Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 94 I 255



94 I 255

38. Auszug aus dem Urteil vom 9. Februar 1968 i.S. Konkursverwaltung der
Globe Air AG gegen das Bundesamt für Sozialversicherung. Regeste

    Unterstellung einer Fluggesellschaft unter die obligatorische
Unfallversicherung:

    1.  Rechtsgrundlage: Art. 60 bis Ziff. 1 lit. b KUVG; Art. 16 Ziff. 5
VO I über die Unfallversicherung vom 25. März 1916 (Erw. 2).

    2.  Begriff der "Fliegerstation" im Sinne von Art. 16 Ziff. 5 VO I
(Erw. 3a).

    3.  Rückwirkende Inkraftsetzung der obligatorischen Versicherung
gemäss Art. 38 VO I; steht der SUVA eine gewisse Ermessensfreiheit
zu? Frage offen gelassen (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Die Globe Air AG bezweckt die Durchführung von kommerziellen
Flügen sowie aller weiteren zweckentsprechen den Geschäfte. Sie
besass nach der Betriebsbeschreibung vom 7. Dezember 1966 vier eigene
Flugzeuge und beschäftigte rund 250 Personen. Davon waren 212 Personen
als Piloten, Bordpersonal, Mechaniker und Bodenpersonal tätig. Die
Bodenorganisation befindet sich auf dem in Blotzheim gelegenen Flughafen
Basel-Mülhausen. Dort unterhält die Gesellschaft einen Hangar und eigene
Werkstätte für die Wartung ihrer Flugzeuge. Sie hat ihr Personal angeblich
privat versichert. Im Herbst 1967 geriet sie in Konkurs.

    Am 27. Juli 1961 wurde zwischen der Schweiz und Frankreich eine
Vereinbarung abgeschlossen, wonach auf die Arbeiter der Gesellschaften
mit Sitz oder Geschäftsniederlassung in der Schweiz, die auf dem für die
Schweiz bestimmten Teil des Flugplatzes tätig sind, die schweizerische
Gesetzgebung über die soziale Sicherheit Anwendung finden solle. Diese
Regelung trat auf den 1. Oktober 1961 in Kraft.

    B.- Am 30. Dezember 1966 unterstellte die Schweiz.
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) den Flugbetrieb der Gesellschaft sowie
das Bureau und die Verkaufsstellen der Flug-Reisedienst AG in Basel,
Bern und Zürich gestützt auf Art. 13 Ziff. 4, Art. 16 Ziff. 5 und
Art. 4 der Verordnung (VO) I über die Unfallversicherung vom 25. März
1916 (BS 8 S. 352) der obligatorischen Unfallversicherung. Der Beginn
der Betriebsunfallversicherung wurde auf den 18. Juni 1965, jener der
Nichtbetriebsunfallversicherung auf den 18. März 1966 festgesetzt.

    Ein gegen diese Verfügung ergriffener Rekurs, der sich gegen die
Unterstellung als solche und deren Rückwirkung richtete, wurde am 1.
September 1967 durch das Bundesamt für Sozialversicherung abgewiesen. Das
Bundesamt nahm an, Art. 13 Ziff. 4 der VO I halte sich innerhalb des
Rahmens von Art. 60 Ziff. 3 KUVG; der Betrieb der Rekurrentin sei überdies
dem einer Fliegerstation im Sinne von Art. 16 Ziff. 5 der Verordnung
gleichzusetzen. Art. 38 der VO I schreibe ausserdem den Zeitpunkt des
Beginns der Wirksamkeit der Versicherung vor. Eine Abweichung von dieser
Vorschrift sei nicht möglich, so dass die rückwirkende Inkraftsetzung
der Versicherung auf die angegebenen Daten zu Recht erfolgt sei.

    C.- Gegen diesen Rekursentscheid richtet sich die vorliegende
verwaltungsgerichtliche Beschwerde. Die Beschwerdeführerin beantragt, es
sei die Verfügung der SUVA vom 30. Dezember 1966 und dementsprechend der
Rekursentscheid des Bundesamtes für Sozialversicherung vom 1. September
1967 aufzuheben; allenfalls sei der Beginn der Versicherung auf den Beginn
des dem rechtskräftigen Beschwerdeentscheid folgenden Kalenderquartals
aufzuschieben.

    Zur Begründung wird zur Hauptsache vorgebracht: Richtig sei zwar,
dass Art. 60 bis KUVG den Bundesrat ermächtige, die Versicherungspflicht
u.a. auf Unternehmungen auszudehnen, in denen explodierbare oder
gesundheitsgefährdende Stoffe gewerbsmässig erzeugt, im grossen
verwendet oder gelagert werden oder in denen solche Stoffe auftreten.
Aus dieser Bestimmung folge aber kein erweiterter Anwendungsbereich für
die obligatorische Versicherung. Hingegen sei durch Art. 16 Ziff. 5 der
Verordnung I der Betrieb von Luftschiff- und Flugstationen der Versicherung
unterstellt worden. Unter Flugstationen seien offensichtlich Tankstellen
für Luftschiffe und Flugzeuge zu verstehen. Die Luftverkehrsgesellschaften
seien dagegen nicht erfasst. Es sei zwar unbestritten, dass auf
dem Flugplatz Blotzheim explodierbare Stoffe im grossen verwendet und
gelagert werden; das geschehe aber durch die Benzingesellschaften, die das
Auftanken der Flugzeuge besorgten. Der Ort, wo aufgetankt werde, liege von
der Start- und Landepiste wie auch von der Werft der Beschwerdeführerin
mehrere Kilometer entfernt. Der Betrieb falle somit nicht unter Art. 16
Ziff. 5 der Verordnung I.

    Schliesslich stelle die rückwirkende Kraft der angefochtenen Verfügung
in Bezug auf die Liquidität der Beschwerdeführerin eine unüberwindliche
Belastung dar. Nach Art. 38 Abs. 2 VO I über die Unfallversicherung könne
zwar ein Betrieb rückwirkend der Versicherung unterstellt werden; aber
dies sei nicht zwingend. Die Ablösung der privaten Versicherung durch die
obligatorische stelle die Beschwerdeführerin vor Probleme, die durch die
rückwirkende Unterstellung unverhältnismässig verschärft würden.

    D.- Das Bundesamt für Sozialversicherung beantragt, die Beschwerde
sei abzuweisen. Die SUVA trägt ebenfalls auf Abweisung der Beschwerde
an. Sie macht geltend, es habe dem Willen des Gesetzgebers entsprochen,
das gesamte Transportwesen der obligatorischen Unfallversicherung
zu unterstellen. Dies sei in Art. 12 Ziff. 4 und Art. 13 Ziff. 4 der
Verordnung I über die Unfallversicherung geschehen. Es stehe ausserdem
fest, dass die Beschwerdeführerin für ihren Flugbetrieb explodierbare
Stoffe (Benzin) im grossen verwende. Das Personal halte sich im
Bereich dieser Stoffe auf. Diese Gefährdung allein rechtfertige die
obligatorische Unfallversicherung. Auf die rückwirkende Bestimmung der
Unterstellungsverfügung könne jedenfalls dann nicht verzichtet werden,
wenn Ansprüche erhoben würden wegen eines Unfalles, der sich in der
Zeit, auf die die Rückwirkung ausgedehnt werde, ereignet hat. Die vom
18. Juni 1966 datierte Meldung des Unfalles Hassenforder habe Anlass
zur Unterstellung geboten. Obwohl dieser Unfall sich am 6. Mai 1965,
also noch vor Inkraftsetzung der Versicherung, zugetragen habe, sei die
Anstalt bereit, Leistungen im Rahmen des KUVG zu erbringen.

    E.- Der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wurde am 18.  Oktober 1967
aufschiebende Wirkung erteilt.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- ... (Eintretensfrage).

Erwägung 2

    2.- Art. 60 bis KUVG, der durch Art. 16 des BG vom 18. Juni 1915
über die Ergänzung der Kranken- und Unfallversicherung (BS 8 S. 319 ff.)
eingeführt worden ist, ermächtigt den Bundesrat, die obligatorische
Unfallversicherung über die in Art. 60 KUVG aufgezählten Betriebe hinaus
auf bestimmte Arten anderer Unternehmungen zu erstrecken. Gemäss Art. 60
bis Ziff. 1 lit. b und d KUVG gehören zu diesen Unternehmungen auch solche,
in denen explodierbare oder gesundheitsgefährliche Stoffe gewerbmässig
erzeugt, im grossen verwendet oder im grossen gelagert werden, oder in
denen solche Stoffe auftreten. Art. 60 ter KUVG verpflichtet den Bundesrat,
in den Ausführungsvorschriften zu Art. 60 und 60 ter KUVG die Arten von
Unternehmungen und Betrieben, deren Angehörige obligatorisch versichert
sind, näher zu bezeichnen. Diesem Auftrag ist der Bundesrat u.a. in
Art. 16 der Verordnung I über die Unfallversicherung am 25. März 1916
nachgekommen. Dies ist insbesondere der Fall in Ziff. 5, wo er den Betrieb
von Luftschiff- und Fliegerstationen der Versicherungspflicht unterstellt.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass ihr Unternehmen
in Blotzheim eine Fliegerstation darstelle. Sie sei eine
Luftfahrtsgesellschaft und falle deshalb nicht unter den Anwendungsbereich
von Art. 60 bis Ziff. 1 lit. b KUVG in Verbindung mit Art. 16 Ziff. 5
der VO I.

    a) Die Verordnung umschreibt den Begriff der "Fliegerstation"
nicht näher. Das Wort Fliegerstation ist dem Wort "Bahnstation"
nachgebildet. Schon nach dem Sprachgebrauch sind demnach unter
Fliegerstation Anlagen zu verstehen, auf denen Flugzeuge landen und
starten, auf denen sie mit Treibstoff versehen und überholt werden. Ist
die Bezeichnung auch auf die Verhältnisse der Luftfahrt zugeschnitten,
die zur Zeit des Erlasses der Verordnung (März 1916) bestanden haben,
so ist ihr Sinn dennoch klar. Es sind mit ihr alle technischen Anlagen
gemeint, die direkt dem Flugverkehr dienen und dem Flugplatz funktionell
eingegliedert sind. Auf diesen Anlagen werden Benzinvorräte im grossen
verwendet und gelagert. Daraus ergibt sich die Gefährlichkeit dieser
Anlagen und die Notwendigkeit eines besonderen versicherungsrechtlichen
Schutzes, wie ihn das KUVG anstrebt. Belanglos ist, ob alle Anlagen im
Eigentum einer einzigen Person stehen.

    Die Beschwerdeführerin unterhält in Blotzheim Anlagen, die zum
Flughafen gehören. Insbesondere besitzt sie einen Hangar und Werkstätten
zur Wartung ihrer Flugzeuge; sie lässt auf dem Flughafen auch ihre Tanks
auffüllen. Wie wichtig dieser Teil des Unternehmens ist, geht schon
aus der Tatsache hervor, dass dort 127 Personen eingesetzt sind. Nicht
entscheidend ist, dass die von der Beschwerdeführerin betriebenen
Anlagen für sich genommen keine vollständige Flugplatzorganisation
darstellen. Unerheblich ist überdies, dass die Tankanlagen - nach
der Darstellung der Beschwerdeführerin - abseits von den Hangars und
Werkstätten der Gesellschaft gebaut sind und von Benzinfirmen bedient
werden. Auch ihre Anlagen und ihr Personal schaffen Betriebsgefahren und
sind solchen ausgesetzt. Daraus folgt, dass ihr Betrieb unter den Begriff
"Fliegerstation" fällt und dass die obligatorische Unfallversicherung
mit Recht auf ihr Personal ausgedehnt worden ist.

    b) Ist die Unterstellung unter die Versicherungspflicht gestützt auf
Art. 16 Ziff. 5 VO I gegeben, kann offen bleiben, ob die Beschwerdeführerin
auch in Anwendung von Art. 13 Ziff. 4 VO als pflichtig zu erklären wäre
und wie es sich mit der - von der Beschwerdeführerin bestrittenen -
Gesetzmässigkeit dieser Bestimmung verhält.

Erwägung 4

    4.- In zweiter Linie richtet sich die Beschwerde gegen die rückwirkende
Inkraftsetzung der Versicherung. Die Rückwirkung, wie sie die SUVA
angeordnet hat, hält sich unbestrittenermassen im Rahmen der Jahresfrist
von Art. 38 VO I; denn am 18. Juni 1966 machten die Erben des Richard
Hassenforder erstmals Ansprüche gegenüber der SUVA geltend. Streitig ist
bloss noch, ob die SUVA wegen der Verschuldung der Beschwerdeführerin
auf die rückwirkende Geltendmachung hätte verzichten können und müssen.

    Das Bundesamt für Sozialversicherung geht davon aus, Art. 38 Abs. 2 VO
I lasse dem Ermessen der Anstalt hinsichtlich der Anordnung des Beginnes
der Versicherung keinen Raum. Die Anstalt beansprucht dagegen eine gewisse
Ermessensfreiheit (vgl. VEB 1946/47 Nr. 114). Wie es sich damit verhält,
muss nicht entschieden werden. Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
kann nur geltend gemacht werden, der angefochtene Entscheid verletze
Bundesrecht. Das Bundesgericht kann daher nicht frei prüfen, ob die
Verwaltung von dem ihr allenfalls zustehenden Ermessen einen richtigen
Gebrauch gemacht habe (BGE 89 I 340 Erw.11). Es kann auch im vorliegenden
Falle nur bei Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens durch
die SUVA eingreifen. Von einer Überschreitung oder einem Missbrauch
kann hier keine Rede sein. Die Voraussetzungen für die Unterstellung
waren schon am 1. Oktober 1961 gegeben. Dann aber war es angezeigt, die
Unterstellungsverfügung soweit mit rückwirkender Kraft auszustatten, als
das die Verordnung erlaubt. Hiezu kommt, dass die SUVA als öffentliche
Anstalt des Bundes bei der Erfüllung der von der Schweiz gegenüber
Frankreich übernommenen Verpflichtung, wonach das schweizerische
Sozialrecht in den von der Übereinkunft (vom 27. Juli 1961) erfassten
Fällen anzuwenden ist, mitzuwirken hatte. Wenn die Beschwerdeführerin
tatsächlich eine private Versicherung für ihr Personal abgeschlossen hat,
ist diese nach Art. 4 des Ergänzungsgesetzes zum KUVG vom 18. Juni 1915 bei
der Festsetzung der Prämien zu berücksichtigen. Die Beschwerdeführerin
wird demnach nicht unbillig belastet, auch wenn sie in finanziellen
Schwierigkeiten steckt.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.