Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 94 I 199



94 I 199

30. Urteil vom 31. Januar 1968 i.S. X gegen Y und Staatsanwaltschaft des
Kantons Zürich. Regeste

    Verteilung der Parteirollen im Patentnichtigkeitsprozess; Art. 86
Abs. 1 2. Halbsatz PatG.

    Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde gegen einen sich
äusserlich als Zwischenentscheid darstellenden letztinstanzlichen
kantonalen Entscheid.

    Hat der Angeschuldigte die Einrede der Nichtigkeit des Patentes des
Strafanzeigers erhoben, dann verletzt die zuständige Behörde in keinem Fall
Art. 4 BV, wenn sie ihm die Klägerrolle im Nichtigkeitsprozess zuteilt.

    Hingegen ist es willkürlich, dem Angeschuldigten Frist zur
Feststellungsklage betreffend die Rechtsbeständigkeit seines eigenen
Patentes anzusetzen.

Sachverhalt

    A.- Y war Hauptaktionär der A-AG, der B-AG und der C-AG

    Um das für den Weiterbestand der beiden erstgenannten
Aktiengesellschaften notwendige Kapital beschaffen zu können, schloss
Y mit X am 16. Oktober 1963 eine Vereinbarung. Danach ermöglichte X
mit Fr. 200'000.-- die Verdoppelung des Aktienkapitals der A-AG Er
stellte dieser Gesellschaft zudem einen Kredit von Fr. 100'000.--
zur Verfügung und übernahm die Hälfte der Aktien der B-AG sowie die
Hälfte des Grundkapitals der C-AG Gleichzeitig verpflichtete sich Y,
den X in den Verwaltungsrat der drei Gesellschaften "zu wählen". Nach der
genannten Vereinbarung sollten X und Y je zur Hälfte am Gewinn der drei
Gesellschaften beteiligt sein und beide die Geschäftsführung innehaben, Y
als technischer und X als kaufmännischer Leiter. Die Y gehörenden Patente
sollten gegen Lizenzgebühr von der A-AG verwendet werden, blieben aber
gemäss ausdrücklicher Bestimmung im Eigentum des Y.

    Differenzen zwischen den beiden Partnern führten dazu, dass Y die
technische Leitung und die Geschäftsführung bei der A-AG aufgab und gemäss
Vertrag vom 28. April 1964 sich nur noch als technischer Berater und
freier Mitarbeiter mit genau zugeteiltem Arbeitsgebiet betätigte. Aber
schon am 8. Juli 1964 schrieb ihm die A-AG, sie stelle ab Juli die
Salärzahlung ein, bis er seinen vertraglichen Verpflichtungen zu ihrer
Zufriedenheit nachkomme.

    B.- Mit Strafanzeige vom 16. Dezember 1965 machte Y geltend, X
verletze vorsätzlich seine Schweizer Patente Nr. 392434 und 400065, indem
er durch die B-AG widerrechtlich...maschinen herstellen und vertreiben
lasse. Da X die Einrede der Patentnichtigkeit erhob, setzte ihm die
Strafverfolgungsbehörde gemäss Art. 86 PatG eine Frist zur Anhebung
der Patentnichtigkeitsklage. Nachdem sein Rekurs gegen diese Verfügung
abgewiesen worden war, reichte X am 10. Juni 1966 beim Handelsgericht
Zürich Klage auf Nichtigerklärung ein; dieses Verfahren ist noch hängig.

    C.- Am 24. Februar 1967 reichte Y eine zweite Strafanzeige gegen
X ein, diesmal wegen Verletzung der aus dem Schweizer Patent Nr. 409829
fliessenden Rechte betreffend eine ...maschine. Das Patent war am 29. Juli
1964 angemeldet und am 31. März 1966 erteilt worden.

    Am 3. August 1964 hatte X dieselbe Erfindung zum Patent angemeldet;
die Patentierung erfolgte am 30. April 1966 unter der Nummer 411756.

    X erhob auch im neuen Strafverfahren die Einrede der
Nichtigkeit. Darauf setzte die Bezirksanwaltschaft Meilen dem Y Frist
zur Anhebung der Klage auf Feststellung der Rechtsbeständigkeit seines
Patentes Nr. 409829 an. Auf Rekurs von Y hin änderte die Staatsanwaltschaft
Zürich die Verfügung dahin ab, dass sie dem X Frist zur Anhebung der
Patentnichtigkeitsklage sowie zur Einreichung der Rechtsbeständigkeitsklage
betreffend sein eigenes Patent ansetzte.

    D.- X ficht die Verfügung der Staatsanwaltschaft mit staatsrechtlicher
Beschwerde an. Er rügt Verletzungen von Art. 4 BV und stellt im
wesentlichen folgende Anträge:

    "1. Es sei die angefochtene Verfügung der Staatsanwaltschaft
des Kantons Zürich vom 30. August 1967 aufzuheben und es sei dem
Beschwerdegegner im Sinne von Art. 86 PatG eine angemessene Frist zur
Klageanhebung auf Feststellung der Rechtsbeständigkeit seines Patentes
Nr. 409829 anzusetzen, unter der Androhung, dass im Säumnisfall das
Strafverfahren ohne Weiterungen definitiv eingestellt würde, und es sei
der Prozess zur Neuentscheidung im genannten Sinne an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

    2. Es sei der vorliegenden Beschwerde unverzüglich aufschiebende
Wirkung zu erteilen.

    3. Eventuell sei dem Beschwerdeführer nur Frist anzusetzen, Klage
auf Feststellung der Nichtigkeit des Patentes Nr. 409829 anzuheben,
nicht jedoch Frist zur Klage auf Feststellung der Rechtsbeständigkeit
des Patentes Nr. 411756."

    E.- Der Beschwerdegegner Y und die Staatsanwaltschaft des Kantons
Zürich beantragen Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Die angefochtene Verfügung der Staatsanwaltschaft ist nach §
409 der zürch. PZO endgültig, also ein letztinstanzlicher kantonaler
Entscheid. Sie stellt in prozessualem Sinne einen Zwischenentscheid
dar, mit welchem das weitere Verfahren geleitet wird. Zwar sind
Zwischenentscheide grundsätzlich nur dann mit staatsrechtlicher
Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV anfechtbar, wenn sie für die
Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge haben
(Art. 87 OG). Indessen gilt diese Beschränkung nach der Rechtsprechung
nicht für alle Entscheide, die im Verlaufe eines Verfahrens ergehen und
die äusserlich Zwischenentscheide sind (BGE 87 I 177). Vielmehr können
Prozessökonomie und Zweckmässigkeit sowie das wohlverstandene Interesse
der Gegenpartei verlangen, dass der Beschwerdeführer sofort handle und
nicht den Endentscheid abwarte. In diesem Sinne fallen beispielsweise
Entscheide über die Zusammensetzung des Gerichts und solche über die
sachliche oder örtliche Zuständigkeit nicht unter Art. 87 OG (BGE
87 I 177 mit Verweisungen). Gleich verhält es sich im vorliegenden
Fall. Werden die Parteirollen bei Anwendung von Art. 86 PatG nicht richtig
verteilt, besteht die Gefahr, das ganze Verfahren aufheben oder ein mit
unrichtiger Rollenverteilung durchgeführtes Verfahren, dessen Ausgang
durch allfällige Beweislosigkeit entschieden worden ist, bestehen lassen
zu müssen. Der Beschwerdeführer war daher befugt, die Verfügung der
Staatsanwaltschaft mit staatsrechtlicher Beschwerde anzufechten, und
es braucht mithin nicht geprüft zu werden, ob jene Verfügung für den
Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge habe.

    b) Beschwerden der vorliegenden Art sind jedoch rein kassatorischer
Natur (BGE 92 I 97, 91 I 411 je mit Hinweisen). Soweit der Beschwerdeführer
mehr verlangt als die Aufhebung des angefochtenen Entscheides, ist demnach
auf seine Begehren nicht einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Die Staatsanwaltschaft begründet ihre Verfügung damit, Art. 86 PatG
sehe als Hauptregel vor, dass der Angeschuldigte mit der Klageanhebung
zu beschweren sei. Im vorliegenden Fall sei das Patent wohl ohne
Vorprüfung erteilt worden, doch fehle es an der zweiten, nach Kommentar
BLUM/PEDRAZZINI kumulativ zu erfüllenden Voraussetzung. Von einem klaren
Fall, bei dem der Angeschuldigte die Nichtigkeit des umstrittenen Patentes
glaubhaft gemacht hätte, ohne dass irgendwelche Zweifel übrig blieben,
könne "bei der derzeitigen Aktenlage nicht die Rede sein". Es bestehe
daher kein Anlass, von der in Art. 86 PatG für den Regelfall festgesetzten
Ordnung abzuweichen; dies umso weniger, als das Patent des Strafanzeigers
früher angemeldet und erteilt worden sei.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer ficht zunächst die auf dem Kommentar
BLUM/PEDRAZZINI beruhende Auffassung der Staatsanwaltschaft an, wonach
in der Praxis die beiden Voraussetzungen von Art. 86 Abs. 1, 2. Halbsatz
PatG (Erteilung des Patentes ohne Vorprüfung und Glaubhaftmachen von
Umständen, welche die Nichtigkeitseinrede als begründet erscheinen lassen)
kumulativ erfüllt sein müssen, um eine Umkehrung der Parteirollen zu
rechtfertigen. Der Beschwerdeführer beruft sich auf das Protokoll über
die Verhandlungen des Ständerates vom 23. September 1953 S. 396 und
insbesondere auf ein Votum von Ständerat Schoch sowie auf den seines
Erachtens eindeutigen Gesetzestext. Er hält die von der Staatsanwaltschaft
vorgenommene Parteirollenverteilung für eine klare Ermessensüberschreitung.

    Ob die in Art. 86 Abs. 1, 2. Halbsatz PatG genannten Voraussetzungen
kumulativ erfüllt sein müssen, kann offen bleiben. Eine willkürliche
Parteirollenverteilung läge nämlich selbst dann nicht vor, wenn
man - mit dem Beschwerdeführer und nach dem Wortlaut des Gesetzes -
die Kumulation verneinte. Die genannte Bestimmung enthält eine blosse
Kann-Vorschrift. Sie sagt lediglich, unter welchen Voraussetzungen der
Richter (hier die Staatsanwaltschaft) von der Hauptregel abweichen
darf, verpflichtet ihn dazu aber in keiner Weise. Die Auffassung
des Beschwerdeführers, wonach sich die Behörde an die Grundsätze des
strafrechtlichen Untersuchungsverfahrens zu halten und somit dem Staate
bzw. dem Strafkläger die Klägerrolle zuzuteilen habe, schlägt angesichts
des klaren Wortlautes des Gesetzes nicht durch. Art. 86 PatG ist eine
Sondernorm, die den im Strafverfahren geltenden üblichen Grundsätzen
vorgeht. Liegt aber eine willkürliche Parteirollenverteilung nicht vor, so
kann sich die Staatsanwaltschaft umso weniger einer Ermessensüberschreitung
schuldig gemacht haben.

    Damit erübrigt sich auch die Prüfung der Frage, ob die kantonale
Instanz die Anforderungen an das Glaubhaftmachen im Sinne von Art. 86 PatG
überspannte, als sie davon ausging, es dürften keine Zweifel mehr übrig
bleiben. Denn selbst wenn dies zuträfe und somit beide Voraussetzungen
für die Umkehrung der Parteirollen erfüllt wären, bestünde nach dem
Gesagten gleichwohl keine Pflicht der Behörde, dem Strafkläger Frist zur
Klage anzusetzen.

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer macht ausserdem eine Verweigerung des
rechtlichen Gehörs geltend, weil die Staatsanwaltschaft die eingereichten
Akten "völlig unberücksichtigt" gelassen habe und "nur mit allgemeinen,
unzutreffenden Floskeln darüber hinwegging". Die mehrseitige diesbezügliche
Begründung enthält jedoch nichts, woraus der Schluss gezogen werden
könnte, die kantonale Instanz habe ein wesentliches Aktenstück oder
ein anderes Beweismittel nicht gewürdigt. Sie war nicht verpflichtet,
zu allen angerufenen und beigezogenen Beweismitteln Stellung zu nehmen,
insbesondere nicht für den Entscheid darüber, wem in Anwendung von Art. 86
PatG die Klägerrolle zukomme. Von einer Verweigerung des rechtlichen
Gehörs kann deshalb nicht gesprochen werden.

    Übrigens wäre für den in der Beschwerde vertretenen Standpunkt
auch dann nichts gewonnen, wenn die Staatsanwaltschaft infolge
schlechterdings unhaltbarer Beweiswürdigung angenommen hätte, es sei dem
Beschwerdeführer nicht gelungen, Umstände glaubhaft zu machen, welche die
Nichtigkeitseinrede als begründet erscheinen liessen. Wie in Erw. 3 hievor
dargelegt, ist der Richter selbst beim Vorliegen beider Voraussetzungen
nicht verpflichtet, die Parteirollen zu vertauschen.

Erwägung 5

    5.- Zu prüfen bleibt der Eventualantrag. Nach diesem sollte dem
Beschwerdeführer gegebenenfalls nur Frist zur Klage auf Feststellung der
Nichtigkeit des gegnerischenPatentes Nr.409829, nicht aber zur Klage auf
Feststellung der Rechtsbeständigkeit seines eigenen Patentes Nr. 411756
angesetzt werden. Auch darauf kann nur insoweit eingetreten werden,
als dies mit der kassatorischen Natur der staatsrechtlichen Beschwerde
vereinbar ist.

    Die Staatsanwaltschaft rechtfertigt ihre Doppelverfügung damit,
im vorliegenden Fall seien beide Parteien im Besitze eines Patentes
für die gleiche Erfindung. Auch aus Gründen der Zweckmässigkeit und der
Prozessökonomie sei es angebracht, dass der Zivilprozess gleichzeitig
über beide Patente geführt werde. Demgegenüber rügt der Beschwerdeführer
die Fristansetzung zur Klage auf Feststellung der Rechtsbeständigkeit
des Patentes Nr. 411756 als willkürlich. Dieser Vorwurf ist begründet.

    Einmal gibt Art. 86 PatG der Staatsanwaltschaft kein Recht, Frist zur
Feststellung der Rechtsbeständigkeit des Patentes des Beschwerdeführers
anzusetzen. Ausserdem sind Patentverletzungen Antragsdelikte, so dass es
dem Willen des Beschwerdeführers anheimgestellt bleibt, ob er im Falle
einer Verletzung seines Patentes überhaupt klagen will. Die Verfügung
der Staatsanwaltschaft erscheint daher in diesem Punkte als willkürlich
und muss aufgehoben werden.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird dahin gutgeheissen, dass die Verfügung der
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich vom 21. August 1967 insoweit
aufgehoben wird, als sie dem Beschwerdeführer Frist zur Klage auf
Feststellung der Rechtsbeständigkeit seines Patentes Nr. 411756 setzt.

    Im übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf eingetreten
werden kann. Die dem Beschwerdeführer gesetzte dreissigtägige Frist zur
Einreichung der Patentnichtigkeitsklage beginnt am 1. Februar 1968.