Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 94 I 347



94 I 347

48. Auszug aus dem Urteil vom 10. Juli 1968 i.S. Risi Nahrungsmittelfabrik
AG gegen Einwohnergemeinde Oberwil und Regierungsrat des Kantons
Basel-Landschaft. Regeste

    Abänderung von Zonenplänen.

    Voraussetzungen, unter denen die ein grösseres Gebiet betreffende
Festlegung der baulichen Ausnützung zum Nachteil der Grundeigentümer
abgeändert werden darf. Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    Am 9. Juli 1954 erliess die Gemeinde Oberwil (BL) ein Bau- und
Zonenreglement, das der Regierungsrat am 20. Juli 1956 genehmigte. Der
dazugehörige Zonenplan sah neben verschiedenen Wohnzonen eine "zusätzliche
Industriezone" vor, die sich rund 200 m breit und 450 m lang vom Dorfkern
nach Süden erstreckte und etwa 25 Parzellen umfasste. Das Reglement
gestattete in dieser Zone industrielle Betriebe und beschränkte weder die
Ausnützung noch die Gebäudehöhe. - Im Jahre 1962 wandelte die Gemeinde die
"zusätzliche Industriezone" mit Genehmigung des Regierungsrates in die
"definitive Industriezone 6" um.

    Die Risi Nahrungsmittelfabrik AG kaufte im Jahre 1959 ein etwa 48
a haltendes Grundstück in der damaligen "zusätzlichen Industriezone"
und erhielt am 16. November 1962 von der kantonalen Baudirektion die
Bewilligung, darauf ein dreigeschossiges Fabrikgebäude zu erstellen,
was sie in der Folge tat. Sie beabsichtigte von Anfang an eine spätere
Erhöhung des Gebäudes um zwei Stockwerke und will dem bei der Fundation
Rechung getragen haben.

    Am 27. Juni 1966 beschloss die Gemeindeversammlung, das Bau-
und Zonenreglement und den Zonenplan von 1954 aufzuheben und neue
Zonenvorschriften zu erlassen. Dabei wurde das Gebiet der bisherigen
Industriezone 6 der Gewerbezone G 4 zugeteilt. In dieser gilt keine
maximale Bebauungs- und Nutzungsziffer; dagegen darf die Fassaden- und
Gebäudehöhe nur 12 m betragen und sind nur nicht übermässig störende
Betriebe gestattet.

    Gegen die neuen Zonenvorschriften erhoben zahlreiche Grundeigentümer
Einsprache, darunter auch die Risi AG wegen der Umwandlung der bisherigen
Industrie- in eine Gewerbezone. Der Regierungsrat wies am 16. Juni 1968
sämtliche Einsprachen ab, soweit er darauf eintrat, und genehmigte die
neuen Zonenvorschriften.

    Gegen diesen Entscheid führt die Risi AG staatsrechtliche
Beschwerde. Sie macht Verletzung des Art. 4 BV sowie der Eigentumsgarantie
geltend.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Die Beschränkungen der Baufreiheit, welche die Umwandlung der
bisherigen Industriezone in die Gewerbezone G 4 für die Beschwerdeführerin
zur Folge hat, stellt einen öffentlich-rechtlichen Eingriff in das
Privateigentum dar. Ein solcher ist mit der durch das ungeschriebene
Bundesverfassungsrecht gewährleisteten Eigentumsgarantie nur dann
vereinbar, wenn er auf gesetzlicher Grundlage beruht, im öffentlichen
Interesse liegt und, sofern er in der Wirkung einer Enteignung gleichkommt,
gegen volle Entschädigung erfolgt (BGE 94 I 132 Erw. 4 mit Hinweis auf
frühere Urteile). Liegt der Eingriff in einer Verschärfung bereits
bestehender Eigentumsbeschränkungen durch Abänderung einer bestehenden
Zonenordnung oder durch Umzonung bestimmter Grundstücke, so müssen die drei
genannten Voraussetzungen auch hinsichtlich dieser Abänderung erfüllt sein.

    Mit der staatsrechtlichen Beschwerde wird weder das Vorliegen der
gesetzlichen Grundlage bestritten noch die Entschädigungsfrage aufgeworfen.
Streitig ist einzig das Erfordernis des öffentlichen Interesses.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts vermag nicht jedes
beliebige öffentliche Interesse einen Eingriff in das Privateigentum zu
rechtfertigen. Das Interesse muss erheblich sein und bei der Abwägung
mit dem ihm entgegenstehenden privaten Interesse überwiegen, und es
darf der Eingriff nicht weiter gehen, als es das öffentliche Interesse
erheischt (BGE 94 I 59 Erw. 3 und 134 Erw. 7 sowie dort angeführte frühere
Urteile). Ob das geltend gemachte öffentliche Interesse seiner Natur und
seinem Gewicht nach den streitigen Eingriff zu rechtfertigen vermag und
ob es schwerer wiegt als das entgegenstehende Privatinteresse, prüft
das Bundesgericht nach seiner neuesten Rechtsprechung grundsätzlich
frei. Dabei übt es aber Zurückhaltung, soweit die Antwort von der
Würdigung der örtlichen Verhältnisse abhängt, welche die kantonalen
Behörden besser kennen und überblicken als das Bundesgericht, und soweit
sich ausgesprochene Ermessensfragen stellen (BGE 94 I 134 Erw. 7, nicht
veröffentlichtes Urteil vom 8. Mai 1968 i.S. Thommen, Erw. 4).

Erwägung 5

    5.- Der Regierungsrat geht bei der Interessenabwägung davon aus, dass
der Zonenplan trotz seines Verfügungscharakters ein Rechtssatz sei, weshalb
gegenüber seiner Änderung die Berufung auf den bisherigen Rechtszustand
ebensowenig möglich sei wie gegenüber einer Gesetzesänderung. Das
Bundesgericht hat die in der Rechtslehre umstrittene Frage nach
der Rechtsnatur der ein grösseres Gebiet betreffenden baulichen
Planungsmassnahmen bisher ausdrücklich offen gelassen (vgl. BGE 90 I
250 Erw. 2 b und dort angeführte Rechtsprechung und Lehre). Dagegen hat
es kürzlich entschieden, dass die Festlegung der baulichen Ausnützung
eines einzelnen, wenn auch verhältnismässig grossen Grundstückes (etwa
1 ha) eine Einzelverfügung darstelle, für deren Abänderung zum Nachteil
des Grundeigentümers die für den Widerruf von Verwaltungsakten geltenden
Grundsätze massgebend seien (BGE 94 I 341 Erw. 3 und 4): Von jenem Fall
unterscheidet sich der vorliegende nicht nur dadurch, dass die in eine
Gewerbezone umgewandelte Industriezone ein wesentlich grösseres Gebiet
(etwa 9 ha) mit einer Vielzahl von Parzellen umfasst, sondern namentlich
dadurch, dass die Umzonung im Zusammenhang mit der Revision des gesamten
Zonenplans der Gemeinde erfolgte. Auf diese Umzonung sind daher nicht die
Grundsätze über den Widerruf von Verwaltungsakten anwendbar. Da derart
weiträumige Planungen sich dem verordnungsmässigen Rechtssatz nähern, sind
bei der Interessenabwägung vielmehr ähnliche Gesichtspunkte massgebend
wie für die Abänderung baurechtlicher Normen im allgemeinen.

    Der Grundeigentümer hat keinen Anspruch darauf, dass solche Normen
für sein Grundstück in Geltung bleiben, sondern muss stets damit rechnen,
dass sie in dem vom Gesetz vorgesehenen Verfahren geândert werden (BGE
87 I 511). Was das Bundesgericht für Strassen- und Baulinienpläne
ausgeführt hat, gilt auch für Zonenpläne: Sie erwachsen nicht in
materielle Rechtskraft, sondern sind grundsätzlich jederzeit abänderbar
(BGE 90 I 333). Insbesondere müssen Planung und Wirklichkeit immer wieder
durch Revision der Planung miteinander in Übereinstimmung gebracht werden
können. Die Erfahrung lehrt, dass die bauliche Entwicklung einer Ortschaft
häufig in anderer Richtung als vorgesehen verläuft, dass die Zahl der
Einwohner unerwartet rasch und stark ansteigt, dass die Zusammensetzung
der Bevölkerung und damit auch ihre Bedürfnisse sich ändern usw. Sofern das
öffentliche Interesse es erfordert, muss in solchen Fällen eine Anpassung
der Planung möglich sein. Im Interesse der Rechtssicherheit haben sich
die Planungsbehörden allerdings bei der Änderung von Plänen Zurückhaltung
aufzuerlegen. Der Plan dient nicht nur dazu, die bauliche Entwicklung
eines Gebietes im öffentlichen Interesse in bestimmte Bahnen zu lenken;
er soll zugleich auch den Grundeigentümern gestatten, ihr Land bestmöglich
auszunützen. Beiden Aufgaben wird der Plan nur gerecht, wenn er eine
gewisse Beständigkeit aufweist. Ein Plan ist deshalb nur aus gewichtigen
Gründen abzuändern (BGE 90 I 333). Bei der Abwägung dieser Gründe mit den
entgegenstehenden privaten Interessen kann auch die Dauer der Zeit zwischen
dem Erlass und der Änderung des Planes von Bedeutung sein. Ferner kommt,
nach dem auch im Verwaltungsrecht zu beachtenden Grundsatz von Treu und
Glauben (vgl. BGE 88 I 148, 89 I 435), dem privaten Interesse dann ein
höheres Gewicht als im allgemeinen zu, wenn dem Betroffenen behördliche
Zusicherungen über die Fortdauer der alten Ordnung gemacht wurden oder
wenn er aus andern Gründen mit einer längeren Dauer dieser Ordnung rechnen
durfte und dies für die zuständigen Behörden erkennbar war.