Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 94 II 51



94 II 51

7. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. April 1968
i.S. S. gegen S. Regeste

    Berufung an das Bundesgericht; Streitwert.

    1.  Wird ein Prozess in zwei (oder mehrere) selbständige Verfahren
aufgeteilt, so beurteilt sich die Zulässigkeit der Berufung gegen die
in diesen Verfahren ergangenen Entscheide des obern kantonalen Gerichtes
für jeden dieser Entscheide gesondert (Erw. 1).

    2.  Das Bundesgericht setzt den Streitwert einer nicht auf Bezahlung
einer bestimmten Geldsumme gerichteten Klage ohne Rücksicht auf die
einschlägigen Bestimmungen des kantonalen Prozessrechts selbständig fest
(Art. 36 Abs. 2 OG). Bei einer Eigentumsklage ist der Verkehrswert
der streitigen Sachen massgebend. Welchen Preis ein Liebhaber dafür
zahlen würde, ist unerheblich. Auch ein für die Parteien bestehender
Affektionswert kommt nicht in Betracht. Folgen der Tatsache, dass der
vom Bundesgericht beigezogene Sachverständige einzelne Sachen aus vom
Berufungskläger zu verantwortenden Gründen nicht schätzen konnte (Erw. 2).

Sachverhalt

                      Gekürzter Tatbestand:

    Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte den S. am 17. März 1966
auf Klage seiner Mutter zur Herausgabe zahlreicher Fahrnisgegenstände. Der
Beklagte erklärte die Berufung an das Bundesgericht (die noch hängig ist)
und erhob ausserdem kantonale Nichtigkeitsbeschwerde. Das Kassationsgericht
des Kantons Zürich wies die Sache am 9. Dezember 1966 zur Abklärung der
Eigentumsverhältnisse an vier Gegenständen (Wellenschrank, Landschaftsbild
"Benken", zwei Familienportraits) an das Obergericht zurück. Im übrigen
wies es die Nichtigkeitsbeschwerde ab. Das Obergericht fällte daraufhin
am 9. März 1967 ein neues Urteil, das den Beklagten zur Herausgabe
der erwähnten vier Gegenstände verpflichtete. Im Zusammenhang mit
der Kostenfrage bemerkte das Obergericht, die Zeugen hätten über den
Wert dieser vier Gegenstände nichts aussagen können; dagegen habe der
Beklagte den Streitwert auf mehr als Fr. 8000.-- beziffert, während die
Klägerin einen Streitwert von höchstens Fr. 6000.-- annehme; es bestehe
kein Anlass, "dem Streite nicht den höhern Betrag zu Grunde zu legen
(vgl. auch § 26 Abs. 2 ZPO)."

    Auch gegen dieses neue Urteil des Obergerichts legte der Beklagte
Berufung an das Bundesgericht ein. Der gemäss Art. 36 Abs. 2 OG mit
der Schätzung des Verkehrswerts der vier Streitgegenstände beauftragte
Sachverständige erklärte in seinem Schätzungsbericht vom 9. November 1967,
der Wellenschrank habe einen "sichern Verkehrswert" von Fr. 6000.--; falls
"der Liebhaber des Stückes im Zeitraum von ca. 3-6 Monaten gesucht werden"
könne, scheine auch ein Erlös von Fr. 8000.-- durchaus möglich. Die
drei Bilder wurden dem Sachverständigen nicht vorgezeigt, so dass er
sie nicht schätzen konnte. Der Beklagte behauptete zunächst, er sei
gesundheitlich ausserstande, die Bilder zu suchen oder durch Dritte
suchen zu lassen. Nachdem ihn ein Arztzeugnis vom 20. November 1967
als zur Überwachung solcher Arbeiten fähig erklärt hatte, liess er dem
Bundesgericht am 14. Dezember 1967 mitteilen, die Nachforschung nach den
Bildern sei erfolglos geblieben, weil er zu zahlreichen Schränken usw. die
Schlüssel nicht besitze. Am 12. Februar 1968 berichtete sein Vertreter,
die Bilder seien auch bei einer Durchsuchung der Wohnung mit Hilfe eines
Schlossers nicht gefunden worden; der Beklagte erkläre, im Protokoll
über den bezirksgerichtlichen Augenschein vom 28. Januar 1965, wo ein
Bild "Benken" als im Wohnzimmer des Beklagten vorhanden erwähnt wird,
müsse es sich um eine irrtümliche Bezeichnung eines andern Bildes handeln.

    Das Bundesgericht tritt auf die Berufung gegen das Urteil des
Obergerichts vom 9. März 1967 nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Begründung:

Erwägung 1

    1.- Das Obergericht ging in seinem Urteil vom 9. März 1967
davon aus, sein Urteil vom 17. März 1966 sei durch den Entscheid des
Kassationsgerichts vom 9. Dezember 1966 nicht als ganzes, sondern nur mit
Bezug auf die in diesem Entscheid genannten vier Gegenstände aufgehoben
worden; daher sei im zweiten obergerichtlichen Verfahren nur noch über
den Anspruch auf Herausgabe dieser vier Gegenstände zu befinden. Das
Kassationsgericht stimmte dieser Auffassung in seinem Entscheide vom
7. Juni 1967 ausdrücklich zu. Der mit Klage vom 24. November 1964
eingeleitete Prozess wurde also durch den Rückweisungsentscheid des
Kassationsgerichtes vom 9. Dezember 1966 in zwei selbständige Verfahren
aufgeteilt. Ob eine solche Trennung zulässig sei, ist in Fällen wie dem
vorliegenden, wo die mit der ursprünglichen Klage gestellten Begehren
nicht eine notwendige Einheit bilden, ausschliesslich eine Frage des
kantonalen Prozessrechts, die das Bundesgericht im Berufungsverfahren
nicht zu prüfen hat (Art. 43 OG). Der Beklagte wendet denn auch gegen
die erfolgte Aufteilung des Verfahrens nichts ein.

    Wird ein Prozess in zwei (oder mehrere) selbständige Verfahren
zerlegt, so beurteilt sich die Zulässigkeit der Berufung gegen die in
diesen Verfahren ergangenen Entscheide der obern kantonalen Gerichte
(hier: gegen die vom Kassationsgericht nicht aufgehobenen Bestimmungen des
Obergerichtsurteils vom 17. März 1966 und gegen das Obergerichtsurteil
vom 9. März 1967) für jeden dieser Entscheide gesondert (LEUCH, Die ZPO
für den Kanton Bern, 3. Aufl., N. 1 a.E. zu Art. 139, S. 155).

    Die Berufung gegen das Urteil des Obergerichts vom 9. März 1967 ist
also nur zulässig, wenn der Streitwert nach Massgabe der Rechtsbegehren,
wie sie im zweiten Verfahren vor Obergericht noch streitig waren,
wenigstens Fr. 8000.-- beträgt (Art. 46 OG).

Erwägung 2

    2.- Im zweiten obergerichtlichen Verfahren war noch der Anspruch
auf Herausgabe des Wellenschranks, des Bildes "Benken" und der beiden
Familienportraits streitig.

    Geht die Klage nicht auf Bezahlung einer bestimmten Geldsumme, so
setzt das Bundesgericht den Streitwert gemäss Art. 36 Abs. 2 OG von Amtes
wegen auf summarischem Wege nach freiem Ermessen fest, nötigenfalls nach
Befragung eines Sachverständigen. Bestimmungen kantonaler Prozessgesetze,
wonach in solchen Fällen grundsätzlich der dem Streitgegenstand von den
Parteien übereinstimmend beigelegte Wert massgebend ist und wonach bei
Uneinigkeit der Parteien im Zweifel für den höhern Betrag zu entscheiden
ist (so §§ 25 Abs. 1 und 26 Abs. 2 der zürch. ZPO; vgl. GULDENER,
Schweiz. Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 102 Ziff. 4, mit Hinweisen auf
weitere kantonale Bestimmungen dieser Art), sind für das Verfahren vor
Bundesgericht ohne Bedeutung.

    Bei Eigentumsklagen entspricht der Streitwert dem Verkehrswert der
streitigen Sachen (BIRCHMEIER, Handbuch des OG, N. 3a zu Art. 36, S. 41;
LEUCH aaO N. 2a am Ende zu Art. 137, S. 148).

    Der Sachverständige legte dem streitigen Wellenschrank einen
Verkehrswert von Fr. 6000.-- bei. Diese Schätzung ist massgebend. Für
die Ermittlung des Streitwertes ist unerheblich, dass sich möglicherweise
mit einiger Geduld ein Liebhaber finden liesse, der mehr zahlen würde.

    Die drei Bilder konnte der Sachverständige nicht schätzen,
weil der Beklagte sie ihm nicht vorzeigte, obwohl er sich noch in der
Berufungsschrift vom 10. März 1967 auf seinen Besitz daran berufen hatte
und laut Arztzeugnis vom 20. November 1967 wenigstens von diesem Tage
an imstande gewesen wäre, die nötigen Vorkehren zu veranlassen und zu
überwachen. Die erstmals am 12. Februar 1968 aufgestellte Behauptung, im
Protokoll über den Augenschein vom 28. Januar 1965 müsse irrtümlich ein
anderes Bild als das Bild "Benken" bezeichnet worden sein, ist neu und
nicht zu hören. Sie ist im übrigen wenig glaubhaft. Der Beklagte trägt
also die Verantwortung dafür, dass der Sachverständige die drei Bilder
nicht schätzen konnte. Den Verkehrswert der drei Bilder ohne Besichtigung
annähernd zu bestimmen, ist nicht möglich. Auf jeden Fall kann ihnen nicht
ein Verkehrswert von Fr. 2000.-- beigelegt werden, wie es nötig wäre,
damit der Streitwert des Begehrens aufHerausgabe dieser Bilder und des auf
Fr. 6000.-- geschätzten Wellenschranks die Berufungssumme von Fr. 8000.--
erreichen würde. Irgendwelche Anhaltspunkte für einen erheblichen Wert der
drei Bilder liegen nicht vor. Man weiss nicht einmal, wer sie gemalt hat.
Dass nach der Darstellung des Vertreters des Beklagten im Schreiben vom 12.
Februar 1968 beide Parteien an diesen Bildern "hängen", weil sie mit der
Familiengeschichte verbunden sein sollen, ist unerheblich, weil bei der
Feststellung des Streitwertes ein blosser Affektionswert nicht in Betracht
kommt (BGE 37 II 142 Erw. 3; zustimmend BIRCHMEIER N. 3c zu Art. 36
OG, S. 41 unten; vgl. auch BGE 87 II 290 ff., wo sogar erklärt wurde,
das blosse Affektionsinteresse an einer Sache falle bei der Berechnung
des Schadens im Sinne von Art. 41 und 97 OR ausser Betracht). Aus dem
gleichen Grunde kommt auch nichts darauf an, dass der Wellenschrank nach
der Eingabe vom 12. Februar 1968 ein "Erb- und Familienstück" sein soll.

    Unter den gegebenen Umständen kann also nicht angenommen werden,
der Streitwert im Sinne von Art. 46 OG erreiche Fr. 8000.--.