Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 IV 113



95 IV 113

28. Urteil des Kassationshofes vom 12. September 1969 i.S. Blank gegen
Generalprokurator des Kantons Bern. Regeste

    Art. 24, 25, 26, 64, 65 und 317 StGB.

    1.  Der Berner Notar, der bei einer öffentlichen Beurkundung den
Unterzeichnungsvorgang in der Urschrift unrichtig festhält, macht sich
der Falschbeurkundung im Sinne von Art. 317 Ziff. 1 Abs. 2 StGB schuldig
(Erw. 1).

    2.  Wer einen Beamten oder eine Person öffentlichen Glaubens zur
Urkundenfälschung anstiftet oder ihnen Hilfe leistet, ist auch dann,
wenn ihm die besondere Eigenschaft des Täters fehlt, nach Art. 317 StGB
strafbar (Erw. 2).

    3.  Der Milderungsgrund der Gehilfenschaft lässt eine selbständige
Herabsetzung des ordentlichen Strafrahmens zu, wenn er mit einem solchen
des Art. 64 StGB zusammentrifft (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Blank war von 1952 bis November 1967 bei Notar S. in O. tätig,
zuerst als Lehrling, dann als Angestellter. Im Juli 1965 erhielt
der Notar von Frau Rupp den Auftrag, die Erhöhung der Schuld- und
Pfandsumme eines Namensschuldbriefes zu verurkunden. Blank hatte
die Urschrift anzufertigen. Sie endete mit der üblichen Formel: "Die
Verurkundung vollzieht sich ohne Unterbrechung und in Anwesenheit aller
Beteiligten im Büro des unterzeichneten Notars in O.... am siebzehnten
Juli eintausendneunhundertfünfundsechzig". In Wirklichkeit vollzog
sich die Verurkundung nicht in dieser Weise. Der Notar war wegen einer
ärztlichen Behandlung plötzlich verhindert, zur vorgesehenen Stunde auf
dem Büro zu erscheinen. Er wies deshalb Blank an, Frau Rupp, falls sie
bereits unterwegs sei, die Urschrift allein unterschreiben zu lassen. Das
geschah denn auch; der Notar unterzeichnete sie am folgenden Tage.

    B.- Blank wurde wegen Gehilfenschaft zu Urkundenfälschung im Sinne
von Art. 317 StGB dem Strafrichter überwiesen.

    Der Einzelrichter von Bern sprach ihn frei. Das Obergericht des Kantons
Bern erklärte Blank dagegen am 28. Februar 1969 im Sinne der Überweisung
schuldig und verurteilte ihn in Anwendung der Art. 25 und 317 Ziff. 1
Abs. 2 StGB zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von zehn Tagen.

    C.- Der Verurteilte führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung
oder zu zusätzlicher Strafmilderung nach Art. 64 StGB an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Da Frau Rupp nicht in Anwesenheit des Notars unterzeichnete, wurde
mit der gegenteiligen Angabe in der Urschrift eine Tatsache unrichtig
beurkundet. Der Beschwerdeführer bestreitet das mit Recht nicht, macht
jedoch geltend, dass es sich nicht um eine rechtlich erhebliche Tatsache
im Sinne von Art. 317 Ziff. 1 Abs. 2 StGB gehandelt habe.

    Nach Art. 799 Abs. 2 ZGB bedarf der Vertrag auf Errichtung eines
Grundpfandes, folglich auch derjenige auf Erhöhung der Schuld- und
Pfandsumme eines Schuldbriefes der öffentlichen Beurkundung. Dasselbe
ergibt sich aus Art. 12 OR. Die Form der öffentlichen Beurkundung wird
gemäss Art. 55 SchlT zum ZGB durch das kantonale Recht bestimmt. Nach
Art. 38 Abs. 1 des bernischen Gesetzes vom 31. Januar 1909 über das
Notariat (NG) hat der Notar die Urkunde den Parteien vorzulesen, und
diese haben zu erklären, dass sie der Ausdruck ihres Willens sei; hierauf
ist sie von sämtlichen Mitwirkenden zu unterzeichnen. Art. 40 Abs. 1 NG
sodann bestimmt, dass die strikte Einhaltung der Vorschriften über das
Verurkundungsverfahren für das Zustandekommen einer notariellen Urkunde
unerlässlich ist und aus deren Inhalt deutlich hervorgehen muss. Daraus
erhellt, dass die Unterzeichnung in Anwesenheit aller Beteiligten,
insbesondere des Notars, entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers
auch für die Erhöhung einer Grundpfandsumme nicht blosse Ordnungs-, sondern
Gültigkeitsvorschrift ist. Mit Recht; denn wollte man die Beachtung dieser
Verfahrensvorschrift und die Verurkundung des Unterzeichnungsvorganges
dem Ermessen des Notars überlassen, so wäre nicht nur das Vertrauen in
die öffentliche Urkundsperson, sondern auch die Rechtssicherheit unter
den Vertragsparteien und nach aussen gefährdet. Der Beschwerdeführer
übersieht zudem, dass formwidrige Verträge nichtig sind und auch durch
die Erfüllung nicht geheilt werden (BGE 92 II 324 und dort angeführte
Urteile). Notar S. hat somit dadurch, dass er den Unterzeichnungsvorgang
in der Urschrift unrichtig festhalten liess, eine rechtlich erhebliche
Tatsache falsch beurkundet, sich also der Falschbeurkundung im Sinne von
Art. 317 Ziff. 1 Abs. 2 StGB schuldig gemacht.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer hat Frau Rupp in Abwesenheit des Notars
unterzeichnen lassen, obwohl er wusste, dass das nicht dem Inhalt der
Urkunde entsprach. Er hat daher zur Falschbeurkundung vorsätzlich Hilfe
geleistet. Er bestreitet dies nicht, versucht seiner Verurteilung aber
mit dem Einwand zu entgehen, dass er weder Beamter noch eine Person
öffentlichen Glaubens sei und deshalb gemäss Art. 26 StGB nicht wegen
Gehilfenschaft zur Tat des Notars bestraft werden dürfe.

    a) Nach dem Grundsatz der Akzessorietät sind der Anstifter und der
Gehilfe nach der Strafbestimmung, die auf den Täter Anwendung findet,
zu bestrafen. Art. 26 StGB schränkt den akzessorischen Charakter der
Teilnahme bloss insoweit ein, als besondere persönliche Verhältnisse,
Eigenschaften und Umstände, welche die Strafbarkeit erhöhen, vermindern
oder ausschliessen, bei dem Täter, dem Anstifter und dem Gehilfen
zu berücksichtigen sind, bei dem sie vorliegen. Sachliche Umstände
berühren die Akzessorietät nicht, weil sie nicht die Besonderheit des
Täters kennzeichnen, sondern die objektive Schwere der Tat verändern, das
Verschulden des Anstifters oder des Gehilfen folglich in gleicher Weise
beeinflussen wie dasjenige des Täters (BGE 81 IV 289, 87 IV 51). Die
Tragweite des Art. 26 ist jedoch umstritten, seine Anwendung je nach
Auslegung mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden.

    Schwierigkeiten ergeben sich insbesondere daraus, dass die
herrschende Lehre die Bestimmung sowohl auf Umstände des allgemeinen
Teils des Strafgesetzbuches wie auf Tatbestandsmerkmale der einzelnen
Strafbestimmungen bezieht, sofern die Merkmale die Strafbarkeit
nicht erst begründen, sondern sie lediglich erhöhen, vermindern oder
ausschliessen. Diese Auslegung setzt voraus, dass der gesetzliche
Tatbestand dahin untersucht werden muss, ob ein Merkmal sachlicher oder
persönlicher Art oder beides ist. Sie führt ferner dazu, dass der gleiche
Tatumstand (wie z.B. die Gewinnsucht oder die Gewerbsmässigkeit) bald als
solcher persönlicher Natur nach Art. 26 StGB zu berücksichtigen, bald als
strafbegründendes Merkmal von der Bestimmung auszunehmen ist. Eine derart
ungleiche Behandlung ein und desselben Umstandes ist mit dem Schuldprinzip
kaum zu vereinbaren und lässt daher an der Richtigkeit der Lehre Zweifel
aufkommen (vgl. BGE 87 IV 52 und dort angeführtes Schrifttum).

    Weitere Schwierigkeiten ergeben sich oft bei der Frage, ob ein
Tatbestandsmerkmal zu den persönlichen oder den sachlichen Umständen gehöre
oder gar Elemente beider Arten enthalte. Die Beamteneigenschaft bei den
Amtsdelikten ist ein Beispiel dafür. Während die einen dieser Eigenschaft
in Übereinstimmung mit BGE 81 IV 289 sachlichen Charakter zuschreiben
(so WAIBLINGER, ZBJV 1957 S. 349; SCHULTZ, ZStR 1956 S. 281; PIOTET,
JdT 1961 IV 100), halten andere sie für einen Tatumstand persönlicher Art
(SCHWANDER, Das schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Aufl., S. 136 Nr. 271
a; HAEFLIGER, SJZ 1951 S. 373). Der Streit zeigt, dass die Unterscheidung
häufig schwierig ist und daher zur Abgrenzung des Anwendungsgebietes von
Art. 26 StGB kaum taugt.

    b) Eine abschliessende Stellungnahme dazu erübrigt sich jedoch
im vorliegenden Fall. Die Sonderbestimmung des Art. 317 StGB regelt
nach ihrem Inhalt und der Überschrift zum 18. Titel, unter dem sie
eingereiht ist, keinen qualifizierten Fall von Art. 251 StGB, sondern
ein eigenständiges Delikt. Sie bestraft die von einem Beamten oder
einer Person des öffentlichen Glaubens begangene Urkundenfälschung ohne
Rücksicht auf deren Absicht. Auch ist die Handlung ein Verbrechen gegen
die Amts- bzw. die Berufspflicht, verletzt also ein Rechtsgut, das durch
Art. 251 StGB nicht geschützt ist. Gewiss wiegt die Urkundenfälschung
eines Beamten oder einer Person öffentlichen Glaubens objektiv schwerer
als diejenige eines andern Täters. Erschwerend wirkt jedoch der Umstand,
dass der Beamte und die öffentliche Urkundsperson die ihnen vom Staat
verliehene Befugnis oder Stellung zur Begehung der Tat missbrauchen.
Die so verübte Urkundenfälschung verletzt nicht nur das Vertrauen der
Öffentlichkeit in die Echtheit der Urkunden, sondern auch das besondere
Vertrauen, das sie Beamten und Personen öffentlichen Glaubens, insbesondere
Notaren, entgegenbringt (vgl. BGE 81 IV 290 oben).

    Die besondere Eigenschaft der Täter dagegen hat bei der Straftat
des Art. 317 StGB konstitutiven, nicht straferhöhenden Charakter, da sie
die Strafbarkeit der Handlung erst begründet. Das schliesst die Anwendung
des Art. 26 auf Anstifter oder Gehilfen, denen diese Eigenschaft selber
fehlt, auch nach der herrschenden Lehre aus. Wer einen Beamten oder
eine Person öffentlichen Glaubens zur Urkundenfälschung anstiftet oder
ihnen Hilfe leistet, ist daher nach Art. 317, nicht nach Art. 251 StGB
strafbar. In diesem Sinne hat der Kassationshof bereits in BGE 77 IV 46
und 81 IV 288 Erw. 3 entschieden (vgl. dazu SCHULTZ, ZStR 1956 S. 276,
277 oben und 284 c; WAIBLINGER, ZBJV 1957 S. 349).

    Die gegenteilige Auffassung wäre wegen der Folgen, die sich daraus
ergäben, auch sachlich nicht gerechtfertigt. Die Vorinstanz nimmt in einer
subsidiären Erwägung an, der Beschwerdeführer habe einem Dritten und der
Notar sich selber einen unrechtmässigen Vorteil verschafft, da mit der
Verurkundung der Honoraranspruch des Notars entstanden sei. Das Obergericht
übersieht jedoch, dass Notar S. den Beschwerdeführer bloss angewiesen hat,
Frau Rupp ohne seine Anwesenheit unterschreiben zu lassen, wenn sie,
wie er vermutete, schon unterwegs sei. Die Beurkundung des Vertrages
durch S. und sein Honoraranspruch standen demnach nicht in Frage; es
handelte sich nur um eine andere zeitliche Abwicklung des Geschäftes
mit Rücksicht auf Frau Rupp. Das war weder für diese noch für Notar
S. oder für den Beschwerdeführer ein unrechtmässiger Vorteil im Sinne
von Art. 251 StGB. Daraus erhellt, dass der Teilnehmer in Fällen wie
dem vorliegenden straflos bliebe, wenn er sich nicht nach Art. 317 StGB
zu verantworten hätte. Das widerspräche nicht nur der Akzessorietät der
Anstiftung und Gehilfenschaft, sondern vor allem auch dem Schuldprinzip,
das Art. 26 StGB gerade verwirklichen will.

    c) Der Beschwerdeführer ist daher zu Recht in Anwendung von Art. 317
StGB bestraft worden. Dass die Untersuchung gegen Notar S. wegen
dessen Gesundheitszustandes ausgesetzt werden musste und bisher nicht
abgeschlossen werden konnte, steht der Bestrafung des Beschwerdeführers
nicht im Wege. Gehilfenschaft setzt bloss voraus, dass der Haupttäter
sich strafbar gemacht habe, nicht auch, dass er tatsächlich bestraft werde
(BGE 80 IV 34).

Erwägung 3

    3.- Art. 317 Ziff. 1 StGB droht auf vorsätzliche Urkundenfälschung
eines Beamten oder einer Person öffentlichen Glaubens Zuchthaus bis zu
fünf Jahren oder Gefängnis nicht unter sechs Monaten an. Der Gehilfe kann
nach Art. 25 milder im Sinne von Art. 65 StGB bestraft werden. Ebenso ist
nach Art. 64 StGB Milderung möglich, wenn der Täter auf Veranlassung einer
Person gehandelt hat, der er Gehorsam schuldig oder von der er abhängig
ist. Fragen kann sich nur, ob der Milderungsgrund der Gehilfenschaft eine
selbständige Herabsetzung des ordentlichen Strafrahmens erlaube, wenn er
mit einem andern zusammentrifft. Das ist zu bejahen (BGE 95 IV 63). Der
Milderungsgrund des Art. 25 StGB ist wie derjenige des jugendlichen
Alters (Art. 100 Ziff. 1 StGB) anderer Ordnung, als es diejenigen des
Art. 64 unter sich sind. Wenn schon sein Tatbeitrag die für den Täter
angedrohte Mindeststrafe nicht rechtfertigt, so soll dem Gehilfen nicht
nur das zugute kommen können, sondern auch, dass er darüber hinaus aus
achtenswerten Beweggründen, in schwerer Bedrängnis, in einem Gehorsams-
oder Abhängigkeitsverhältnis usw. gehandelt hat.

    Davon ist sinngemäss auch die Vorinstanz ausgegangen. Sie hat die
Strafe in Anwendung von Art. 25 StGB auf zehn Tage festgesetzt und hält
diese Milderung für angebracht, da der Beschwerdeführer, wenn auch in
falsch verstandener Loyalität, auf Veranlassung seines Arbeitgebers
gehandelt habe. Wenn sie sich im übrigen darauf beschränkte, der
Stellung des Beschwerdeführers als Untergebener des Notars bloss
im Rahmen des Art. 63 StGB Rechnung zu tragen, geschah das in der
Erwägung, dass sein Verschulden eine zusätzliche Milderung nach Art. 64
nicht rechtfertige. Damit hat das Obergericht von dem ihm zustehenden
Ermessen Gebrauch gemacht, ohne es zu überschreiten (vgl. BGE 71 IV
80/81, 83 IV 189 Nr. 53, 90 IV 154 Erw. 4, 92 IV 204/205). Es ist in
der Tat verständlich, dass im Interesse der Sicherheit der öffentlichen
Beurkundung an Angestellte der Urkundsperson ein strengerer Massstab
angelegt wird als an irgendwelche Dritte; sie müssen sich der Bedeutung
von Missbräuchen in erhöhtem Masse bewusst sein. Das gilt hier umsomehr,
als der Beschwerdeführer zur Zeit der Tat bereits über zwölf Jahre bei
Notar S. gearbeitet hat.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.