Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 94 IV 43



94 IV 43

11. Urteil des Kassationshofes vom 4. Juni 1968 i.S. Wichser gegen
Gemeinderat Rüti und Polizeigericht des Kantons Glarus. Regeste

    Art. 268 Ziff. 1 Satz 2 BStP.

    Gegen ein Urteil des Polizeigerichts des Kantons Glarus ist die
Nichtigkeitsbeschwerde auch dann nicht zulässig, wenn dem Entscheid eine
Strafverfügung des Gerichtspräsidenten vorausgegangen ist.

Sachverhalt

    A.- Das Polizeigericht des Kantons Glarus verurteilte Thomas Wichser
am 10. Januar 1967 wegen Übertretung des Art. 27 Abs. 1 SVG zu einer
Busse von 20 Franken.

    B.- Wichser führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit dem
Antrag auf Freisprechung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

    Das Polizeigericht hat als erste kantonale Instanz und zudem
als unteres Gericht im Sinne von Art. 268 Ziff. 1 Satz 2 BStP
entschieden. Sein Urteil kann daher nach dieser Bestimmung nicht mit der
Nichtigkeitsbeschwerde ans Bundesgericht weitergezogen werden. Dass dem
Urteil des Polizeigerichts eine Strafverfügung des Gerichtspräsidenten
vorausgegangen ist, ändert daran nichts. Die Strafverfügung wird
im abgekürzten Verfahren erlassen und erlangt - gleich wie in anderen
Kantonen der Strafbefehl oder das Strafmandat - bloss dann die Bedeutung
eines Urteils, wenn der Beschuldigte sich dem Entscheid des Einzelrichters
unterzieht (§ 181 Abs. 2 StPO). Verlangt er dagegen innert zehn Tagen
Beurteilung durch das Polizeigericht, so hat die Strafverfügung als nicht
erlassen zu gelten; sie fällt als Urteilsspruch dahin, mit der Folge,
dass das ordentliche Verfahren eröffnet wird und das Polizeigericht, das
ohne Erlass der Strafverfügung zuständig gewesen wäre, sich nun mit der
Sache zu befassen hat (§ 182 StPO). Das Verfahren vor dem Einzelrichter
ist somit kein erstinstanzliches, noch ist die Strafverfügung im Falle
der Einsprache ein Urteil erster Instanz (vgl. BGE 92 IV 161; WAIBLINGER,
ZBJV 91 S. 87 und 93 S. 355).

    Das entspricht auch dem Sinn und Zweck des Art. 268 Ziff. 1 Satz
2 BStP. Diese Bestimmung ist im Jahre 1965 erlassen worden, damit
Strafurteile unterer Gerichte nicht mehr, wie bisher, unter Ausschaltung
einer zweiten kantonalen Instanz direkt beim Bundesgericht angefochten
werden können (BGE 92 IV 54). Solchen Urteilen gehen aber sehr oft
Strafverfügungen voraus, die, wenn sie als Urteile erster Instanz anzusehen
wären, den Zweck der Novelle in all diesen Fällen vereiteln würden. In
der parlamentarischen Beratung war man sich denn auch klar darüber, dass
die neue Bestimmung nicht in diesem Sinne aufzufassen ist (StenBull NR
1965 S. 286, Votum Bachmann). Dass verschiedene Kantone gezwungen sind,
Verfahrensbestimmungen abzuändern, ist dem Gesetzgeber nicht entgangen;
er hielt dies im Interesse eines vollständigen Rechtsschutzes und zur
Behebung eines Zustandes, der dem Aufbau der kantonalen und eidgenössischen
Gerichtsorganisation grundsätzlich widersprach, vielmehr für notwendig
(vgl. Botschaft zur Novelle, BBl 1964 II 891).

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Auf die Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten.