Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 95 III 16



95 III 16

4. Entscheid vom 27. Januar 1969 i.S. Gemeinderat von H. Regeste

    1.  Verwertungsaufschub nach Art. 123 SchKG. Unpünktliche Leistung
einer Abschlagszahlung. Folgen. (Erw. 1).

    2.  Verzichtet ein Gläubiger auf die Verwertung, wenn er längere Zeit
untätig zusieht, wie das Betreibungsamt nach Ablauf der gesetzlichen Dauer
des Verwertungsaufschubes, dessen Bedingungen der Schuldner nicht erfüllte,
mit der Verwertung weiterhin zuwartet? Frage offen gelassen. - Hat der
Gläubiger in der Zwischenzeit das Betreibungsamt mehrmals an das Ausbleiben
der Abschlagszahlungen erinnert, so verstösst die Annahme, er habe den
Anspruch auf Verwertung verwirkt, gegen Treu und Glauben. (Erw. 2).

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Das Steueramt H. führte gegen X. für Steuerschulden folgende
Betreibungen, in denen jeweils die Liegenschaft des Schuldners in H.
gepfändet und hernach ein Aufschub der Verwertung bewilligt wurde:

    a) Nr. 3136 Restschuld        Fr. 846.10

    Zahlungsbefehl:       18. Juli 1964

    Pfändung:     27. August 1964

    Verwertungsbegehren:  14. Januar 1965

    Aufschubsbewilligung: 30. April 1965

    b) Nr. 4038   Fr. 2'108.50

    Zahlungsbefehl:       21. Januar 1965

    Pfändung:      1. April 1965

    Verwertungsbegehren:   1. Oktober 1965

    Aufschubsbewilligung:  4. Oktober 1965

    c) Nr. 7275   Fr. 1'038.50

    Zahlungsbefehl:       19. August 1966

    Pfändung:     30. September 1966

    Verwertungsbegehren:   5. April 1967

    Aufschubsbewilligung:  3. Mai 1967

    Nachdem das Betreibungsamt H. den Schuldner am 11. September 1968
erfolglos aufgefordert hatte, bis spätestens Ende September 1968 eine
Teilzahlung von Fr. 3'000.-- zu leisten, ordnete es am 21. Oktober 1968
in den drei genannten Betreibungen die Versteigerung der gepfändeten
Liegenschaft an. Als Versteigerungstermin wurde der 17. Dezember 1968
bestimmt.

    B.- Darüber beschwerte sich der Schuldner bei der kantonalen
Aufsichtsbehörde mit dem Begehren, die Anordnung der Steigerung sei
aufzuheben.

    Die Aufsichtsbehörde hiess die Beschwerde mit Entscheid vom
20. Dezember 1968 gut und hob die Verfügung des Betreibungsamtes
H. auf. Sie ging von Art. 123 SchKG aus, wonach die Verwertung auf
höchstens sieben Monate aufgeschoben werden kann, der Aufschub aber ohne
weiteres dahinfällt, wenn eine Abschlagszahlung nicht pünktlich erfolgt,
und hielt dafür, dass der Anspruch auf Versteigerung verwirkt sei, wenn
das Betreibungsamt auch nach Ablauf dieser Frist nichts unternehme und der
Gläubiger diese Untätigkeit während Jahren dulde. Die Aufsichtsbehörde
nahm daher an, die Versteigerung der Liegenschaft könne nicht mehr
angeordnet werden.

    C.- Gegen diesen Entscheid führt der Gemeinderat H.  Rekurs an das
Bundesgericht. Er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und
das Betreibungsamt H. sei zu ermächtigen, die Versteigerung durchzuführen.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 116 SchKG kann der Gläubiger die Verwertung der
gepfändeten Liegenschaften frühestens sechs Monate und spätestens
zwei Jahre nach der Pfändung verlangen. Wird das Verwertungsbegehren
nicht innerhalb dieser Frist gestellt oder wird es zurückgezogen und
nicht erneuert, so erlischt die Betreibung (Art. 121 SchKG). Nach
der Praxis gilt der dem Schuldner vom Gläubiger bewilligte Aufschub
als Rückzug des Verwertungsbegehrens (Archiv für Schuldbetreibung und
Konkurs Bd. 8 Nr. 37; BGE 41 III 431, 42 III 44 Erw. 2 und 85 III 72;
JAEGER, Kommentar, N. 3 zu Art. 121 SchKG). Wird der Aufschub jedoch
vom Betreibungsamt gestützt auf Art. 123 SchKG gewährt, so kann darin
nicht ein Rückzug des Verwertungsbegehrens erblickt werden. Nach dieser
Bestimmung kann der Betreibungsbeamte die Verwertung um höchstens sieben
Monate hinausschieben, wenn der Schuldner glaubhaft macht, dass er in
finanzielle Bedrängnis geraten ist und wenn er sich zu regelmässigen
Abschlagszahlungen an das Betreibungsamt verpflichtet und die erste
Zahlung bereits geleistet hat. Der Aufschub fällt von Gesetzes wegen
dahin, wenn eine Abschlagszahlung nicht pünktlich erfolgt (Art. 123
Abs. 4 SchKG erster Satz). Das Betreibungsamt hat dann von sich aus,
ohne ein Begehren des Gläubigers abzuwarten, die Versteigerung anzuordnen
(vgl. JAEGER, Kommentar, N. 7 zu Art. 123 SchKG; ferner die Fussnote in
Formular Nr. 29a betr. die Aufschubsbewilligung: "... Das Betreibungsamt
hat von sich aus, ohne neues Begehren des Gläubigers, die Verwertung
anzuordnen."). Nach der Rechtsprechung ist das Betreibungsamt nicht
einmal befugt, den Schuldner zu mahnen und ihm eine letzte Frist zur
Zahlung einzuräumen (BGE 73 III 93 und 88 III 22 Erw. 3). Da die Erteilung
und das Erlöschen der Aufschubsbewilligung gestützt auf Art. 123 SchKG
unabhängig vom Willen des Gläubigers erfolgen, findet Art. 121 SchKG
darauf keine Anwendung. Daraus folgt, dass bei Wegfall des Aufschubes
die Verwertung auch angeordnet werden muss, wenn die in Art. 116 SchKG
enthaltenen Fristen bereits abgelaufen sind (JAEGER, Kommentar, N. 4 zu
Art. 121 und N. 7 zu Art. 123 SchKG).

Erwägung 2

    2.- Es ist unbestritten, dass der Gläubiger in den drei gegen
den Schuldner angestrengten Betreibungen das Pfändungs- und das
Verwertungsbegehren jeweilen rechtzeitig gestellt hat. Er hat das
Verwertungsbegehren auch nicht etwa zurückgezogen, weder ausdrücklich
noch durch Gewährung eines Zahlungsaufschubes. Der dem Schuldner
vom Betreibungsamt bewilligte Verwertungsaufschub aber machte das
Verwertungsbegehren, wie dargelegt, nicht hinfällig. Vielmehr wurde
dieses Begehren, da der Schuldner den Abzahlungsplan nicht einhielt,
ohne weiteres vollziehbar. Der Umstand, dass das Betreibungsamt diese
Massnahme ungebührlich verzögerte, bildet keinen Grund, die alsdann mehr
als zwei Jahre nach der letzten Pfändung getroffene Anordnung nicht mehr
gelten zu lassen.

    Nun erhebt sich allerdings die Frage, ob dann, wenn das Betreibungsamt
den dem Schuldner erteilten Aufschub gesetzwidrig über die Frist von sieben
(bezw. drei) Monaten hinaus verlängert und der Gläubiger dabei längere Zeit
untätig zusieht, dieses Verhalten des Gläubigers, gleich wie wenn er den
Aufschub selber bewilligt hätte, als Rückzug des Verwertungsbegehrens
zu betrachten sei. Diese Frage muss hier jedoch nicht beantwortet
werden. Gewiss darf ein Gläubiger die Untätigkeit des Betreibungsamtes
nicht jahrelang dulden, ohne zu riskieren, dass sein Verhalten als Verzicht
auf die Verwertung ausgelegt wird. Im vorliegenden Fall würde ein solcher
Schluss aber gegen das Prinzip von Treu und Glauben verstossen.

    Wie die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich festgestellt hat,
ist der Schuldner vom Betreibungsbeamten hin und wieder mündlich gemahnt
worden und hat er weitere Zahlungen versprochen. Bereits am 29. April
1965 hat das Betreibungsamt dem Schuldner auch schriftlich mitgeteilt,
dass es laufend Reklamationen des Gläubigers wegen der Verzögerung in der
Bezahlung der Aufschubsraten erhalte. Den Rekursbeilagen ist zu entnehmen,
dass das Gemeindesteueramt H. mehrmals schriftlich beim Betreibungsamt
wegen der Nichtleistung der Raten vorstellig geworden ist und am 8. April
1967 sogar ausdrücklich die Durchführung der Versteigerung der gepfändeten
Liegenschaft verlangt hat. Diese Unterlagen dürfen gemäss Art. 79 Abs. 1 OG
im bundesgerichtlichen Verfahren berücksichtigt werden, weil der Gläubiger
im kantonalen Verfahren nicht zu Worte gekommen ist. Eine Verzögerung in
der Anordnung der Verwertung ist auch durch den Beamtenwechsel auf dem
Betreibungsamt entstanden. Unter diesen Umständen darf aus dem Verhalten
des Gemeindesteueramtes nicht auf den Rückzug des Verwertungsbegehrens
geschlossen werden. Beim gegebenen Sachverhalt darf aber auch nicht
Verwirkung des Anspruchs des Gläubigers auf die Versteigerung der
gepfändeten Liegenschaft angenommen werden, wie die Vorinstanz dies
getan hat.

    Die von der kantonalen Aufsichtsbehörde in diesem Zusammenhang
angestellten Überlegungen sind unbehelflich. Es geht hier nicht darum,
die übermässigen Verzögerungen in den Betreibungsverfahren zu decken und
die der Aufsichtsbehörde unterstellten Betreibungsämter zur Fortsetzung
einer derart ungesetzlichen Amtsführung zu ermächtigen. Es ist auch nicht
von Bedeutung, dass bei Gutheissung des Rekurses die "Verantwortlichkeiten
zu einseitig verteilt" werden und der zuständige Betreibungsbeamte von
allfälligen Disziplinarmassnahmen verschont werden kann. Entscheidend
ist hier allein, dass das Verhalten des Gläubigers nicht als Rückzug
des Verwertungsbegehrens ausgelegt werden darf, wenn das Steueramt auch
nicht zum letzten Mittel gegriffen und eine Rechtsverzögerungsbeschwerde
eingereicht hat. Es ist anderseits zu berücksichtigen, dass der Schuldner,
der mit dem Versprechen weiterer Zahlungen neue vom Gesetz verpönte
Aufschubsbewilligungen erwirkt hat, aber offenbar wenig zahlungswillig ist,
nicht mit dem Erlöschen der Betreibungen belohnt werden soll.

    Die gegen den Schuldner gerichteten Betreibungen Nr. 3136, 4038 und
7275 des Betreibungsamtes H. sind daher weiterzuführen.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben
und das Betreibungsamt H. angewiesen, die Versteigerung der Liegenschaft
des Schuldners in den Betreibungen Nr. 3136, 4038 und 7275 anzuordnen.