Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 94 I 475



94 I 475

66. Auszug aus dem Urteil vom 18. Oktober 1968 i.S. X. und Mitbeteiligte
gegen Eidg. Oberzolldirektion. Regeste

    Umsatzsteuer auf der Wareneinfuhr.

    1.  Beschwerde gegen einen Entscheid der Oberzolldirektion betreffend
die Festsetzung der Steuer und deren Erlass. Abgrenzung der Zuständigkeit
der Zollrekurskommission und des Bundesgerichts (Erw. 1).

    2.  Steuern, die hinterzogen worden sind und deshalb nachgefordert
werden, fallen nicht unter Art. 126 ZG und können nicht gemäss Art. 127
Abs. 1 Ziff. 3 ZG erlassen werden (Änderung der Rechtsprechung) (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- X. ist Teilhaber und Direktor einer Gesellschaft in Antwerpen,
die den Handel mit Industriediamanten betreibt. Seine Schwester, Frau Y.,
befasste sich in den Jahren 1952-1964 als Inhaberin einer Einzelfirma
in Basel mit der Einfuhr und dem Vertrieb chemischer, pharmazeutischer
und bakteriologischer Erzeugnisse. Zur Zeit ist sie Direktorin und
Präsidentin des Verwaltungsrates einer Aktiengesellschaft in Basel,
welche die gleiche Tätigkeit wie die bisherige Einzelfirma ausübt und
deren Aktiven und Passiven übernommen hat. Die Einzelfirma war bis Ende
1964 in dem von der Eidg. Steuerverwaltung gemäss Art. 33 WUStB geführten
Grossistenregister eingetragen; seither ist dort die Rechtsnachfolgerin
registriert. Der Ehemann Y. ist Inhaber einer in Amsterdam niedergelassenen
Handelsfirma der chemisch-pharmazeutischen Branche.

    Vom 12. März 1962 bis zum 25. Oktober 1965 versandte X. 20mal
Diamanten im Gesamtwerte von Fr. 3 074 644.-- nach Basel. Hiefür wurden dem
Postzollamt Basel Grossistenerklärungen vorgelegt, die von der Einzelfirma
der Frau Y. oder von der Rechtsnachfolgerin dieser Firma ausgestellt
waren. Dementsprechend wurde in den Einfuhrdeklarationen jeweils einer
dieser beiden Grossisten als Empfänger angegeben. In 18 Fällen meldete
X. selbst die Waren zur Zollabfertigung an; in einem Falle tat dies seine
Schwester, in einem anderen sein Schwager. Gestützt auf die vorgelegten
Grossistenerklärungen fertigte das Zollamt die Sendungen ohne Erhebung der
Warenumsatzsteuer zur Einfuhr ab. In Wirklichkeit waren aber die Waren
nicht für die als Empfänger angegebenen Grossisten bestimmt. Sie wurden
nach der Einfuhr von X. selbst übernommen. Er erklärt, einen Teil an andere
Grossisten in der Schweiz verkauft und den Rest wieder ausgeführt zu haben.

    B.- X. und die Eheleute Y. werden beschuldigt, durch missbräuchliche
Verwendung von Grossistenerklärungen bei der Einfuhr der Diamanten
Warenumsatzsteuern umgangen zu haben. Die Zollkreisdirektion Basel setzte
den gesamten hinterzogenen Steuerbetrag auf Fr. 166 030.77 fest; von X. und
Frau Y. forderte sie den ganzen Betrag, vom Ehemann Y. einen Teilbetrag
von Fr. 13 033.60. Die Beschuldigten fochten die Abgabenfestsetzung durch
Beschwerde bei der Oberzolldirektion an. Diese setzte die Steuerforderung
gegen Frau Y. auf Fr. 14 365.80 herab; im übrigen bestätigte sie die
Abgabenfestsetzung und wies auch das von den Beschwerdeführern eventuell
gestellte Erlassgesuch ab (Entscheid vom 8. Mai 1967).

    C.- Gegen diesen Entscheid haben die drei Beschuldigten zunächst
Beschwerde bei der Zollrekurskommission und sodann beim Bundesgericht
erhoben. In der ersten Beschwerde haben sie beantragt: unter Ziff. 1 die
Aufhebung der Veranlagungen, soweit diese bestätigt wurden; unter Ziff. 2-4
eventuell die Herabsetzung der festgesetzten Steuern; unter Ziff. 5
eventuell den vollständigen oder teilweisen Erlass der Steuerschuld gemäss
Art. 127 Abs. 1 Ziff. 3 ZG; unter Ziff. 6 eventuell die Rückweisung der
Angelegenheit zu neuer Entscheidung. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
werden die gleichen Begehren gestellt, mit dem einzigen Unterschied,
dass unter Ziff. 5 der vollständige oder teilweise Erlass "in jedem Fall"
verlangt wird.

    D.- Die Oberzolldirektion hat beantragt, die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten
sei.

    Die Zollrekurskommission und das Bundesgericht haben einen
Meinungsaustausch über die Zuständigkeitsfrage durchgeführt.

    Am 18. April 1968 hat die Zollrekurskommission die bei ihr eingereichte
Beschwerde abgewiesen, soweit sie darauf eingetreten ist.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 51 Satz 2 WUStB entscheidet die Zollrekurskommission
endgültig über Beschwerden gegen die Festsetzung des Steuerbetrages
im Einzelfalle. Unter "Festsetzung des Steuerbetrages" ist nicht nur
die Bemessung der geschuldeten Steuer zu verstehen, sondern jeder
Entscheid über Bestand und Umfang der Steuerschuld sowie über die
gesetzlichen Steuerbefreiungsgründe. Auch die Beurteilung der durch
die Beschwerdebegehren 2-4 aufgeworfenen Fragen der Verjährung und der
befreienden Wirkung der Grossistenerklärungen oder der Wiederausfuhr
gehört dazu. In diesem Sinne hat die Zollrekurskommission die genannte
Vorschrift stets angewandt (ASA Bd. 21 S. 470; Bd. 23 S. 346, 493
ff.; Bd. 32 S. 533 ff.), und in gleicher Weise hat das Bundesgericht
die entsprechende Bestimmung in Art. 111 Abs. 1 ZG ausgelegt (BGE
57 I 407; 65 I 162). Da die Beschwerdebegehren 2-4 die Festsetzung
des Steuerbetrages in dem dargelegten Sinne betreffen, ist für ihre
Beurteilung die Zollrekurskommission zuständig. Dasselbe gilt für die
Beschwerdebegehren 1 und 6 jedenfalls insoweit, als sie mit den Begehren
2-4 zusammenhängen. Dagegen ist das Bundesgericht nach seiner ständigen
Rechtsprechung zuständig zum Entscheid über das Beschwerdebegehren
5, welches sich auf Art. 127 Abs. 1 Ziff. 3 ZG stützt (BGE 78 I 283
f.; 82 I 253 f.). Diese Bestimmung betrifft nicht die "Festsetzung
des Steuerbetrages", sondern den Erlass einer bereits festgesetzten
Steuerschuld. Soweit die Beschwerdebegehren 1 und 6 im Zusammenhang
mit dem Begehren 5 stehen, sind sie ebenfalls vom Bundesgericht zu
beurteilen. Diese Abgrenzung der Kompetenzen liegt auch dem Entscheid
zugrunde, den die Zollrekurskommission am 18. April 1968 gefällt
hat. Nachdem durch ihn die geschuldeten Steuern endgültig festgesetzt
worden sind, hat nun das Bundesgericht über das auf Art. 127 Abs. 1
Ziff. 3 ZG gegründete Erlassgesuch zu befinden.

Erwägung 2

    2.- Nach dieser Bestimmung wird ein Zollbetrag ganz oder teilweise
erlassen, "wenn eine Nachforderung mit Rücksicht auf besondere
Verhältnisse den Zollpflichtigen unbillig belasten würde". Dasselbe gilt
gemäss der Verweisung in Art. 45 WUStB für die bei der Einfuhr erhobene
Warenumsatzsteuer.

    Unter der "Nachforderung" im Sinne von Art. 127 Abs. 1 Ziff. 3 ZG
ist der auf Grund des Art. 126 ZG erhobene Anspruch der Zollverwaltung
zu verstehen. Diese Auslegung ergibt sich aus dem Wortlaut der beiden
Bestimmungen, welche den gleichen Ausdruck verwenden. Sie ist von der
Lehre und der Rechtsprechung anerkannt (E. BLUMENSTEIN, Grundzüge des
schweizerischen Zollrechts, S. 45; BGE 78 I 284 und 82 I 254) und wird
von den Beschwerdeführern nicht bestritten.

    Gemäss Art. 126 ZG werden Nachforderungen gestellt, wenn infolge
"Irrtums der Zollverwaltung" bei der Zollabfertigung ein nach Gesetz
geschuldeter Zoll oder eine andere durch die Zollverwaltung zu erhebende
Abgabe nicht oder zu niedrig oder eine Rückvergütung zu hoch festgesetzt
wurde. Die Oberzolldirektion nimmt an, dass diese Bestimmung sich nur
auf Irrtümer bezieht, welche von der Zollverwaltung selbst zu vertreten
sind, nicht auch auf solche, die durch ein Zollvergehen (Art. 73 ff. ZG)
oder durch Hinterziehung eines Umsatzsteuerbetrages (Art. 52 WUStB)
herbeigeführt worden sind. Dagegen sind die Beschwerdeführer der Meinung,
Art. 126 ZG sei im einen wie im anderen Falle anwendbar. Sie berufen sich
auf BGE 82 I 254/5, wo das Bundesgericht die gleiche Auffassung vertreten
hat. Indessen kann an dieser Rechtsprechung nicht festgehalten werden.

    Nach Art. 126 Abs. 1 ZG ist die Nachforderung binnen Jahresfrist
seit der Zollabfertigung oder Abgabenfestsetzung zu stellen. Es handelt
sich dabei um eine gesetzliche Befristung des Nachforderungsanspruches
und nicht um eine Verjährung; die Jahresfrist des Art. 126 Abs. 1 ZG kann
nicht unterbrochen werden oder ruhen (E. BLUMENSTEIN, aaO, S. 43). Anders
verhält es sich hinsichtlich der Einforderung der durch ein Zollvergehen
oder eine Widerhandlung gemäss Art. 52 WUStB umgangenen Zölle oder
Umsatzsteuern. Diese verjähren in zwei Jahren seit dem Tage der (letzten)
strafbaren Handlung (Art. 64 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 83 Abs. 1 und
2 ZG sowie Art. 45 und 53 WUStB); die Verjährung wird durch Geltendmachung
des Abgabeanspruches unterbrochen und ruht während der Dauer eingeräumter
Zahlungsfristen (Art. 64 Abs. 3 ZG). Hieraus ist zu schliessen, dass die
Einforderung eines durch ein Fiskalvergehen umgangenen Abgabebetrages
keine Nachforderung im Sinne des Art. 126 ZG darstellt, diese Bestimmung
und folglich auch Art. 127 Abs. 1 Ziff. 3 ZG also nicht anwendbar sind,
wenn der Irrtum der Zollverwaltung durch ein solches Vergehen verursacht
worden ist.

    Diese Auslegung ist umsomehr gerechtfertigt, als Abgabepflichtige,
welche Einfuhrabgaben durch strafbares Verhalten umgangen haben, kaum je
mit Grund geltend machen könnten, sie würden im Sinne von Art. 127 Abs. 1
Ziff. 3 ZG "mit Rücksicht auf besondere Verhältnisse unbillig belastet",
wenn sie die Abgaben nachträglich entrichten müssten (vgl. BGE 82 I 255
Erw. 3). Es wäre wenig sinnvoll, solchen Pflichtigen grundsätzlich den Weg
des Nachlassgesuches gemäss Art. 127 Abs. 1 Ziff. 3 ZG offen zu halten,
wenn dieser praktisch doch nicht zum Ziele führen kann.

Erwägung 3

    3.- (Die Beschwerdeführer haben sich der Hinterziehung im Sinne
des Art. 52 WUStB schuldig gemacht, so dass die gegen sie erhobenen
Steuerforderungen nicht unter Art. 126 ZG fallen und nicht gemäss Art. 127
Abs. 1 Ziff. 3 ZG erlassen werden können.)

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.