Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 94 II 220



94 II 220

37. Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. November 1968 i.S. Salcher
gegen Weisseisen. Regeste

    Vaterschaftsklage auf Vermögensleistungen. Zuständigkeit.  Anwendbares
Recht.

    1.  Schweizerische oder ausländische Kläger können einen im Ausland
wohnenden Ausländer gemäss Art. 312 Abs. 1 ZGB an ihrem schweizerischen
Wohnsitze belangen (Erw. 2, 3; Bestätigung der Rechtsprechung).

    2.  Der erste Wohnsitz des ausserehelichen Kindes befindet sich am
Sitz der Vormundschaftsbehörde, die ihm nach Art. 311 ZGB einen Beistand
bestellt hat (Erw. 4, 5; Änderung der Rechtsprechung).

    3.  Der Beistand ist in der Regel von der Vormundschaftsbehörde am
Wohnsitz der Mutter zur Zeit der Geburt zu bestellen. Ist die Mutter jedoch
eine minderjährige Ausländerin, die zwar in der Schweiz wohnt und arbeitet,
deren Eltern aber im Ausland leben, so ist dem Kind an demjenigen Ort in
der Schweiz ein Beistand zu bestellen, wo die Mutter zur Zeit der Geburt
tatsächlich den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen hatte und nur deshalb
noch keinen Wohnsitz besass, weil sie noch minderjährig war (Erw. 6).

    4.  Klagt das Kind an seinem durch den Sitz der Vormundschaftsbehörde
bestimmten Wohnsitz, so wird dadurch auch der Gerichtsstand für die Klage
der Mutter festgelegt und umgekehrt (Gerichtsstand des Sachzusammenhangs;
Erw. 6 Abs. 3).

    5.  Das Gericht hat nicht zu prüfen, ob die Vormundschaftsbehörde,
die den Beistand ernannte, hiefür nach den konkreten Umständen örtlich
zuständig war (Erw. 6, letzter Absatz).

    6.  Die vor einem schweizerischen Gericht erhobene Klage eines
österreichischen Kindes mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz gegen
einen Österreicher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Osterreich beurteilt
sich nach schweizerischem Recht (Art. 1 und 2 des Haager Übereinkommens
vom 24. Oktober 1956 über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber
Kindern anzuwendende Recht; Erw. 7).

Sachverhalt

    Die Österreicherin Frl. Salcher, geb. 17. April 1947, die in
Schönenwerd (Kanton Solothurn) wohnt und dort in einer Fabrik arbeitet und
deren Eltern in Österreich leben, gebar am 31. Dezember 1965 in Schönenwerd
ein Mädchen. Die Vormundschaftsbehörde Schönenwerd ernannte am 13. Januar
1966 auf Grund von Art. 311 ZGB Notar Meier in Schönenwerd zum Beistand
des Kindes. Dieser reichte namens des Kindes am 29. September 1966 gegen
den Österreicher Weisseisen, der bis Mitte 1965 in der Schweiz gearbeitet
hatte und seither in Klagenfurt (Österreich) wohnt, beim Amtsgericht Olten-
Gösgen Vaterschaftsklage auf Leistung von Unterhaltsbeiträgen ein.

    Der Beklagte bestritt die örtliche Zuständigkeit des angerufenen
Gerichts.

    Mit Entscheid vom 18. April/10. Mai 1967 verwarf das Amtsgericht
diese Einrede. Das Obergericht des Kantons Solothurn, an das der Beklagte
appellierte, hiess sie dagegen mit Entscheid vom 6. März 1968 gut.

    Gegen den Entscheid des Obergerichts hat die Klägerin die Berufung
an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag, ihn aufzuheben und die
Unzuständigkeitseinrede abzulehnen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- ... (Prozessuale Fragen).

Erwägung 2

    2.- Es besteht kein internationaler Vertrag, der mit Wirkung für
die Schweiz und für Österreich bestimmen würde, in welchem Lande eine
Vaterschaftsklage anzubringen ist, die für ein in der Schweiz geborenes
und hier lebendes aussereheliches Kind einer Österreicherin gegen einen
in Österreich wohnenden Österreicher eingeleitet werden soll. Das Haager
Übereinkommen vom 24. Oktober 1956 über das auf Unterhaltsverpflichtungen
gegenüber Kindern anzuwendende Recht (AS 1964 S. 1279 ff.), dem die
Schweiz und Österreich beigetreten sind, enthält keine Bestimmungen über
die Zuständigkeit der Gerichte. Das Haager Übereinkommen vom 15. April
1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf
dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern (AS 1964 S. 1283
ff.), dem die Schweiz und Österreich angehören, stellt ebenfalls keine
Zuständigkeitsvorschriften auf, die den internen Gerichtsstandsvorschriften
der Vertragsstaaten vorgingen, sondern behandelt die Zuständigkeit nur
insoweit, als sie eine Bedingung der Anerkennung und Vollstreckung
eines Urteils in einem andern Vertragsstaat ist (BGE 92 II 84 ff.,
bes. 86). Auch die auf die Gerichtsbarkeit bezüglichen Bestimmungen des
schweizerisch-österreichischen Vertrags vom 16. Dezember 1960 über die
Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen (AS 1962 S. 265
ff.) haben nur diese beschränkte Bedeutung (vgl. BGE 92 II 85 Erw. 2).

    Wird die internationale Zuständigkeit nicht durch einen Staatsvertrag
geregelt, so ist sie vom angerufenen schweizerischen Gericht nach den
Konfliktsregeln des eigenen Rechts zu beurteilen.

Erwägung 3

    3.- Die schweizerische Gesetzgebung enthält keine besondere
Bestimmung über die internationale Zuständigkeit für die Beurteilung
von nur auf Vermögensleistungen gerichteten Vaterschaftsklagen gegen im
Ausland wohnende Ausländer. Insbesondere ist das Bundesgesetz über die
zivilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter von
1891 (NAG) auf solche Klagen nicht anwendbar (BGE 77 II 120, letzter Absatz
von Erw. 1, und 79 II 347). Mangels einer Sondervorschrift wendet die
ständige Rechtsprechung des Bundesgerichts den Art. 312 Abs. 1 ZGB auch auf
Fälle der genannten Art an. Sie lässt demgemäss zu, dass schweizerische
oder ausländische Kläger einen im Ausland wohnenden Ausländer am
schweizerischen Wohnsitz der klagenden Partei zur Zeit der Geburt auf
Vermögensleistungen belangen (BGE 89 II 115 ff. Erw. 2 mit Hinweisen;
92 II 86). Ob das schweizerische Urteil im Ausland anerkannt werde, ist
dabei unerheblich (BGE 92 II 87 d mit Hinweisen). Im übrigen ist nicht zu
erwarten, dass dem Sachurteil im vorliegenden Prozess die Anerkennung in
Österreich wegen Unzuständigkeit der schweizerischen Gerichte verweigert
werde. Nach Art. 3 Ziff. 2 des Haager Übereinkommens vom 15. April 1958
sind nämlich im Sinne dieses - die Zuständigkeit nach Erwägung 2 hievor
nur als eine Voraussetzung der Anerkennung und Vollstreckung behandelnden
- Abkommens für den Erlass von Unterhaltsentscheiden u.a. die Behörden
des Staates zuständig, in dessen Gebiet der Unterhaltsberechtigte im
Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt
hatte, und dieser Staat ist für die Klägerin die Schweiz.

    Die Frage, ob die klagende Partei im Sinne von Art. 312 ZGB zur
Zeit der Geburt des Kindes in der Schweiz Wohnsitz hatte und wo sich
gegebenenfalls dieser Wohnsitz befand, beurteilt sich nach schweizerischem
Recht (BGE 85 II 320 Erw. 1, 89 II 114).

Erwägung 4

    4.- Ein aussereheliches Kind steht nur dann unter der
elterlichen Gewalt der Mutter oder allenfalls des Vaters, wenn die
Vormundschaftsbehörde es gemäss Art. 324 Abs. 3 oder 325 Abs. 3 ZGB
unter diese Gewalt gestellt hat (BGE 49 II 151, 50 I 390), worauf nach
dem ZGB weder die Mutter noch der Vater einen Anspruch haben (BGE 87 I
212). Solange die Vormundschaftsbehörde, wie es im vorliegenden Falle
zutrifft, eine solche Anordnung nicht getroffen hat, ist also die in
Art. 25 Abs. 1 ZGB enthaltene Vorschrift, wonach der Wohnsitz von Vater
und Mutter als Wohnsitz der unter ihrer Gewalt stehenden Kinder gilt, auf
ein aussereheliches Kind nicht anwendbar (BGE 50 I 391, 56 II 5, 69 II 340
unten). Gleichwohl hat die Staatsrechtliche Abteilung des Bundesgerichts in
BGE 44 I 64 Erw. 2 entschieden, das aussereheliche Kind teile den Wohnsitz
der Mutter zur Zeit der Geburt, weil unter der Vormundschaftsbehörde,
der durch Art. 311 und 324 Abs. 3 ZGB gewisse Pflichten und Rechte
gegenüber dem Kinde übertragen werden, nur die Vormundschaftsbehörde des
Wohnsitzes der Mutter verstanden werden könne, sofern sie einen solchen
in der Schweiz habe; die Vormundschaftsbehörde habe unter Umständen schon
vor der Geburt des Kindes Anordnungen zu treffen, in einem Zeitpunkt,
wo von einem selbständigen Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Kindes von
vornherein nicht die Rede sein könne; wenn die vormundschaftliche Fürsorge
erst nach der Geburt eintrete, werde sie mit Rücksicht darauf, dass das
Kind zunächst der Mutter zur Pflege und Hut angehöre, richtigerweise
der für die Mutter zuständigen Vormundschaftsbehörde ihres Wohnsitzes
übertragen; dabei bleibe es auch, wenn am - davon verschiedenen -
Ort der Geburt ein Beistand bestellt wurde; denn die Beistandschaft -
auch jene nach Art. 311 ZGB - begründe im Gegensatz zur Vormundschaft
keinen gesetzlichen Wohnsitz. In Abweichung von diesem Entscheide lehnte
die Staatsrechtliche Abteilung in BGE 50 I 391 Erw. 3 die Anknüpfung an
den Wohnsitz der Mutter ab und nahm an, der Wohnsitz des ausserehelichen
Kindes befinde sich entweder an seinem jeweiligen Aufenthaltsort oder -
eher - am Sitz der nach den konkreten Umständen zur Fürsorge berufenen
Vormundschaftsbehörde (was im Zweifel die Behörde des Aufenthaltsorts
des Kindes sei). Die II. Zivilabteilung des Bundesgerichts, an welche
die Befugnis zur Beurteilung von bundesrechtlich geregelten Fragen der
sachlichen und örtlichen Zuständigkeit in Familienrechtssachen im Jahre
1929 wenigstens zum Teil und am 1. Januar 1945 mit dem Inkrafttreten
des geltenden OG ganz überging (vgl. BIRCHMEIER, Handbuch des OG, S. 173
ff.), folgte indessen der ursprünglichen Auffassung der Staatsrechtlichen
Abteilung, wonach der Wohnsitz der Mutter zur Zeit der Geburt als erster
Wohnsitz des Kindes gilt (BGE 56 II 4 Erw. 3, 61 II 146, 67 II 82, 69 II
340 Erw. 3, 89 II 116 unten).

    Im Schrifttum sind die Meinungen geteilt. In ihren Kommentaren zum
Personenrecht erklären HAFTER (2. Aufl. 1919, N. 13 zu Art. 25 ZGB)
und EGGER (2. Aufl. 1930, N. 5 zu Art. 25 ZGB), der Wohnsitz der Mutter
gelte erst nach Unterstellung des ausserehelichen Kindes unter ihre
elterliche Gewalt als Wohnsitz des Kindes. KAUFMANN (2. Aufl. 1924,
N. 11 zu Art. 396 ZGB) hält dafür, als Wohnsitz des Kindes, nach dem
sich im Falle der Beistandsbestellung nach der Geburt die Zuständigkeit
zur Anordnung dieser Massnahme richte, müsse gemäss Art. 24 Abs. 2 ZGB
der Aufenthaltsort des Kindes gelten. Diese Auffassung teilt SILBERNAGEL
(2. Aufl. 1927, N. 43 zu Art. 311 ZGB). In seinem Familienrechtskommentar
(2. Aufl., 2. Abt., 1943) sagt EGGER in Zustimmung zu den (1930 ergangenen)
Entscheiden BGE 56 II 4 und 56 I 142 f., zur Bestellung eines Beistands
für ein aussereheliches Kind sei die Vormundschaftsbehörde am Wohnsitz
der Mutter zur Zeit der Geburt zuständig (N. 5 zu Art. 311 ZGB). Unter
Bezugnahme hierauf bemerkt er bei Behandlung des Art. 312 ZGB (N. 7),
der Wohnsitz des Kindes zur Zeit der Geburt befinde sich dort, wo seine
Mutter wohnte. Auch SPECKER (Der Wohnsitz des ausserehelichen Kindes,
Zeitschrift für Vormundschaftswesen 1947 S. 1 ff.) schliesst sich der
herrschenden Rechtsprechung an. Das gleiche dürfte (wenigstens de lege
lata) für HEGNAUER und LALIVE gelten (ZSR 1965 II S. 54 mit Fussnote 6,
S. 108 ff., S. 746 mit Fussnote 550).

    Folgt man vorbehaltlos der dargestellten neuern Rechtsprechung
und Lehre und den Entscheiden, wonach nicht bei ihren Eltern lebende
erwerbstätige Minderjährige bei Arbeit in unselbständiger Stellung (BGE
67 II 83, 69 II 340 Erw. 2, 76 I 302, 80 I 187 Erw. 2 im Gegensatz zu
BGE 45 II 244 Erw. 2), ja sogar bei Erwerbstätigkeit in selbständiger
Stellung (BGE 85 III 164 Erw. 2) gemäss Art. 25 Abs. 1 ZGB den Wohnsitz
ihrer Eltern teilen, so ist der Vorinstanz darin beizustimmen, dass die
Klägerin zur Zeit der Geburt mit ihrer damals noch minderjährigen Mutter
bei deren Eltern in Österreich Wohnsitz hatte und daher nicht im Kanton
Solothurn, wo die Mutter als Fabrikarbeiterin lebte, klagen konnte.

    Das Amtsgericht, das zum gegenteiligen Schluss gelangt war, hatte
nicht in Zweifel gezogen, dass die Klägerin den Wohnsitz ihrer Mutter
teile, aber angenommen, bei einer minderjährigen Ausländerin, die wie die
Mutter der Klägerin ferne von ihren im Ausland wohnenden Eltern in der
Schweiz arbeitet und hier zu bleiben gedenkt, lasse sich die Fiktion, ihr
Wohnsitz befinde sich bei ihren Eltern, nicht aufrechterhalten; vielmehr
sei einer solchen Ausländerin ein selbständiger Wohnsitz in der Schweiz
zuzuerkennen. Ob und allenfalls unter welchen Voraussetzungen erwerbstätige
Minderjährige entgegen der herrschenden Rechtsprechung einen selbständigen
Wohnsitz begründen können (vgl. die kritische Besprechung des Entscheides
BGE 67 II 80 ff. durch DESCHENAUX in JdT 1941 I 594 ff.; im Sinne der
herrschenden Praxis SPECKER, Zeitschrift für Vormundschaftswesen 1948
S. 1 ff., HEGNAUER N. 70 zu Art. 273, N. 83 zu Art. 295 und N. 54 zu
Art. 296 ZGB, sowie GROSSEN, Schweiz. Privatrecht II S. 348), braucht
indessen im vorliegenden Falle nicht geprüft zu werden, wenn sich ergibt,
dass der Klägerin ein vom Wohnsitz ihrer Mutter unabhängiger Wohnsitz in
der Schweiz zuzugestehen ist.

Erwägung 5

    5.- Da das aussereheliche Kind unstreitig nicht schon mit der Geburt
unter die elterliche Gewalt seiner Mutter gelangt und die Mutter auf
die Einräumung dieser Gewalt keinen Anspruch hat und sie auch nicht etwa
regelmässig erhält (vgl. HEGNAUER, ZSR 1965 II 141 f. mit Fussnote 31),
lässt sich, wie schon bemerkt, aus Art. 25 Abs. 1 ZGB nicht ableiten,
dass der Wohnsitz der Mutter zur Zeit der Geburt als erster Wohnsitz
des Kindes zu gelten habe. Es waren denn auch mehr praktische Gründe,
welche die Rechtsprechung zu diesem Schlusse führten. Der Umstand, dass
die aussereheliche Mutter gemäss Art. 324 Abs. 2 ZGB für ihr Kind zu sorgen
hat wie für ein eheliches, reicht nicht aus, um die entsprechende Anwendung
der in Art. 25 Abs. 1 ZGB enthaltenen Regel, wonach der Wohnsitz von Vater
und Mutter als Wohnsitz der unter ihrer Gewalt stehenden Kinder gilt, zu
rechtfertigen. (Im vorliegenden Fall hat übrigens die Mutter gemäss einem
Schreiben des Beistandes der Klägerin an den österreichischen Anwalt des
Beklagten vom 5. Dezember 1966 unmittelbar nach der Geburt auf ihr Kind
"verzichtet", worauf es durch ein schweizerisches Fürsorgewerk einem
kinderlosen Ehepaar anvertraut wurde.)

    Der Sitz der Vormundschaftsbehörde gilt nach Art. 25 Abs. 1 ZGB nur als
Wohnsitz der bevormundeten Person. Die verbeiständeten Personen werden in
Art. 25 Abs. 1 ZGB nicht erwähnt. Die Errichtung einer Beistandschaft (oder
Beiratschaft) hat daher grundsätzlich keinen Einfluss auf den Wohnsitz
der betroffenen Person (BGE 42 I 374/75, 44 I 65). Die Beistandschaft
für ein aussereheliches Kind nach Art. 311 ZGB ist jedoch, was in BGE
44 I 65 zu wenig gewürdigt wurde, eine Beistandschaft besonderer Art.
Sie beschränkt sich nicht wie die Vertretungsbeistandschaft nach
Art. 392 ZGB auf die Vertretung in bestimmten Angelegenheiten oder wie
die Verwaltungsbeistandschaft im Sinne von Art. 393 und die Beiratschaft
im Sinne von Art. 395 ZGB auf den Schutz wirtschaftlicher Interessen,
sondern der Beistand eines ausserehelichen Kindes hat nach Art. 311 ZGB
dessen Interessen ganz allgemein zu wahren. Er hat nicht nur die Rechte
des Kindes gegenüber dem Vater durchzusetzen, sondern u.a. auch die
Pflege des Kindes zu überwachen (SILBERNAGEL, 2. Aufl., N. 21, und EGGER,
2. Aufl., N. 9 zu Art. 311 ZGB). Er hat also wie der Vormund (Art. 367
Abs. 1, 405/406 ZGB) auch Aufgaben auf dem Gebiet der persönlichen
Fürsorge. Die Beistandschaft nach Art. 311 ZGB kann, da die Regelung
der Vaterschaftsangelegenheit nicht selten mehrere Jahre beansprucht,
längere Zeit dauern. Sie gleicht also weitgehend einer Vormundschaft. Es
rechtfertigt sich daher, das nach Art. 311 ZGB verbeiständete Kind unter
dem Gesichtspunkte von Art. 25 Abs. 1 ZGB einer bevormundeten Person
gleichzustellen und in entsprechender Anwendung dieser Bestimmung den
Sitz der Vormundschaftsbehörde, die den Beistand ernannt hat, als ersten
Wohnsitz des Kindes zu betrachten (vgl. HAFTER N. 13 zu Art. 25 ZGB,
wo bemerkt wird, die Beistandschaft im Sinne von Art. 311 hätte in Art.
25 Abs. 1 genannt werden sollen; in analoger Rechtsanwendung habe zunächst
der Wohnsitz der Vormundschaftsbehörde als Wohnsitz des Kindes, dem ein
Beistand bestellt wurde, zu gelten).

Erwägung 6

    6.- Falls die Mutter zur Zeit der Geburt unzweifelhaft in der Schweiz
Wohnsitz hatte, führt diese Lösung in der Regel praktisch zum gleichen
Ergebnis wie die Auffassung, der erste Wohnsitz des ausserehelichen
Kindes richte sich nach dem Wohnsitz der Mutter zur Zeit der Geburt;
denn für das Kind einer Frau, die in diesem Zeitpunkt klarerweise in
der Schweiz Wohnsitz hatte, wird die Beistandschaft richtigerweise von
der Vormundschaftsbehörde des betreffenden Ortes errichtet. Auf dieser
Annahme beruht Art. 125 Abs. 1 ZStV, der unter Hinweis auf Art. 368 und
311 ZGB bestimmt, von der Geburt eines ausserehelichen Kindes mache der
Zivilstandsbeamte des Geburtsortes Mitteilung an die Vormundschaftsbehörde
des Wohnsitzes der Mutter (und an die kantonale vormundschaftliche
Aufsichtsbehörde des Heimatkantons der Mutter).

    Handelt es sich dagegen wie im vorliegenden Falle um das Kind
einer Ausländerin, die zur Zeit der Geburt zwar in der Schweiz wohnte
und arbeitete, aber wegen ihrer Minderjährigkeit jedenfalls nach der
herrschenden Rechtsprechung keinen selbständigen Wohnsitz hatte, sondern
den Wohnsitz ihrer im Ausland wohnenden Eltern teilte, so ist der Vorteil,
den Art. 312 ZGB der klagenden Partei mit der Einräumung des Gerichtsstands
ihres schweizerischen Wohnsitzes zur Zeit der Geburt bieten will, dem Kinde
nur dann zuverlässig und in zweckentsprechender Weise gewährleistet, wenn
angenommen wird, dem Kinde sei auch in einem solchen Falle ein Beistand
in der Schweiz zu ernennen und der erste Wohnsitz des Kindes befinde sich
unabhängig vom Wohnsitz der Mutter am Sitz der den Beistand bestellenden
Vormundschaftsbehörde. Schon in BGE 44 I 65 war denn auch erklärt worden,
die Regel, wonach die Vormundschaftsbehörde des Wohnsitzes der Mutter
für die Massnahmen nach Art. 311 und 324 Abs. 3 ZGB zuständig ist, gelte,
"sofern sie (die Mutter) wenigstens einen solchen in der Schweiz besitzt",
und in BGE 56 II 7, wo die II. Zivilabteilung in Übereinstimmung mit BGE
44 I 65 f. dem Kinde den Wohnsitz der - in der Schweiz wohnenden - Mutter
zur Zeit der Geburt zuerkannte und die Zuständigkeit zur Fürsorge für
das Kind der Vormundschaftsbehörde dieses Ortes zuwies, wurde ausgeführt:
"Der Umstand, dass diese Lösung ausnahmsweise versagt, wenn nämlich die
Mutter zur Zeit der Geburt keinen Wohnsitz in der Schweiz hat, rechtfertigt
nicht, sie auch im Regelfall abzulehnen, für den sie als die zutreffendste
erscheint, sondern gebietet nur, für jenen Ausnahmefall eine andere,
den international-privatrechtlichen Beziehungen gerecht werdende Lösung
zu suchen." Im Sinne dieser Vorbehalte ist dem Kinde in Fällen wie dem
vorliegenden an demjenigen Ort in der Schweiz ein Beistand zu bestellen
und die Anbringung der Vaterschaftsklage zu gestatten, wo die Mutter zur
Zeit der Geburt tatsächlich den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen hatte
und nur deshalb noch keinen Wohnsitz besass, weil sie noch minderjährig
war. Diese Lösung steht im Einklang mit dem (für Österreich freilich
nicht geltenden) Haager Übereinkommen zur Regelung der Vormundschaft
über Minderjährige (BS 11 S. 800 ff.), das zwar grundsätzlich das Gesetz
des Heimatstaates als massgebend erklärt, in Art. 7 aber den Ortsbehörden
erlaubt, in dringenden Fällen die zum Schutz der Person und der Interessen
eines minderjährigen Ausländers erforderlichen Massregeln zu treffen
(vgl. BGE 61 II 146, 65 I 16 Erw. 3). Sie entspricht ferner der im
internationalen Privatrecht immer mehr zur Geltung kommenden Tendenz,
u.a. bei der Regelung der Zuständigkeit der Behörden an den gewöhnlichen
Aufenthalt einer Person anzuknüpfen (vgl. z.B. BGE 89 I 314 mit Hinweisen,
sowie Art. 1 des noch nicht in Kraft stehenden Haager Übereinkommens vom 5.
Oktober 1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende
Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen, BBl 1966 I 362).

    Der Annahme, das aussereheliche Kind könne einen vom Wohnsitz der
Mutter unabhängigen und von diesem verschiedenen Wohnsitz am Sitz der
den Beistand ernennenden Vormundschaftsbehörde haben, lässt sich nicht
entgegenhalten, hiedurch werde die wünschbare Einheit des Gerichtsstandes
für die Klagen von Mutter und Kind gefährdet; denn wenn das Kind an seinem
durch den Sitz der Vormundschaftsbehörde bestimmten Wohnsitz klagt, wird
dadurch auch der Gerichtsstand für die Klage der Mutter festgelegt und
umgekehrt (Gerichtsstand des Sachzusammenhangs; vgl. BGE 50 I 394 Erw. 4
und EGGER N. 9 zu Art. 312 ZGB).

    Für die Klägerin, deren Beistand von der Vormundschaftsbehörde
Schönenwerd ernannt wurde und deren Mutter nicht geklagt hat, konnte die
Klage daher beim Amtsgericht Olten-Gösgen, in dessen Amtskreis Schönenwerd
liegt, angebracht werden.

    Ob die Vormundschaftsbehörde, an deren Sitz der Beistand klagt, nach
den konkreten Umständen des Falles für die Anordnung der Beistandschaft
örtlich zuständig war, ist in dem vom Beistand eingeleiteten Prozesse
nicht zu prüfen, sondern die Beistandsbestellung ist für die Gerichte
verbindlich, solange sie nicht von den vormundschaftlichen Organen selbst
aufgehoben wird (BGE 55 II 325 Erw. 2, 58 I 290 Erw. 5). Für die Bejahung
der Zuständigkeit des Gerichts am Sitz der Vormundschaftsbehörde, die den
Beistand ernannt hat, muss genügen, dass es grundsätzlich möglich ist,
dass das Kind an diesem Orte seinen Wohnsitz hat. - Im vorliegenden
Falle steht im übrigen ausser Zweifel, dass die Vormundschaftsbehörde
Schönenwerd zur Anordnung der Beistandschaft örtlich zuständig war.

Erwägung 7

    7.- Es mag beigefügt werden, dass die vorliegende Klage nach Art. 1
Abs. 1 des Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltsverpflichtungen
gegenüber Kindern anzuwendende Recht materiell nach schweizerischem
Recht zu beurteilen ist, da das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in
der Schweiz hat. Abweichend von Art. 1 das eigene Recht für anwendbar
zu erklären, ist einem Vertragsstaate nach Art. 2 des Übereinkommens nur
gestattet, wenn die drei hier genannten Voraussetzungen zusammentreffen,
d.h., wenn der Unterhaltsanspruch vor einer Behörde dieses Staates
erhoben wird, die auf Unterhalt belangte Person und das Kind die
Staatsangehörigkeit dieses Staates besitzen und die auf Unterhalt belangte
Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat hat (Botschaft des
Bundesrates, BBl 1964 I 504). Die erste dieser Voraussetzungen ist im
vorliegenden Falle mit Bezug auf Österreich nicht erfüllt. Der Vorbehalt
im Sinne von Art. 2 des Übereinkommens, den Österreich wie die Schweiz
ausgesprochen hat (vgl. MÜLLER-FREIENFELS, Zum räumlich-persönlichen
Geltungsbereich Haager IPR Übereinkommen..., in Festschrift für Hans
G. Fricker, 1967, S. 291 Fussnote 11), kommt daher im vorliegenden Falle
nicht zur Geltung.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    In Gutheissung der Berufung wird das Urteil des Obergerichts
des Kantons Solothurn vom 6. März 1968 aufgehoben und werden die
solothurnischen Gerichte als zur Beurteilung der Klage örtlich zuständig
erklärt.