Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 94 I 659



94 I 659

90. Auszug aus dem Urteil vom 22. November 1968 i.S. Christian Holzäpfel
GmbH gegen Eidg. Steuerverwaltung. Regeste

    Ungerechtfertigte Inanspruchnahme eines Doppelbesteuerungsabkommens.

    1.  Voraussetzungen der Gewährung eines Replikrechtes im
staatsrechtlichen und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Art. 93
Abs. 3/Art. 107 OG (Erw. 1 b).

    2.  Gegen die Ablehnung einer Einsprache wegen Verweigerung
der Inanspruchnahme eines Doppelbesteuerungsabkommens ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig. Art. 100 OG; Art. 2 Abs. 1
lit. c des Bundesbeschlusses vom 22. Juni 1951 über die Durchführung
von zwischenstaatlichen Abkommen des Bundes zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung; Art. 5 Abs. 3 des BRB vom 14. Dezember 1962
betreffend Massnahmen gegen die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von
Doppelbesteuerungsabkommen des Bundes. Analoge Anwendung des Art. 8
Abs. 5 StG (Erw. 2).

    3.  Inwiefern kann das Bundesgericht die Verfassungsmässigkeit einer
unselbständigen Verordnung des Bundesrates überprüfen? (Erw. 3).

    4.  Art. 2 Abs. 2 lit. b des BRB vom 14. Dezember 1962 (betreffend
den vorliegenden Fall missbräuchlicher Inanspruchnahme eines
Doppelbesteuerungsabkommens) verstösst weder gegen den Bundesbeschluss
vom 22. Juni 1951 noch gegen Sinn und Zweck der Doppelbesteuerungsabkommen
selbst (Erw. 4).

    5.  Die erwähnte Bestimmung des BRB gilt auch in bezug auf das neue
Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und Grossbritannien vom 14.
Juni 1966. - Ablehnung einer aus Art. 9 der VV zum VStG hergeleiteten
Einwendung (Erw. 5).

Sachverhalt

    A.- Die Firma Christian Holzäpfel GmbH hat ihren Sitz in Basel
und weist ein Stammkapital von Fr. 20'000. - auf. Die eine Hälfte des
Stammkapitals gehört dem in Deutschland wohnhaften Christian Holzäpfel und
die andere der Finadex AG., welche diesen Stammanteil nach den Angaben der
GmbH treuhänderisch für Christian Holzäpfel besitzt. Im Jahre 1966 erzielte
die Gesellschaft einen Ertrag aus Lizenzgebühren von Fr. 219'947.95 und
einen Jahresgewinn von Fr. 148'535.35; der Gewinnvortrag belief sich
auf Fr. 220'584.09.

    Am 7. Februar 1968 reichte die Firma Christian Holzäpfel GmbH gestützt
auf Art. VII A des Doppelbesteuerungsabkommens mit Grossbritannien vom 30.
September 1954/14. Juni 1966 und Art. 11 des BRB über die Ausführung des
Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Grossbritannien
vom 25. März 1955/25. April 1967 einen Antrag auf Entlastung von der
britischen Einkommenssteuer ein. Die Eidg. Steuerverwaltung verweigerte
jedoch dessen Weiterleitung mit der Begründung, an der fraglichen
Gesellschaft sei eine nicht abkommensberechtigte Person (Christian
Holzäpfel) in wesentlichem Umfange interessiert, und die GmbH nehme keine
angemessene Gewinnausschüttung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 lit. b des BRB
vom 14. Dezember 1962 betreffend Massnahmen gegen die ungerechtfertigte
Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen des Bundes vor. Die
Christian Holzäpfel GmbH erhob gegen diese Weigerung Einsprache, welche
von der Eidg. Steuerverwaltung am 10. Juni 1968 abgewiesen wurde.

    B.- Gegen den Entscheid der Eidg. Steuerverwaltung führt die
Firma Christian Holzäpfel GmbH Verwaltungsgerichtsbeschwerde an
das Bundesgericht. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei
aufzuheben und es sei festzustellen, dass sie das britisch-schweizerische
Doppelbesteuerungsabkommen nicht missbräuchlich in Anspruch nehme. Sie sei
dementsprechend von der Auflage, mindestens 25% der von der englischen
Quellensteuer zu befreienden bzw. befreiten Lizenzgebühren als Gewinn
auszuschütten, zu entbinden. Die Beschwerdeführerin macht der Sache
nach geltend, Art. 2 Abs. 2 lit. b des BRB vom 14. Dezember 1962 sei
ungesetzlich.

    C.- Die Eidg. Steuerverwaltung beantragt in ihrer Vernehmlassung
Abweisung der Beschwerde. Sie weist insbesondere darauf hin, dass die
Beschwerdeführerin offensichtlich nicht ein von einem deutschen und
einem schweizerischen Beteiligten betriebenes Unternehmen zur gemeinsamen
Ausnützung von immateriellen Güterrechten sei; denn die Einkünfte, deren
Besteuerung umstritten ist, stammten ausschliesslich aus den Rechten
des deutschen Gesellschafters. Es dränge sich daher die Vermutung auf,
dass die Finadex AG. eine treuhänderische Funktion ausübe und bei der
Gründung der GmbH nur deshalb mitgewirkt habe, um gegenüber den Behörden
eine schweizerische Beteiligung vorzutäuschen. Die Einschaltung der
beschwerdeführenden Gesellschaft habe nur den Zweck, die Einkünfte aus
den Rechten, die der deutsche Gesellschafter zur Verfügung gestellt
habe, der Besteuerung in Deutschland zu entziehen. Dieses Vorgehen des
Gesellschafters möge sein gutes Recht sein, doch könne er nicht erwarten,
darüber hinaus noch in den Genuss der Vorteile des von der Schweiz mit
einem Drittstaat abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens zu gelangen,
ohne dass eine volle Besteuerung in der Schweiz erfolge. Die von der
Beschwerdeführerin in der Schweiz zu bezahlenden Wehrsteuern vom Ertrag
(max. 7,2%) seien im Vergleich zu den zu erwartenden Steuerentlastungen in
Grossbritannien (zur Zeit 41,25%) als äusserst bescheiden anzusprechen. Auf
die Beschwerdeführerin finde deshalb der BRB vom 14. Dezember 1962
Anwendung.

    D.- Die Vernehmlassung der Eidg. Steuerverwaltung zur Beschwerde wurde
der Beschwerdeführerin mit dem Vermerk "zur Kenntnisnahme ohne Replikrecht"
zugestellt. Sie ersuchte daraufhin mit Eingabe vom 23. September 1968 um
Einräumung des Replikrechts und stellte gleichzeitig noch weitere Anträge.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a)...

    b) Mit ihrem zweiten Begehren beantragt die Beschwerdeführerin,
es sei ihr Gelegenheit zu einer ausführlichen Replik zu geben.

    Gemäss Art. 93 Abs. 3 OG findet ein weiterer Schriftenwechsel
nach Einreichung von Beschwerdebegründung und -beantwortung bei
staatsrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Beschwerden nur
ausnahmsweise statt. Er erübrigt sich immer dann, wenn die tatsächlichen
und rechtlichen Verhältnisse durch die Beschwerdeschrift und die
Vernehmlassung hinreichend abgeklärt sind, so dass das Gericht zur
Urteilsfindung keine zusätzlichen Angaben mehr benötigt (vgl. BGE 90 I
11). Dagegen ist dem Beschwerdeführer das Replikrecht zu gewähren, wenn
die Verwaltung in ihrer Vernehmlassung neue tatsächliche Behauptungen
aufstellt, deren Richtigkeit nicht ohne weiteres aktenkundig ist und die
nach Ansicht des Bundesgerichts für die Entscheidung von wesentlicher
Bedeutung sind. Was allfällige neue rechtliche Argumente anbetrifft, ist
davon auszugehen, dass das Bundesgericht das richtige Recht von Amtes
wegen anzuwenden hat. Der blosse Umstand, dass die Verwaltung in ihrer
Vernehmlassung zusätzlich zu den im Einspracheentscheid angeführten Gründen
noch weitere Argumente für ihre Auffassung vorbringt, rechtfertigt noch
keine Gewährung des Replikrechts. Anders ist jedoch die Sachlage, wenn
das Bundesgericht der Ansicht ist, dass sich der angefochtene Entscheid
mit der ursprünglichen Motivierung zwar nicht halten lässt, wohl aber mit
einer andern, von der Verwaltung erstmals in der Beschwerdebeantwortung
dargelegten Begründung. In einem solchen Fall hat der Beschwerdeführer
Anspruch darauf, sich hiezu noch äussern zu können, um seine Gegenargumente
vorzubringen.

    .....

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin ficht eine Verfügung der Eidg.
Steuerverwaltung an, welche die Weiterleitung eines Antrags auf Entlastung
von einer ausländischen Einkommenssteuer ablehnt. Bei dieser Verfügung
handelt es sich nicht um einen Entscheid über bundesrechtliche Abgaben
im Sinne von Art. 97 OG. Art. 2 Abs. 1 lit. c des Bundesbeschlusses vom
22. Juni 1951 über die Durchführung von zwischenstaatlichen Abkommen
des Bundes zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ermächtigt jedoch den
Bundesrat, die im Rahmen des Abkommens zu treffenden Entscheidungen
der Eidg. Steuerverwaltung, welche Steuern des andern Vertragsstaates
zum Gegenstand haben, der eidgenössischen Verwaltungsgerichtsbarkeit
zu unterstellen. Art. 5 Abs. 3 des BRB vom 14. Dezember 1962
bestimmt, dass für Einsprache und Beschwerde gegen Entscheide
der Eidg. Steuerverwaltung sinngemäss Art. 8 des Bundesgesetzes
vom 4. Oktober 1917 über die Stempelabgaben gelte. Diese Bestimmung
sieht in Abs. 5 die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht
gegen Einspracheentscheide der Eidg. Steuerverwaltung vor. Daraus muss
geschlossen werden, dass der Bundesrat von der ihm im Bundesbeschluss
vom 22. Juni 1951 eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht hat und die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde demnach im vorliegenden Fall zulässig
ist. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.

Erwägung 3

    3.- Der BRB vom 14. Dezember 1962 betreffend Massnahmen gegen die
ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen des
Bundes stützt sich auf den allgemeinverbindlichen Bundesbeschluss vom
22. Juni 1951 über die Durchführung von zwischenstaatlichen Abkommen
des Bundes zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (vgl. dazu MASSHARDT,
Die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen,
ASA Bd 31 S. 225 ff., und MATHEY, Les mesures contre l'utilisation
sans cause légitime des conventions conclues par la Confédération
en vue d'éviter les doubles impositions, RDAF 19 S. 53 ff.). Halten
sich die Bestimmungen des BRB im Rahmen dieses Bundesbeschlusses, so
sind sie anzuwenden; es ist nicht notwendig, dass auch die einzelnen
Doppelbesteuerungsabkommen den Bundesrat zusätzlich zur Anordnung
derartiger Massnahmen ermächtigen. Der BRB wäre nur dann nicht anwendbar,
wenn er etwas enthielte, was den einzelnen Doppelbesteuerungsabkommen
widersprechen würde; denn der Bundesbeschluss und damit auch der sich auf
ihn stützende BRB sind nach dem Willen des Gesetzgebers in Übereinstimmung
mit den völkerrechtlichen Pflichten durchzuführen, die sich aus den
einzelnen Doppelbesteuerungsabkommen ergeben.

    Im vorliegenden Fall bestreitet die Beschwerdeführerin dem Sinne nach
die Gesetz- und Verfassungsmässigkeit sowie die Staatsvertragskonformität
von Art. 2 Abs. 2 lit. b des BRB vom 14. Dezember 1962. Die Eidg.
Steuerverwaltung hat im angefochtenen Entscheid festgehalten, es sei
nicht ihre Aufgabe, die Gesetz- und Verfassungsmässigkeit dieses BRB zu
überprüfen; denn für die Verwaltung seien die Erlasse des Bundesrates
verbindlich und müssten von ihr angewendet werden. Allenfalls sei es Sache
des Bundesgerichts, einen Erlass auf der Verordnungsstufe insoweit auf
seine Rechtsbeständigkeit zu untersuchen, als er in einem Einzelfall
zur Anwendung gelange. Richtig ist, dass dem Bundesgericht gestützt
auf Art. 113 Abs. 3 und Art. 114bis BV das akzessorische richterliche
Prüfungsrecht gegenüber Verordnungen des Bundesrates zusteht. Bei
unselbständigen Verordnungen, die auf Gesetzes- oder Beschlussesdelegation
beruhen, bezieht sich die richterliche Kontrolle vorab darauf, ob sie
im Rahmen der Delegation bleiben. Wie das Bundesgericht in BGE 92
I 432 ausgeführt hat, heisst dies aber nicht, dass dem Gericht die
Kontrolle der Verfassungsmässigkeit solcher Verordnungen überhaupt
entzogen sei. Es kommt daraufan, ob die gesetzliche Delegationsnorm
den Bundesrat zum Erlass einer Verordnung, die von einem Grundsatz
der Bundesverfassung abweicht, ermächtige oder nicht. Ist diese Frage
zu bejahen, so kann das Bundesgericht allerdings die Verordnung nicht
wegen der Verfassungswidrigkeit, welche vom Gesetz zugelassen wird,
ungültig erklären. Dagegen kann das Gericht einschreiten, falls die
Verfassungswidrigkeit der Verordnung nicht durch eine gesetzliche
Ermächtigung gedeckt ist. Diese Befugnis steht ihm namentlich dann zu,
wenn es mit einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen Entscheid
befasst ist, der eine Verordnung des Bundesrates anwendet; gehört doch
auch die Bundesverfassung zum Bundesrecht, dessen Verletzung mit diesem
Rechtsmittel geltend gemacht werden kann (BGE 92 I 432 ff., 88 I 307 und
86 I 192 f.). Dass ein Gesetz den Bundesrat ermächtige, in der Verordnung
von der Verfassung abzuweichen, kann nicht ohne weiteres angenommen
werden. Vielmehr ist zu vermuten, dass der Gesetzgeber sich von der
Verfassung nicht habe entfernen wollen (BGE 92 I 433).

Erwägung 4

    4.- In der Botschaft zum Bundesbeschluss vom 22. Juni 1951 (BBl
1951 II 296 ff.) wird ausgeführt, dass das schweizerisch-amerikanische
Doppelbesteuerungsabkommen den unmittelbaren Anlass geboten habe zur
Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für den Erlass einseitiger
schweizerischer Durchführungsbestimmungen, die auch auf die andern
schweizerischen Doppelbesteuerungsabkommen anzuwenden wären. Diese
Ausführungsbestimmungen müssten insbesondere das Verfahren ordnen,
das die in der Schweiz wohnenden Einkommensempfänger einzuhalten haben,
damit ihnen die vom andern Vertragsstaat zugesicherte Entlastung von den
an der Quelle erhobenen Einkommenssteuern gewährt werde.

    Mit dem Bundesbeschluss vom 22. Juni 1951 ist diese gesetzliche
Grundlage geschaffen worden. Art. 1 dieses Beschlusses sieht vor, dass die
Ausführungsbestimmungen für die Durchführung der Doppelbesteuerungsabkommen
vom Bundesrat aufgestellt werden. In Art. 2 Abs. 1 lit. b wird der
Bundesrat insbesondere als zuständig erklärt, Massnahmen zu treffen, um
zu verhindern, dass die vom andern Vertragsstaat zugesicherte Herabsetzung
von an der Quelle erhobenen Steuern Personen zugute kommt, die darauf nach
dem Abkommen keinen Anspruch haben. Gestützt auf diesen Bundesbeschluss
war der Bundesrat durchaus ermächtigt, Bestimmungen über Massnahmen gegen
die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen
zu erlassen, wie er es im BRB vom 14. Dezember 1962 getan hat. Er war
auch kompetent, die nicht abkommensberechtigten Personen durch generell
abstrakte Normen zu umschreiben.

    Der Bundesrat benötigte dazu keiner Zustimmung der Vertragspartner
der einzelnen Doppelbesteuerungsabkommen, sofern sein Vorgehen mit
dem Sinn und Zweck dieser Abkommen im Einklang stand. Grundsätzlich
ist jeder Vertragspartner berechtigt, ein Doppelbesteuerungsabkommen
selbständig auszulegen. Insbesondere durfte der Bundesrat annehmen,
auch die Vertragspartner würden den Sinn dieser Abkommen darin sehen,
dass die Doppelbesteuerung der Angehörigen der Vertragsstaaten durch
Quellensteuern einerseits und Einkommens- bzw. Reinertragssteuern
anderseits gemildert oder beseitigt werde. Tritt infolge einer
gezielten Geschäftspolitik für Vermögen und Einkünfte eines Angehörigen
eines Vertragsstaates, der diese Werte für den Angehörigen eines
Drittstaates besitzt, gar keine Doppelbelastung ein, so entfällt der
Zweck des Doppelbesteuerungsabkommens. Diese gezielte Geschäftspolitik
kann u.a. zur Folge haben, dass eine Gesellschaft trotz zufliessender
Einkünfte keinen Reingewinn ausweist oder keinen Gewinn ausschüttet und
nach den anwendbaren Steuergesetzen selbst auf den akkumulierten Gewinnen
keine Reinertragssteuer bezahlen muss. Kommen die steuerlichen Vorteile
Angehörigen von Drittstaaten zugute, so liegt ein Abkommensmissbrauch
vor. Dementsprechend ist nach Art. 2 Abs. 2 des BRB vom 14. Dezember 1962
die Beanspruchung eines Doppelbesteuerungsabkommens insbesondere dann
missbräuchlich, wenn Angehörige von Drittstaaten über die Erträgnisse von
Beteiligungen bzw. Lizenzen praktisch steuerfrei verfügen können, indem sie

    - entweder diese Erträgnisse durch eine schweizerische Gesellschaft
durchlaufen lassen (Durchlaufgesellschaften /Art. 2 Abs. 2 lit. a BRB) oder

    - die Gewinne bei einer schweizerischen Gesellschaft
akkumulieren, um von der Schweiz aus darüber verfügen zu können
(Gewinnakkumulierungs-Gesellschaften /Art. 2 Abs. 2 lit. b) oder

    - einen Treuhänder in der Schweiz bestellen, der die Erträgnisse
für sie unter Beanspruchung der Steuerentlastung empfängt (Art. 2 Abs. 2
lit. c) oder

    - eine Familienstiftung oder Personengesellschaft ohne geschäftlichen
Betrieb als abzugsberechtigten Empfänger vorschieben (Art. 2 Abs. 2 lit.
d).

    Auch ohne Steuerentlastung an der Quelle kommt es in diesen vier Fällen
nicht zu einer wirklichen Doppelbelastung, weil weder der schweizerische
Empfänger noch die hinter ihm stehenden Personen in Drittländern
erhebliche Steuern bezahlen müssen. Die Steuerentlastung an der Quelle
rechtfertigt sich deshalb nach dem Sinn und Zweck der Abkommen in solchen
Fällen nicht. Mit Recht bezeichnet der BRB die Inanspruchnahme einer
Steuerentlastung ohne Doppelbesteuerung als missbräuchlich; denn Merkmal
des Rechtsmissbrauchs ist die zweckwidrige Verwendung eines Rechtsinstituts
zur Verwirklichung von Interessen, die dieses Rechtsinstitut nicht schützen
will (vgl. MERZ, Kommentar, N. 50 zu Art. 2 ZGB und BGE 86 II 421). Dieses
Merkmal trifft auf die in Art. 2 Abs. 2 BRB aufgezählten Fälle zu.

    Nach dem Ausgeführten hält sich der BRB vom 14. Dezember 1962 und
insbesondere dessen Art. 2 Abs. 2 lit. b im Rahmen des Bundesbeschlusses
vom 22. Juni 1951. Er läuft aber auch dem Sinn und Zweck der
Doppelbesteuerungsabkommen nicht zuwider.

Erwägung 5

    5.- Die Schweiz hat im Jahre 1966 sowohl mit Frankreich als auch
mit Grossbritannien Verhandlungen über den Abschluss eines neuen
Doppelbesteuerungsabkommens geführt. Während Frankreich verlangte,
dass die im BRB vom 14. Dezember 1962 aufgestellten Prinzipien
ausdrücklich in das neue Abkommen aufgenommen würden (vgl. Art. 14
des Doppelbesteuerungsabkommens mit Frankreich vom 9. September 1966),
verzichtete England auf eine entsprechende Regelung. Grossbritannien hat
im Gegenteil darein eingewilligt, dass im neuen Abkommen die von seiner
Seite vorgesehenen Steuererleichterungen auch Personen zugute kommen, die
in der Schweiz von der Einkommens- oder Ertragssteuer befreit sind (Art. VI
und VII A des Abkommens). Mit diesem Entgegenkommen sollen Institutionen,
die aus besondern Gründen im andern Vertragsstaat steuerfrei sind wie
das Rote Kreuz oder andere gemeinnützige Einrichtungen, begünstigt werden
(vgl. die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zur Änderung
des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Grossbritannien,
BBl 1966 I 1310).

    Da der BRB vom 14. Dezember 1962 in den vergangenen Jahren auch England
gegenüber immer angewendet wurde, ist anzunehmen, dass die schweizerische
und die britische Delegation bei den Vertragsverhandlungen ohne weiteres
davon ausgegangen sind, an der Anwendbarkeit des BRB solle nichts geändert
werden. Auch wenn der BRB vom 25. April 1967 über die Ausführung des
Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Grossbritannien keinen
ausdrücklichen Vorbehalt zugunsten des BRB vom 14. Dezember 1962 enthält,
so spricht doch alles dafür, dass er nach dem Willen des Bundesrates auch
weiterhin neben dem BRB vom 25. April 1967 gilt und die darin erwähnten
juristischen Personen beim Fehlen der entsprechenden Voraussetzungen
keinen Anspruch auf Steuerentlastung erheben können.

    An der Geltung des BRB vom 14. Dezember 1962 hat sich auch dadurch
nichts geändert, dass die Eidg. Steuerverwaltung bei Gesellschaften, die
von Ausländern beherrscht werden und ihre Gewinne akkumulieren, nunmehr
gestützt auf Art. 9 der Vollziehungsverordnung zum Verrechnungssteuergesetz
eine Sicherstellungsverfügung erlassen kann. Ob diese Verordnungsbestimmung
gesetzes- und verfassungswidrig ist, wie die Beschwerdeführerin
beiläufig behauptet, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen;
denn die Sicherstellungsverfügung verpflichtet die Gesellschaft nur zur
Leistung einer Realkaution, Bürgschaft oder Garantie und steht mit der
Berechtigung zur Inanspruchnahme der Doppelbesteuerungsabkommen nicht im
Zusammenhang. Der weitere Einwand der Beschwerdeführerin, es widerspreche
den elementarsten rechtsstaatlichen Grundsätzen, einen Steuerpflichtigen
fiskalisch zu belasten, weil er später vielleicht einmal unkorrekt
handeln könnte, ist nicht stichhaltig. Die Beschwerdeführerin kann
selbst nicht bestreiten, dass es mehrere legale Wege gibt, welche den
ausländischen Gesellschaftern oder Aktionären ermöglichen, de facto über
die aufgehäuften Erträgnisse zu verfügen, ohne dass es zu einer offenen
oder verdeckten Gewinnausschüttung kommt. Die blosse Möglichkeit der
spätern Besteuerung der akkumulierten Erträgnisse ändert nichts an der
Tatsache, dass diese Gesellschaften zur Zeit nicht von einer effektiven
Doppelbelastung betroffen werden. Die Eidg. Steuerverwaltung hat daher der
Beschwerdeführerin die Inanspruchnahme der im schweizerisch-britischen
Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehenen Steuerentlastungen mit Recht
verweigert.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.