Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 94 I 486



94 I 486

68. Auszug aus dem Urteil vom 18. Oktober 1968 i.S. Wistag
Wohnbau-Investment AG gegen Eidg. Bankenkommission. Regeste

    Bundesgesetz über die Anlagefonds: Frist für die Rückzahlung von
Anteilen an Immobilienanlagefonds. Prüfung der Gesetzmässigkeit der
Ordnung, die in einem vor dem Inkrafttreten des Gesetzes erlassenen
Fondsreglement aufgestellt ist.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Die Wistag Wohnbau-Investment AG in Olten verwaltet als
Fondsleitung die Immobilienanlagefonds Swissfonds 1 und 2. Die Reglemente,
welche für die beiden Fonds vor dem Erlass des BG über die Anlagefonds
vom 1. Juli 1966 (AFG) aufgestellt worden waren, enthalten folgende
gleichlautende Ziffer 12:

    "Die Fondsleitung verpflichtet sich, durch die Treuhänderin Zertifikate
zum jeweiligen inneren Wert unter Abzug einer Rücknahmegebühr von 2%
zurückzukaufen. Zur Deckung der Rückkaufsbegehren kann die Fondsleitung
Liegenschaften verkaufen, wobei für den Rückkaufspreis der Ausgabepreis
nach Liquidation der betr. Liegenschaften neu zu bestimmen ist. Die
Fondsleitung kann die während eines Jahres einlaufenden Rückkaufsbegehren
zusammenfassen und im kommenden Kalenderjahr gesamthaft erledigen. Wenn
besondere Verhältnisse es erfordern, ist die Fondsleitung berechtigt,
den Rückkauf für solange aufzuschieben, bis die notwendigen Mittel durch
Liquidation eines entsprechenden Teils des Gesamtvermögens bereitgestellt
sind."

    Die Wistag machte bis Ende 1966 von der Möglichkeit des zweitletzten,
nicht aber des letzten Satzes Gebrauch, d.h. sie fasste jeweils die
in einem Kalenderjahr eingegangenen Kündigungen zusammen und zahlte die
betreffenden Anteile im September des folgenden Jahres zurück, woraus sich
Rückzahlungsfristen von 9 bis 21 Monaten ergaben. Nach dem Inkrafttreten
des AFG (1. Februar 1967) setzte sie die Rückzahlungsfrist allgemein auf 24
Monate fest. Sie nahm an, der Schlussatz der Ziff. 12 der Fondsreglemente
sei nun durch Art. 36 Abs. 2 AFG in dem Sinne eingeschränkt, dass die
Fondsleitung bei Vorliegen besonderer Verhältnisse den Rückkauf höchstens
24 Monate aufschieben dürfe; besondere Verhältnisse lägen darin, dass der
Geld- und Kapitalmarkt allgemein angespannt sei, die Fonds keine Mittel
durch Emission beschaffen könnten und sich die Zahl der Rücknahmebegehren
im Jahre 1966 stark erhöht habe.

    B.- Die Eidg. Bankenkommission (Kammer für Anlagefonds) verpflichtete
durch Verfügung vom 26. Juni 1968 die Wistag, Rücknahmebegehren von
Anlegern spätestens bis Ende des auf den Eingang des Begehrens folgenden
Kalenderjahres zu erledigen.

    Zur Begründung wurde ausgeführt, die Fondsleitung habe ihre
Geschäftspolitik so auszurichten, dass das unabdingbare Recht der Anleger
auf Widerruf des Kollektivanlagevertrages gewahrt werden könne. Für die
Swissfonds laufe nun die Frist im Sinne des Art. 36 Abs. 2 AFG bis Ende
des auf die Kündigung folgenden Kalenderjahres, wie dies der zweitletzte
Satz der Ziff. 12 der Fondsreglemente vorsehe. Diese Ordnung sei sinnvoll,
weil infolge der Zusammenfassung der Kündigungen eines Kalenderjahres
die Fondsleitung im voraus wisse, welche Mittel sie für die Rückzahlung
im nächsten Jahr bereitzustellen habe.

    Seit dem Inkrafttreten des AFG sei ausschliesslich die Aufsichtsbehörde
zuständig, darüber zu befinden, ob ausserordentliche (besondere)
Verhältnisse einen Aufschub der Rückzahlung rechtfertigen (Art. 21
Abs. 4). Der Schlussatz der Ziff. 12 der Swissfonds-Reglemente, welcher
die gleiche Kompetenz der Fondsleitung einräume, sei durch Art. 54 Abs. 1
EFG aufgehoben.

    C.- Gegen diese Verfügung erhebt die Wistag
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie beantragt u.a.:

    "Es sei festzustellen, dass die Bestimmung von Ziff. 12, letzter Satz,
der Fondsreglemente der Swissfonds 1 und 2 durch das AFG nicht aufgehoben
ist, sondern nur in dem Sinne eingeschränkt wird, dass die Fondsleitung
bei Vorliegen besonderer Verhältnisse den Rückkauf so lange aufschieben
kann, bis die notwendigen Mittel durch Liquidation eines entsprechenden
Teils des Gesamtvermögens bereitgestellt sind, längstens aber bis 24
Monate nach Eingang des Rücknahmebegehrens."

    Das Bundesgericht heisst diesen Antrag gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 21 Abs. 1 AFG kann der Anleger den
Kollektivanlagevertrag jederzeit widerrufen und gegen Rückgabe des
Anteilscheins die Auszahlung seines Anteils am Anlagefonds in bar
verlangen; nach Abs. 2 hat die Fondsleitung sogleich Anlagen des
Fonds zu verwerten, wenn dieser nicht die für die Auszahlung benötigten
flüssigen Mittel enthält. In Abweichung hievon gewährt Art. 36 Abs. 1 den
Immobilienanlagefonds für die Verwertung von Grundstücken eine Frist von
12 Monaten, und nach Abs. 2 kann diese im Fondsreglement verkürzt oder
auf höchstens 24 Monate verlängert werden. Diese Möglichkeit ist an keine
besonderen Voraussetzungen gebunden; nach dem neuen Gesetz kann daher
jeder Immobilienanlagefonds ohne weiteres in seinem Reglement die Frist
auf 24 Monate ansetzen, und vor dem Inkrafttreten des Gesetzes erlassene
Fondsreglemente, die das tun, widersprechen dem Gesetze nicht und sind
durch Art. 54 Abs. 1 nicht aufgehoben worden.

    Es ist denn auch unbestritten, dass der zweitletzte Satz der Ziff. 12
der Swissfonds-Reglemente, wonach die Fondsleitung die während eines
Jahres einlaufenden Rückkaufsbegehren zusammenfassen und im kommenden
Kalenderjahr gesamthaft erledigen kann, auch nach dem Inkrafttreten des
AFG gültig geblieben ist; denn dadurch wird die Frist in keinem Falle
auf mehr als 24 Monate verlängert. Der Streit geht einzig um den letzten
Satz der Ziff. 12, wonach die Fondsleitung bei Vorliegen besonderer
Verhältnisse berechtigt ist, den Rückkauf für so lange aufzuschieben,
bis die notwendigen Mittel durch Liquidation eines entsprechenden Teils
des Gesamtvermögens bereitgestellt sind.

    Dass dieser Schlussatz, welcher den Aufschub an keine feste zeitliche
Schranke knüpft, dem Art. 36 Abs. 2 AFG widerspricht, ist klar und
unbestritten. Die Beschwerdeführerin vertritt jedoch die Auffassung, er sei
durch Art. 54 Abs. 1 AFG nicht gänzlich, sondern nur insofern aufgehoben
worden, als er dem neuen Gesetz widerspreche, also nur soweit, als er eine
Verlängerung der Rückzahlungsfrist über 24 Monate hinaus gestatte; er sei
deshalb in dem Sinne zu konvertieren und weiter anzuwenden, dass die durch
ihn der Fondsleitung eingeräumte Möglichkeit der Fristverlängerung auf 24
Monate beschränkt werde. Die Bankenkommission hält eine solche Konversion
für nicht angängig, und zwar vor allem deshalb, weil der Entscheid über
das Vorliegen ausserordentlicher Verhältnisse durch Art. 21 Abs. 4 AFG
in die Hand der Aufsichtsbehörde gelegt sei und daneben kein Raum für
einen analogen Entscheid der Fondsleitung und eine ihn dazu ermächtigende
Bestimmung des Fondsreglementes bleibe; die Kommission ist daher der
Meinung, jener Schlussatz widerspreche im vollen Umfang dem neuen Gesetz
und sei durch Art. 54 Abs. 1 gänzlich aufgehoben.

    Damit verkennt jedoch die Bankenkommission den Unterschied zwischen
der Fristverlängerung nach Art. 36 Abs. 2 und dem Aufschub nach Art. 21
Abs. 4 AFG. Art. 21 sieht in Abs. 1 und 2 überhaupt keine Frist, sondern
den jederzeitigen Widerruf und die sofortige Rückzahlung der Anteile sowie
die sofortige Verwertung von Anlagen vor, soweit sie zur Beschaffung der
Mittel hiefür notwendig ist; Abs. 4 ermächtigt die Aufsichtsbehörde,
der Fondsleitung für die Rückzahlung einmal oder mehrfach einen
befristeten Aufschub zu gewähren, wenn ausserordentliche Verhältnisse
vorliegen. Art. 36 dagegen unterstellt die Immobilienanlagefonds einer
Sonderordnung, indem er für die Verwertung von Grundstücken eine an
keinerlei Voraussetzungen gebundene Frist von 12 Monaten aufstellt
(Abs. 1), die überdies im Fondsreglement - wiederum ohne dass besondere
Voraussetzungen erfüllt sein müssen - verkürzt oder auf höchstens 24 Monate
verlängert werden kann (Abs. 2). Der Schlussatz der Ziff. 12 der Reglemente
der Swissfonds 1 und 2 wurde zwar nicht gestützt auf diese Bestimmung
aufgestellt; doch fragt sich, ob er ihr widerspreche und deshalb durch
Art. 54 Abs. 1 AFG aufgehoben worden sei. Er geht einerseits insofern
über die durch Art. 36 Abs. 2 eingeräumte Möglichkeit hinaus, als er
die Verlängerung nicht absolut befristet und insbesondere nicht auf 24
Monate beschränkt; anderseits schöpft er jene Möglichkeit insofern nicht
voll aus, als er nicht schlechthin eine Frist von 24 Monaten ansetzt,
sondern lediglich die Fondsleitung zur Fristverlängerung ermächtigt,
wenn besondere Verhältnisse es erfordern.

    Indem diese Reglementsbestimmung über die genannte Möglichkeit
hinausgeht, widerspricht sie dem Art. 36 Abs. 2 AFG - doch nur insoweit,
als sie eine Verlängerung der Frist auf mehr als 24 Monate erlaubt. Sie
ist deshalb nur in diesem Umfang durch Art. 54 Abs. 1 AFG aufgehoben; in
dem beschränkten Umfang, in dem sie dem neuen Gesetz nicht widerspricht,
d.h. soweit sie eine Fristverlängerung bis zu 24 Monaten gestattet, ist
sie weiter gültig. Bisher konnte die Frist nach dem Reglement je nach den
vorliegenden Umständen in einem Masse verlängert werden, das auch nach dem
neuen Gesetz zulässig wäre, oder darüber hinaus; durch die Beschränkung auf
24 Monate wird die weitergehende Verlängerung ausgeschlossen und damit der
Widerspruch zu Art. 36 Abs. 2 AFG beseitigt, so dass kein Grund besteht,
die Reglementsbestimmung darüber hinaus in vollem Umfang aufzuheben. Es
ist in der Tat nicht einzusehen, wieso Fondsreglemente, die schon bisher
eine Fristverlängerung bis zu 24 Monaten zuliessen, unter dem neuen Recht
gültig bleiben, solche dagegen, die weiter gingen, gänzlich aufgehoben
sein und nicht einmal in jenem Umfang bestehen bleiben sollten.

    Da das Reglement - was nicht bestritten ist - schlechthin
eine Rückzahlungsfrist von 24 Monaten aufstellen könnte, muss es die
Fondsleitung auch ermächtigen können, unter bestimmten Voraussetzungen die
Frist bis zu dieser Dauer zu verlängern. Das Argument der Bankenkommission,
die Beurteilung dieser Voraussetzungen sei in Art. 21 Abs. 4 AFG der
Aufsichtsbehörde vorbehalten, scheitert an dem oben erwähnten Unterschied
zwischen dem dort geregelten Aufschub und der Fristverlängerung nach
Art. 36 Abs. 2, um die es hier geht. Wenn auch die Voraussetzung in
Art. 21 Abs. 4 AFG (mit den Worten: "wenn ausserordentliche Verhältnisse
vorliegen") und in Ziff. 12 der Swissfonds-Reglemente (mit der Wendung:
"wenn besondere Verhältnisse es erfordern") fast gleich umschrieben ist,
so ist es doch etwas ganz anderes, ob einmal oder mehrfach ein Aufschub der
nach Art. 21 grundsätzlich sofort vorzunehmenden Verwertung und Rückzahlung
gewährt oder ob anstatt der 12 monatigen Frist des Art. 36 Abs. 1 eine
solche bis zu 24 Monaten gemäss Abs. 2 daselbst aufgestellt wird. Es
ist durchaus verständlich, dass das Gesetz im ersten Falle die Kompetenz
der Aufsichtsbehörde zuweist, im zweiten Falle dagegen die abweichende
Bestimmung durch das Fondsreglement aufstellen lässt. Wenn dieses dann
weniger weit geht, die längere Frist nicht allgemein statuiert, sondern nur
unter bestimmten Voraussetzungen durch die Fondsleitung aufstellen lässt,
so liegt darin - gleichgültig, wie diese Voraussetzungen umschrieben
werden - kein Widerspruch zum Gesetz.

    Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass der Schlussatz der Ziff. 12
der Reglemente der Swissfonds 1 und 2 nicht aufgehoben, sondern nur in dem
Sinne eingeschränkt ist, dass der dort vorgesehene Aufschub des Rückkaufs
von Anteilen längstens bis 24 Monate nach Eingang des Rücknahmebegehrens
erstreckt werden kann.