Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 IV 157



95 IV 157

39. Urteil des Kassationshofes vom 13. Juni 1969 i.S. Gablinger gegen
Statthalteramt des Bezirkes Zürich. Regeste

    Art. 1 Abs. 1 AO. Auf die zeitliche Befristung des in Aussicht
gestellten Preisvorteils braucht nicht ausdrücklich hingewiesen zu werden;
es genügt, dass die Gesamtheit der verwendeten Werbemittel den Eindruck
erweckt, die besonders günstige Einkaufsgelegenheit stehe nur während
beschränkter Zeit offen.

Sachverhalt

    A.- Am 12. Juli 1967 begannen in Zürich die amtlich bewilligten
Ausverkäufe. In der Zeit vom 3. bis 12. Juli liess die Modissa AG, Zürich,
im "Tagblatt der Stadt Zürich" und im Zürcher "Tagesanzeiger" acht grosse,
mehrheitlich ganzseitige Inserate erscheinen, in denen in auffälliger
typographischer Aufmachung Mäntel, Kostüme, Kleider, Strandhosen, Jupes,
Pulli und Bikini zu billigen Preisen angeboten wurden. Sämtliche Anzeigen
enthielten in Fettdruck die Worte "prix choc" und in kleinerer Schrift den
Hinweis "auf Extraständern zum Aussuchen"; drei der Inserate verwendeten
den Ausdruck "Riesenauswahl".

    Vom 12. Juli 1967 an waren vor dem Verkaufsgeschäft der Modissa am
Limmatquai Aufhängetafeln angebracht, deren Aufschriften ungefähr den
Inseraten entsprachen. Überdies waren die Schaufenster mit Streifbändern
versehen, die "Extra ständer" ankündeten.

    B.- Das Statthalteramt des Bezirkes Zürich bestrafte am 6. September
1967 Isy Gablinger als verantwortlichen Leiter der Modissa AG wegen
Veranstaltung eines Ausnahmeverkaufes ohne amtliche Bewilligung mit einer
Busse von Fr. 90.-. Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Zürich
sprach Gablinger auf dessen Einsprache hin frei.

    Gegen diesen Freispruch erhob das Statthalteramt Nichtigkeitsbeschwerde
beim Obergericht des Kantons Zürich. Dieses fand Gablinger der Übertretung
von Art. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 und 3 sowie Art. 4 Abs. 1
der Ausverkaufsordnung schuldig und verurteilte ihn am 23. Oktober 1968
gestützt auf Art. 20 Abs. 1 lit. a AO zu einer Busse von Fr. 90.-.

    C.- Gablinger führte gegen dieses Urteil wegen willkürlicher Anwendung
kantonalen Prozessrechtes staatsrechtliche Beschwerde, die am 30. Januar
1969 von der staatsrechtlichen Kammer des Bundesgerichts abgewiesen wurde.

    Mit der beim Kassationshof des Bundesgerichts eingereichten
Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Gablinger die Aufhebung des
obergerichtlichen Urteils wegen Verletzung von Art. 1 AO und die
Rückweisung der Sache zur Freisprechung. Er macht geltend, er habe keine
besonderen, zeitlich begrenzten Vergünstigungen in Aussicht gestellt,
sondern bloss eine besondere Werbeanstrengung auf Saisonende unternommen.

Auszug aus den Erwägungen:

               Der Kassationshofzieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Ausverkäufe und ähnliche Veranstaltungen, die einer behördlichen
Bewilligung bedürfen, sind Veranstaltungen des Detailverkaufes, bei denen
dem Käufer durch öffentliche Ankündigung in Aussicht gestellt wird,
dass ihm vorübergehend besondere, vom Verkäufer sonst nicht gewährte
Vergünstigungen zukommen werden (Art. 1 Abs. 1 AO).

    Ob in einer öffentlichen Ankündigung eine zeitlich befristete
Sondervergünstigung in Aussicht gestellt werde, ist nicht Tat-, sondern
Rechtsfrage, die vom Kassationshof frei überprüft werden kann (Art. 269
Abs. 1 BStP; BGE 93 IV 109). Bei ihrer Beurteilung kommt es nicht darauf
an, welchen Sinn der Veranstalter der Ankündigung beigelegt hat (BGE 76 IV
184, 93 IV 109 Erw. 2). Massgebend ist der Eindruck, den die Ankündigung
auf das Publikum macht, d.h. ob die Käuferschicht, die angesprochen wird,
in den Glauben versetzt wird, die angepriesene Ware später nicht mehr
so günstig erwerben zu können wie zur Zeit des Sonderangebots (BGE 81
IV 195, 82 IV 114 Erw. 2, 89 IV 220, 90 IV 111 Erw. 1, 91 IV 105, 93
IV 109 Erw. 2). Dabei ist den nach Landesgegend und Geschäftszweigen
unterschiedlichen Werbegepflogenheiten Rechnung zu tragen.

Erwägung 2

    2.- Es ist unbestritten, dass die Anpreisung von Waren zu einem "prix
choc" als besonders günstiges Angebot zu Schlagerpreisen zu verstehen war,
was durch die auffällige Hervorhebung der bei den einzelnen Warengattungen
in Fettdruck aufgeführten Tiefstpreise noch unterstrichen wurde. Dagegen
wendet der Beschwerdeführer ein, dass jeder Hinweis auf eine zeitliche
Befristung des preislichen Vorteils fehle. Ein Modegeschäft müsse
die Möglichkeit haben, auf Saisonende eine grosse und auffällige
Werbeanstrengung zu unternehmen, um das Lager von Saisonartikeln zu
räumen, auch wenn es keinen Ausverkauf veranstalte. Nur wenn innerhalb
der normalen Verkaufsperiode eines modischen Artikels für eine bestimmte
kürzere Zeit ein besonderer Preisvorteil versprochen werde, greife die
Ausverkaufsordnung Platz.

    Dieser Auffassung, mag sie auch in den Erwägungen des in BGE
82 IV 207 ff. veröffentlichten Urteils eine gewisse Stütze finden,
kann nicht beigepflichtet werden. Gewiss bleibt es einem Kaufmann, der
keinen Ausverkauf durchführen will, unbenommen, vor oder während der
Ausverkaufszeit seine Werbeanstrengungen zu verstärken, um gegenüber
der Ausverkaufskonkurrenz nicht zu sehr in Rückstand zu geraten. Seine
Werbetätigkeit muss jedoch im Rahmen des Erlaubten bleiben und
darf nicht so gestaltet werden, dass der Eindruck erweckt wird,
auch er führe einen Saisonausverkauf zu vorübergehend herabgesetzten
Preisen durch. Das wäre unlauterer Wettbewerb, indem die Kunden durch
täuschende Massnahmen irregeführt und die Konkurrenten, die sich an
die vorgeschriebene Ausverkaufsdauer halten und die Gebühren bezahlen,
benachteiligt würden. Einen Anspruch auf Sonderbehandlung besitzen auch die
Modegeschäfte nicht, die darauf angewiesen sind, ihre nur während einer
Saison verkäuflichen Artikel auf Saisonende abzustossen. Gerade um den
Geschäften mit modebedingten Waren die Räumung der Lager auf Saisonschluss
zu ermöglichen, wurden die bewilligungspflichtigen Saisonausverkäufe
geschaffen (Art. 2 Abs. 1 lit. c AO).

    Insbesondere ist nicht entscheidend, dass die Werbung des
Beschwerdeführers keinen ausdrücklichen Hinweis auf eine mengenmässige
Begrenzung des Angebotes oder eine zeitliche Befristung des in Aussicht
gestellten Preisvorteils enthielt, wie es der Regel entspricht (vgl. BGE
76 IV 187, 78 IV 125, 83 IV 57 und 105, 89 IV 221, 90 IV 112, 93 IV
110). Nicht auf die Wirkung des einzelnen Reklamemittels kommt es
an, sondern einzig auf den Eindruck, den die Anpreisung gesamthaft
macht. Unter diesem Gesichtspunkt hat der Beschwerdeführer nicht bloss
besondere, in den Grenzen des Zulässigen liegende Werbeanstrengungen
unternommen. Sowohl die Inserate in Grossformat, in denen in übergrosser
Druckschrift, teils auffallend schräg gestellt, Waren schlagwortartig zu
Schockpreisen angeboten wurden, wie auch die marktschreierische Gestaltung
der Schaufensterfront mit den vielen unübersehbaren Plakaten und breiten
Streifbändern und das Aufstellen von Körben und Ständern mit Waren zum
Aussuchen entsprachen ihrer Aufmachung nach, wie die Vorinstanz feststellt,
dem in Zürich bei Ausverkäufen üblichen Reklamest-il, der zwangsläufig den
Eindruck erwecken musste, es finde ein Saisonausverkauf statt. Dieser
Schluss drängte sich umsomehr auf, als die Werbung unmittelbar vor
und zu Beginn der amtlich bewilligten Sommerausverkäufe einsetzte und
sich ausserdem auf Waren bezog, die vorwiegend für die Sommersaison
bestimmt waren (Sommermäntel, Sommerjupes, Sommerblusen, Badekleider,
Strand-Ensemble usw.) und im Juli wegen Saisonschluss allenthalben
verbilligt abgesetzt werden. Unter diesen Umständen lag es in der
Natur der Sache, dass das Publikum zur Annahme veranlasst wurde, es
biete sich ihm während einer beschränkten Zeit eine besonders günstige
Einkaufsgelegenheit, die ihm später nicht mehr offenstehe.

    Die Verkaufsveranstaltung des Beschwerdeführers, die der in
BGE 82 IV 112 beurteilten gleicht und wie diese die Merkmale eines
Saisonausverkaufes erfüllte, unterstand daher der Ausverkaufsordnung
und war bewilligungspflichtig (Art. 2 Abs. 1 lit. c und Art. 4). Der
Beschwerdeführer, der die Veranstaltung unbestrittenermassen vorsätzlich
ohne Bewilligung ankündigte und durchführte, wurde zu Recht in Anwendung
von Art. 20 Abs. 1 lit. a AO bestraft.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.