Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 94 IV 14



94 IV 14

4. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. Februar 1968
i.S. Zürcher gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zug. Regeste

    Art. 41, 70 und 74 StGB.

    1.  Recht und Pflicht des Richters, den bedingten Strafvollzug zu
widerrufen, sind nicht befristet (Erw. a).

    2.  Die Strafverfolgung ist mit der Ausfällung des letzten kantonalen
Sachurteils beendet, gleichviel, ob dem Verurteilten der bedingte
Strafvollzug gewährt oder verweigert wird (Erw. b).

Sachverhalt

    A.- Das Strafobergericht des Kantons Zug verurteilte Zürcher am
14. Dezember 1954 wegen wiederholten Wuchers (Art. 157 Ziff. 1 StGB)
zu vier Monaten Gefängnis, schob den Vollzug der Strafe bedingt auf und
setzte dem Verurteilten fünf Jahre Probezeit. Zürcher hatte die letzte
der Straftaten, die zu seiner Verurteilung führten, bereits am 27. August
1946 begangen. Das Urteil blieb unangefochten.

    Im Mai 1958 machte Zürcher sich des Betruges schuldig. Das Strafgericht
Zug verurteilte ihn deswegen am 20. Januar 1967 zu einer Gefängnisstrafe
von sechs Monaten.

    B.- Gestützt auf die neue rechtskräftige Verurteilung beschloss
das Strafobergericht des Kantons Zug am 9. Oktober 1967, dass die am
14. Dezember 1954 ausgefällte Strafe zu vollziehen sei.

    C.- Zürcher führt gegen diesen Beschluss Nichtigkeitsbeschwerde mit
dem Antrag, ihn aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Der Beschwerdeführer macht geltend, Wucher verjähre nach der
angedrohten Höchststrafe in spätestens 15 Jahren. Diese Frist habe im
vorliegenden Falle mit der letzten Straftat am 27. August 1946 begonnen
und sei mangels eines vollstreckbaren Urteils, das die Strafverfolgung
vorher beendet hätte, am 27. August 1961 abgelaufen. Das Urteil vom
14. Dezember 1954 ändere daran nichts. Ein Urteil, das den Vollzug der
Strafe bedingt aufschiebe, könne wohl rechtskräftig sein, sei vorläufig
aber nicht vollstreckbar. Von Vollstreckbarkeit könne erst die Rede
sein, wenn der Richter den bedingten Strafvollzug widerrufe. Das aber
sei hier erst am 9. Oktober 1967 geschehen, zu einem Zeitpunkt also,
als die absolute Verfolgungsverjährung längst eingetreten sei.

    a) Nach ständiger Rechtsprechung, die in BGE 80 IV 218 überprüft und
bestätigt wurde, sind Recht und Pflicht des Richters, den bedingten
Strafvollzug wegen Täuschung des Vertrauens zu widerrufen, nicht
befristet. Der Widerruf nach Art. 41 Ziff. 3 StGB setzt in Fällen, wie
hier, bloss voraus, dass die neue Straftat in die Probezeit fällt (Abs. 1)
und kein besonders leichter Fall vorliegt (Abs. 2); auf den Zeitpunkt, in
dem der Widerrufsentscheid gefällt wird, kommt nichts an. Diese Regelung
mag fragwürdig erscheinen, wenn wie im vorliegenden Fall verhältnismässig
lange Zeit verstreicht, bis der Strafvollzug überhaupt angeordnet werden
kann; sie beruht jedoch nicht auf einem Versehen des Gesetzgebers,
sondern ist, wie auf Grund der Entstehungsgeschichte angenommen werden
muss, bewusst und gewollt so getroffen worden. Es geht deshalb nicht an,
den Widerruf auf dem Wege freier Rechtsfindung zeitlich beschränken
zu wollen, indem die Anordnung des Strafvollzuges wegen Zeitablaufs
als stossend erklärt wird. Eine Befristung kann allein vom Gesetzgeber
eingeführt werden (BGE 78 IV 8, 79 IV 111, 80 IV 221 Erw. 2).

    b) Damit ist der Nichtigkeitsbeschwerde Zürchers, die auf eine
solche Beschränkung des Widerrufs hinausläuft, zum vornherein der Boden
entzogen. Sie geht auch sonst fehl. Wie abwegig die Überlegungen des
Beschwerdeführers sind, erhellt schon aus den Folgen, die sich aus
seiner Auffassung ergäben. Liesse man die Verfolgungsverjährung nach
der Verurteilung zu einer bedingt vollziehbaren Strafe weiterlaufen,
so wäre der bedingte Strafaufschub sehr oft entwertet und eine längere
Probezeit überhaupt sinnlos. Bei Straftaten, die erst gegen Ende der
Verfolgungsverjährung aufgedeckt werden oder einer kurzen Verjährungsfrist
unterliegen, wie z.B. Abtreibung, Blutschande, Ehrverletzungen und
Übertretungen, müsste der Richter entweder vom bedingten Strafvollzug
absehen oder die Probezeit auf die noch nicht abgelaufene Verjährungsfrist
beschränken. Und wenn erst nach Ablauf der Frist an den Tag käme, dass
der Verurteilte sich nicht bewährte, so dürfte der Richter weder den
Strafvollzug noch Ersatzmassnahmen mehr anordnen; der Verurteilte könnte
sich vielmehr ungestraft über das Vertrauen hinwegsetzen, das ihm der
Richter mit dem bedingten Aufschub der Strafe entgegenbrachte. Dass solche
Folgen untragbar und mit dem Sinn und Zweck des Art. 41 StGB unvereinbar
wären, bedarf keiner Begründung.

    Aus den Bestimmungen über die Verjährung kann der Beschwerdeführer
ebenfalls nichts für seine Auffassung ableiten. Gewiss beginnt
die Vollstreckungsverjährung, falls ein bedingter Strafvollzug
ausgesprochen worden ist, erst mit dem Tag, an dem die Vollstreckung
angeordnet wird (Art. 74 StGB). Daraus folgt jedoch nicht, dass die
Verfolgungsverjährung bei bedingtem Strafvollzug unbekümmert um die
Aburteilung solange weiterlaufen könne. Der Beschwerdeführer übersieht,
dass die Strafverfolgung mit der Ausfällung des letzten kantonalen
Sachurteils im Sinne von Art. 70 StGB beendet ist, folglich auch die
Verfolgungsverjährung zu laufen aufhört. Vorbehalten bleibt lediglich der
Fall, wo der Kassationshof das Urteil aufhebt und das kantonale Gericht
neu urteilen, die Strafverfolgung also fortsetzen muss (BGE 72 IV 107,
73 IV 14). Eine bedingt ausgesprochene Strafe hingegen rechtfertigt
keine Ausnahme. Freilich wird diesfalls der VOIlzug der Strafe
aufgeschoben und vom Verhalten des Verurteilten während der Probezeit
abhängig gemacht. Vollstreckbarkeit des Urteils ist indes nicht, wie
der Beschwerdeführer annimmt, gleichbedeutend mit Vollstreckbarkeit der
Strafe. Ein Urteil kommt nach Abschluss der Strafverfolgung auch dann zur
Vollstreckung, wenn die Strafe bedingt aufgeschoben wird, vorläufig also
nicht vollziehbar ist; man denke nur an die Bewährungsprobe, den Eintrag
des Urteils im Strafregister, an unbedingt ausgesprochene Nebenstrafen
und die dem Verurteilten auferlegten Weisungen. Massgebend ist demnach
bloss, ob der Täter vor Ablauf der Verfolgungsverjährung verurteilt wird,
mag ihm der bedingte Strafvollzug gewährt oder verweigert werden.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.