Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 IV 139



95 IV 139

35. Urteil des Kassationshofes vom 5. Dezember 1969 i.S. Strausak gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn. Regeste

    Art. 117 StGB, Art. 42 Abs. 1 SVG, Art. 85 Abs. 1 und 3 VRV.

    1.  Pflichtwidriges Verhalten des Lenkers einer 11 t schweren
Strassenwischmaschine, die so viel Staub aufwirbelte, dass sie für
nachfolgende Fahrer nicht mehr sichtbar war (Erw. 1).

    2.  Natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang zwischen diesem
Verhalten und einem tödlichen Verkehrsunfall (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Prosper Strausak hatte am Vormittag des 2. Februar 1967 mit einer
Strassenwischmaschine, die ein Gesamtgewicht von etwa 11 t aufwies, die 7,5
m breite Hauptstrasse von St. Kathrinen bis Flumenthal zu reinigen. Er fuhr
mit 3 km/Std und hielt sich ganz an den rechten Strassenrand. Um Staub zu
vermeiden, wurde die Strasse aus der Maschine mit Wasser berieselt. Einige
100 m vor Flumenthal, wo die Strasse nahezu gerade verläuft, bemerkte
Strausak, dass der Wassertank leer war und sich hinter dem Fahrzeug eine
Staubwolke zu bilden begann. Er fuhr gleichwohl weiter und wollte den
Rest der Strecke ohne Wasser reinigen.

    Die Wischmaschine hatte noch weniger als 30 m so zurückgelegt,
als sich von hinten ein "Mercedes"-Personenwagen näherte, der von Hans
Müller gesteuert war und soeben einen andern Personenwagen und einen
Lastzug mit ungefähr 100 km/Std überholte. Auf der Höhe des Lastwagens
erblickte Müller die Staubwolke, nahm aber an, es handle sich um Rauch,
der von einem Feuer neben der Strasse herrühre. Er bog vor dem Lastzug
wieder nach rechts ein und fuhr mit leicht verminderter Geschwindigkeit in
den vermeintlichen Rauch. Dann gewahrte er plötzlich ein gelbes Licht,
konnte den Zusammenstoss jedoch nicht mehr vermeiden. Sein Fahrzeug
prallte mit grosser Wucht gegen die Rückseite der Wischmaschine, wurde
zurückgeworfen und geriet daraufhin mit dem Heck in die linke Fahrbahn.
Der Lenker des unmittelbar folgenden Lastzuges, Willy Voser, wurde
von der Gefahr ebenfalls überrascht. Er konnte der Wischmaschine im
letzten Augenblick nach links in einen Acker ausweichen, stiess aber
beim Ausscheren mit seinem Fahrzeug gegen den "Mercedes", der vollends
herumgeworfen wurde. Müller und seine Frau wurden beim Zusammenstoss
erheblich verletzt; ausserdem entstand beträchtlicher Sachschaden. Müller
trug keinen bleibenden Nachteil davon, seine Frau dagegen starb einige
Tage später an den Folgen des Unfalles.

    B.- Das Amtsgericht Solothurn-Lebern verurteilte Strausak wegen
fahrlässiger Tötung zu 200, Müller wegen des gleichen Vergehens zu 400 und
Voser wegen Überschreitung der für Lastzüge zulässigen Geschwindigkeit
zu 100 Franken Busse. Strausak appellierte gegen seine Verurteilung,
die das Obergericht des Kantons Solothurn am 4. Juli 1969 bestätigte.

    C.- Mit der Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Strausak dem
Bundesgericht, seine Verurteilung aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

               Der Kassationshofzieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Nach der allgemeinen Vorschrift des Art. 42 Abs.  1 SVG hat
der Fahrzeugführer jede vermeidbare Belästigung von Strassenbenützern und
Anwohnern, namentlich durch Staub und Rauch, zu unterlassen. Dazu ist er
vor allem dann gehalten, wenn die Belästigung geeignet ist, den Verkehr
zu hindern oder zu gefährden. Auch Führer von Ausnahmefahrzeugen müssen
gemäss Art. 85 VRV so fahren, dass andere Strassenbenützer möglichst wenig
behindert werden (Abs. 1 Satz 1); sie dürfen von den Verkehrsregeln nur
aus zwingenden Gründen und bei genügenden Sicherheitsmassnahmen abweichen,
was sinngemäss auch für Lenker von Fahrzeugen gilt, die zum Unterhalt
oder zur Reinigung der Strasse benötigt werden (Abs. 3).

    Dasselbe folgt aus Art. 24 Abs. 2 Satz 2 und 3 des
Bundesratsbeschlusses vom 18. Juli 1961 über landwirtschaftliche
Motorfahrzeuge und Anhänger sowie gewerbliche Arbeitsmaschinen und
Ausnahmefahrzeuge (AS 1961 S. 583 ff.). Nach diesen Bestimmungen müssen
Arbeitsmaschinen, die auf Strassen verwendet werden, betriebssicher
sein und so geführt werden, dass der Verkehr nicht gefährdet wird;
die Verkehrsvorschriften sind zu beachten, soweit es die auszuführende
Arbeit zulässt. Ein allgemeiner Grundsatz des Verkehrsrechtes lautet
zudem, dass jeder Fahrer, der ein Manöver mit erhöhter Gefährlichkeit
ausführt oder für andere sonstwie einen gefährlichen Zustand schafft,
auch zu besonderer Vorsicht verpflichtet ist, namentlich die durch die
Umstände gebotenen Sicherungsvorkehren zu treffen hat.

    b) Der Beschwerdeführer hätte die Staubwolke, die sein Fahrzeug vor der
Unfallstelle verursachte, ohne besondere Mühe vermeiden können. Er brauchte
bloss mit ausgeschalteten Wischern nach Flumenthal zu fahren und dort den
Wassertank nachzufüllen; dann hätte er die Reinigung fortsetzen können,
ohne die Sicht Anderer in gefährlicher Weise zu behindern. Er hätte
die Gefahr, die er für den übrigen Strassenverkehr heraufbeschwor, bei
pflichtgemässer Überlegung auch erkennen können. Strausak verfügt über eine
lange Fahrpraxis und besitzt die Führerausweise für Motorräder, leichte
Motorwagen sowie schwere Motorwagen zum Personen- und Gütertransport,
ist also ein Fahrer mit überdurchschnittlichen Kenntnissen und
Erfahrungen. Dazu kommt, dass er mit der Wischmaschine vertraut war
und ihm der Staub, den sie nach dem Verbrauch des Wasservorrates
aufwirbelte, nicht entgangen ist. Er hätte daher bedenken können und
sollen, dass vor allem nachfolgende Fahrer die Maschine übersehen und
mit ihr zusammenstossen könnten, wenn er die Reinigung trotz der grossen
Staubentwicklung fortsetzte. Zu erhöhter Vorsicht hätte er umsomehr Anlass
gehabt, als die Maschine damals noch grau gestrichen war und die Strasse
in der Gegend von Flumenthal hohe Geschwindigkeiten zuliess. Er hat sich
somit pflichtwidrig unvorsichtig verhalten.

    Dass sein Mitfahrer ihn entgegen sonstigen Gepflogenheiten nicht auf
das Ausmass und die Dichte der Staubwolke aufmerksam machte, befreit den
Beschwerdeführer nicht. Als Lenker der Wischmaschine war er in erster
Linie selber dafür verantwortlich, dass der übrige Verkehr durch die
Reinigungsarbeiten nicht gefährdet werde. Ebensowenig entlastet ihn, dass
ihm das Wischen ohne Wasser nicht verboten war und er bei Temperaturen
unter 0 Grad kein Wasser verwenden durfte. Das enthob ihn nicht der
Pflicht, auf den Verkehr nach Möglichkeit Rücksicht zu nehmen und die
Reinigung den gegebenen Verhältnissen anzupassen. Die Strasse war trocken
und es herrschte sonniges Wetter. Unter diesen Umständen drängte sich das
Wischen mit Wasser geradezu auf. Dem Vorwurf der Fahrlässigkeit entgeht
er auch mit dem Einwand nicht, dass er der Staubwolke keine besondere
Bedeutung beigemessen haben will. Das zeigt bloss, dass er sich der Gefahr
nicht bewusst war, ändert jedoch nichts daran, dass er die Möglichkeit
eines Zusammenstosses als Folge seines pflichtwidrigen Verhaltens nach den
Umständen und seinen persönlichen Verhältnissen hätte voraussehen können
(Art. 18 Abs. 3 StGB).

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass Frau Müller infolge der
Verletzungen, die sie beim Zusammenstoss erlitten hat, gestorben ist. Er
macht bloss geltend, sein Verhalten sei für ihren Tod nicht kausal gewesen,
weshalb er nicht nach Art. 117 StGB bestraft werden könne.

    a) Im natürlichen Sinne gilt ein (pflichtwidriges) Verhalten
als kausal, wenn es nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch der
eingetretene Erfolg entfiele. Diese Voraussetzung ist in Fällen wie
hier erfüllt, wenn die Verletzung von Verkehrsvorschriften Bedingung
für den Unfall war. Dass die Verletzung die alleinige oder unmittelbare
Ursache des Unfalles gewesen sei, ist nicht erforderlich; es genügt, dass
sie zusammen mit anderen Bedingungen das Unfallgeschehen beeinflusste
(BGE 83 IV 38, 84 IV 64). Ob es auch zu einem Unfall gekommen wäre,
wenn Müller die Gefahr des Zusammenstosses mit der Wischmaschine
aus 60 m Entfernung erkannt hätte, ist daher nicht massgebend. Dieser
Einwand des Beschwerdeführers scheitert übrigens an der Feststellung der
Vorinstanz. Das Obergericht hält gestützt auf zahlreiche Zeugenaussagen
für erwiesen, dass die Wischmaschine eine Staubwolke verursachte, die
ein rechtzeitiges Erkennen der Maschine verunmöglichte und mehrere Fahrer
zudem zur Annahme verleitete, es handle sich um Rauch. Das ist keine blosse
Vermutung, sondern Beweiswürdigung, die den Kassationshof bindet. Dass die
Staubwolke eine notwendige Bedingung für den Unfall war, liegt übrigens
auf der Hand: Müller wäre nicht mit der Wischmaschine zusammengestossen,
seine Frau folglich auch nicht verunglückt, wenn das Hindernis, statt in
dichten Staub gehüllt, wie ein anderes Fahrzeug sichtbar gewesen wäre.

    b) Rechtserheblich ist der Kausalzusammenhang dann, wenn das
pflichtwidrige Verhalten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach
der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet war, einen Erfolg von der Art
des eingetretenen herbeizuführen, so dass der Eintritt des Erfolges durch
die Pflichtwidrigkeit allgemein als begünstigt erscheint (statt vieler:
BGE 64 II 204, 73 IV 232, 83 II 411, 92 IV 25).

    Auch diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Wie sehr das Verhalten
des Beschwerdeführers geeignet war, zu einem schweren Unfall zu führen,
erhellt daraus, dass ausser Müller zwei weitere Fahrer in Gefahr gerieten,
obschon Strausak erst etwa 30 m ohne Wasser gereinigt hatte. Der
Personenwagenführer Hohl, der die in Staub gehüllte Wischmaschine als
erster einholte, erblickte das Hindernis erst im letzten Augenblick und
konnte ihm nur mit knapper Not ausweichen. Ähnlich erging es dem am Unfall
beteiligten Lastwagenführer Voser. Zwei weitere Motorfahrzeugführer wurden
von der Gefahr nur dank ihrer eigenen Vorsicht nicht überrascht. Schwägli,
der dem Lastzug in einem Personenwagen folgte, verzichtete auf ein
Überholen, weil die Staubwolke ihm jede Sicht auf den Gegenverkehr genommen
habe, und der aus der Gegenrichtung nahende Philipp hielt seinen Wagen
sogar an, da er wegen des "Rauches" nichts mehr habe sehen können; er
sah die Wischmaschine erst nach dem Unfall, als die Staubwolke sich verzog.

    Unter diesen Umständen lässt sich auch nicht sagen, dass die
Fahrweise Müllers ausserhalb jeder Erwartung gelegen habe und der adäquate
Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Beschwerdeführers und dem
Unfall deshalb entfalle. Davon kann umsoweniger die Rede sein, als nicht
nur Müller, sondern auch Hohl und Philipp die Staubwolke für Rauch hielten;
einzig Voser und Schwägli schrieben die Wolke einer Strassenwischmaschine
zu, weil sie bereits auf der Hinfahrt eine solche Maschine gesehen hatten.
Rauchwolken aus einem neben der Strasse mottenden Feuer werden aber trotz
der Sichtbehinderung, die sie verursachen, sehr häufig mit nicht oder
nur leicht verminderter Geschwindigkeit durchfahren. Das kommt selbst bei
ausgedehnten Nebelbänken nicht selten vor. Eine solche Fahrweise ist zwar
eine strafbare Unvorsichtigkeit, fällt aber keineswegs ausserhalb normalen
Geschehens, hebt folglich den rechtserheblichen Kausalzusammenhang zwischen
dem Verhalten eines Dritten und dem eingetretenen Erfolg nicht auf.

    Der Beschwerdeführer ist deshalb zu Recht wegen fahrlässiger Tötung
im Sinne von Art. 117 StGB bestraft worden.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.