Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 94 IV 102



94 IV 102

27. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. November 1968
i.S. Gamberoni gegen Generalprokurator des Kantons Bern. Regeste

    Art. 55 StGB, Landesverweisung.

    1.  Rückfall: Der Begriff ist der gleiche wie in Art. 67 StGB (Erw.1).

    2.  Die Landesverweisung verfolgt sowohl einen Strafzweck (daraus
Anwendung von Art. 63 StGB) wie einen Sicherungszweck (Erw.2).

    3.  Bedeutung der persönlichen Verhältnisse (Erw.3).

Sachverhalt

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    II. 1. - Nach Art. 55 StGB kann der Richter den Ausländer, der zu
Zuchthaus oder Gefängnis verurteilt wird, für drei bis fünfzehn Jahre,
bei Rückfall auf Lebenszeit aus dem Gebiet der Schweiz verweisen.

    Der Beschwerdeführer befindet sich im Rückfall nach Art. 67
StGB. Art. 67 Ziff. 2 bestimmt ausdrücklich, dass eine Bestrafung im
Ausland Rückfall begründet, wenn sie wegen einer strafbaren Handlung
erfolgt ist, für die nach schweizerischem Recht die Auslieferung bewilligt
werden könnte. Bezieht sich auch diese Bestimmung in erster Linie auf
die Strafschärfung nach Ziff. 1, so gilt sie doch nicht weniger für
Art. 55. Warum hier der Begriff des Rückfalls ein anderer sein sollte
als dort, ist nicht zu ersehen. Die Einheit wird auch in der Literatur
als selbstverständlich angenommen.

    Dass für qualifizierten Diebstahl und Diebstahlsversuch, die Gegenstand
des Urteils der Cour d'Assises de la Seine vom 13. Juni 1957 bildeten,
nach dem Bundesgesetz vom 22. Januar 1892 betreffend die Auslieferung
gegenüber dem Auslande die Auslieferung bewilligt werden könnte (vgl. dazu
Art. 6 Ziff. 1 StGB und BGE 79 IV 50), ist unbestritten.

Erwägung 2

    2.- Das heisst indessen noch nicht, dass der Rückfall notwendig zur
Ausweisung auf Lebenszeit führen müsse. Nach Art. 55 Abs. 1 Satz 2 kann
bei Rückfall Verweisung auf Lebenszeit ausgesprochen werden.

    HAFTER, Allg. Teil, 2. Aufl., S. 303 Ziff. V vertritt die Auffassung,
dass die Landesverweisung im wesentlichen nicht Strafe, sondern sichernde
Massnahme sei und im Gesetz daher richtiger bei den Massnahmen als bei
den Nebenstrafen eingefügt worden wäre. Verhielte es sich so, so wäre
für ihre Anordnung und Bemessung der Sicherungszweck ausschlaggebend,
und auf das Verschulden und die persönlichen Verhältnisse des Täters
käme wenig an. Tatsächlich wurde die Landesverweisung aber bewusst und
gewollt als Nebenstrafe in das Gesetz aufgenommen, mit der Folge, dass
Art. 63 darauf Anwendung findet. Bei den schweren Folgen, die sie für
den Verurteilten haben kann, ist das auch verständlich und entspricht dem
Schuldprinzip des Strafgesetzbuches. Damit ist der Sicherungszweck nicht
ausgeschaltet. Dies umso weniger, als nach Art. 42 Ziff. 1 a.E. für den
ausländischen Gewohnheitsverbrecher die Landesverweisung Ersatz sein kann
für die Verwahrung, welche in erster Linie die Sicherung der Öffentlichkeit
bezweckt (vgl. zum letzten BGE 84 IV 148). Bei der Landesverweisung
kommt dem Sicherungszweck eine richtunggebende Funktion zu, nur darf
diese die Entscheidung nicht mehr oder weniger allein beherrschen. Sache
des Richters ist es, im einzelnen Falle den Ausgleich zwischen dem Straf-
und dem Sicherungszweck der Landesverweisung zu finden.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer ist ein 42 jähriger gemeingefährlicher
Berufsverbrecher, bei dem wenig Aussicht besteht, dass er seine Gesinnung
und Lebensführung noch wesentlich ändern werde. Daher liegt es im Interesse
des Landes, ihn dauernd von der Schweiz fernzuhalten, soweit das mit der
Landesverweisung überhaupt möglich ist.

    Landesverweisung auf Lebenszeit für drei Einbruchsdiebstähle ist
freilich auch unter Berücksichtigung von Vorleben und Persönlichkeit
des Beschwerdeführers eine weitgehende zusätzliche Sanktion neben der
Freiheitsstrafe.

    Besondere Bedeutung kommt anderseits den persönlichen Verhältnissen
zu. Die Wirkung der Landesverweisung ist für den Täter je nach seinen
Beziehungen zum Gastlande eine ganz verschiedene. Der Ausländer, der in
der Schweiz verwurzelt ist, hier seine Familie und seine berufliche
Existenz hat, wird durch die Landesverweisung unverhältnismässig
härter getroffen als derjenige, den keine engern Beziehungen mit dem
Lande verbinden. Der Beschwerdeführer hat, abgesehen vom Aufenthalt in
Flüchtlingslagern in den letzten beiden Kriegsjahren, nie in der Schweiz
gelebt. Zur Begehung der Diebstähle ist er nach der Feststellung der
Vorinstanz eigens aus dem Ausland in die Schweiz eingereist. Sein Vater
soll auf dem Golfplatz in Lugano angestellt sein, wohnt aber auf der
italienischen Seite der Grenze, die Mutter hat ihr Domizil in Lugano,
wo sie in einem Café-Restaurant arbeitet, die Schwester ist in Féchy
VD mit einem Schweizer verheiratet. Bei Landesverweisung auf Lebenszeit
wird der Beschwerdeführer somit die Mutter an ihrem Wohnort Lugano und
die Schwester an ihrem Wohnort in Féchy nicht mehr besuchen können. Beide
wohnen indessen nicht sehr weit von der Grenze entfernt, sodass sie ihn in
Italien, die Schwester unter Umständen auch in Frankreich, treffen können.

    Die Vorinstanz hat nicht allein auf das Bedürfnis nach Sicherung
abgestellt, Art. 55 StGB also nicht falsch aufgefasst. In Abwägung aller
Umstände kann auch nicht gesagt werden, sie habe mit der Verweisung auf
Lebenszeit das sachliche Ermessen überschritten.