Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 IV 162



95 IV 162

41. Urteil des Kassationshofes vom 5. Dezember 1969 i.S.
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau gegen Brunner. Regeste

    Art. 112 StGB. Mord.

    1.  Mit Überlegung oder Vorbedacht kann der Täter selbst dann töten,
wenn er das Verbrechen nicht bis in alle Einzelheiten durchdacht hat
(Erw. 1).

    2.  Überlegungen und Umstände, welche die Gesinnung des Täters als
besonders verwerflich erscheinen lassen (Erw. 2).

    3.  Abwegige Charakteranlagen des Täters, wie Geltungssucht und
Neigung zu Affektstauungen, schliessen seine besonders verwerfliche
Gesinnung und Gefährlichkeit nicht aus (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Der 1941 geborene Gerard Brunner heiratete im Herbst 1965 die etwa
zwei Jahre ältere Ursulina Bolliger. Brunner arbeitete als technischer
Angestellter in einer Maschinenfabrik. Seine Frau war Verkäuferin von
Beruf, den sie auch nach der Heirat ausübte.

    Am Abend des 4. April 1968 hätte Brunner seine Frau mit einem
Personenwagen "Opel-Kadett", den er dafür mietete, von Schaffhausen nach
Basel führen sollen. In Möhlin bog er zwischen 21 und 21.30 Uhr von der
Hauptstrasse ab, angeblich weil seine Frau einen Kaffee trinken wollte;
er fuhr jedoch an mehreren Gasthäusern vorbei und lenkte das Fahrzeug in
der regnerischen Nacht durch eine Seitenstrasse und über Feldwege wieder
gegen die Durchgangsstrasse. Etwa 70 m vor der Strasse hielt er in einer
Wiese an. Auf Wunsch der Frau kam es im Wagen zum Geschlechtsverkehr,
bei dem sie aber nicht befriedigt worden sei; sie soll ihm deswegen
Vorwürfe gemacht und nach gegenseitigen Beschimpfungen eineohrfeige
gegeben haben. Brunner ordnete hierauf seine Kleider und begab sich unter
einem Vorwand zum Kofferraum. Er entnahm ihm den Wagenheber und schlug
damit seiner Frau, als sie rückwärts aus dem Wagen stieg, heftig von
hinten auf den Kopf. Frau Brunner sank sogleich zusammen. Als sie sich,
auf Knie und Hände stützend, wieder erheben wollte, schlug er erneut
auf sie ein. Frau Brunner fiel daraufhin seitwärts zu Boden und blieb
regungslos liegen. Nachdem er ihr in dieser Lage einen weiteren Schlag
auf den Hinterkopf versetzt und den Wagenheber versorgt hatte, steuerte
er das Fahrzeug zuerst rückwärts und dann vorwärts, wobei er über den Hals
seiner Frau fuhr. Alsdann legte er ihre Reise- und Handtasche neben sie,
nahm ihren Geldbeutel mit Fr. 250.-- zu sich und führte den Wagen nach
Schaffhausen zurück.

    Frau Brunner wurde am folgenden Tag am Tatort tot aufgefunden. Sie
muss unmittelbar, nachdem sie vom Wagen überfahren wurde, an den dadurch
verursachten inneren Verletzungen gestorben sein.

    B.- Das Geschworenengericht des Kantons Aargau erklärte Brunner
am 16. April 1969 der vorsätzlichen Tötung im Sinne von Art. 111 StGB
schuldig und verurteilte ihn zu zehn Jahren Zuchthaus, auf die es ihm 377
Tage Untersuchungshaft anrechnete; zudem stellte es ihn für fünf Jahre
in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit ein.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau führt gegen dieses Urteil
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es aufzuheben und die Sache zur
Bestrafung des Angeklagten wegen Mordes an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    D.- Brunner beantragt, die Nichtigkeitsbeschwerde abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Mord (Art. 112 StGB) unterscheidet sich von der vorsätzlichen
Tötung (Art. 111 StGB) dadurch, dass der Täter unter Umständen oder mit
einer Überlegung tötet, die seine besonders verwerfliche Gesinnung oder
seine Gefährlichkeit offenbaren.

    Mit Überlegung oder Vorbedacht handelt, wer sich in Gedanken mit einem
Verbrechen beschäftigt und sich von den dabei angestellten Erwägungen
leiten lässt, wenn er es ausführt (BGE 70 IV 7; Komm. LOGOZ, Art. 112
N. 2 a). Dass der Täter sich schon vorher darüber klar sei, unter welchen
Umständen, mit welchen Mitteln und wo er die Tat ausführen werde, ist nicht
erforderlich; er kann selbst dann mit Überlegung oder Vorbedacht töten,
wenn er das Verbrechen nicht bis in alle Einzelheiten durchdacht hat.

    Die Überlegung allein macht eine vorsätzliche Tötung freilich noch
nicht zum Mord; entscheidend ist vielmehr, dass sie die Gesinnung
des Täters als besonders verwerflich oder ihn selber als besonders
gefährlich erscheinen lässt (BGE 80 IV 238). Auf eine solche Gesinnung oder
Gefährlichkeit des Täters kann aber auch aus den Umständen, unter denen er
tötet, geschlossen werden. Als Umstände in diesem Sinne fallen zudem nicht
bloss äussere Momente, wie die Wahl eines besonders verwerflichen Mittels,
die Art der Ausführung, die Beziehung zum Opfer, oder das Verhalten des
Täters unmittelbar vor und nach der Tat, sondern auch seine Beweggründe in
Betracht (BGE 80 IV 240 Erw. 3, 82 IV 8). Selbst Vorgänge aus dem Vorleben
oder dem Verfahren dürfen mitberücksichtigt werden, wenn sie Schlüsse auf
die Persönlichkeit des Täters zulassen oder die Grundhaltung aufzeigen,
aus der heraus er das Verbrechen begangen hat (BGE 87 IV 115 Erw. c).

Erwägung 2

    2.- Nach dem angefochtenen Urteil stand Brunner schon längere Zeit
in einem Konfliktsverhältnis zu seiner Frau und beschäftigte sich seit
einigen Wochen stark damit, sich ihrer zu entledigen. Drei Wochen vor der
Tat erkundigte er sich bei ihrer Vorgesetzten, was er beim Ableben seiner
Frau bekommen würde und ob sie auch auf Reisen versichert sei. Am 17. März
1968 verlangte er von einer 21jährigen Bekannten heimlich Schlaftabletten,
die sie angeblich nicht vertrug, weil sie sehr stark seien. Er ersuchte
die Bekannte eindringlich, keinem Menschen etwas zu sagen, auch ihrer
Mutter nicht. Zahlreiche Angaben, die der Angeklagte über den Anlass der
Fahrt, die Wagenmiete und den Halt am Tatort machte, erwiesen sich als
falsch oder unglaubwürdig. Das Geschworenengericht ist deshalb überzeugt,
dass Brunner die Tat, wenn auch nicht in den Einzelheiten geplant, so doch
in der Weise vorbedacht hat, die sich mit der Reise nach Basel bietende
Gelegenheit zur Beseitigung seiner Frau womöglich zu nutzen.

    Ob diese Feststellungen auf eine besonders verwerfliche Gesinnung des
Angeklagten schliessen liessen, kann dahingestellt bleiben; der Schluss
drängt sich jedenfalls dann auf, wenn sie zusammen mit dem, was sonst
noch über sein Verhalten vor und nach der Tat sowie über die Ausführung
des Verbrechens feststeht, gewürdigt werden.

    a) Das gilt vorweg von den äusseren Tatumständen und den Beweggründen
des Angeklagten. Um sein Vorhaben zu verschleiern, gab Brunner der Frau
vor, den Kofferraum kontrollieren zu müssen, kehrte aber sogleich mit dem
Wagenheber zurück, wartete bei der Wagentüre, bis seine Frau ausstieg, und
streckte sie dann unbekümmert um ihren Versuch, sich wieder zu erheben und
dem Tode zu entgehen, mit mehreren Schlägen zu Boden; ja selbst dann schlug
er nochmals zu. Solche Grausamkeit und Heimtücke können nur rohester und
gemeiner Gesinnung entspringen. Einen hohen Grad von Gefühlskälte verrät
ferner, dass er das Opfer, mit dem er kurz vorher noch geschlechtlich
verkehrte, nicht nur brutal und hinterrücks niedergeschlagen, sondern
hierauf noch mit Wissen und Willen überfahren hat, um den verbrecherischen
Erfolg sicherzustellen. Wie die Vorinstanz feststellt, fuhr er mit dem
Wagen gerade so weit rückwärts, als notwendig war, um ihn dann vorwärts
über die am Boden liegende Frau lenken zu können. Dazu kommt, dass er
aus Gründen gehandelt hat, die bei näherer Betrachtung als nichtig,
ja als egoistisch erscheinen.

    Dass er von seiner Frau nach dem Geschlechtsverkehr eine Ohrfeige
erhielt, wie das Geschworenengericht zu seinen Gunsten annimmt, hilft über
die aussergewöhnliche Niedertracht und Gemeinheit, von der das Verbrechen
des Angeklagten zeugt, nicht hinweg. Sein Vorgehen zeigt, dass er die Tat
trotzdem mit Überlegung ausgeführt hat. Er hat auf die Tätlichkeit seiner
Frau nicht spontan reagiert, die Ohrfeige in seinen vielen Briefen an
Verwandte und Bekannte denn auch nie als Ursache der Tat ausgegeben. Auf
den Zwischenfall hin ordnete er vielmehr zunächst seine Kleider und begab
sich unter einem Vorwand zum Kofferraum. Er liess die dadurch vom Streit
abgelenkte Frau sodann aussteigen, um, wie er selber sagte, das Auto
mit dem Wagenheber nicht zu beschädigen. Er hat den Tatort auch nicht
fluchtartig verlassen. Nachdem er seine Frau mit dem Wagen überfahren
hatte, hielt er gegenteils nochmals an, nahm ihr Geld zu sich, veränderte
ihre Lage und liess die offene Reisetasche sowie das Handtäschchen bei ihr
zurück. Dadurch erweckte er den Eindruck, seine Frau sei das Opfer eines
Raubmordes geworden. Unter solchen Umständen lässt sich die besonders
verwerfliche Gesinnung des Täters so wenig verneinen wie in dem in BGE
82 IV 6 veröffentlichten Falle, den das Geschworenengericht übrigens zu
Recht mit dem vorliegenden vergleicht.

    b) Die besondere Verwerflichkeit der Gesinnung, wie sie sich aus den
Begleitumständen der Tat ergibt, wird durch das weitere Verhalten des
Angeklagten bestätigt. Weder gestand er die Tat so ein, wie sie sich
abgespielt hatte, noch zeigte er Reue und Einsicht. Er versuchte das
Verbrechen vielmehr als das eines anderen zu tarnen, verwischte die Spuren
und bestritt, was ihm nicht nachgewiesen werden konnte. Er versuchte ferner
seine Reaktion auf den Zwischenfall als die einzig mögliche hinzustellen,
das Verbrechen zu beschönigen und seine Frau herunterzumachen, wo er nur
konnte, obschon er ihr nichts Ernsthaftes vorzuwerfen hatte; insbesondere
war sie im Ankauf von Kleidern nicht verschwenderisch, sondern eher
bescheiden. Sie war ihm zudem treu und sprach nur gut über ihn.

    Die besonders verwerfliche Gesinnung des Angeklagten wird ausserdem
bestätigt durch sein Verhalten gegenüber seinem ausserehelichen Kinde und
dessen Mutter, mit der er vorübergehend verlobt war. Wider besseres Wissen
behauptete er vor zwei gerichtlichen Instanzen und wollte darüber sogar
einen Eid ablegen, dass er mit der Mutter seines Kindes nie geschlechtlich
verkehrt habe. Um einer bereits eingegangenen Alimentationsverpflichtung zu
entgehen, verleumdete er sie auch sonst in haltloser Weise. Die Vorinstanz
schloss daraus mit Recht auf eine aussergewöhnliche Bereitschaft des
Angeklagten, seine Ziele nötigenfalls rücksichtslos und mit allen Mitteln
zu verfolgen.

    c) Dass die Tatumstände und die Überlegungen des Angeklagten auch
auf dessen besondere Gefährlichkeit schliessen lassen, wird von der
Beschwerdeführerin nicht behauptet und kann offen bleiben, da nach
Art. 112 StGB die besonders verwerfliche Gesinnung als alternatives
Tatbestandsmerkmal genügt (BGE 82 IV 10 Erw. 2). Immerhin ist zu bemerken,
dass ein solcher Schluss angesichts der abscheulichen Tat und der
Beweggründe des Angeklagten zumindest sehr nahe läge.

Erwägung 3

    3.- Nach dem psychiatrischen Gutachten, dem die Vorinstanz
gefolgt ist, handelt es sich beim Angeklagten um einen weichen,
charakterschwachen und geltungssüchtigen Mann, der zu Affektstauungen
neigt. Das Konfliktsverhältnis, in dem Brunner zu seiner selbstbewussten
und erfolgreichen Frau stand, ist laut Gutachten darauf zurückzuführen,
dass er ihr hörig wurde und ihn das zu quälen begann; seine Scheu vor
einem offenen Gespräch, seine Feigheit und sein Gefühl, ihr unterlegen
zu sein, seien einer natürlichen Anpassung aber im Wege gestanden. Da
er alles in sich aufstaute und sich stets im Rechte glaubte, seien ihm
Scheuklappen erwachsen mit der Wirkung, dass er nichts mehr an eigenen
Fehlern gesehen, sondern sie auf seine Frau übertragen habe, die er selbst
über die scheussliche Tat hinaus für alles verantwortlich mache.

    Diese abwegigen Charakteranlagen des Angeklagten schliessen seine
besonders verwerfliche Gesinnung nicht aus. Die Erfahrung lehrt im
Gegenteil, dass gerade Schwächlinge, geltungssüchtige oder feige Naturen
unter Umständen zu den gemeinsten und gefährlichsten Verbrechern werden
können. Auch im vorliegenden Fall ist die Tat vor allem auf abnorme
Eigenschaften und die dadurch begünstigte Affektstauung des Angeklagten
gegenüber seiner Frau zurückzuführen; da er dazu neigt, Konflikte brutal
und kurzschlüssig zu erledigen, bedurfte es nur noch eines äusseren
Anlasses, um die Tat auszulösen. Die Ohrfeige war nach der Feststellung
der Vorinstanz denn auch nicht Ursache des aufgestauten Affektes, sondern
bloss Anlass zu dessen Entladung.

    Dass Art. 112 StGB nur auf gemütskalte, sozialer Bindungen unfähige
Täter Anwendung finde, wie das Geschworenengericht anzunehmen scheint,
trifft nicht zu; der Anwendungsbereich der Bestimmung würde dadurch zu sehr
eingeschränkt. Eine solche Einschränkung ist hier übrigens umsoweniger
gerechtfertigt, als die Vorinstanz den Angeklagten mit dem Psychiater für
voll zurechnungsfähig und seine ethische Gesinnung wegen der Neigung zu
brutalen und rücksichtslosen Lösungen für stark beeinträchtigt hält. Das
Geschworenengericht hat Brunner daher des Mordes schuldig zu sprechen
und nach Art. 112 StGB zu bestrafen.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil
aufgehoben und die Sache zur Bestrafung des Angeklagten wegen Mordes an
die Vorinstanz zurückgewiesen.