Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 II 242



95 II 242

32. Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Juni 1969 i.S. Weisskredit
Handels- und Anlagebank gegen Hiltmann. Regeste

    Bürgschaft, Rückgriff unter Solidarbürgen.

    Rechtliche Bedeutung einer Mitteilung des Gläubigers an einen
Solidarbürgen, die Hauptschuld sei durch Zahlung zweier anderer
Solidarbürgen getilgt (Erw. 1).

    Die Abtretung der verbürgten Forderung durch den Gläubiger an einen
von mehreren Solidarbürgen oder an einen von diesem vorgeschobenen Dritten
ist für das Rückgriffsverhältnis zwischen den Solidarbürgen unbeachtlich
(Erw. 2).

    Die Zulässigkeit einer Eventualbegründung, die sich auf einen vom
Hauptstandpunkt abweichenden Tatbestand stützt, bestimmt sich nach dem
kantonalen Prozessrecht (Erw. 3).

    Der Aberkennungsbeklagte kann im Aberkennungsprozess seinen Anspruch
anders begründen als im Betreibungs- und Rechtsöffnungsverfahren; er kann
sich auch auf eine erst nach dem Zahlungsbefehl erfolgte Abtretung berufen
(Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Die Bank "Crédit Agricole Chevenez" gewährte gemäss Vertrag
vom 4. Mai 1966 der EGA SA ein Darlehen von Fr. 105 000.--. Für diese
Schuld einschliesslich Zinsen und Nebenkosten bis zum Gesamtbetrag von Fr.
115 000.-- leisteten E.A. Misteli (Aktionär und Gläubiger der EGA SA), W.
Hiltmann (Verwaltungsrat dieser Gesellschaft), sowie A. und G. Borruat
Solidarbürgschaft.

    Am 30. November 1966 schlossen Misteli einerseits und die EGA SA,
Hiltmann und A. und G. Borruat anderseits eine Vereinbarung, wonach Misteli
aus der EGA SA ausschied. Ziffer 2 Abs. 2 dieser Vereinbarung bestimmte:

    "Sollte E.A. Misteli aus irgendwelchen Bürgschaften für die EGA
SA von den Banken persönlich in Anspruch genommen werden, sind ihm die
entsprechenden Beträge von W. Hiltmann und den Herren Borruat zu ersetzen."

    Die EGA SA, Hiltmann und A. und G. Borruat ersuchten am 25. April
1967 den Crédit Agricole unter Hinweis auf diese Vereinbarung, Misteli aus
der Bürgschaftsverpflichtung zu entlassen; sie erklärten, für allfällige
Bürgschaftsansprüche des Crédit Agricole gegenüber Misteli einstehen zu
wollen. Inzwischen war der EGA SA, die sich in Zahlungsschwierigkeiten
befand, eine Nachlassstundung bewilligt worden. Der Crédit Agricole lehnte
daher mit Schreiben vom 1. Mai 1967 an alle vier Bürgen die Entlassung
Mistelis aus der Bürgschaft ab und teilte ihnen mit, sie habe der EGA SA
das Darlehen vertragsgemäss auf den 7. Juni 1967 gekündigt; nach Ablauf
dieser Frist werde sie jeden der vier Solidarbürgen für den ganzen
Forderungsbetrag von Fr. 105 000.-- nebst Zinsen und Kosten betreiben.

    Am 21. Juli 1967 schrieb die Weisskredit Handels- und Anlagebank,
Zürich, dem Crédit Agricole, sie sei auf Ersuchen ihres Kunden Misteli
bereit,

    "... de reprendre un montant total de fr. 30 000.-- ... comme crédit
dénoncé de votre part contre la maison EGA SA ... à une simple cession
de crédit partielle de votre part pour le montant indiqué avec tous les
droits de cautions solidaires envers toutes les parties indiquées dans
votre crédit."

    Der Crédit Agricole wollte sich jedoch offenbar unter Hinweis auf
die solidarische Bürgschaftsverpflichtung Mistelis mit einer Zahlung von
Fr. 30 000.-- nicht begnügen, sondern forderte den ganzen, nach Eingang
einer Zahlung des Bürgen Hiltmann von Fr. 30 000.-- noch offenen Betrag von
Fr. 78 957.--. Die Bank Weisskredit überwies ihm daher Ende Juli/Anfang
August 1967 diese Summe mit dem erneuten Hinweis, die Zahlung erfolge
unter der Bedingung, dass der Crédit Agricole ihr alle seine Rechte gegen
die EGA SA und die Solidarbürgen abtrete.

    Am 5. August 1967 schrieb der Crédit Agricole an die EGA SA, an
"Weisskredit pr. Misteli", an Hiltmann und an A. und G. Borruat:

    "Nous accusons réception des montants suivants:

    fr. 30 000.-- par M. Walter Hiltmann, Zurich, valeur 27 juillet 1967
fr. 78 000.-- par Weisskredit Zurich pr M. Misteli, Zurich, valeur 1.8.67

    fr. 957.-- idem, valeur 5.8.67.

    Nous avons le plaisir de vous communiquer que l'emprunt de fr. 105
000.-- est entièrement libéré par le règlement des deux cautions
ci-dessus."

    Da die Bank Weisskredit die verlangte Abtretungserklärung vom Crédit
Agricole nicht erhielt, mahnte sie diesen in den Monaten September und
Oktober 1967 mehrmals mit der Androhung, sie werde die geleistete Zahlung
von Fr. 78 957.-- zurückfordern, wenn der Crédit Agricole ihrem Begehren
nicht entspreche.

    Am 7. November 1967 stellte der Crédit Agricole der Bank Weisskredit
die Erklärung aus, er trete ihr die Darlehensforderung gegen die EGA SA
bis zum Betrag von Fr. 78 957.-- samt allen Nebenrechten, insbesondere
den Bürgschaftsansprüchen, ab.

    Gestützt auf diese Abtretungserklärung forderte die Bank Weisskredit
am 29. November 1967 Hiltmann auf, ihr den Betrag von Fr. 78 957.--
nebst Zinsen auf Grund seiner Solidarbürgschaft für die EGA SA zu
ersetzen. Hiltmann kam jedoch dieser Aufforderung nicht nach und erhob
gegen den Zahlungsbefehl vom 1. Dezember 1967 Rechtsvorschlag, anerkannte
dann aber am 5. März 1968 das Begehren der Weisskredit um provisorische
Rechtsöffnung unter dem Vorbehalt der Aberkennungsklage.

    Am 23. April 1968 trat Misteli "alle seine Rechte aus Ziffer 2 letzter
Absatz der Vereinbarung vom 30.11.66 mit Walter Hiltmann und Konsorten"
an die Bank Weisskredit ab.

    B.- Am 25. März 1968 klagte Hiltmann gegen die Bank Weisskredit auf
Aberkennung der gegen ihn in Betreibung gesetzten Forderung von Fr. 78
957.-- nebst Zinsen und Kosten.

    Zur Begründung brachte er vor, die Hauptschuld, also die
Darlehensforderung des Crédit Agricole gegen die EGA SA, sei infolge seiner
Bürgschaftszahlung von Fr. 30 000.-- und der Zahlung der Beklagten von
Fr. 78 957.-- am 5. August 1967 bereits getilgt gewesen. Mit dem Erlöschen
der Hauptschuld sei auch seine Bürgschaftsverpflichtung kraft Gesetzes
dahingefallen. Im Zeitpunkt der Abtretung vom 7. November 1967 habe somit
die EGA SA dem Crédit Agricole nichts mehr geschuldet, noch habe eine
Bürgschaftsverpflichtung seinerseits bestanden. Selbst wenn aber am 7.
November 1967 noch eine Schuld der EGA SA bestanden haben sollte, sei
auf Grund des Schreibens des Crédit Agricole vom 5. August 1967 seine
Bürgschaftsverpflichtung dahingefallen.

    Die Beklagte beantragte, die Aberkennungsklage abzuweisen. Sie
machte geltend, sie habe dem Crédit Agricole die Fr. 78 957.--
nicht bezahlt, um die Bürgschaftsverpflichtung des Misteli abzulösen,
sondern um die nach der Bürgschaftszahlung des Klägers von Fr. 30 000.--
noch verbleibende Restforderung des Crédit Agricole gegen die EGA SA
zu erwerben. Infolge der Abtretungserklärung des Crédit Agricole vom
7. November 1967 sei diese Restforderung samt allen Nebenrechten auf sie
übergegangen. Sie sei daher berechtigt, den Solidarbürgen Hiltmann für
die ganze noch ungedeckte Forderung von Fr. 78 957.-- zu belangen. Falls
man annehme, ihre Zahlung an den Crédit Agricole sei zur Ablösung der
Bürgschaftsverpflichtung Mistelis erfolgt, stütze sie ihren Anspruch
auf die Zession des Misteli vom 23. April 1968, durch welche dieser alle
seine Rechte aus der Ausscheidungsvereinbarung vom 30. November 1966 auf
sie übertragen habe. In diesem Falle hafte der Kläger nicht als Bürge der
EGA SA, sondern aus seiner Verpflichtung, Misteli schadlos zu halten, wenn
er nach seinem Ausscheiden aus der EGA SA als Bürge belangt werden sollte.

    Im Laufe des kantonalen Verfahrens setzte die Beklagte ihre Forderung
um den Betrag von Fr. 1725.-- herab, den sie bei den Bürgen G. und
A. Borruat eingetrieben hatte.

    C.- Das Handelsgericht des Kantons Zürich schützte am 11. Juni 1968
die Aberkennungsklage.

    D. - Gegen dieses Urteil erklärte die Beklagte die Berufung an das
Bundesgericht mit dem erneuten Antrag, die Aberkennungsklage abzuweisen.

    Der der Beklagten auferlegte Kostenvorschuss für das Berufungsverfahren
wurde erst am Tage nach Ablauf der gesetzten Frist geleistet, und zwar
durch Misteli. Nach den Ausführungen in dem von ihm und der Beklagten
gestellten Gesuch um Wiederherstellung der versäumten Zahlungsfrist (dem
am 31. Oktober 1968 entsprochen wurde), hatte Misteli es auf Grund einer
Absprache mit der Beklagten übernommen, den Kostenvorschuss zu leisten.

    Der Kläger beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene
Urteil zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    1. - Das Handelsgericht hat die Aberkennungsklage mit der Begründung
geschützt, der Kläger habe das Schreiben des Crédit Agricole vom 5. August
1967 als Befreiung von der Bürgschaft infolge Untergangs der Hauptschuld
verstehen können und dürfen. Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet
werden.

    a) In erster Linie fragt sich, ob am 7. November 1967 die abgetretene
Forderung noch bestand und dem Crédit Agricole gehörte. Denn nur wenn
beides zutraf, konnte der Crédit Agricole sie der Bank Weisskredit
abtreten und konnten mit ihr auch die Rechte gegen den Bürgen Hiltmann,
die von der Beklagten geltend gemacht werden, auf sie übergehen.

    Das Handelsgericht hat sich mit den genannten beiden Fragen nicht
befasst. Dass die Darlehensforderung am 7. November 1967 noch bestand,
kann indessen nicht zweifelhaft sein. Auf Grund des Schreibens des
Crédit Agricole vom 5. August 1967 durfte niemand annehmen, die Schuld
der EGA SA sei getilgt worden oder wolle vom Crédit Agricole erlassen
werden. Namentlich durfte auch der Kläger einen solchen Schluss nicht
ziehen. Der Crédit Agricole schrieb ja nicht, die EGA SA habe gezahlt,
sondern die beiden Bürgen Hiltmann und Misteli hätten das getan. Aus
dem Schreiben musste daher jedermann schliessen, die Forderung gegen die
EGA SA sei gemäss Art. 507 auf die zahlenden Bürgen Hiltmann und Misteli
übergegangen. Daran änderte auch die vom Crédit Agricole im Schlussatz
seines Schreibens abgegebene Erklärung nichts, die Darlehensforderung
von Fr. 105 000.-- sei "entièrement libéré par le règlement des deux
cautions ci-dessus". Das hiess nach Treu und Glauben nur, dass der Crédit
Agricole sich nicht mehr als Gläubiger betrachte. Darin lag aber weder eine
Anerkennung, dass die Schuld der EGA SA getilgt sei, noch ein Schulderlass,
sondern es handelte sich einfach um eine rechtliche Schlussfolgerung des
Crédit Agricole aus den mitgeteilten Zahlungen der beiden Bürgen.

    Diese Schlussfolgerung war richtig für die Fr. 30 000.--, die der
Kläger bezahlt hatte. Dagegen traf sie möglicherweise nicht zu für die
Fr. 78 957.--, von denen der Crédit Agricole annahm, die Beklagte habe
sie ihm im Namen Mistelis bezahlt. Wenn er sich in diesem Punkte geirrt
haben sollte, weil die Beklagte im eigenen Namen bezahlt hatte, um die noch
ungedeckte Restforderung des Crédit Agricole zu erwerben, wäre dieser für
die Fr. 78 957.-- Gläubiger geblieben und hätte somit diese Teilforderung
am 7. November 1967 noch an die Beklagte abtreten können. Man kann nicht
folgern, weil die EGA SA sich als befriedigt ausgegeben habe, müsse der
Richter auf Grund der Vertrauenstheorie zum Vorteil Hiltmanns annehmen,
der Crédit Agricole sei vom 5. August 1967 an nicht mehr Gläubiger
gewesen. Die möglicherweise unrichtige Mitteilung konnte beim Leser nur
eine irrige Vorstellung über die Person des Gläubigers, nicht einen
Irrtum über den Fortbestand der Forderung bewirken. Aus einem Irrtum
über die Person des Gläubigers, der im Zeitpunkt der Belangung behoben
ist, kann aber weder der Schuldner noch der Bürge etwas ableiten. Das
ergibt sich aus Art. 167 OR, der sich zwar auf den Fall der Abtretung
bezieht, aber sinngemäss auch in andern Fällen irriger Vorstellungen des
Schuldners über einen Gläubigerwechsel (Erbgang, eheliches Güterrecht,
Subrogation) zutrifft. Ein Eingreifen der Vertrauenstheorie kommt hier
nicht in Betracht. Diese gilt nur für die Auslegung rechtsgeschäftlicher
Willenserklärungen, nicht auch für die Auslegung blosser Mitteilungen ohne
rechtsgeschäftlichen Charakter. Die Vertrauenstheorie vermag eine solche
Mitteilung nicht zu einem Angebot auf den Abschluss eines Rechtsgeschäftes
zu machen. Um eine Anzeige ohne rechtsgeschäftlichen Inhalt handelte
es sich aber beim Schreiben des Crédit Agricole vom 5. August 1967.
Der Empfänger durfte in ihm nicht eine Offerte zum Abschluss eines
Vertrages, z.B. eines Schulderlasses, sehen, sondern musste es als
das hinnehmen, was es war, nämlich eine schlichte Mitteilung, dass die
Forderung des Crédit Agricole nach dessen Meinung infolge der Zahlungen
der beiden Bürgen kraft Gesetzes auf diese übergegangen sei.

    b) Was sodann die Frage des Fortbestandes der Bürgschaftsverpflichtung
des Klägers betrifft, meint das Handelsgericht, dieser habe das Schreiben
vom 5. August 1967 dahin verstehen dürfen, "er sei infolge vollständiger
Tilgung der Hauptschuld von seiner Verpflichtung als Bürge gegenüber dem
Crédit Agricole befreit". Es spricht von einer "Schuldbefreiungserklärung",
von einem "Entlastungsschreiben", durch das die Bürgschaftsverpflichtung
erloschen sei. Das Handelsgericht meint also, der Crédit Agricole habe
den Kläger als Bürgen entlassen, d.h. auf seine Bürgschaftsansprüche
ihm gegenüber verzichtet.

    Das wäre eine "Aufhebung durch Uebereinkunft" im Sinne des Art. 115
OR. Von einer solchen könnte aber nur die Rede sein, wenn der Kläger
das Schreiben vom 5. August 1967 nach Treu und Glauben als Angebot zum
Abschluss einer solchen Uebereinkunft hätte auslegen dürfen. Das nimmt
aber nicht einmal das Handelsgericht an, vertritt es doch, wie gesagt,
die Auffassung, der Kläger habe sich infolge vollständiger Tilgung
der Hauptschuld von seiner Verpflichtung befreit erachten dürfen. Dass
die Hauptschuld vollständig getilgt sei, sagt indessen das Schreiben,
wie bereits dargelegt wurde, in keiner Weise; es spricht nur von einer
Befriedigung des Crédit Agricole durch Zahlung zweier Bürgen, was nach Art.
507 OR Fortbestand der Hauptschuld unter Eintritt eines Gläubigerwechsels
(Uebergang der Hauptforderung samt Sicherheiten auf den zahlenden Bürgen)
bedeutet. Nach dem Wortlaut des Schreibens vom 5. August 1967 durfte
der Kläger schlechterdings nicht annehmen, der Crédit Agricole wolle
ihm eine Vertragsofferte zur Aufhebung seiner Bürgschaftsverpflichtung
machen. Er musste das Schreiben als blosse Ansichtsäusserung des
Gläubigers über die angeblich eingetretene gesetzliche Subrogation
verstehen. So wenig diese Ansichtsäusserung einen vertraglichen Untergang
der Hauptschuld zur Folge haben konnte, so wenig konnte sie den Untergang
der Bürgschaftsverpflichtung des Klägers bewirken. Wenn der Inhalt des
Schreibens richtig sein sollte, könnte der Crédit Agricole und folglich
auch die Bank Weisskredit als dessen Rechtsnachfolgerin den Kläger
allerdings nicht mehr belangen, weil dann die Subrogation eingetreten
und der Kläger dem Misteli gemäss Art. 497 Abs. 2 Satz 4 OR und der
Vereinbarung vom 30. November 1966 regresspflichtig geworden wäre. Das wäre
aber nicht die Folge der Aeusserung des Crédit Agricole vom 5. August 1967,
sondern die gesetzliche Folge der von Misteli geleisteten Zahlung. Wenn
dagegen der Inhalt des Schreibens unrichtig war, so kann der Kläger daraus
nichts für sich ableiten. Dieses hat ihn dann lediglich über die Person des
Gläubigers irregeführt, indem er annehmen konnte, er sei fortan nicht mehr
dem Crédit Agricole, sondern dem Misteli verpflichtet. Hätte der Kläger
auf Grund dieses Irrtums dem Misteli bezahlt, so müsste wahrscheinlich
entschieden werden, er sei gegenüber dem Crédit Agricole und der Beklagten
als dessen Rechtsnachfolgerin befreit. Der Kläger hat aber nicht bezahlt,
sondern wird unter Hinweis auf den Irrtum, der dem Crédit Agricole bei
seinem Schreiben vom 5. August 1967 unterlaufen sein soll, auf Zahlung
belangt. Er muss sich deshalb einen allfälligen Irrtum entgegenhalten
lassen.

    c) Die Auslegung des Schreibens als Vertragsofferte zur Aufhebung
der Bürgschaftsverpflichtung des Klägers ist nicht nur mit den Regeln
von Treu und Glauben unvereinbar, sondern geradezu unmöglich. Der Crédit
Agricole teilte ja am 5. August 1967 mit, der Bürge Misteli habe ihn
befriedigt. Wenn das zugetroffen haben sollte, d.h. die Zahlung der
Beklagten wirklich im Namen Mistelis erfolgt wäre, hätte der Crédit
Agricole den Mitbürgen Hiltmann gar nicht mehr aus seiner Bürgschaft
entlassen können; die Rechte des befriedigten Gläubigers wären von Gesetzes
wegen auf den Bürgen Misteli übergegangen, und zwar kraft der Zahlung,
die bereits erfolgt war, als das Schreiben vom 5. August 1967 abgeschickt
wurde. Wer das Schreiben las, konnte daher schlechterdings nicht annehmen,
der Crédit Agricole sei noch Gläubiger und wolle durch dasselbe auf seine
Forderung oder zum mindesten auf die Bürgschaftsrechte gegen den Kläger
verzichten; nach dem im Schreiben geschilderten Sachverhalt hätte nur
noch Misteli die Hauptschuld erlassen oder den Kläger seiner Verpflichtung
entheben können.

    Mit der von der Vorinstanz gegebenen Begründung kann daher die
Aberkennungsklage nicht geschützt werden.

    2. - Die Beklagte will dem Crédit Agricole den Betrag von Fr. 78 957.--
in der Absicht bezahlt haben, die noch ungedeckte Darlehensforderung
in dieser Höhe gegen die EGA SA samt allen Nebenrechten, namentlich den
Bürgschaftsansprüchen, zu erwerben.

    Diese Behauptung hat angesichts des Schreibens vom 21. Juli 1967,
mit dem die Beklagte erstmals an den Crédit Agricole herantrat, eine
gewisse Wahrscheinlichkeit für sich. Denn entgegen der Darstellung der
Vorinstanz teilte die Beklagte damals dem Crédit Agricole nicht mit,
"ihr Kunde Misteli habe sie beauftragt, ihr, der Crédit Agricole, Fr. 30
000.-- zur anteilmässigen Ablösung seiner Bürgschaftsverpflichtung
zukommen zu lassen". Sie schrieb vielmehr, sie sei auf Ersuchen ihres
Kunden Misteli bereit, den vom Crédit Agricole der EGA SA gekündigten
Kredit bis zum Totalbetrag von Fr. 30 000.-- zu übernehmen gegen
einfache Abtretung dieser Teilforderung samt den entsprechenden
Solidarbürgschaftsansprüchen. Ebenso wies sie bei der Bezahlung des vom
Crédit Agricole verlangten vollen Betrages von Fr. 78 957.-- erneut darauf
hin, diese erfolge unter der Bedingung, dass der Crédit Agricole ihr alle
seine Rechte gegen die EGA SA und gegen die Solidarbürgen abtrete.

    Die Vorinstanz hat indessen die Frage, ob die Beklagte zwecks
Forderungserwerbs oder zur Ablösung der Bürgschaftsverpflichtung Mistelis
bezahlt habe, offen gelassen. Es ist jedoch nicht nötig, die Sache zur
Abklärung des Sachverhalts in diesem Punkte an sie zurückzuweisen. Denn
selbst wenn die Darstellung der Beklagten zutreffen sollte, könnte diese
sich dem Kläger gegenüber nicht auf den Forderungserwerb berufen, weil
er offensichtlich nur dazu dienen sollte, dem Solidarbürgen Misteli
eine bessere Stellung zu verschaffen, als ihm nach den Regeln des
Bürgschaftsrechtes zukäme.

    Hätte nämlich Misteli die Bürgschaftsverpflichtung erfüllt, für die ihn
der Crédit Agricole betrieben hatte, so wäre dessen Darlehensforderung
gegen die EGA SA im noch ungedeckten Betrag von Fr. 78 957.-- mit
allen Nebenrechten kraft Gesetzes auf ihn übergegangen. Alsdann hätte
er auf die drei andern Solidarbürgen, also den Kläger, sowie auf
G. und A. Borruat, Rückgriff nehmen können, und zwar nicht nur für
die seinen Kopfanteil übersteigende Leistung, sondern auf Grund der
Ausscheidungsvereinbarung vom 30. November 1966 für den ganzen von ihm
bezahlten Betrag von Fr. 78 957.--. Diese Vereinbarung sieht aber für
den Ersatzanspruch Mistelis keine solidarische Haftung der drei andern
Bürgen vor, so dass Misteli von jedem von ihnen nur einen Drittel seiner
Leistung, also Fr. 26 319.--, hätte fordern können. Einen Ausfall, den
er allenfalls an den beiden Bürgen Borruat erleiden würde, hätte er an
sich zu tragen, wobei er schlimmstenfalls einen Schaden von Fr. 52 638.--
erlitte. Der Bürge Hiltmann dagegen hätte über seine bereits geleistete
Bürgschaftszahlung hinaus weitere Fr. 26 319.-- an Misteli zu zahlen, so
dass er, vorbehältlich seiner Regressansprüche gegen die beiden Mitbürgen
Borruat, insgesamt mit Fr. 56 319.-- belastet wäre.

    Von der Beklagten gestützt auf den Erwerb der noch ungedeckten
Darlehensforderung von Fr. 78 957.-- samt allen Nebenrechten belangt,
hätte der Kläger dagegen als Solidarbürge für den vollen Betrag
aufzukommen. Da die übrigen Solidarbürgen (Misteli, G. und A. Borruat)
vom ursprünglichen Gläubiger ebenfalls betrieben worden sind, könnte er
sich nicht darauf berufen, dass er mit seiner Leistung von Fr. 30 000.--
an den Crédit Agricole bereits mehr als seinen Kopfanteil bezahlt habe
(Art. 497 Abs. 2 OR). Kraft seiner Bürgschaftsleistungen von Fr. 30 000.--
und Fr. 78 957.-- würde die volle Darlehensforderung auf den Kläger
übergehen. Auf den Mitbürgen Misteli könnte er jedoch angesichts der
Ausscheidungsvereinbarung vom 30. November 1966 nicht Rückgriff nehmen,
sondern er könnte nur von den beiden andern Mitbürgen G. und A. Borruat je
einen Drittel seiner gesamten Zahlung von Fr. 108 957.--, also von beiden
zusammen Fr. 72 638.--, ersetzt verlangen. Bei Nichteinbringlichkeit
dieser Forderungen bliebe der Ausfall auf ihm haften, während dieser
ohne den Forderungserwerb der Beklagten, wie oben dargelegt wurde, von
Misteli zu tragen wäre. Diesem bliebe somit dank dem Forderungserwerb
der Beklagten ein Verlust von Fr. 52 638.-- erspart.

    Dieses günstige Ergebnis hätte Misteli nicht erzielen können,
indem er selber dem Crédit Agricole die noch ungedeckte Restforderung
von Fr. 78 957.-- abgekauft hätte, statt seine Bürgschaftsverpflichtung
zu erfüllen. Eine solche Abtretung der Gläubigerrechte wäre dem Kläger
gegenüber unwirksam gewesen, da das Rückgriffsverhältnis unter den
Solidarschuldnern der Einwirkung des Gläubigers gänzlich entzogen ist
(BGE 53 II 30). Offensichtlich aus diesem Grunde wurde die Beklagte als
Forderungserwerberin vorgeschoben, während der wirkliche Forderungsinhaber
Misteli war. Denn es ist schon an und für sich wenig glaubhaft, dass
die Beklagte, eine Bank, auf eigene Rechnung eine Forderung gegen
einen Schuldner erwerben wollte, der sich, wie die EGA SA, bereits in
Zahlungsschwierigkeiten befand. Abgesehen hievon geht aus den Akten
deutlich hervor, dass die Beklagte nur der Strohmann Mistelis war.
Schon mit ihrem Schreiben vom 21. Juli 1967 an den Crédit Agricole hatte
sie sich als Beauftragte ihres Kunden Misteli vorgestellt, auf dessen
Ersuchen sie bereit sei, die Forderung des Crédit Agricole gegen die EGA
SA zum Teil zu übernehmen. Bezeichnend ist aber vor allem, dass der der
Beklagten für das Berufungsverfahren auferlegte Gerichtskostenvorschuss
von Misteli erlegt wurde. Dies zeigt eindeutig, dass der vorliegende
Prozess auf seine Rechnung, in seinem Interesse und auf sein Betreiben
hin geführt wird. Als bloss vorgeschobene Forderungserwerberin muss sich
die Beklagte gleich wie Misteli selber entgegenhalten lassen, dass ein
Abkommen mit dem Gläubiger der Hauptschuld für das Rückgriffsverhältnis
unter den Solidarbürgen unbeachtlich ist.

    Mit ihrem Hauptstandpunkt, der Kläger schulde ihr die streitigen
Fr. 78 957.-- aus Solidarbürgschaft für die durch Abtretung auf sie
übergegangene Darlehensforderung gegen die EGA SA, vermag die Beklagte
somit nicht durchzudringen.

    3. - Für diesen Fall hat die Beklagte im kantonalen Verfahren geltend
gemacht, der Kläger schulde ihr den streitigen Betrag auf Grund der
Zession Mistelis vom 23. April 1968, mit der dieser ihr alle seine Rechte
aus der Ausscheidungsvereinbarung vom 30. November 1955 abgetreten habe.

    Das Handelsgericht hat erklärt, dieser Eventualstandpunkt sei nach
zürcherischer Praxis unbeachtlich, weil er mit der Hauptbegründung in
unlösbarem Widerspruch stehe.

    Im Berufungsverfahren hat die Beklagte diese Eventualbegründung
nicht mehr vorgebracht. Das schlösse indessen ihre Berücksichtigung nicht
ohne weiteres aus. Denn Art. 63 OG verpflichtet das Bundesgericht - und
damit auch die kantonale Instanz - das auf den festgestellten Tatbestand
anwendbare Bundesrecht selbst ohne Anrufung durch die Parteien, also von
Amtes wegen, anzuwenden, ohne an eine unvollständige oder irrige rechtliche
Begründung seitens der Parteien gebunden zu sein (BGE 89 II 340, 90 II 40
Erw. 6 b, 91 II 65 Erw. 2). Es ist deshalb zu prüfen, ob die Auffassung
der Vorinstanz, der Eventualstandpunkt der Beklagten sei aus Gründen des
kantonalen Prozessrechtes unbeachtlich, vor dem Bundesrecht standhält.

    Das Bundesgericht hat gestützt auf die oben erwähnte Rechtsprechung
entschieden, ein kantonales Gericht dürfe die Beurteilung einer aus dem
selben Sachverhalt abgeleiteten Eventualbegründung nicht mit dem Hinweis
darauf ablehnen, dass dafür eine andere kantonale Instanz zuständig sei
(z.B. das Gewerbegericht, BGE 91 II 65 Erw. 3; der ordentliche kantonale
Richter anstelle der bundesrechtlich vorgeschriebenen einzigen kantonalen
Instanz für Markenrechtsstreitigkeiten, BGE 92 II 312 Erw. 5), und so
den streitigen Anspruch in zwei Klagen zerlegen.

    Im vorliegenden Falle hat die Beklagte jedoch ihre Eventualbegründung
nicht auf den gleichen Sachverhalt gestützt, sondern sie beruft sich auf
einen völlig andern Tatbestand. Im Hauptstandpunkt bezeichnet sie sich als
Abtretungsgläubiger des Crédit Agricole und belangt den Kläger aus seiner
Solidarbürgschaft für die Darlehensforderung ihres Rechtsvorgängers; im
Eventualstandpunkt macht sie dagegen geltend, sie sei Abtretungsgläubiger
des zahlenden Solidarbürgen Misteli und stützt ihre Forderung auf den
Ausscheidungsvertrag vom 30. November 1966.

    Kraft der ihnen durch Art. 64 Abs. 3 BV vorbehaltenen
Prozessrechtshoheit steht es den Kantonen frei, durch eine ausdrückliche
Vorschrift ihrer Prozessordnung oder durch Auslegung und Praxis
das Vorbringen eines Eventualstandpunktes, der sich auf einen vom
Hauptstandpunkt abweichenden Tatbestand stützt, zu verbieten. Der
Rechtsuchende wird dadurch freilich gezwungen, bei Abweisung seines
Hauptstandpunktes den eventualiter behaupteten Sachverhalt in einem neuen
Verfahren geltend zu machen. Das ist aber ein Ausfluss des kantonalen
Prozessrechtes und verstösst nicht gegen die bundesrechtliche Pflicht
des kantonalen Richters, das auf den gegebenen Tatbestand anwendbare
Bundesrecht von Amtes wegen und im vollen Umfang anzuwenden.

    4. - Da das Handelsgericht den Eventualstandpunkt der Beklagten als
in diesem Verfahren unbeachtlich bezeichnet hat und somit nicht darauf
eingetreten ist, liegt in bezug auf die aus der Abtretung der Rechte
des Misteli gegen seinen Mitbürgen abgeleiteten Anspruch der Beklagten
keine beurteilte Sache vor. Die Beklagte kann daher diesen Anspruch in
einem neuen Betreibungs- und Prozessverfahren geltend machen. Dem steht
nicht entgegen, dass das Handelsgericht beiläufig ausgeführt hat, die
Eventualbegründung wäre auch materiellrechtlich nicht stichhaltig. Dabei
handelt es sich um eine blosse, der materiellen Rechtskraft nicht
teilhaftige Meinungsäusserung, die den in erster Linie getroffenen
Nichteintretensentscheid nicht zum Sachurteil zu machen vermag.

    Es ist jedoch zweckmässig, schon heute zu diesen subsidiären
Ausführungen des Handelsgerichts Stellung zu nehmen, da ihnen nicht
beigepflichtet werden kann.

    Das Handelsgericht meint, es fehle an den materiellen Voraussetzungen,
die Misteli bezw. seine Rechtsnachfolgerin berechtigen würden, gestützt
auf die Ausscheidungsvereinbarung vom 30. November 1966 auf den Kläger
Rückgriff zu nehmen, da nicht behauptet worden sei, Misteli habe der
Beklagten den streitigen Betrag ersetzt.

    Mit der Berufung auf die Abtretung der dem Misteli aus der
Ausscheidungsvereinbarung zustehenden Rechte machte die Beklagte
jedoch implicite geltend, Misteli habe - durch ihre Zahlung -
seine Bürgschaftsverpflichtung gegenüber dem Crédit Agricole
erfüllt. Damit wäre die materielle Voraussetzung gegeben, um gemäss der
Ausscheidungsvereinbarung die drei andern Bürgen für je einen Drittel
der von Misteli erbrachten Bürgschaftsleistung belangen zu können.

    Das Handelsgericht ist sodann der Ansicht, die Abtretung der
Rechte aus der Ausscheidungsvereinbarung dürfe im vorliegenden
Aberkennungsprozess nicht angerufen werden, weil sie erst nach der
Zustellung des Zahlungsbefehls stattgefunden habe.

    Diese Auffassung widerspricht jedoch der Rechtsprechung des
Bundesgerichtes, wonach der Aberkennungsbeklagte im Aberkennungsprozess
seinen Anspruch anders begründen kann als im Betreibungs- und
Rechtsöffnungsverfahren und die Natur der Aberkennungsklage der
Berücksichtigung einer erst während der Betreibung erfolgten Abtretung
nicht entgegensteht (BGE 78 II 160, 83 II 214, 91 II 111).

    5. - Die Beklagte beruft sich schliesslich noch auf die Bestimmungen
über die ungerechtfertigte Bereicherung. Sie macht geltend, wenn das
Bundesgericht zum Schluss komme, der Inhalt des Schreibens des Crédit
Agricole vom 5. August 1967 entspreche nicht der Wahrheit, sei der Kläger
ungerechtfertigt bereichert; denn in diesem Falle sei er aus Irrtum oder
andern Gründen zu Unrecht aus der Bürgschaft entlassen worden und müsse
daher eine Zahlung nicht leisten, die er auf Grund der wahren Sachlage
erbringen müsste.

    Wie jedoch in Erw. 1 ausgeführt wurde, kann das erwähnte Schreiben
des Crédit Agricole nicht als Entlassung des Klägers aus der Bürgschaft
aufgefasst werden. Damit ist dem Einwand der Beklagten der Boden entzogen.
Der Anspruch der Beklagten aus der Ausscheidungsvereinbarung aber,
auf den sich die Beklagte übrigens zur Begründung ihres angeblichen
Bereicherungsanspruchs nicht beruft, ist noch nicht beurteilt, sodass eine
Bereicherung des Klägers unter diesem Gesichtspunkt nicht in Frage kommt.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Handels gerichts des
Kantons Zürich vom 11. Juni 1968 bestätigt.