Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 IV 42



95 IV 42

11. Auszug aus dem Entscheid der Anklagekammer vom 4. März 1969
i.S. X. gegen Generalprokurator des Kantons Bern und Staatsanwaltschaft
des Kantons Graubünden. Regeste

    Die Art. 136 ff. OG gelten auch für die Revision von
Gerichtsstandsentscheiden der Anklagekammer.

Sachverhalt

    A.- Frau X., die mit Bewilligung des bernischen Richters von
ihrem Ehemann getrennt lebt, stellte gegen diesen am 8. Mai 1968
beim Untersuchungsrichteramt Bern Strafantrag wegen Vernachlässigung
von Unterstützungspflichten, weil er ihr seit Oktober 1967 keine
Unterhaltsbeiträge mehr geleistet habe. Nachdem der Generalprokurator
des Kantons Bern die Zuständigkeit der bernischen Behörden anerkannt
hatte, ersuchte X. die Anklagekammer des Bundesgerichts am 12. August
1968, die Untersuchung den Behörden des "wirklichen Aufenthaltsortes"
der Antragstellerin zu überweisen. Er machte geltend, Frau X. habe
ihren Wohnsitz von Bern nach St. Moritz verlegt, seit sie sich von ihm
getrennt habe.

    B.- Am 4. September 1968 wies die Anklagekammer des Bundesgerichts
das Gesuch ab und erklärte die Behörden des Kantons Bern zuständig, X. zu
verfolgen und zu beurteilen. Die Anklagekammer ging von der Rechtsprechung
aus, wonach die Vernachlässigung von Unterstützungspflichten in der Regel
am Wohnsitz des Unterhaltsberechtigten zu verfolgen ist. Sie nahm an,
Frau X. habe ihren Wohnsitz seit 1964 in Bern und habe ihn auch nicht
aufgegeben, als sie im Winter 1967/68 einige Monate in St. Moritz
arbeitete.

    C.- Mit Eingabe vom 25./28. Februar 1969 beantragt X.  der
Anklagekammer, in Abänderung des Entscheides vom 4. September 1968 die
Behörden des Kantons Graubünden zuständig zu erklären.

    Er macht geltend, sein Anwalt habe sich am 13. November 1968 an die
Gemeindeverwaltung St. Moritz gewandt und am 19. November 1968 die Antwort
erhalten, dass Frau X. seit dem 2. August 1966 mit einem Heimatausweis des
Polizeiinspektorates Bern in St. Moritz angemeldet sei, dort besteuert
werde und bereits Steuern bezahlt habe. Aus dieser Auskunft erhelle,
dass Frau X. in St. Moritz wohnen wolle. Die bernischen Behörden seien
daher zur Beurteilung der Sache nicht zuständig.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

    Der Sinn des vorliegenden Gesuches geht nicht dahin, Frau X. habe
seit der Ausfällung des Entscheides der Anklagekammer vom 4. September
1968 ihren Wohnsitz nach St. Moritz verlegt, sondern der Gesuchsteller
will geltend machen, sie habe den Wohnsitz entgegen der Annahme der
Anklagekammer spätestens am 2. August 1966 dort erworben und seither an
diesem Orte beibehalten. Es handelt sich also nicht um eine Neubestimmung
des Gerichtsstandes wegen veränderter Verhältnisse, entsprechend der
Rechtsprechung, wonach die kantonalen Behörden oder die Anklagekammer des
Bundesgerichtes vom vereinbarten oder festgesetzten Gerichtsstand abweichen
können, wenn neue Tatsachen es aus triftigen Gründen rechtfertigen (BGE
69 IV 46, 71 IV 61, 72 IV 41, 78 IV 206). Vielmehr fragt sich, ob eine
vor dem 4. September 1968 eingetretene Tatsache, die schon im früheren
Verfahren behauptet wurde, aber mangels Beweises nicht berücksichtigt
werden konnte, nunmehr durch die Auskunft der Gemeindeverwaltung von
St. Moritz dargetan sei. Der Gesuchsteller macht also einen Revisionsgrund
im Sinne von Art. 137 lit. b OG geltend.

    Das ist an sich zulässig. Freilich sind gemäss Art. 139 OG
bundesgerichtliche Urteile im Strafpunkt nur nach den Vorschriften des
Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege revidierbar. Auch
enthält dieses Gesetz keine Bestimmungen über die Revision von
Gerichtsstandsentscheiden; die Art. 229 ff. BStP betreffen nur die
Revision von Urteilen der Bundessassisen, der Kriminalkammer und des
Bundesstrafgerichts. Die Entscheide der Anklagekammer sind jedoch keine
Urteile "im Strafpunkt", sondern bloss Vor- oder Zwischenentscheide
darüber, welcher Kanton eine Strafsache zu untersuchen und zu beurteilen
hat. Die Art. 136 ff. OG gelten daher auch für die Revision von
Gerichtsstandsentscheiden der Anklagekammer (Entscheide der Anklagekammer
vom 25. November 1961 und des ausserordentlichen Kassationshofes vom
17. Mai 1962, beide i.S. Steiger).