Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 III 9



95 III 9

3. Entscheid vom 21. März 1969 i.S. Tanara - Finanz AG Regeste

    Konkurrenz der Lohnpfändung mit einer zuvor erfolgten Lohnabtretung.

    Das Betreibungsamt hat die vom Zessionar geltend gemachte Lohnabtretung
auch dann zu berücksichtigen, wenn sie dem Arbeitgeber des Betriebenen erst
seit der Lohnpfändung (während deren Dauer) angezeigt wurde, obwohl die
durch sie zu sichernden Forderungen (hier: aus Abzahlungskauf) bereits
vor der Lohnpfändung verfallen waren.

    Die Einwendung, der Zessionar habe durch sein langes Zuwarten
auf die Geltendmachung der Abtretung verzichtet, oder die ihm aus der
Abtretung erwachsenen Rechte seien nach Treu und Glauben verwirkt oder
wegen gesetzlicher Befristung untergegangen, bleibt der gerichtlichen
Beurteilung im Prätendentenstreit vorbehalten.

    Die vom Arbeitgeber vor der Anzeige der Abtretung in gutem Glauben
dem Betriebenen oder auf dessen Rechnung dem Betreibungsamt entrichteten
Lohnzahlungen bleiben dem Zugriff des Zessionars auf alle Fälle entzogen.

Sachverhalt

    A.- In Betreibungen gegen Gottfried Haberthür verfügte das
Betreibungsamt Dorneck am 30. September 1968 eine Lohnpfändung von
monatlich Fr. 250.-- und zeigte dies der Arbeitgeberin des Schuldners,
Firma Eloxa, an. Am 23. Januar 1969 meldete dieser Firma sodann die
Tanara-Finanz AG eine zu ihren Gunsten bestehende Lohnabtretung in
ebenso hohen Monatsbeträgen. Sie berief sich auf einen von Haberthür
mitunterzeichneten Kaufvertrag vom 23. Januar 1963 zwischen A. Baumann
und O. Born und auf die damit verbundene Abtretung der restlichen
Kaufsumme von Fr. 10 375.-- "mit allen weiteren Rechten" an sie. Laut
diesem Vertrage war jene Kaufsumme in 30 Monatsraten von je Fr. 350.--
(die letzte Rate im Betrage von Fr. 225.--) am 15. jedes Monats, erstmals
am 15. März 1963, zu entrichten. Nach Angabe der Zessionarin steht noch
ein Betrag von Fr. 7 533.20 ohne Kosten und Verzugszins aus.

    B.- Das Betreibungsamt lehnte es ab, diese Lohnabtretung zu
berücksichtigen, und die von der Tanara-Finanz AG deshalb geführte
Beschwerde an die kantonale Aufsichtsbehörde war erfolglos. Deren Entscheid
vom 19. Februar 1969 ist im wesentlichen wie folgt begründet.

    "Das beschwerdebeklagte Betreibungsamt verfügte praxisgemäss. Die
Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Solothurn
hat am 6. Januar 1955 grundsätzlich entschieden, dass Lohnzessionen
zugunsten eines Drittgläubigers in der betreibungsamtlichen Lohnpfändung
nicht berücksichtigt werden dürfen, wenn die betreffende Schuld im
Zeitpunkt der Notifikation an den Arbeitgeber bereits verfallen war
(Bl. für Schuldbetreibung und Konkurs 1958, S. 105 ff., Richtlinien
der solothurnischen Aufsichtsbehörde vom 15.7.1966, Entscheide der
Aufsichtsbehörde vom 6.6.1968, 17.7.1968 und 23.7.1968). Dadurch, dass
die Beschwerdeführerin von der vertraglich eingeräumten Lohnabtretung beim
jeweiligen Eintritt der Ratenfälligkeiten und vor der betreibungsamtlichen
Pfändung keinen Gebrauch durch Notifikation an den Arbeitgeber machte, hat
sie auf ihr Beschlagsrecht, d.h. auf die Wirksamkeit ihrer Lohnabtretung,
verzichtet. Dieser Verzicht wirkt sich im vorliegenden Falle dahingehend
aus, dass die betreibungsamtliche Pfändung der nachträglich geltend
gemachten Lohnzession vorgeht. Mit der Nichtberücksichtigung der privaten
Lohnzession - der Beschwerdeführerin gemäss Vertrag vom 23. Januar
1963 zustehend - ist nicht über den Bestand bzw. die Gültigkeit der
Lohnzession befunden worden, sondern ausschliesslich über die Frage, ob
das Betreibungsamt die Lohnzession zu berücksichtigen habe oder nicht. Weil
die Beschwerdeführerin - wie dargetan - auf die Wirksamkeit der Lohnzession
verzichtet hat, ist sie dabei zu behaften und ihre Lohnzession vermag die
Lohnpfändung des Betreibungsamtes nicht zu beeinflussen. Die Verfügung des
Betreibungsamtes erfolgte zu Recht, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist."

    C.- Gegen diesen Entscheid richtet sich der vorliegende Rekurs der
Tanara-Finanz AG. Sie hält an der Beschwerde fest und verlangt neuerdings,
das Betreibungsamt Dorneck sei anzuweisen, die zu ihren Gunsten bestehende
Lohnabtretung in der bei Gottfried Haberthür angelegten Lohnpfändung
zu berücksichtigen.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Soweit nicht Gesetz, Vereinbarung oder Natur des
Rechtsverhältnisses entgegenstehen, sind nach Art. 164 OR Forderungen
jeder Art abtretbar, und zwar grundsätzlich auch solche, die erst in
Zukunft entstehen werden, speziell auch Lohnforderungen, diese jedenfalls
im Rahmen ihrer Pfändbarkeit im Sinne des Art. 93 SchKG (vgl. BGE 85
I 30 Erw. 13 lit. h). Die Abtretung einer zukünftigen Forderung wirkt
sich dahin aus, dass diese in der Person des Zessionars entsteht und
daher nicht mehr von einem Gläubiger des Zedenten gepfändet werden kann
(BGE 41 II 135 Erw. 3 und 4; VON TUHR, Der allg. Teil des schweiz. OR,
§ 94 Ziff. IV; OSER/SCHÖNENBERGER, Komm., zu Art. 164 N 4).

    Wird insbesondere einer Lohnpfändung eine bereits bestehende Abtretung
zukünftiger Lohnguthaben des Betriebenen entgegengehalten, so kann die
Pfändung nicht aufrecht erhalten bleiben, soweit die Lohnabtretung von
den Beteiligten anerkannt wird. Im Falle der Bestreitung aber steht die
Lohnpfändung unter dem Vorbehalt der gerichtlichen Beurteilung des auf die
Lohnabtretung gestützten Drittanspruchs. Die neuere Rechtsprechung weist
die Bereinigung dieser Ansprüche nicht mehr in das Widerspruchsverfahren.
Vielmehr ist dem Drittschuldner (also dem Arbeitgeber des Betriebenen)
die Möglichkeit der gerichtlichen Hinterlegung nach Art. 168 Abs. 1 OR zu
eröffnen, und es sind die von einem Zessionar beanspruchten Lohnbeträge
als bestrittene Forderungen zu pfänden und zu verwerten, sei es nach
Art. 131 Abs. 2 SchKG oder durch Versteigerung. Die Gläubiger, denen
die Forderung zur Eintreibung überwiesen wurde, oder der Ersteigerer
erhalten damit die Legitimation zur Austragung des Prätendentenstreites
mit dem Zessionar (vgl. LEUCH, Die Bedeutung des betreibungsrechtlichen
Widerspruchsverfahrens um Forderungen, ZBJV 76 S. 1 ff.; BGE 65 III 132,
66 II 43, 86 III 61 ff.).

Erwägung 2

    2.- Nach der Praxis der Aufsichtsbehörde des Kantons Solothurn
(BlSchK 1958 S. 105 ff.) ist dieses Vorgehen nicht am Platze, wenn eine
Lohnabtretung dem Arbeitgeber des Betriebenen (und dem Betreibungsamte)
erst während der Dauer einer für andere Gläubiger laufenden Lohnpfändung
angezeigt wird und die durch die Lohnabtretung zu sichernden Forderungen
ihrerseits schon vor der in Frage stehenden Lohnpfändung verfallen
waren. In diesem Fall ist nach Ansicht der kantonalen Aufsichtsbehörde
anzunehmen, der Zessionar habe auf die Geltendmachung der Lohnabtretung
verzichtet; und zwar könne er gegenüber der für andere Gläubiger verfügten
und im Gang befindlichen Lohnpfändung nicht auf diesen Entschluss
zurückkommen. Der angefochtene Entscheid betont, die Annahme eines
solchen Verzichtes stelle die Gültigkeit der Lohnabtretung selbst nicht
in Frage, sondern schliesse nur deren Berücksichtigung bei der laufenden
Lohnpfändung aus.

    Diese Betrachtungsweise erweckt Bedenken und ist in ihren
Schlussfolgerungen nicht zu billigen.

    a) Von einem ausdrücklichen Verzicht der Rekurrentin auf Geltendmachung
der nach ihrer Ansicht nicht nur für den Käufer O. Born, sondern auch
für den Mitunterzeichner des Kaufvertrages, G. Haberthür, geltenden
Lohnabtretung ist nicht die Rede. Die kantonale Aufsichtsbehörde leitet
einen Verzicht lediglich als stillschweigenden aus dem Zuwarten der
Rekurrentin mit einer Anzeige an die Drittschuldnerin bis zum 23. Januar
1969 ab. Ob aus dieser langen Untätigkeit der Rekurrentin in Verbindung
mit den Vertragsbestimmungen und den äussern Umständen auf einen
Verzichtswillen zu schliessen sei, ist indessen streitig. Durch die
Anzeige vom 23. Januar 1969 an die Drittschuldnerin hat die Rekurrentin
den gegenteiligen Willen bekundet, von der Lohnabtretung nun gegenüber
Haberthür Gebrauch zu machen. Ob dieses Vorhaben an einem zuvor erfolgten
unwiderruflichen Verzichte scheitern müsse, d.h. ob ein solcher Verzicht
vorliege, ist eine Frage der Vertrags- und Willensauslegung, die der
gerichtlichen Beurteilung vorbehalten bleiben muss.

    b) Indem die Rekurrentin jahrelang trotz Säumigkeit des Käufers
(und des allenfalls mitverpflichteten Mitunterzeichners Haberthür)
von der Lohnabtretung keinen Gebrauch machte, liess sie sich freilich
die den Gegenstand der Lohnabtretung bildenden Lohnbeträge von Monat zu
Monat entgehen. Bis zu ihrem effektiven Zugriff durch die Anzeige vom
23. Januar 1969 an die Drittschuldnerin (die Arbeitgeberin Haberthürs)
befreite sich diese jeweilen durch die in gutem Glauben an Haberthür - und
vom 30. September 1968 an teilweise an das Betreibungsamt auf Rechnung
der gegen Haberthür laufenden Betreibungen-geleisteten Lohnzahlungen in
gültiger Weise (Art. 167 OR). Insbesondere auch die Lohnpfändung konnte
sich bis zum 23. Januar 1969 voll auswirken. Die bis zu diesem Tage
dem Betreibungsamte durch die Drittschuldnerin einbezahlten Lohnbeträge
bleiben den pfändenden Gläubigern als Betreibungsergebnis gesichert und
sind dem Zugriff der Rekurrentin entzogen. Denn, wie bereits entschieden
wurde, fällt eine wiewohl vor der Pfändung erfolgte Lohnabtretung für das
Betreibungsverfahren erst vom Zeitpunkt ihrer effektiven Geltendmachung
durch Anzeige an den Drittschuldner in Betracht (BGE 69 III 17 und
74; R. JOOS, Handbuch für die Betreibungsbeamten der Schweiz S. 152:
"... erhält der Arbeitgeber Anzeige von der Lohnabtretung, dann ist sie
vom Datum der Anzeige an wirksam, ... wenn die Abtretung selbst schon
vor der Pfändung erfolgt ist").

    Ob nun aber das Zuwarten der Rekurrentin mit der Anzeige an die
Drittschuldnerin dahin auszulegen sei, dass sie einen effektiven Zugriff
auf die Lohnforderungen Haberthürs überhaupt nicht mehr vornehmen könne,
so dass die Anzeige vom 23. Januar 1969 rechtsunwirksam sei und somit
die Lohnpfändung auch für die künftige Zeit nicht berühre, ist, wie
bereits unter a) hievor ausgeführt, eine der richterlichen Beurteilung
vorzubehaltende Frage des materiellen Rechtes.

    c) Der angefochtene Entscheid spricht übrigens nicht von einem
Verzichtswillen. Anscheinend fasst er einen Verzicht im weitesten Sinn
ins Auge, mit Einschluss einer vom Willen des Zessionars unabhängigen
Verwirkung. In der Tat kann man sich fragen, ob es nicht gegen Treu
und Glauben verstösst, eine während der vertraglichen Abzahlungsdauer
nicht geltend gemachte Lohnabtretung dann erst einige Jahre später dem
Drittschuldner anzuzeigen, um nun auf die künftigen Lohnforderungen
zu greifen. Das ist jedoch ebenfalls ein materiellrechtliches Problem,
dessen Lösung den Betreibungsbehörden nicht zusteht.

    Gleich verhält es sich mit der Frage einer gesetzlichen Befristung
der Lohnabtretung gemäss Art. 226 e OR. Nach Ansicht der Rekurrentin
untersteht der vorliegende Kauf eines zu gewerblicher Verwendung bestimmten
Automobils nach der Sondervorschrift des Art. 226 m Abs. 4 OR nicht jener
Befristung der Lohnabtretung. Auch darüber haben die Betreibungsbehörden
nicht zu befinden. Vielmehr ist die der Drittschuldnerin angezeigte
Lohnabtretung gemäss der in Erw. 1 hievor erwähnten Rechtsprechung
zu berücksichtigen. Sollte sie unbestritten bleiben, so wären die
abgetretenen Lohnbeträge vom 23. Januar 1969 hinweg aus der Pfändung zu
entlassen. Andernfalls hat es bei der Pfändung bestrittener Forderungen
zu bleiben. Im Prätendentenstreit können natürlich alsdann auch andere
als die im angefochtenen Entscheid erörterten Einwendungen erhoben werden.

    d) Die Geltendmachung der in Frage stehenden Lohnabtretung ist auch
nicht etwa in betreibungsrechtlicher Hinsicht verspätet. Für die Anmeldung
von Drittmannsrechten an gepfändeten Forderungen sind die Grundsätze der
Art. 106 - 109 SchKG sinngemäss anwendbar. Nach diesen Vorschriften ist
die Anmeldung als solche unbefristet; der Dritte, dem keine Frist gemäss
Art. 107 Abs. 1 SchKG angesetzt wurde, kann nach Abs. 4 daselbst seinen
Anspruch am Pfändungsgegenstand oder an dessen Erlös, solange dieser
nicht verteilt ist, geltend machen. Von einer arglistigen Verzögerung
der Anmeldung, welche allenfalls einen Grund der Verwirkung bilden würde
(vgl. BGE 88 III 117 ff.), kann hier nicht gesprochen werden. Ein solcher
Einwand ist gegenüber der Rekurrentin von vornherein abzulehnen, wenn sie
erst kurz vor dem 23. Januar 1969 von der Lohnpfändung erfuhr. Aber auch
wenn sie davon schon längere Zeit zuvor Kenntnis erhalten haben sollte,
handelte sie nicht arglistig, indem sie einige Zeit der Überlegung
verstreichen liess (etwa um zuerst ein Vorgehen gegen den Käufer Born in
die Wege zu leiten). Das auf jeden Fall nicht übermässig lange Zuwarten
ist um so weniger zu beanstanden, als es den pfändenden Gläubigern
zugute kam. Denn solange die Rekurrentin die Lohnabtretung nicht der
Drittschuldnerin anzeigte, gab sie, wie in Erw. 2 b hievor dargetan, die
gepfändeten und dem Betreibungsamt überwiesenen Lohnbeträge schlechthin
frei.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:

    Der Rekurs wird dahin gutgeheissen, dass der angefochtene
Entscheid aufgehoben und das Betreibungsamt Dorneck angewiesen wird,
die Lohnabtretung im Sinne der Erwägungen zu berücksichtigen.