Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 94 I 42



94 I 42

7. Auszug aus dem Urteil vom 24. Januar 1968 i.S. Schweizerische Volksbank
gegen Uri und Luzern. Regeste

    Interkantonale Vermögenssteuerausscheidung bei Bankunternehmen.

    Behandlung der Guthaben (sog. eigene Stellen) einer Betriebsstätte
bei einer andern desselben Unternehmens (Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Die Schweizerische Volksbank (SVB), deren Hauptsitz sich in Bern
befindet, unterhält u.a. in Luzern eine Niederlassung und in Altdorf
(Kt. Uri) eine Agentur. Diese ist der Niederlassung Luzern unterstellt.

    Die Agentur Altdorf nimmt mehr Geld entgegen, als sie selber verwenden
kann. Sie gibt den Überschuss an die Niederlassung Luzern ab. Dort wird
er verwaltet und verwendet. Die Bilanz der Agentur Altdorf per 1. Januar
1965 enthält unter den Aktiven ein in der genannten Weise entstandenes
Guthaben gegenüber der Niederlassung Luzern; in deren Bilanz vom gleichen
Zeitpunkt ist eine entsprechende Schuld gegenüber der Agentur Altdorf
aufgeführt. Die Geschäftsstelle Luzern vergütet der Agentur Altdorf für
das ihr überlassene Geld einen Zins, der zum mittleren Satz zwischen
demjenigen für ausgeliehene und demjenigen für entgegengenommene
Kundengelder berechnet wird.

    B.- Die SVB hat in ihrer Steuererklärung für die Jahre 1966 und
1967 das auf die beiden Betriebsstätten Altdorf und Luzern entfallende
steuerbare Kapital nach bisheriger bundesgerichtlicher Praxis (BGE 64
I 253 ff.) ausgeschieden. Danach sollte der Kanton Uri 1/4, der Kanton
Luzern 3/4 der Gelder besteuern, die in Altdorf entgegengenommen und in
Luzern verwendet wurden. Nach dieser Berechnung unterlägen 0'373% der
Gesamtaktiven der SVB oder Fr. 892'000.-- der urnerischen Kapitalsteuer.

    Die Steuerkommission des Kantons Uri fand sich mit dieser Verteilung
nicht ab. Sie zählte das ganze Guthaben, das die Agentur Altdorf bei der
Niederlassung Luzern hatte, zu den massgeblichen Aktiven für die Urner
Quote. So kam sie auf einen Anteil von 0'488% der Gesamtaktiven oder ein
steuerbares Kapital von Fr. 1'167'000.--. Diese Veranlagung ist in der
Einschätzungsverfügung vom 30. Juni 1966 für die Steuerperiode 1966/67
enthalten. Die SVB erhob gegen sie Einsprache, welche die kantonale
Steuerkommission Uri am 5. Mai 1967 abwies. In diesem Entscheid wurde
auch die zu verteilende Kapitalsumme gemäss Einschätzung des Kantons
Bern erhöht. Die Quote von 0'488 ergab jetzt einen in Uri steuerbaren
Kapitalanteil von Fr. 1'380'000.--.

    C.- Die SVB führt staatsrechtliche Beschwerde gegen die Kantone Uri und
Luzern wegen Verletzung von Art. 46 Abs. 2 BV. Sie beantragt festzustellen,
dass in der Bemessung ihres im Kanton Uri steuerbaren Kapitalanteils
von Fr. 1'380'000.-- eine unzulässige Doppelbesteuerung liege. Die
Beschwerdeführerin verlangt Herabsetzung auf Fr. 1'055'000.--. Eventuell
habe das Bundesgericht zwischen den Kantonen Uri und Luzern eine neue, von
der bisherigen Praxis (BGE 64 I 253 ff.) abweichende Vermögensausscheidung
vorzunehmen.

    D.- Der Regierungsrat des Kantons Luzern beantragt Abweisung der
Beschwerde, soweit sie sich gegen Luzern richtet. Eventuell sei die
Kapitalquote für sämtliche Niederlassungen der Beschwerdeführerin neu
festzusetzen.

    E.- Der Regierungsrat des Kantons Uri stellt ebenfalls den Antrag,
die Beschwerde abzuweisen. Er räumt ein, dass der Einspracheentscheid
im Widerspruch stehe zu BGE 64 I 253 ff. Eine Abkehr von der bisherigen
Praxis begründet er im wesentlichen wie folgt: Seit Jahren zeige sich
bei der Agentur Altdorf das Bestreben, die hereingenommenen Gelder
übergeordneten Sitzen zuzuweisen. Wenn BGE 64 I 253 ff. der aufbringenden
Stelle nur 1/4 ihrer Guthaben als Kapitalanteil zurechne, so deshalb,
weil damals nach dem Gutachten von Dr. Henggeler der anlegenden
Tätigkeit gegenüber der blossen Annahme von Geldern ein entscheidendes
Übergewicht zugekommen sei. Gerade das aber habe sich seither geändert.
Sowohl die Aufnahme der angebotenen Mittel als auch deren Ausleihe gehörten
notwendigerweise zum Bankgeschäft. Das Wesentliche des Bankbetriebes sei
gerade die Gleichzeitigkeit und die gegenseitige Bedingtheit der beiden
Funktionen. Die Geldausleihe sei weder wichtiger als die Entgegennahme
von Geldern, noch komme ihr betrieblich ein Übergewicht zu. Um Gelder
zu günstigen Bedingungen in genügender Menge und Stetigkeit anvertraut
zu erhalten sowie um ihren Marktanteil zu wahren, müsse die Bank im
Gegenteil zahlreiche Arten von Dienstleistungen anbieten. Gegenüber der
Zeit des genannten Bundesgerichtsentscheides lägen die Verhältnisse heute
geradezu umgekehrt.

    Klargelegt werden müsse zudem die Feststellung des erwähnten
Gutachtens, wonach das Ausleihgeschäft die Tendenz habe, sich von
den unter- in die übergeordneten Geschäftsstellen zu verlagern. Aus
ihr folge nicht, dass im Rayon der untergeordneten Stelle weniger
Kapital benötigt werde, sondern nur, dass das Ausleihgeschäft räumlich,
zeitlich und sachlich leichter von oben gesteuert werden könne als das
Geldaufnahmegeschäft. So könne die Zentrale die ertragsgünstigsten
Grossgeschäfte an sich ziehen. Nur selten werde ein Anlagekunde von
der Hauptfiliale an die Agentur verwiesen, oft aber müsse die Agentur
Grosskunden an den grössern Sitz abtreten. Die steuerliche Erfassung der
Guthaben gegenüber eigenen Stellen bei der geldgebenden, statt bei der
anlegenden Geschäftsstelle folge daher einem objektiveren, viel weniger
leicht beeinflussbaren Kriterium.

    F.- In einem zweiten Schriftenwechsel haben alle Beteiligten an ihren
Anträgen festgehalten.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    1. (Eintretensfragen)

Erwägung 2

    2.- Kein Streit herrscht darüber, dass der Kanton Uri denjenigen Teil
des Reinvermögens der Beschwerdeführerin besteuern darf, der dem Verhältnis
ihrer Rayonaktiven zu den Gesamtaktiven entspricht. Es können aber bei
der Aufteilung nur Rayonaktiven berücksichtigt werden, die zugleich
Aktiven des Gesamtgeschäftes sind. Der Aktivposten, der in den Büchern
von Altdorf infolge der Abgabe dort entgegengenommener Gelder an die
Niederlassung Luzern verbucht wurde, ist kein Aktivum des Gesamtgeschäftes,
sondern lediglich ein fiktives, buchhaltungsmässiges, bilanztechnisches
Aktivum, das die internen Beziehungen der beiden Betriebsstätten - und
nur sie - betrifft. Entsprechend verhält es sich mit den in den Büchern
der Niederlassung Luzern verzeichneten passiven Gegenposten. Schon in
BGE 50 I 119 hat das Bundesgericht bei gleicher Sachlage entschieden,
die wirklichen Aktiven befänden sich dort, wo das Geld "arbeitet",
hier also in der Niederlassung Luzern. Bereits im genannten Urteil wurde
eine Teilung zwischen der einnehmenden und der anlegenden Betriebsstätte
erwogen. Das Bundesgericht lehnte sie aber damals ab, weil es annahm, dass
sich interne Aktiv- und Passivposten im Verlauf weniger Jahre ausgleichen
und eine Verteilung zwischen beiden Geschäftsstellen deshalb nur zu einer
"unnötigen Komplikation der Steuerausscheidung" führe.

    Diese Rechtsprechung ist in BGE 64 I 253 ff. geändert worden. Damals
erkannte das Bundesgericht, die Entwicklung habe die für den früheren
Entscheid "ausschlaggebende Annahme" nicht bestätigt. Es wurde ganz
allgemein eine "bei den schweizerischen Grossbanken eingetretene
Konzentration der Anlagetätigkeit in den Hauptsitzen" registriert
und festgestellt, dass "die Mehrheit der Grossbankfilialen durchwegs
sehr grosse Guthaben beim Hauptsitz unterhalten". Entsprechend den
Ergebnissen des damals eingeholten Gutachtens erklärte das Bundesgericht,
die hauptsächliche Tätigkeit einer Bank bestehe in der Anlage der ihr zur
Verfügung stehenden Mittel, "weshalb die Aktiven einer interkantonalen
Bankunternehmung in erster Linie als mit dem Betrieb örtlich verbunden
erscheinen, der sie verwaltet und in dem sie'arbeiten'". Daneben sei
aber zu beachten, dass auch die Beschaffung des Geldes - die eine
besondere an das Publikum sich richtende Werbetätigkeit und Organisation
voraussetze - eine wesentliche Funktion des Bankgewerbes darstelle. Eine
Vermögensausscheidung, die ausschliesslich auf die Anlagetätigkeit und
nicht auch auf die Geldbeschaffung der verschiedenen Niederlassungen
Rücksicht nehme, werde der Eigenart des Bankgeschäftes nicht gerecht. Weil
eine konkrete Beziehung der geldbeschaffenden Stelle zu einzelnen Aktiven
der verwaltenden Niederlassung selten feststellbar sei, rechtfertige es
sich, dass die verwaltende Niederlassung eine ideelle Quote ihrer gesamten
Aktiven zugunsten der geldgebenden Stelle freilasse. Das Bundesgericht
setzte diesen Anteil pauschal auf einen Viertel des Guthabens der
geldgebenden Stelle fest und bemerkte dazu, auf diese Weise dürfte "die
überwiegende Bedeutung der Anlagetätigkeit gegenüber der Geldbeschaffung
im Bankgewerbe angemessen zum Ausdruck kommen" (aaO 260/61).

Erwägung 3

    3.- Der Regierungsrat des Kantons Uri hält dafür, es seien seinem
Kanton 100% des Guthabens der Agentur Altdorf gegenüber der Niederlassung
Luzern zur Besteuerung zuzuteilen. Damit verlangt er, dass die bisherige
Rechtsprechung in der extrem möglichen Weise geändert werde. Seine
Begründung schlägt indessen nicht durch.

    a) Zunächst wird für die gewünschte exklusive Besteuerung überhaupt
nichts vorgebracht, es sei denn der Satz, "dass die steuerliche
Erfassung der dem Guthaben'Eigene Stellen'entsprechenden Aktiven bei
der geldgebenden statt bei der anlegenden Stelle einem objektiveren, viel
weniger leicht beeinflussbaren Kriterium folgt". Warum jedoch das Kriterium
der Geldentgegennahme objektiver sei als dasjenige der Geldanlage, wird
nicht ausgeführt. Die Behauptung, jenes sei weniger leicht beeinflussbar,
geht daran vorbei, dass die Schwerpunkte der steuerlichen Belastung
richtigerweise den Schwerpunkten der wirtschaftlichen Sachverhalte
entsprechen sollten. Wie aber ausser jedem Zweifel steht und vom
Regierungsrat des Kantons Uri nicht ausdrücklich bestritten wird,
ist neben der Geldentgegennahme die Geldanlage zumindest auch wichtig,
bestimmt sie doch Erfolg oder Misserfolg der Geschäftstätigkeit sowie
deren Ausmass in entscheidender Weise mit.

    b) Es bleibt zu prüfen, ob den beiden Kriterien ein anderes Gewicht
beizulegen sei als bisher, etwa in dem Sinne, dass beide als für den
Geschäftserfolg gleichwertig anerkannt würden.

    Auch dafür fehlt es aber an überzeugenden Gründen. Der Hinweis des
Urner Regierungsrates auf Gleichzeitigkeit und gegenseitige Bedingtheit
beider Funktionen mag zutreffen, entscheidet jedoch nichts. Nicht
nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht ist die
Anlagetätigkeit wichtiger als das blosse Entgegennehmen von Geldern. Durch
dieses allein erwachsen der Bank noch keine Verlustgefahren. Wohl
aber steigen solche bei der Geldanlage mit zunehmenden Erträgen. Es ist
deshalb eine heikle und verantwortungsvolle Aufgabe der Bankleiter, alles
richtig abzuschätzen und die Anlagen so zu bemessen und zu plazieren,
dass - bei fortlaufender Liquidität - die Erträge möglichst gross,
die Verluste aber möglichst gering sind. Die Tätigkeit der Geldanlage
verlangt von den leitenden Bankorganen Wachsamkeit, Vorsicht, Wagemut,
Kenntnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge sowie die Fähigkeit, künftige
Entwicklungen abzuschätzen. Sie stellt deshalb an die Verantwortlichen die
höchsten Anforderungen, und es muss nicht verwundern, wenn die Entscheide
über Geldanlagen umso mehr bei den obersten Bankleitungen gefällt werden,
je grösser die Beträge, die Gewinnaussichten und die Verlustgefahren sind.

    Die Kreditgeschäfte werden in aller Regel von den Bankleitungen einzeln
und einlässlich geprüft. Demgegenüber vollzieht sich die Entgegennahme
von Kundengeldern ohne Mitwirkung der leitenden Organe. Diese stellen
dafür lediglich allgemeine Weisungen (über die Zinssätze und dgl.) auf.

    Unter allen diesen Gesichtspunkten erscheint die Tätigkeit der
Geldanlage gegenüber der Entgegennahme von Geldern als der bei weitem
wichtigere und schwierigere Teil des Bankfaches. An der bisherigen,
seit BGE 64 I 253 ff. geübten Praxis ist demnach festzuhalten.

    c) Der Regierungsrat des Kantons Uri tut nicht dar, dass das, was bei
den Banken allgemein gilt, für die Beschwerdeführerin und ihre Tätigkeit im
Kanton Uri nicht zutreffe. Die Behauptung der Steuerkommission, dass die
Beschwerdeführerin ihre Gelder planmässig ausserhalb des Kantons anlege,
obwohl der Kreditbedarf dort nicht kleiner sei als anderswo, hat der
Regierungsrat mit Recht nicht übernommen. Denn sie ist - ob richtig oder
falsch - für den Entscheid unerheblich. Die Frage, wo die Gelder der Bank
anzulegen seien, ist nur eine unter andern, die bei der Kreditgewährung
zu beachten sind. Besteht keine oder nur eine geringe Nachfrage nach
Krediten, kann die Beschwerdeführerin auch keine solchen gewähren. Der
Regierungsrat aber behauptet selber nicht, die Beschwerdeführerin pflege
Kredite zu verweigern, die bei ihr aus dem Kanton Uri angefordert werden.

    d) Es bedarf keiner nähern Erörterung, dass sich Grundsätze für die
interkantonale Steuerausscheidung nicht nach der Finanzkraft der einzelnen
Kantone richten können. Eine gerechte Verteilung der finanziellen Mittel
unter den Kantonen zu ermöglichen, ist vielmehr Aufgabe des eidgenössischen
Finanzausgleichs.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde gegen den Kanton Uri wird dahin gut geheissen, dass
der angefochtene Einspracheentscheid der kantonalen Steuerkommission Uri
vom 5. Mai 1967 aufgehoben wird. Die Beschwerde gegen den Kanton Luzern
wird abgewiesen.