Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 94 IV 23



94 IV 23

7. Urteil des Kassationshofes vom 16. Februar 1968 i.S. Schafroth gegen
Generalprokurator des Kantons Bern. Regeste

    Art. 32 Abs. 1 SVG, Art. 117 StGB.

    1.  Die zulässige Höchstgeschwindigkeit bei Fahren mit asymmetrischen
Abblendlichtern bestimmt sich nach der geringsten Reichweite der
Scheinwerfer.

    2.  Pflichtwidriges Verhalten eines Automobilisten, dermit 100 km/Std,
aber abgeblendeten Scheinwerfern eine bereits weitgehend im Dunkeln
liegende Strecke durchfahren wollte (Erw. 1).

    3.  Natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang zwischen diesem
Verhalten und dem Tod eines andern Fahrers (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Schafroth fuhr am 26. August 1964 bei einbrechender Dämmerung am
Steuer eines neuen Peugeot-Personenwagens von Thun über Reutigen gegen
Spiez. Um 19.47 Uhr erreichte er mit abgeblendeten Scheinwerfern und
einer Geschwindigkeit von mindestens 100 km/Std die zwischen Wimmis und
Spiezwiler gelegene Steiniallee.

    Grosse Laubbäume säumen dort in kurzen Abständen ein gerades
Strassenstück beidseitig mehrere hundert Meter weit. Ihre tief
herabhängenden Äste behinderten damals die Sicht auf die angrenzenden
Felder und schlossen zusammen mit den Baumkronen die 6.35 m breite Strasse
weitgehend ein.

    Schafroth hatte 140 m der Allee bereits durchfahren, als er in 60
m Entfernung ein landwirtschaftliches Fahrzeug von rechts her auf die
Strasse rollen sah. Es bestand aus einem einachsigen Traktor und einem mit
Gras beladenen Zweirad-Anhänger und war geführt von Gottfried Lörtscher,
der, aus einem Feldweg kommend, nach links in die Allee einbiegen
wollte. Schafroth bremste sofort. Gleichwohl kam es zu einem heftigen
Zusammenstoss, bei dem Lörtscher tödlich verletzt und beide Fahrzeuge
schwer beschädigt wurden.

    B.- Das Amtsgericht von Niedersimmental verurteilte Schafroth
am 21. Dezember 1965 wegen fahrlässiger Tötung (Art. 117 StGB) zu
vierzig Tagen Gefängnis und 100 Franken Busse, schob den Vollzug der
Freiheitsstrafe bedingt auf und setzte dem Verurteilten drei Jahre
Probezeit.

    Auf Appellation des Verurteilten bestätigte das Obergericht des
Kantons Bern am 7. Oktober 1966 dieses Urteil.

    C.- Schafroth führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, ihn von
der Anklage der fahrlässigen Tötung freizusprechen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Art. 32 Abs. 1 SVG verpflichtet den Fahrer, die Geschwindigkeit
stets den Umständen, namentlich den Strassen- und Sichtverhältnissen
anzupassen.

    Am 26. August 1964 dauerte die Dämmerung, wie das Obergericht
feststellt, von 19.21 bis 19.56 Uhr; sie war daher um 19.47 Uhr, als
Schafroth die Steiniallee erreichte, bereits weit fortgeschritten. In der
Allee war es zudem wegen des dichten Laubwerkes schon so dunkel, dass der
Fahrer über die Reichweite der Abblendlichter hinaus keine zuverlässige
Sicht mehr hatte, zumal sein Auge sich dort der erhöhten Dunkelheit zuerst
anpassen musste. Das Amtsgericht, das ein Jahr später einen Augenschein
vornahm, verglich die Steiniallee denn auch mit einem Tunnel, in dem zur
Zeit des Unfalls bereits nächtliche Dunkelheit geherrscht habe. Dazu kommt,
dass die Strasse dort zahlreiche, offenbar durch Baumwurzeln bedingte
Bodenwellen aufweist. Unter diesen Umständen war es höchst unvorsichtig,
die Allee bei abgeblendeten Scheinwerfern mit 100 km/Std durchfahren zu
wollen. Der Beschwerdeführer wendet dagegen mit Recht nichts mehr ein.

    Welche Fahrgeschwindigkeit jeweils als angemessen zu gelten hat,
ist eine Rechtsfrage, die das Bundesgericht frei überprüfen kann
(BGE 91 IV 142 Erw. 1). Nach den Feststellungen des Obergerichts war
der Wagen des Beschwerdeführers mit asymmetrischen Abblendlichtern
versehen, die so eingestellt waren, dass sie (auf gerader und ebener
Strecke) die Fahrbahn dem rechten Strassenrand entlang 75 m, gegen
die Strassenmitte zu aber nur 50 m weit beleuchteten. Die Einstellung
der Lichter entsprach somit den gesetzlichen Vorschriften, welche
die zulässige Reichweite abgeblendeter Scheinwerfer in dieser Weise
begrenzen (BRB vom 9. März 1959 über die Änderung der MFV, Art. 13 bis
Abs. 2 lit. b und c; AS 1959 S. 191). Die Vorinstanz nimmt gestützt
darauf an, dass die Sichtweite des Beschwerdeführers 75 m betragen
habe, was bei einer mittleren Bremsverzögerung von 6 m/sec2 und 1 sec
Reaktionszeit eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 86,4 km/Std
ergebe. Das Obergericht übersieht indes, dass eine Fahrbahn, die links
der Fahrzeugachse bloss 50 m weit beleuchtet wird, auch nur auf diese
Entfernung zuverlässig überblickbar ist. Bei einer Geschwindigkeit von
86,4 km/Std und abgeblendeten Scheinwerfern hätte der Beschwerdeführer
ein Hindernis auf der linken Fahrbahnseite nicht rechtzeitig erblicken,
folglich auch nicht anhalten können, ehe sein Wagen es erreichte. Daraus
erhellt, dass in Fällen wie hier, wo die überblickbare Strecke durch
asymmetrische Abblendlichter bestimmt wurde, von der geringsten Reichweite
der abgeblendeten Scheinwerfer als massgebendem Wert, somit von der auf der
linken Fahrbahnseite beleuchteten Strecke von 50 m auszugehen ist (vgl. BGE
93 IV 62 und 118). So gesehen betrug die zulässige Höchstgeschwindigkeit
für den Beschwerdeführer aber nicht 86,4, sondern bloss 65-70 km/Std.

Erwägung 2

    2.- Es ist unbestritten, dass Lörtscher infolge der Verletzungen, die
er beim Zusammenstoss erlitten hat, gestorben ist. Streitig ist dagegen,
ob der Unfall sich auch dann ereignet hätte, wenn der Beschwerdeführer
im Augenblick, als er den Traktor erblickte, mit einer der Sichtweite
angepassten Geschwindigkeit gefahren wäre. Das Obergericht nimmt das
im Gegensatz zum Experten nicht an; es übergeht vielmehr die Frage,
weil es der Auffassung ist, dass der "Ablauf des Geschehens in seiner
Ganzheit betrachtet" werden müsse. Der Angeschuldigte sei ja nicht erst
60, sondern schon 200 m vor der Einmündung des Feldweges mit übersetzter
Geschwindigkeit gefahren, wäre bei rechtzeitiger Rücksichtnahme auf die
Sichtverhältnisse in der Allee aber Sekunden später auf der Unfallstelle
eingetroffen, was dem Traktorfahrer erlaubt hätte, der Gefahr zu entgehen.

    Der Beschwerdeführer hält diese Betrachtungsweise für verfehlt, weil
sie den Begriff des natürlichen Kausalzusammenhanges überspanne. Er hat
insofern recht, als das zeitliche Eintreffen eines Fahrzeuges an einem
bestimmten Ort wohl Vorbedingung, nicht aber kausal dafür sein kann,
dass es nachher irgendwo zu einem Unfall kommt. Wollte man der Erwägung
des Obergerichtes folgen, so könnte z.B. auch der Umstand, dass ein
Fahrer 10 km vor dem Unfallort eine signalisierte Geschwindigkeitsgrenze
missachtet, als Ursache des spätern Unfalles angesehen werden. Dass der
natürliche Kausalzusammenhang nicht auf solche Weise bejaht werden darf,
liegt auf der Hand und bedarf keiner Begründung. Im Ergebnis ändert sich
im vorliegenden Fall freilich nichts, da das pflichtwidrige Verhalten
des Beschwerdeführers bis zum Eintritt des Unfalles fortgewirkt hat,
tatsächlich Mitursache geworden ist. Nach der verbindlichen Feststellung
der Vorinstanz hat Schafroth das landwirtschaftliche Fahrzeug auftauchen
sehen, als er noch 60 m davon entfernt war. Auf diese Entfernung hätte
der Beschwerdeführer aber noch rechtzeitig anhalten, den Unfall folglich
vermeiden können, wenn er mit einer den Sichtverhältnissen in der Allee
angepassten Geschwindigkeit gefahren wäre.

    Zu rasches Fahren gehört zu den häufigsten Unfallursachen. Dass
die krass vorschriftswidrige Fahrweise des Beschwerdeführers nach den
Erfahrungen geeignet war, zu einem schweren Unfall zu führen, kann
daher nicht zweifelhaft sein. Die Rechtserheblichkeit der Ursachenfolge
entfiele nur dann, wenn das Verhalten des andern Fahrzeugführers so
aussergewöhnlich gewesen wäre, dass damit gar nicht gerechnet werden musste
(BGE 86 IV 156/7; 87 IV 65, 159; 88 IV 106, 109). Davon kann nicht die
Rede sein. Gewiss hätte Lörtscher, weil er nicht vortrittsberechtigt
war, an der Einmündung warten und den Wagen des Beschwerdeführers
durchlassen sollen. Die Erfahrung zeigt indes, dass es in der Dunkelheit,
wenn nicht unmöglich, so doch äusserst schwierig ist, die Entfernung und
Geschwindigkeit eines auf gerader Strecke nahenden Fahrzeuges einigermassen
verlässlich abzuschätzen (BGE 79 II 214/5). Unter solchen Umständen
kommt es immer wieder vor, dass wartepflichtige Fahrer der Meinung
verfallen, sie könnten noch ohne das Vortrittsrecht eines andern zu
verletzen, weiterfahren. Das Auftauchen des Traktors in 60 m Entfernung
lag deshalb nicht ausserhalb jeder Erwartung. Dass Lörtscher nicht aus
einer Seitenstrasse, sondern aus einem blossen Feldweg kam, ändert daran
nichts. In ländlichen Gegenden ist es jedenfalls zur Erntezeit nichts
Besonderes, dass landwirtschaftliche Fahrzeuge erst bei fortgeschrittener
Dämmerung vom Felde heimkehren. Wer wie der Beschwerdeführer mit 100
km/Std, aber abgeblendeten Scheinwerfern eine Strecke durchfahren will,
die bereits weitgehend im Dunkeln liegt, muss übrigens von vorneherein
darauf gefasst sein, von Gefahren überrascht zu werden und ihnen nicht
mehr ausweichen zu können. Hätte er das bedacht und die Geschwindigkeit
der tatsächlichen Sichtweite angepasst, so wäre es nicht zum Zusammenstoss
gekommen.

    Sein pflichtwidriges Verhalten war daher nicht nur eine natürliche,
sondern auch eine rechtserhebliche Mitursache des Unfalls.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.