Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 II 555



95 II 555

75. Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. Oktober 1969 i.S.

    Fema AG. gegen Bösch.  Regeste

    Aktienrecht

    Art. 703 OR. Die statutarische Anordnung des Stichentscheides des
Vorsitzenden in der Generalversammlung verstösst nicht gegen zwingendes
Recht (Erw. 1 und 2).

    Geltung des Stichentscheides für Beschlüsse und Wahlen der
Generalversammlung (Erw. 3).

    Die erwähnte Statutenbestimmung verletzt den Grundsatz der
Gleichbehandlung der Aktionäre nicht (Erw. 4).

    Art. 708 Abs. 4 und 5 OR. Anspruch der Minderheiten auf Vertretung
im Verwaltungsrat (Erw. 5).

    Art. 646 und 660 OR. Wohlerworbenes Recht des Aktionärs auf
verhältnismässigen Anteil am Reingewinn. Keine absolute Geltung des
Grundsatzes (Erw. 6).

    Art. 2 ZGB. Kein Rechtsmissbrauch des Alleinaktionärs, der
gegenüber einem in die Gesellschaft eintretenden Aktionär sich durch
Vorbehalt des Stichentscheides in der Generalversammlung und der
Einzelzeichnungsberechtigung den Einfluss auf das Unternehmen sichern will
(Erw. 7).

Sachverhalt

    A.- Robert Wehrli, einziger Aktionär und Verwaltungsrat
der Elektro-Mechanik AG, Luzern, suchte im Sommer 1964 einen
Teilhaber-Geschäftsführer mit einer Kapitalbeteiligung. Mit Vertrag
vom 20. August 1964 trat Ernst Bösch als "leitender Geschäftsführer
für den technischen und kaufmännischen Bereich" in die Dienste der
Elektro-Mechanik AG. In der ausserordentlichen Generalversammlung der
Gesellschaft vom 19. Februar 1965 wurde die Firma in Fema AG abgeändert,
Bösch als neues Mitglied in den Verwaltungsrat aufgenommen und die
Erhöhung des Aktienkapitals von Fr. 50'000.-- auf Fr. 100'000.--,
eingeteilt in 200 Namenaktien zu Fr. 500.--, beschlossen. Die Aktien
wurden von Wehrli und Bösch je zur Hälfte übernommen. Wehrli wurde
Präsident des Verwaltungsrates mit Einzelunterschrift. In der Folge kam
es zwischen den beiden Aktionären zu Differenzen. Bösch kündigte den
Anstellungsvertrag auf den 31. Dezember 1966 und blieb bis 28. Januar
1967 Mitglied der Verwaltung.

    Die Statuten der Fema AG von 19. Februar 1965 bestimmen u.a.: Auf jede
Aktie entfällt eine Stimme (Art. 9). Die Generalversammlung fasst ihre
Beschlüsse mit der absoluten Mehrheit der vertretenen Aktienstimmen
(Art. 10 Satz 1). Der Vorsitzende stimmt mit und hat zudem den
Stichentscheid (Art. 10 Satz 2).

    An der ordentlichen Generalversammlung der Fema AG vom 28. Januar
1967 stimmten beide Aktionäre gegensätzlich über folgende Geschäfte ab:

    "a) Genehmigung des Jahresabschlusses pro 1965;

    b) Antrag des Klägers, die Bilanz 1965 nach wirklichen Werten zu
korrigieren, nämlich Abschreibungen und angefangene Arbeiten richtig
zu stellen;

    c) Verwendung des Reingewinns:

    aa)  Antrag Robert Wehrli, den Reingewinn auf neue Rechnung
vorzutragen;

    bb)  Antrag des Klägers, nach berichtigtem Jahresabschluss eine
Dividende von 5% auszuschütten, das gesetzlich vorgeschriebene Minimum
in den Reservefonds zu legen, Fr. 2000.-- an den Kläger für besondere
Leistungen und Fr. 500.-- an den Buchhalter als Honorar zu bezahlen.

    Der Rest wäre auf neue Rechnung vorzutragen.".

    In der am gleichen Tag durchgeführten ausserordentlichen
Generalversammlung der Fema AG stimmten die beiden Aktionäre - wiederum
gegensätzlich - über folgende Anträge ab:

    a) Abberufung bzw. Nichterneuerung des Verwaltungsratsmandates des
Klägers;

    b) Abberufung bzw. Nichterneuerung des Verwaltungsratsmandates E. Bösch
und Wahl des Präsidenten Robert Wehrli."

    In der Folge wurde Ernst Bösch auf Mitteilung der Fema AG im
Handelsregister als Mitglied des Verwaltungsrates mit Kollektivunterschrift
gelöscht. Die Löschung wurde am 6. März 1967 im Schweizerischen
Handelsamtsblatt veröffentlicht.

    B.- Ernst Bösch klagte am 10. Juni 1967 beim Amtsgericht Luzern-Stadt
auf Feststellung, dass Art. 10 Satz 2 der Gesellschaftsstatuten, die an
der ordentlichen und ausserordentlichen Generalversammlung der Fema AG
vom 28. Januar 1967 mit Stichentscheid des Verwaltungsratspräsidenten
gefassten Beschlüsse betreffend Geschäftsbericht und Jahresabschluss
1965, Wahl und Abberufung von Angestellten, Entlastung der Verwaltung,
Neuwahl und Abberufung des Verwaltungsrates nichtig (Rechtsbegehren 1,
2a und b), eventuell anfechtbar seien (Rechtsbegehren 3); ferner
sei das Handelsregisteramt des Kantons Luzern anzuweisen, den
Kläger als Verwaltungsrat der Beklagten mit Kollektivunterschrift im
Handelsregister wieder einzutragen und die entsprechende Veröffentlichung
im Schweizerischen Handelsamtsblatt vorzunehmen (Rechtsbegehren 4a);
eventuell sei die Beklagte zu verpflichten, diese Anmeldung beim kantonalen
Handelsregisteramt selber vorzunehmen (Rechtsbegehren 4b); subeventuell
sei der Kläger zu ermächtigen, diese Anmeldung von sich aus vorzunehmen
(Rechtsbegehren 4c). Schliesslich beantragte der Kläger, ihm für das
Geschäftsjahr 1965 gerichtlich Entlastung zu erteilen (Rechtsbegehren 5).

    Das Amtsgericht Luzern-Stadt wies am 20. März 1968 die Klage ab,
soweit es darauf eintrat.

    Das Obergericht des Kantons Luzern schützte am 4. November 1968 die
Klage teilweise, indem es die von der Beklagten

    a) an der ordentlichen Generalversammlung vom 28. Januar 1967 gefassten
Beschlüsse

    -  betreffend die Genehmigung des Geschäftsberichtes für das Jahr 1965;

    - betreffend die Genehmigung des Jahresabschlusses für das Jahr 1965;

    - betreffend die Wahl und Abberufung von Angestellten;

    b) an der ausserordentlichen Generalversammlung vom 28.  Januar 1967
gefassten Beschlüsse

    -  betreffend die Nichterneuerung des Mandates des Klägers als
Verwaltungsrat;

    - betreffend die Erneuerung des Mandates Robert Wehrlis als
Verwaltungsrat;

    als nichtig erklärte.

    Ferner verpflichtete es die Beklagte, innert 10 Tagen nach Rechtskraft
des Urteils den Kläger als Verwaltungsrat mit Kollektivunterschrift zur
Eintragung im Handelsregister des Kantons Luzern anzumelden; im übrigen
wies es die Klage ab.

    C.- Die Beklagte beantragt mit der Berufung, das vorinstanzliche
Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    Der Kläger beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene
Urteil zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Nach Art. 703 OR fasst die Generalversammlung der
Aktiengesellschaft ihre Beschlüsse und vollzieht ihre Wahlen, soweit
das Gesetz (vgl. Art. 623 Abs. 2, 635 Abs. 3, 636, 646, 648 Abs. 1, 650
Abs. 2, 825 Abs. 3 OR) oder die Statuten es nicht anders bestimmen, mit der
absoluten Mehrheit der vertretenen Aktienstimmen. Schweigen die Statuten,
so hat bei Stimmengleichheit ein Antrag das nötige Mehr nicht gefunden
und ist abgelehnt; ebenso ist eine Wahl nicht zustande gekommen, wenn
die Kandidaten dieselbe Stimmenzahl erreichen (vgl. BÄR, Aktuelle Fragen
des Aktienrechts, ZSR 1966 II, S. 431). Es fragt sich, ob die Statuten
nach Art. 703 OR für den Fall der Stimmengleichheit den Stichenscheid
des Vorsitzenden vorsehen dürfen und damit die Beschlussfähigkeit der
Generalversammlung ermöglichen können. Die Frage ist in der Lehre
umstritten und vom Bundesgericht noch nicht entschieden worden (in BGE
71 II 277 f. war sie nicht zu beurteilen).

    b) Nach Art. 19 Abs. 1 OR kann der Inhalt des Vertrages innerhalb
der Schranken des Gesetzes beliebig festgelegt werden. Dieser auf
das Schuldrecht ausgerichtete Grundsatz ist nach Art. 7 ZGB auch
auf andere Rechtsverhältnisse, also auch auf das Gesellschaftsrecht
anzuwenden (vgl. BGE 51 II 70; KOLLER, Grundfragen einer Typuslehre im
Gesellschaftsrecht, S. 107/08; SCHUCANY, N. 2 zu Art. 706 OR). Der
statutarisch angeordnete Stichentscheid des Vorsitzenden in der
Generalversammlung der Aktiengesellschaft ist somit insbesondere dann
zulässig, wenn er nicht gegen zwingende Vorschriften des Aktienrechts
verstösst (Art. 19 Abs. 2 OR).

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht erachtet die angefochtene Statutenbestimmung
als unzulässig, weil entsprechend dem Wesen der Aktiengesellschaft als
Kapitalgesellschaft das Stimmrecht auf der Kapitalbeteiligung beruhe und
nur diese die Mitgliedschaft und die aus ihr fliessenden Rechte verleihe;
für das Stimmrecht nach Köpfen bestehe daher im schweizerischen Aktienrecht
kein Raum und dürfe eine vom Aktienbesitz unabhängige persönliche Stimme
des Vorsitzenden nicht geschaffen werden. Die Vorinstanz folgert daraus,
dass in den Abstimmungen der beiden Generalversammlungen keine Beschlüsse
gefasst worden seien, weil die absolute Mehrheit der vertretenen
Aktienstimmen gefehlt habe.>

    Diese Auffassung wird im Schrifttum von verschiedenen Autoren
(vgl. FREI, Zur Frage des Stichentscheides des Vorsitzenden in der
Generalversammlung der Aktiengesellschaft, SAG 1950/51, S. 230 f.;
BÜRGI, N. 24 f. zu Art. 698 und N. 2 zu Art. 703 OR; CARRY, La voix
prépondérante du président dans les assemblées générales de la société
anonyme, Sem. jud. 1960, S. 449 f.; SCHOCH, Die Zweimann-Aktiengesellschaft
(Probleme bei gleichem Aktienbesitz), SAG 1959/60, S. 235/36; EIGENMANN,
Zum Stichentscheid des Präsidenten, SAG 1962, S. 245 f.; SCHAUB, La
voix prépondérante du président, SAG 1960/61, S. 101/102) vertreten
und in der Rechtsprechung vom Handelsgericht des Kantons St. Gallen (SAG
1962/63, S. 128 f.) und der Cour de Justice de Genève (SAG 1969, S. 109
f.) geteilt. Sie beruht auf der Vorstellung, der Gesetzgeber habe bei der
Regelung des Aktienrechts die sogenannte Publikums-Aktiengesellschaft
als Leitbild im Auge gehabt (vgl. in diesem Sinne JÄGGI, Ungelöste
Fragen des Aktienrechts, SAG 1958/59, S. 65; BÜRGI, Revisionsbedürftige
Regelungen des Aktienrechts, Expo-Festschrift 1964, S. 205; MEIER-HAYOZ,
Personengesellschaftliche Elemente im Rechte der Aktiengesellschaft,
Festschrift Hug, S. 384; WOLF, Zu einem Urteil über den statutarischen
Stichentscheid in der Generalversammlung der Aktiengesellschaft,
SAG 1962/63, S. 222; derselbe, Das Stimmengleichheitsproblem bei
Abstimmungen: Problemlösungsdenken versus limitatives Systemdenken,
SJZ 1965, S. 205; CARRY, aaO, S. 455). Gegen diese Betrachtungsweise
erheben sich gewichtige Bedenken (vgl. JOLIDON, Problèmes de structure
dans le droit des sociétés (Portée et limites de la théorie des Types),
ZSR 1968 II S. 552 f.). So legte der Gesetzgeber das Mindestkapital der
Aktiengesellschaft auf Fr. 50'000.-- fest, forderte für die Deckung jedoch
bloss Fr. 20'000.-- in bar oder durch Sacheinlage (Art. 633 OR); ferner
liess er die Gründung einer Aktiengesellschaft mit drei Aktionären
zu, ohne dass nachträglich eine Verminderung der Gesellschafter
zwangsläufig die Auflösung der Aktiengesellschaft zur Folge hätte
(Art. 625 OR). Schliesslich kann eine Aktiengesellschaft nach Art. 638
auch durch Simultangründung (vgl. Randtitel) entstehen, indem sämtliche
Aktionäre die Errichtungsurkunde unterzeichnen. Durch diese Ordnung
ermöglichte der Gesetzgeber auch die Entstehung kleinerer Gesellschaften
mit personenrechtlichem Einschlag (vgl. BÜRGI, Expo-Festschrift 1964
S. 205). Diese Gesellschaften überwiegen im Rechtsleben eindeutig,
verwirklichen doch nur eine "Minderzahl von Aktiengesellschaften ... das
gesetzliche Modell" (vgl. JÄGGI, aaO, S. 66; MEIER-HAYOZ, aaO, S. 384).

    Auch bei der Ordnung des Stimmrechts in der Generalversammlung
(vgl. Art. 692 f. OR) hat der Gesetzgeber personengesellschaftlichen
Gesichtspunkten Rechnung getragen. Das in Art. 692 Abs. 1 OR verankerte
Stimmrecht nach Zahl und Nennwert der Aktien (Real- oder Kapitalprinzip)
wird durch erhebliche Ausnahmen abgeschwächt. So können die Statuten
nach Art. 692 Abs. 2 OR die Stimmenzahl der Besitzer mehrerer Aktien
beschränken. Absatz 3 der gleichen Vorschrift gestattet, bei Herabsetzung
des Nennwertes der Aktien im Falle der Sanierung das Stimmrecht dem
ursprünglichen Nennwert entsprechend beizubehalten. Sodann können nach
Art. 693 Abs. 1 OR die Statuten das Stimmrecht unabhängig vom Nennwert
nach der Zahl der jedem Aktionär gehörenden Aktien festsetzen, so dass
auf jede Aktie eine Stimme entfällt. Freilich ist in allen diesen
Ausnahmefällen das Stimmrecht notwendigerweise mit dem Besitz von Aktien
verknüpft. Die für die Beschlussfassung massgebende Stimmkraft ist aber
nicht ausschliesslich an die kapitalmässige Beteiligung gebunden, sondern
beruht entscheidend auf der Person des Aktionärs. Diese Feststellung trifft
für die Stimmrechtsaktien (vgl. Randtitel zu Art. 693 OR) in besonderem
Masse zu, werden doch damit ganz unterschiedliche Machtverhältnisse
geschaffen, indem beispielsweise eine Aktiengesellschaft neben Aktien
zu Fr. 100.-- solche zu Fr. 1000.-- oder Fr. 3000.-- ausgibt und die
beiden Aktiengattungen trotz unterschiedlichem Nennwert mit der gleichen
Stimmkraft ausstattet (verdecktes Pluralstimmrecht). Kapitalmässig kleinere
Minderheiten können daher entscheiden, was bei der Beschlussfassung
viel schwerer wiegt als der Stichentscheid des Vorsitzenden, der
das Abstimmungsergebnis nur geringfügig verfälscht (vgl. BÄR, aaO,
S. 432; VON STEIGER, Nochmals zum Stimmengleichheitsproblem, SJZ 1965,
S. 305/06). Es rechtfertigt sich denn auch innerlich ebenso gut, statt den
Willen der ablehnenden 50% zu berücksichtigen, auf jenen der zustimmenden
50% abzustellen. BÄR (aaO, S. 431) betrachtet es daher mit Recht als eine
Überspitzung des Mehrheitsprinzips, wenn in einem solchen Fall der in den
Statuten niedergelegte korporative Wille nicht berücksichtigt wird. Gerade
bei der Gesellschaft mit grosser Aktionärzahl ohne feste Blockbildung und
mit nur zufälligem, jedenfalls aber bloss gelegentlichem Gleichstand ist
der Stichentscheid des Vorsitzenden besonders am Platz und verlieren die
Bedenken aus der Gleichheit der Stimmbemessung jedes Gewicht (vgl. BÄR,
aaO, S. 433).

    Die Gegner lehnen den statutarischen Stichentscheid des Vorsitzenden
namentlich deshalb ab, weil bei der Zweimann- oder Zweigruppen-Gesellschaft
die Gefahr eines Missbrauchs bestehe, indem die nur mit Stichentscheid
geschaffene, im Grunde genommen bloss fiktive Mehrheit den andern Aktionär
oder die andere Aktionärgruppe ständig in die Minderheit versetzen könne.
Damit würde - so wird argumentiert - auf die Dauer ein unerträglicher
Zustand geschaffen, der für die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft
nicht weniger gefährlich wäre als die Beschlussunfähigkeit zufolge
Stimmengleichheit. In solchen Fällen sei daher eine mehr oder weniger
erzwungene Verständigung meist zweckmässiger als die Majorisierung auf
Grund einer einzigen, bloss fiktiven Mehrheitsstimme. Der Gefahr der
Beschluss- und Funktionsunfähigkeit einer Aktiengesellschaft mit zwei
kapitalmässig gleich stark beteiligten Aktionären oder Aktionärgruppen
könne dadurch begegnet werden, dass beide Seiten je eine Aktie einem
gemeinsamen Vertrauensmann übergeben.

    Zwar ist denkbar, dass der statutarische Stichentscheid in einzelnen
Fällen dauernd zu Mehrheitsbeschlüssen führen kann. Aber solche Beschlüsse
brauchen durchaus nicht rechtsmissbräuchlich zu sein (vgl. WOLF, SJZ
1965, S. 205 und SAG 1962/63, S.221). Das ist erst dann der Fall, wenn der
auf Grund des Stichentscheides gefasste Beschluss sich durch vernünftige
wirtschaftliche Erwägungen nicht rechtfertigen lässt, die Interessen
der Minderheit offensichtlich beeinträchtigt und Sonderinteressen der
Mehrheit ohne Grund bevorzugt (vgl. BGE 95 II 164 mit Hinweisen). Die
Auffassung BÜRGIS (ZSR 1959 II S. 726a), es sei besonders untragbar, wenn
eine Zweigruppen-Gesellschaft nur von der Stimme des Präsidenten abhange,
ist daher eine unzutreffende Verallgemeinerung. Wird die Minderheit durch
einen sachlich nicht gerechtfertigten Beschluss beeinträchtigt, so steht
ihr die Anfechtungs- und allenfalls die Auflösungsklage aus wichtigen
Gründen offen (Art. 706 und 736 Abs. 4 OR).

    Die Möglichkeit, bei der Zweimann- oder Zweigruppen- Gesellschaft
eine Aktie einem Vertrauensmann zu übergeben, ist beachtenswert. Sie
macht aber das Rechtsinstitut des statutarischen Stichentscheides
nicht überflüssig. Die Ernennung eines Treuhänders setzt den Abschluss
eines Vertrages unter den Beteiligten voraus. Für die Aktionäre ist es
unter Umständen schwierig, einen gemeinsamen Vertrauensmann überhaupt
zu finden, sich mit diesem über seine Aufgabe, seine Verantwortung,
seine Vergütung sowie die Vertragsdauer zu einigen (vgl. WOLF, SAG
1962/63, S. 223). Auch darf nicht übersehen werden, dass durch diese
Lösung gesellschaftsinterne Schwierigkeiten nicht in jedem Falle zu
vermeiden sind. Es ist nicht ausgeschlossen, dass zwischen den sich
gegenüberstehenden Aktionären oder Aktionärgruppen über die Rolle des
Treuhänders Meinungsverschiedenheiten entstehen und sie sich über den
vorzeitigen Widerruf des gemeinsam erteilten Auftrages nicht einigen
können. Der statutarische Stichentscheid ist daher das einfachere und
zweckmässigere Mittel, um die Beschlussfähigkeit der Generalversammlung
und damit die Verwirklichung des Gesellschaftszwecks zu gewährleisten.

Erwägung 3

    3.- Das Obergericht nimmt in zweiter Linie den Standpunkt ein,
die Wahlen seien ohnehin nicht gültig zustande gekommen, weil sich der
statutarische Stichentscheid des Vorsitzenden nur auf Beschlüsse, nicht
auch auf Wahlen beziehe. Der Kläger macht sich diese Auffassung mit dem
Hinweis darauf zu eigen, dass Art. 7 der Gesellschaftsstatuten bei den
der Generalversammlung übertragenen Befugnissen zwischen Wahlen (lit. c
und d) und Beschlüssen (lit. i) unterscheide.

    a) Diese Argumentation fällt mit Bezug auf drei der insgesamt vier
im Berufungsverfahren noch streitigen Gegenstände zum vorneherein ausser
Betracht.

    aa) Nach Art. 12 Abs. 1 der Statuten werden die Mitglieder
der Verwaltung auf zwei Jahre gewählt. Die Amtsdauer der
in der Generalversammlung vom 19. Februar 1965 gewählten
Verwaltungsratsmitglieder lief im Jahre 1967 ab. Der Kläger hat im
Hinblick auf seine Wiederwahl als Mitglied des Verwaltungsrates nur 50%
der vertretenen Aktienstimmen auf sich vereinigt, also keine Mehrheit
erreicht. Der Stichentscheid des Vorsitzenden hatte daher auf seine
Nichtwiederwahl keinen Einfluss.

    bb) Der über den Antrag des Klägers gefasste Beschluss, die
Buchhaltung nicht mehr durch den Mitaktionär Wehrli, sondern auswärts
besorgen zu lassen, bezieht sich nicht auf die in Art. 7 lit. d
der Statuten vorgesehene "Wahl und Abberufung von Angestellten, die
zugleich Mitglied der Verwaltung sind". Es handelt sich im Gegenteil
um einen Beschluss über ein gewöhnliches Sachgeschäft. Dass Wehrli für
die Besorgung der Buchhaltung eine nach Art. 13 der Statuten zulässige
Vergütung bezog, änderte an seiner Eigenschaft als Verwaltungsrat mit
Einzelzeichnungsberechtigung nichts, machte ihn insbesondere nicht zu
einem Angestellten im Sinne der erwähnten Statutenbestimmung.

    cc) Der Beschluss über die Genehmigung des Geschäftsberichtes sowie
der Gewinn- und Verlustrechnung für das Jahr 1965 betrifft ebenfalls
kein Wahlgeschäft.

    b) Die Eventualbegründung des Obergerichtes könnte somit nur noch für
die Wiederwahl des Robert Wehrli als Verwaltungsrat in Frage kommen. Sie
scheint durch den Wortlaut des Art. 703 OR bestätigt zu werden, der
zwischen Beschlüssen und Wahlen unterscheidet, die mit der absoluten
Mehrheit der vertretenen Aktienstimmen gefasst werden. Art. 698 OR,
der mit Art. 703 OR funktionell zusammenhängt, zählt dagegen zu den
unübertragbaren Befugnissen der Generalversammlung ohne Unterschied Wahlen
und andere Sachgeschäfte. Art. 10 Abs. 2 der Statuten der Beklagten bezieht
sich nach dem Wortlaut nur auf Beschlüsse, die in Anlehnung an Art. 703
OR "mit der absoluten Mehrheit der vertretenen Aktienstimmen" gefasst
werden. Eine weitere Vorschrift, die sich ausdrücklich auf Wahlen beziehen
würde, sehen die Statuten indessen nicht vor. Die wörtliche Auslegung der
fraglichen Statutenbestimmung führte aber zu einem widersinnigen Ergebnis,
wäre doch für Beschlüsse im engern Sinne das absolute Mehr nach Art. 10
Abs. 2 der Statuten, für Wahlen dagegen die gleiche Stimmenzahl nach
Art. 703 OR massgebend. Unter Beschlüsse im Sinne von Art. 10 Satz 2
der Statuten sind daher sämtliche Entscheidungen der Generalversammlung,
also auch Wahlen zu verstehen, die im Grunde genommen nichts anderes als
Beschlüsse besonderer Art sind.

Erwägung 4

    4.- Der Kläger stellt sich mit dem Obergericht subsidiär auf
den Standpunkt, die beiden Generalversammlungsbeschlüsse seien auch
anfechtbar, weil sie gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre
verstiessen, der verlange, dass Aktionäre mit Aktien vom gleichen Nennwert
auch hinsichtlich des Stimmrechts gleichgestellt seien.>

    Der genannte Grundsatz will aber nicht eine absolute Gleichbehandlung
der Aktionäre gewährleisten; er bedeutet vielmehr, dass von der
Gleichbehandlung nur insofern abgewichen werden darf, als diese für
die Verfolgung des Gesellschaftszweckes im Interesse aller Aktionäre
notwendig ist. Eine unterschiedliche Behandlung ist also dort zulässig,
wo sie nicht unsachlich, sondern ein angemessenes Mittel zur Erreichung
eines gerechtfertigten Zweckes ist (vgl. BGE 91 II 301 mit Hinweisen,
93 II 406, 95 II 162/63).

    Der Grundsatz der kapitalmässigen Bemessung des Stimmrechts ist,
wie erwähnt, nicht zwingend, sondern kann durch statutarische Anordnung
verschiedene Ausnahmen erfahren. Eine Statutenvorschrift, die das
Stimmengleichgewicht der Aktionäre in einer Aktiengesellschaft durch
Stichentscheid des Vorsitzenden in der Generalversammlung umstösst, um die
Beschlussfähigkeit der Generalversammlung und damit auch den Bestand der
Gesellschaft zu gewährleisten, kann nicht als unsachlich bezeichnet werden.
Sie bringt denn im vorliegenden Fall keine grössere Ungleichheit mit sich,
als wenn die beiden Aktionäre die gleiche Lösung beispielsweise durch
Zuteilung der Aktien im Verhältnis von 99 zu 101 oder durch Schaffung
von Stimmrechtsaktien angestrebt hätten (vgl. WOLF, SJZ 1965, S. 205,
SAG 1962/63, S. 221).

Erwägung 5

    5.- Art. 708 Abs. 4 OR bestimmt, dass, wenn mehrere Gruppen von
Aktionären mit verschiedener Rechtsstellung bestehen, durch die Statuten
jeder Gruppe die Wahl wenigstens eines Vertreters in der Verwaltung zu
sichern ist. Besteht ein Verwaltungsratsausschuss, so haben wichtige
Gruppen auch Anspruch auf eine Vertretung in diesem.

    Diese Vorschrift ist zwingender Natur. Sie folgt der Tendenz der
modernen Aktienrechtsgesetzgebung, den Minderheiten gewisse Rechte
einzuräumen, selbst wenn sie nur einen Bruchteil des Aktienkapitals
vertreten (vgl. BGE 66 II 49/50). Der Kläger folgert daraus, dass
ihm angesichts der gleich starken Kapitalbeteiligung wie Wehrli umso
mehr das Recht zustehe, im Verwaltungsrat vertreten zu sein. Art. 708
Abs. 4 OR trifft indessen hier nicht zu. Die Beklagte hat ausschliesslich
Aktien der gleichen Gattung ausgegeben und verfügt auch nicht über einen
Verwaltungsratsausschuss.

    Art. 708 Abs. 5 OR sieht vor, dass die Statuten zum Schutze der
Minderheiten oder einzelner Gruppen von Aktionären weitere Bestimmungen
über die Wahlart aufstellen können. Unter "einzelnen Gruppen" sind solche
von Aktionären mit verschiedener Rechtsstellung im Sinne von Art. 708
Abs. 4 OR und unter "Minderheiten" solche von Aktionären gleicher
Rechtsstellung zu verstehen (vgl. SCHUCANY, N. 5 zu Art. 708 OR). Die
Statuten der Beklagten enthalten keine Bestimmung im Sinne der erwähnten
Vorschrift, weshalb der angebliche Anspruch des Klägers auf Vertretung im
Verwaltungsrat der Beklagten auch unter diesem Gesichtspunkt abzulehnen
ist.

Erwägung 6

    6.- Der Kläger vertritt sodann die Auffassung, der in der ordentlichen
Generalversammlung vom 28. Februar 1967 mit Stichentscheid des
Vorsitzenden gefasste Beschluss, den Geschäftsbericht sowie die Gewinn-
und Verlustrechnung für das Jahr 1965 zu genehmigen und keine Dividende
auszuschütten, verstosse gegen das wohlerworbene Recht des Aktionärs auf
einen verhältnismässigen Anteil am Reingewinn (Art. 646 und 660 OR).

    Das Obergericht hat diese Frage nicht geprüft, weil es die auf
Grund des Stichentscheides gefassten Beschlüsse der Beklagten ohnehin
als nichtig erklärte. Die erste Instanz wies dagegen das Begehren aus
materiellen Gründen ab. Sie stellte auf Grund der Ausführungen des
Klägers in der Klagebegründung fest, dass dieser bis Mitte 1965 bei der
Beklagten einen Betriebsverlust von ungefähr Fr. 35'000.-- ermittelt habe;
es sei ihm nicht gelungen, diesen Verlust auf Grund eines von ihm selber
entworfenen Budget- und Sanierungsprogrammes bis Ende 1965 abzubauen,
geschweige denn, den behaupteten Reingewinn von Fr. 10'000.-- für das
betreffende Geschäftsjahr nachzuweisen. Das Amtsgericht machte sich die
Auffassung des Zeugen Bachmann zu eigen, der die mit einem Reingewinn von
Fr. 43.18 abschliessende Betriebsrechnung für das Jahr 1965 überprüfte
und erklärte, die Ausschüttung einer Dividende sei unter diesen Umständen
bei einer Gesellschaft wie der Beklagten nicht denkbar.

    Das Klagebegehren wäre ohne weiteres abzuweisen, wenn das Obergericht
diese Feststellungen übernommen hätte. Da die Berufungsinstanz ihrem
Entscheid nur die tatsächlichen Verhältnisse des angefochtenen
Urteils zu Grunde legen darf (Art. 48 OG), ist die Sache an die
Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie - prozesskonforme Behauptungen
und Beweisanträge vorbehalten - die Akten ergänze und über diesen Punkt
neu entscheide (Art. 64 OG). Sie wird dabei zu beachten haben, dass das
wohlerworbene Recht des Aktionärs auf einen verhältnismässigen Anteil
am Reingewinn im Sinne von Art. 646 und 660 OR kein unbedingtes ist,
sondern durch die weitgehenden Befugnisse der Generalversammlung oder
der Verwaltung eingeschränkt werden darf. So kann die Generalversammlung
den Reingewinn zur Äufnung von Reserven oder zu andern nach Gesetz
oder Statuten zulässigen Zwecken verwenden. Die Gerichte können aber
die Angemessenheit der hierüber gefassten Beschlüsse nicht überprüfen
und dürfen nur einschreiten, wenn die Generalversammlung den Rahmen
vernünftiger Überlegungen willkürlich überschritten hat (vgl. BGE 91 II
310 und dort erwähnte Entscheide, 93 II 405 Erw. 6a, 95 II 163/164).

Erwägung 7

    7.- Der Kläger macht schliesslich geltend, Wehrli habe ihn
durch missbräuchliche und willkürliche Ausübung des Stichentscheides
benachteiligt.

    Das angefochtene Urteil enthält keine Feststellung, die den Schluss auf
ein missbräuchliches Verhalten Wehrlis zuliesse. Die Vorinstanz wird daher
auch hier unter Vorbehalt des kantonalen Prozessrechts zu prüfen haben,
ob der Kläger Sachumstände behauptet und zum Beweise angeboten hat, die
seinen Vorwurf rechtfertigen könnten. Dabei ist nicht zu beanstanden, dass
sich Wehrli als Initiant und bisheriger Alleinaktionär bei der Änderung
der Gesellschaftsstatuten gegenüber dem Kläger durch Einräumung der
Einzelzeichnungsberechtigung und des Stichentscheides den massgebenden
Einfluss auf die Entwicklung des Unternehmens sichern wollte. Diese
Massnahme war ein Gebot der Klugheit, zumal Wehrli ja nicht wusste,
wie sich die Zusammenarbeit mit dem Kläger gestalten werde.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons
Luzern vom 4. November 1968 aufgehoben und die Sache zur Ergänzung der
Akten und zu neuem Entscheid an die kantonale Instanz zurückgewiesen.