Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 IV 29



95 IV 29

8. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. Februar 1969
i.S. Wullschleger gegen Polizeirichteramt der Stadt Zürich. Regeste

    1.  Art. 18 Abs. 2 lit. c VRV. Unter Einspurstrecken im Sinne dieser
Bestimmung sind Fahrstreifen zu verstehen, die zum Einspuren bestimmt
und als solche gekennzeichnet sind.

    2.  Art. 53 Abs. 1 SSV. Diese Vorschrift ist zwingend, verpflichtet
folglich die für die Signalisation zuständigen Behörden, die Einspurpfeile
anzubringen.

Sachverhalt

    A.- Die Alfred Escher-Strasse in Zürich weist von der Gotthardstrasse
an bis zur Kreuzung mit der General Wille-Strasse zwei getrennte Fahrbahnen
auf. Die rechte Fahrbahn ist vor der Kreuzung durch Leitlinien in drei
Fahrstreifen unterteilt, wovon der linke nach den auf der Fahrbahn
aufgemalten Pfeilen für die Linksabbieger, der mittlere für die
Geradeausfahrer bestimmt ist; auf dem rechten Fahrstreifen waren im Mai
1967 noch keine Pfeile angebracht.

    Am Vormittag des 30. Mai 1967 liess Hans Wullschleger einen
Personenwagen "Mercedes" während etwa einer Stunde auf dem rechten
Fahrstreifen stehen.

    B.- Der Polizeirichter der Stadt Zürich büsste Wullschleger deswegen
mit Fr. 20.-. Er warf ihm vor, Art. 37 Abs. 2 SVG sowie Art. 18 Abs. 2
lit. c und 19 Abs. 2 lit. a VRV verletzt zu haben.

    Wullschleger verlangte gerichtliche Beurteilung.

    Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich und auf Beschwerde
hin am 7. November 1968 auch das Obergericht des Kantons Zürich bestätigten
seine Verurteilung in Schuld spruch und Strafe.

    C.- Wullschleger führt gegen das Urteil des Obergerichts
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung. Er macht geltend,
er habe aus dem Fehlen der Pfeile auf der rechten Fahrspur schliessen
dürfen, dass das Parkieren am rechten Strassenrand erlaubt sei.

    D.- Der Polizeirichter hält die Beschwerde für unbegründet.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 37 Abs. 2 Satz 1 SVG dürfen Fahrzeuge dort nicht
angehalten oder abgestellt werden, wo sie den Verkehr behindern oder
gefährden könnten. In Art. 18 Abs. 2 lit. c VRV wird dazu insbesondere
ausgeführt, dass das freiwillige Halten auf Einspurstrecken verboten
ist. Das Verbot gilt gemäss Art. 19 Abs. 2 lit. a VRV auch für das
Parkieren.

    Unter Einspurstrecken im Sinne dieser Ausführungsbestimmungen sind
Fahrstreifen zu verstehen, die zum Einspuren bestimmt und als solche
gekennzeichnet sind. Freilich hat der Fahrer auch auf Strassen ohne
besondere Markierung einzuspuren, wenn er nach rechts oder nach links
abbiegen will (Art. 36 Abs. 1 SVG, Art. 13 Abs. 1 VRV). Daraus folgt
jedoch nicht, dass diesfalls das freiwillige Anhalten und Abstellen von
Fahrzeugen auf Strecken, die zum Einspuren benützt werden, ebenfalls
verboten sei. Wollte man das bejahen, so müsste der Fahrer, der auf
solchen Strassen halten oder parkieren will, sich stets in die Lage
eines Einspurenden versetzen. Das wäre schon deshalb zu viel verlangt,
weil die angemessene Einspurstrecke sich nicht zum vorneherein für alle
Fälle in Metern festlegen lässt (BGE 94 IV 123 Erw. 2).

    Das wäre zudem unvereinbar mit Art. 5 Abs. 1 SVG. Nach dieser
Bestimmung müssen Beschränkungen und Anordnungen für den Motorfahrzeug-
und Fahrradverkehr durch Signale oder Markierungen angezeigt werden,
sofern sie nicht für das ganze Gebiet der Schweiz gelten. Für das Gebot,
auf einer bestimmten Bahn einzuspuren und sie zu keinem andern Zwecke
zu benützen, trifft dies nicht zu; es ist deshalb durch Markierung zu
kennzeichnen. Blosse Schlüsse aus andern Beschränkungen oder Anordnungen
vermögen fehlende Signale oder Markierungen nicht zu ersetzen. Das
gilt umsomehr, als ihr Anbringen nunmehr Voraussetzung sowohl für die
Gültigkeit der betreffenden Anordnung oder Beschränkung wie für die
strafrechtliche Verurteilung ist. Art. 5 Abs. 1 SVG hat gegenüber dem
früheren Rechtszustand eine klare Regelung geschaffen (vgl. BGE 80 IV
46; 84 IV 25 und 52 sowie dort angeführte Urteile; ferner SCHULTZ, Die
strafrechtliche Rechtsprechung zum neuen Strassenverkehrsrecht, S. 91).

    Einspurstrecken im Sinne von Art. 18 Abs. 2 lit. c VRV müssen daher
als solche gekennzeichnet sein; sonst greifen die anderen Vorschriften
über das Halten und Parkieren an Strassenverzweigungen Platz. Damit
stimmt überein, dass gemäss Art. 53 Abs. 1 SSV die Fahrstreifen für die
Linksabbieger, Geradeausfahrer und Rechtsabbieger durch Pfeile, die nach
der entsprechenden Richtung gezogen sind, gekennzeichnet werden. Diese
Vorschrift ist zwingend, überlässt es folglich entgegen der Auffassung
des Einzelrichters nicht den für die Signalisation zuständigen Behörden,
ob die Einspurpfeile anzubringen seien oder nicht. Der französische Text
lässt darüber keine Zweifel offen, mögen der deutsche und italienische
auch ungewöhnlich sein.

Erwägung 2

    2.- Es ist unbestritten, dass der rechte Fahrstreifen, auf dem
Wullschleger den Wagen abstellte, keine Pfeile aufwies. Die Tatsache,
dass der Streifen den Rechtsabbiegern vorbehalten war, folglich nicht
zum Parkieren benutzt werden durfte, war somit nicht vorschriftsgemäss
angezeigt. Freilich lag der Schluss auf eine solche Beschränkung nach den
übrigen Umständen nahe; Klarheit bestand jedoch nicht, da das Fehlen der
Pfeile auf dem äussersten Streifen verschieden ausgelegt werden konnte. Die
Vorinstanz ist übrigens selbst nicht anderer Meinung. Sie führt aus, dass
die fehlende Pfeilmarkierung eine Unterlassung der für die Signalisation
zuständigen Behörde darstellte und die Markierung die Sachlage verdeutlicht
hätte. Traf dies aber zu, so darf der Beschwerdeführer nach dem hievor
Gesagten nicht wegen Übertretung von Art. 18 Abs. 2 lit. c und 19 Abs. 2
lit. a VRV bestraft werden.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene
Urteil aufgehoben und die Vorinstanz angewiesen, den Beschwerdeführer
freizusprechen.