Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 III 25



95 III 25

6. Entscheid vom 18. März 1969 i.S. Hälg. Regeste

    Geschäftsbetrieb des Gemeinschuldners, Weiterführung im Konkurs.

    1.  Beschwerderecht des Gemeinschuldners zur Wahrung seiner rechtlich
geschützten Rechte und Interessen

    - nicht nur hinsichtlich der Verwertung, sondern auch hinsichtlich
der Erfassung und Sicherung von Konkursaktiven (Erw. 2 Anfang).

    2.  Der Gläubigerausschuss hat keine vollziehende Gewalt. Die auf
seinen Anordnungen beruhenden, nach aussen wirkenden Verfügungen, welche
der Beschwerde unterliegen, sind von der Konkursverwaltung zu treffen
(Erw. 2 b).

    3.  Die von der ersten Gläubigerversammlung (Art. 238 Abs. 1
SchKG) oder vom Gläubigerausschuss (Art. 237 Abs. 3 Ziff. 2 SchKG)
beschlossene Weiterführung des Geschäfts des Gemeinschuldners steht
unter der Voraussetzung, dass sich die damit verfolgten Zwecke binnen
angemessener Zeit verwirklichen lassen (Erw. 2 a). Hatte die erste
Gläubigerversammlung selbst die Weiterführung beschlossen, so soll der
Gläubigerausschuss die Schliessung nur im Falle der Not (zur Abwendung
beträchtlichen Schadens) anordnen. Grundsätzlich ist die Stellungnahme der
zweiten Gläubigerversammlung (Art. 253 Abs. 2 SchKG) abzuwarten (Erw. 2 b).

    Gründe zur Schliessung des Betriebes (Erw. 2 c).

Sachverhalt

    A.- Über Erwin Hälg, Buchdruckereibesitzer in Degersheim, wurde am
7. Februar 1968 der Konkurs eröffnet. Die erste Gläubigerversammlung vom
12. März 1968 setzte das Konkursamt Untertoggenburg als Konkursverwaltung
ein und ernannte "zur Beaufsichtigung" einen Gläubigerausschuss. Ferner
bewilligte sie als Verwertungsmassnahme den freihändigen Verkauf der
Druckerei und die Weiterführung des Betriebes.

    B.- Es gelang dem Gemeinschuldner nicht, die Mittel für einen den
Gläubigern vorzuschlagenden Nachlassvertrag zu beschaffen. In einer Sitzung
des Gläubigerausschusses vom 22. Juli 1968 stellte er die erforderlichen
Unterlagen hiefür auf einen nahen Zeitpunkt in Aussicht, ebenso in der
Sitzung des Ausschusses vom 25. Oktober 1968. Es kam jedoch nicht zu
einem solchen Vorschlag.

    Sodann zeitigte die Ausschreibung der Druckerei zu freihändigem
Verkauf kein annehmbares Angebot.

    C.- Die zweite Gläubigerversammlung vom 16. Dezember 1968 war
nicht beschlussfähig. In der Sitzung vom 22. Januar 1969 nahm der
Gläubigerausschuss Stellung zum Antrag des Konkursverwalters, "die
Versteigerung vorzubereiten und raschmöglichst vorzunehmen, da die
Aussichten auf einen Freihandverkauf nicht sehr gross sind und auch nicht
mehr ernsthaft an einen Nachlassvorschlag des Konkursiten geglaubt werden
kann". Dem Sitzungsprotokoll ist zu entnehmen:

    "Die Mitglieder des Ausschusses sind einmütig der Auffassung, dass
nach allen vergeblichen Versuchen, das Geschäft freihändig zu verkaufen,
nichts anderes mehr übrig bleibt, als die Versteigerung auszuschreiben.

    Als Datum wird der 28. Februar 1969 vorgesehen und der Konkursverwalter
damit beauftragt, die Ausschreibung vorzunehmen. Die Bemühungen,
wenigstens die unter Eigentumsvorbehalt stehenden Maschinen noch zu einem
möglichst günstigen Preis zu verkaufen, sollen fortgesetzt werden. Auch
sollen allfällige Interessenten für die Liegenschaft besonders auf die
Kaufmöglichkeit aufmerksam gemacht werden."

    Der Ausschuss beschloss ferner, den Betrieb auf Freitag, den 24. Januar
1969, nach Arbeitschluss stillzulegen.

    D.- Demgemäss verfügte der Konkursverwalter am 24.  Januar 1969 die
Schliessung des Betriebes. Zugleich traf er Massnahmen zur Erledigung
der laufenden Druckaufträge unter Aufsicht. Neue Aufträge seien nicht
mehr anzunehmen, sofern nicht ausnahmsweise das Konkursamt es bewillige.

    E.- Mit Beschwerde vom 3. Februar 1969 verlangte der
Gemeinschuldner die Aufhebung dieser Verfügung und die Fortführung seines
Druckereibetriebes "gemäss dem Beschluss der Gläubigerversammlung und
unter der Leitung des Gläubigerausschusses". Er hielt der Konkursverwaltung
eine Überschreitung ihrer Befugnisse vor.

    F.- Mit Entscheid vom 17. Februar 1969 wies die kantonale
Aufsichtsbehörde die Beschwerde ab. In der Begründung wird hervorgehoben,
dass "nicht die Konkursverwaltung, sondern der Gläubigerausschuss die
angefochtene Verfügung erliess". Da die zweite Gläubigerversammlung nicht
beschlussfähig war, sei es Aufgabe der im Amte verbliebenen Organe -
Konkursverwaltung und Gläubigerausschuss -, den Konkurs durchzuführen,
also die zur Liquidation des Konkursvermögens erforderlichen Massnahmen
zu treffen. Man könne sich fragen, ob der Gemeinschuldner überhaupt
zur vorliegenden Beschwerde legitimiert sei, da doch die angefochtene
Verfügung gewiss nicht in seine gesetzlich geschützten Rechte eingreife
(BGE 88 III 34). Jedenfalls sei der Gläubigerausschuss berechtigt gewesen,
im Hinblick auf eine Verwertung der Aktiven den Geschäftsbetrieb des
Gemeinschuldners zu schliessen.

    G.- Mit vorliegendem Rekurs hält der Gemeinschuldner am Antrag
seiner Beschwerde fest. Er führt aus, allerdings stütze sich die
angefochtene Verfügung der Konkursverwaltung auf einen Beschluss
des Gläubigerausschusses. Auch dieser habe jedoch die ihm zustehenden
Befugnisse überschritten. Nach Art. 237 und 238 SchKG handle es sich um
Anordnungen, welche der Gläubigerversammlung zustehen.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der vom 3. März 1969 datierte Rekurs spricht sich nicht darüber
aus, ob die auf den 28. Februar 1969 ausgeschriebene Versteigerung
(gegen deren Anordnung sich die Beschwerde nicht richtete) stattfand,
und mit welchem Ergebnis. Sollte die Druckerei als Ganzes oder sollten
die Druckereiliegenschaft und die beweglichen Vermögensgegenstände
getrennt versteigert worden sein, so wäre die vorliegende Beschwerde
gegenstandslos geworden. Das mit ihr verfolgte Ziel der Weiterführung
des Druckereibetriebes durch die Organe des Konkursverfahrens liesse sich
nicht mehr erreichen. Wie es sich damit verhält, kann jedoch unabgeklärt
bleiben. Auch wenn es noch nicht zur Verwertung gekommen sein sollte,
hält die angefochtene Verfügung vor der Beschwerde stand.

Erwägung 2

    2.- Nach der Rechtsprechung (BGE 88 III 34/35 mit Hinweisen
und 88 III 77 lit. c) ist der Gemeinschuldner befugt, Verfügungen
der Konkursverwaltung und Gläubigerbeschlüsse - insbesondere solche
über die Verwertung der Aktiven der Konkursmasse - durch Beschwerde
anzufechten, wenn sie in seine gesetzlich geschützten Rechte und
Interessen eingreifen. Dabei sind Willkür, Ermessensmissbrauch
und Ermessensüberschreitung einem Verstoss gegen positive
Verfahrensvorschriften gleichzuachten. Ein entsprechendes Beschwerderecht
steht dem Gemeinschuldner auch gegenüber Massnahmen zu, welche nicht
die Verwertung, sondern die Erfassung und Sicherung von Gegenständen des
Konkursvermögens betreffen (BGE 94 III 83 ff. Erw. 3). Nun gehört gewiss
zu den zur Sicherung des Konkursvermögens dienenden Massnahmen auch die
Anordnung der Weiterführung oder Schliessung des Geschäftsbetriebes des
Gemeinschuldners (vgl. FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs II S. 109 -
111). Die vom Rekurrenten in erster Linie aufgeworfene Zuständigkeitsfrage
ist jedoch nicht in dem von ihm vertretenen Sinne zu beantworten, und im
übrigen beruft er sich gar nicht auf eigene gesetzlich geschützte Rechte
oder Interessen, sondern auf einen angeblich den Gläubigern zugefügten
oder drohenden Nachteil. Die kantonale Aufsichtsbehörde hätte daher auf
die Beschwerde überhaupt nicht eintreten sollen.

    a) Zu den dringlichen Fragen, über welche die erste
Gläubigerversammlung entweder selber zu beschliessen hat oder den Beschluss
einem aus ihrer Mitte ernannten Gläubigerausschuss anheimgeben kann,
gehört die Frage der Weiterführung des vom Gemeinschuldner betriebenen
Handels oder Gewerbes (einerseits Art. 238 Abs. 1, anderseits Art. 237
Abs. 3 Ziff. 2 SchKG). Im vorliegenden Falle bewilligte die erste
Gläubigersammlung selber die Weiterführung des Druckereibetriebes. Das
geschah im Hinblick auf eine allfällige, von jener Gläubigerversammlung
gleichfalls bewilligte freihändige Veräusserung des ganzen Geschäftes
(d.h. des fonds de commerce mit zugehörigen Markenrechten usw., sei es
mit oder ohne die Passiven, vgl. Art. 15 Ziff. 1 KV und BGE 42 III 399)
und zugleich mit Rücksicht darauf, dass der Gemeinschuldner beabsichtigte,
einen die Verwertung vermeidenden Nachlassvertrag vorzuschlagen. Solche
Beschlüsse stehen unter der selbstverständlichen Voraussetzung, dass
sich die damit verfolgten Zwecke binnen angemessener Zeit verwirklichen
lassen. Nachdem die normale Konkursdauer (Art. 270 SchKG) überschritten
ist und sowohl die Bemühungen des Gemeinschuldners um die Finanzierung
eines Nachlassvertrages wie auch die auf freihändigen Verkauf der
Druckerei abzielenden Schritte der Konkursverwaltung fehlschlugen,
darf die Verwertung auf dem Wege der Versteigerung nicht mehr verzögert
werden. Dabei kann sich auch die Schliessung des Geschäftsbetriebes vor
der Verwertung als notwendig erweisen, da eben Gegenstand der Verwertung
keinesfalls immer das Geschäft als Ganzes ist.

    b) Dass aber die Schliessung des Betriebes, nachdem dessen
Weiterführung seinerzeit von der ersten Gläubigerversammlung bewilligt
wurde, wiederum nur von der Gesamtheit der Gläubiger beschlossen werden
könne, ist dem Rekurrenten nicht zuzugeben. Gewiss bemerkt JAEGER in der
vom Rekurrenten angerufenen Kommentarstelle (N 14 zu Art. 237 SchKG) mit
Recht, in einem solchen Falle habe der Gläubigerausschuss den Betrieb zu
überwachen und nach den wechselnden Bedürfnissen anders zu gestalten, "zu
einer völligen Einstellung dürfte er aber nur berechtigt sein, wenn sich
herausstellt, dass die Gläubiger durch eine weitere Fortführung bedeutenden
Schaden leiden würden". Damit ist jedoch nur gesagt. die von der ersten
Gläubigerversammlung bewilligte Weiterführung des Geschäftsbetriebes (auf
Rechnung der Konkursmasse, vgl. Art. 36 KV) dürfe vom Gläubigerausschuss
nicht ohne Notwendigkeit vor der zweiten Gläubigerversammlung widerrufen
werden; es sei grundsätzlich dem dieser Versammlung zustehenden Beschlusse
(Art. 253 Abs. 2 SchKG) nicht vorzugreifen. Nachdem aber im Konkurs des
Rekurrenten die zweite Gläubigerversammlung nicht beschlussfähig war,
haben die im Amte gebliebenen Konkursorgane (Gläubigerausschuss und
Konkursverwaltung) den Konkurs durchzuführen und zu beendigen. Namentlich
haben sie zur Verwertung der zur Masse gehörenden Vermögensgegenstände nach
den gesetzlichen Vorschriften (Art. 256 ff. SchKG) zu schreiten. Dabei
befindet sich der Gläubigerausschuss in der Rolle eines fakultativen
gesetzlichen Hilfsorganes ohne vollziehende Gewalt. Seine Beschlüsse
sind von der Konkursverwaltung auszuführen; sie trifft die nach
aussen wirksamen Verfügungen (vgl. BGE 51 III 160 ff. und 223 ff.;
JAEGER, N 9 zu Art. 237 SchKG; BLUMENSTEIN, Handbuch S. 738/39; E.
MARTZ, Die Gläubigerversammlung im Konkurs- und Nachlassverfahren,
BlSchK 1950, S. 97 ff., besonders 102; FRITZSCHE, aaO II S. 130/31;
FAVRE, Droit des poursuites, 2. A. S. 320; A. EGLI, Die Einwirkung
des Gläubigerelementes auf die Organisation und Durchführung des
Konkursverfahrens ..., der auf S. 58 vom Gläubigerausschuss als einer
reduzierten Gläubigerversammlung in Permanenz spricht). Im vorliegenden
Falle hat denn auch die Konkursverwaltung gestützt auf die Beschlüsse
des Gläubigerausschusses verfügt, und es wurde demgemäss die Beschwerde
mit Recht gegen die Konkursverwaltung geführt.

    c) Für die Betriebsschliessung waren laut der Vernehmlassung der
Konkursverwaltung zur Beschwerde folgende Gründe massgebend:

    "Dass die Druckerei als Ganzes versteigert werden kann, ist nämlich
nach dem Misserfolg des Freihandverkaufs, wie der Gemeinschuldner weiss,
unwahrscheinlich. Wenn aber Liegenschaft und Druckereimaschinen getrennt
zugeschlagen werden müssen, kann in der Druckerei ohnehin nicht mehr
weitergearbeitet werden. Es dürfen sich am Steigerungstag demnach
auch keine Druckaufträge mehr in Arbeit befinden, denn das würde die
Konkursmasse Schadenersatzansprüchen der Auftraggeber aussetzen."

    Bei dieser Sachlage kann von einer Ermessensüberschreitung, welche dem
Gemeinschuldner Grund zur Beschwerde bieten würde, nicht gesprochen werden.
Der Gläubigerausschuss hatte, wie sich aus dem Sitzungsprotokoll ergibt,
die Schliessung des Betriebes gerade zur Abwendung von Schaden als
notwendig befunden.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.