    Freilich hat WAIBLINGER aaO S. 272 die Auffassung vertreten, dass
Geld im Sinne von Art. 144 StBG erworben, als Geschenk empfangen und
verheimlicht werden könne, dass aber das Ausgeben nicht als Absetzen zu
betrachten sei; denn Geld bedürfe des Absetzens grundsätzlich nur dann,
wenn andere als gesetzliche Zahlungsmittel (z.B. ausländisches Geld)
in gesetzliche, oder wenn Noten oder Geldstücke, deren Besitz verdächtig
und für den Vortäter gefährlich wäre, in unverdächtige gewandelt werden
sollen. Der Kassationshof hat diese Auffassung jedoch in BGE 83 IV 149 mit
eingehender Begründung abgelehnt, die auch durch die Replik WAIBLINGERS
in ZBJV 1959 S. 181 nicht widerlegt wird. Entscheidend ist nicht, dass es
zum Absetzen des Geldes im allgemeinen keiner Hilfe bedarf, sondern dass
der Verbrauch des Geldes den Berechtigten an der Wiedererlangung hindert
und derjenige, der beim Verbrauch mitwirkt, zur Hinderung beiträgt. Dass
die Hinderung der Grund des Hehlens sei, ist nicht erforderlich; nach
Art. 144 Abs. 1 StGB genügt, dass der Hehler weiss oder annehmen muss,
die Sache sei durch eine strafbare Handlung erlangt worden. WAIBLINGER
anerkennt in ZStR 1946 S. 272 übrigens selber, dass Absetzen nicht nur
Umwandeln einer Sache in Geld, sondern überhaupt jede wirtschaftliche
Ausnützung ihres Wertes bedeutet. Wenn er zudem aaO 270 sagt, dass sich
das Mitgeniessen durch die strafbare Vortat erlangter Nahrungsmittel
zwangslos dem Begriff des Erwerbens unterstellen lasse, so ist nicht zu
ersehen, wieso das Mitverbrauchen von Geld nicht als Absetzenhelfen gelten
könnte. Gemeinsam ist ja beiden Handlungen, dass sie den Berechtigten
an der Wiedererlangung hindern, weil der durch die Vortat geschaffene
rechtswidrige Zustand aufrechterhalten wird. Darauf kommt es an, nicht
auf die Frage, ob strafbar erlangtes Geld auch ohne Hilfe abgesetzt
werden könne.

    c) Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, beim Spiel mit dem strafbar
erlangten Geld mitgewirkt zu haben, indem er das Legen der Spielmarken
(Jetons) durch Hans Zingg kontrollierte. Das war für sich allein gesehen
nicht viel, reicht zu seiner Bestrafung wegen Hehlerei aber aus, besonders
wenn berücksichtigt wird, dass der Beschwerdeführer nach den Feststellungen
der Vorinstanz beim Verkauf des Wagens mitgeholfen und sich daraufhin
gemeinsam mit Peter und Hans Zingg zum Spiel mit dem Gelde nach Divonne
begeben hat.