Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 94 II 141



94 II 141

25. Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. November 1968 i.S. Peiti gegen
Stoffel und Casty. Regeste

    Art. 518 ZGB: Stellung des Willensvollstreckers; Befugnis zur
Prozessführung als Partei bei der Austragung gerichtlicher Streitigkeiten
um Nachlassrechte (Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Dr. Rudolf Peiti ist testamentarisch eingesetzter
Willensvollstrecker des am 9. August 1964 verstorbenen Luigi Costa. Er
ist der Auffassung, der Erbschaft stehe aus einem Kaufvertrag vom
14. Dezember 1962, den der Erblasser mit Christian Stoffel und Roman Casty
abgeschlossen hatte, eine Forderung von Fr. 30'400.-- nebst Zins zu 5%
seit 15. Juni 1963 zu. Da diese ihre Schuld bestritten, klagte Dr. Peiti
als Willensvollstrecker des Luigi Costa beim Bezirksgericht Maloja mit dem
Begehren, Stoffel und Casty seien solidarisch zur Bezahlung der genannten
Summe nebst Zinsen, allenfalls je zur Hälfte unter solidarischer Haftung
für die ganze Summe zu verurteilen.

    B.- Das Bezirksgericht Maloja trat auf die Klage wegen fehlender
Aktivlegitimation des Klägers am 30. Januar 1968 nicht ein. Das
Kantonsgericht von Graubünden wies am 29./30. Mai 1968 Berufung und
Klage ab, im wesentlichen mit der Begründung: Die Aktivlegitimation sei
nicht Prozessvoraussetzung, sondern eine materielle Voraussetzung des
Anspruchs. Ihr Fehlen führe deshalb zur Klageabweisung. Im übrigen sei
der Auslegung der ersten Instanz bezüglich der bundesprivatrechtlichen
Vorschriften über den Willensvollstrecker beizupflichten. Danach sei
der Willensvollstrecker Vertreter des Nachlasses und könne somit nicht
in eigenem Namen klagen. Das ergebe sich auch aus Art. 40 Ziff. 5
der Bündner ZPO. Übrigens erkenne das Bundesgericht in BGE 90 II 376
dem Willensvollstrecker eine eigene Parteistellung nur zu, wenn es um
die in der Willensvollstreckung enthaltenen Befugnisse gehe. Aus diesem
Entscheid ergebe sich, dass dem Willensvollstrecker jedenfalls dann keine
Parteistellung zukomme, wenn nicht die Willensvollstreckung an sich
umstritten oder der Willensvollstrecker gezwungen sei, den Willen des
Erblassers gegen die Erben durchzusetzen. Demzufolge hätte richtigerweise
die Erbmasse, gesetzlich vertreten durch Dr. Peiti, klagen müssen.

    C.- Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung. Der
Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, seine
Aktivlegitimation zu bejahen und die Sache zur materiellen Behandlung an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

    D.- Die Berufungsbeklagten beantragen die Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist der
Willensvollstrecker in Prozessen um Aktiven und Passiven der
Erbschaft Partei, soweit ihm gemäss Art. 518 ZGB die Verwaltung der
betreffenden Erbschaftswerte zusteht (BGE 85 II 601, 80 III 14, 79
II 116, 71 III 163, 59 II 123, 54 II 200, 53 II 208; ferner 74 I 423
ff., wo bei der Beurteilung einer Grundbuchbeschwerde erklärt wurde,
der Willensvollstrecker verfüge über die Nachlassaktiven in eigenem
Namen, ohne Mitwirkung der Erben). Diese Auffassung wird überwiegend,
wenn auch in verschiedenen Abwandlungen, von Lehre und Schrifttum
vertreten (TUOR, Vb. zu Art. 517/518 ZGB N. 7 und N. 35 zu Art. 518;
ESCHER, N. 31-33 zu Art. 518 ZGB; GAUTSCHI, N. 53 b zu Art. 396 OR;
BRACHER, Der Willensvollstrecker insbesondere im zürcherischen
Zivilprozessrecht, S. 89 ff.; BLOCH, Zur Frage der Rechts- und
Prozessstellung des Willensvollstreckers und des unverteilten Nachlasses im
schweizerischen Recht, SJZ 1958 S. 344/45; JOST, Fragen aus dem Gebiete der
Willensvollstreckung, in Luzerner Festgabe zum Schweizerischen Anwaltstag,
S. 104; TORRICELLI, L'esecutore testamentario in diritto svizzero,
S. 196/97; LOB, Les pouvoirs de l'exécuteur testamentaire en droit suisse,
S. 67/68; BERLA, Das Verfügungsrecht des Willensvollstreckers, S. 52;
SEEGER, Die Rechtsstellung des Willensvollstreckers, S. 87; WILLENEGGER,
La nature juridique de l'exécution testamentaire d'après le CCS,
S. 69; WOLFENSBERGER, Beitrag zur Lehre von der Testamentsvollstreckung,
S. 33). Eine Minderheit bezweifelt, dass der Willensvollstrecker in eigenem
Namen auftreten könne, und bezeichnet ihn als Stellvertreter der Erben
(GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 176/77) oder
Vertreter der unverteilten Erbschaft (SCHREIBER, Die Rechtsstellung des
Willensvollstreckers, S. 60).

    Der Vorinstanz kann zunächst nicht beigepflichtet werden, wenn sie
aus BGE 90 II 376 ff. ableitet, das Bundesgericht habe die bisherige
Rechtsprechung verlassen und dem Willensvollstrecker im Streit um
Erbschaftsforderungen die Parteistellung versagen wollen. Wenn dort
(S. 381) unter Hinweis auf BGE 49 II 15 und 51 II 53 u.a. ausgeführt
wird, er (der Willensvollstrecker) sei in Prozessen, in denen es um die
Anfechtung der testamentarischen Regelung seiner Befugnisse geht, passiv
legitimiert, so wollte damit keineswegs seine Parteistellung in andern
Fällen ausgeschlossen werden. Das ergibt sich schon aus den nächsten Sätzen
dieses Urteils. Im gleichen Zusammenhang wird auf Seite 383 ausgeführt,
der Willensvollstrecker sei nicht materiell am Nachlass beteiligt, aber es
stehe ihm "ein selbständiges eigenes (d.h. im eigenen Namen auszuübendes)
Verfügungs- und Verwaltungsrecht" über das fremde Vermögen zu.

    Es besteht kein Grund, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Die
Auffassung GULDENERS (aaO, S. 118), der Willensvollstrecker führe
den Prozess als Stellvertreter der Erben und könne deshalb nicht
Partei sein (aaO, S. 176/77), ist abzulehnen; sie wird dem Institut der
Willensvollstreckung nicht gerecht. Anderseits ist die Erbschaft als solche
nicht parteifähig, da das schweizerische Recht keine "ruhende Erbschaft"
mit eigener Rechtspersönlichkeit kennt (BGE 79 II 116). Deshalb kann auch
der erwähnten Ansicht SCHREIBERS (aaO, S. 60) nicht beigetreten werden.
Abgesehen von den Fällen, wo der Willensvollstrecker in eigener Sache
als Partei auftritt (BGE 90 II 381, 51 II 53, 49 II 15), geht es
überhaupt nicht um die Frage seiner Aktiv- oder Passivlegitimation,
die vom materiellen Recht beherrscht wird. Unbestritten ist, dass der
Willensvollstrecker im Streit mit Dritten um Erbschaftswerte nicht um
seine eigene materielle Berechtigung kämpft (vgl. BGE 84 II 326/27,
81 II 31). Aus seiner gesetzlichen Stellung (Art. 518 in Verbindung
mit Art. 596 Abs. 1 ZGB) ergibt sich aber, dass er in eigenem Namen
die Nachlassrechte zu wahren hat. Bei der Austragung gerichtlicher
Streitigkeiten liegt demzufolge der Fall vor, dass ein Dritter (der
Willensvollstrecker) aus besonderen Gründen an Stelle des materiell
Berechtigten oder Verpflichteten den Prozess in eigenem Namen und als
Partei führen kann (vgl. GULDENER, aaO, S. 176; ESCHER, N. 31 zu Art. 518
ZGB; SEEGER, aaO, S. 87). Dabei hat er - wie dies im vorliegenden Fall
geschehen ist ("als Willensvollstrecker des Luigi Costa") - auf die
gesetzliche Ermächtigung hinzuweisen. Es handelt sich demzufolge nicht
um die Bejahung oder Verneinung der Sachlegitimation, sondern um die
Prozesstandschaft oder die Befugnis zur Prozessführung als Partei. Sie
steht dem Willensvollstrecker kraft Bundesprivatrechts zu, wie z.B. ähnlich
kraft kantonalen Zivilprozessrechts einer Partei, die den Streitgegenstand
während des Prozesses veräussert hat (vgl. BGE 94 I 312 ff.).

    Aus Obigem folgt, dass die Vorinstanz die Klage zu Unrecht abwies,
soweit sie diese Abweisung mit den Vorschriften des Bundesprivatrechts
begründete.

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz hat die Klageabweisung auch mit Art. 40 Ziff. 5
der Bündner ZPO begründet. Nach dieser Bestimmung werden Erbmassen
durch die Testamentsvollstrecker sowie durch die amtlich bestellten
Erbschaftsverwalter oder Erbenvertreter im Umfang der ihnen zustehenden
Befugnisse vertreten. Das Bundesgericht ist im Berufungsverfahren nicht
zuständig, die Frage zu prüfen, ob die Vorinstanz diese Bestimmung des
kantonalen Rechts in Bezug auf die Stellung des Willensvollstreckers
richtig ausgelegt habe. Es geht vorliegend jedoch nicht um die Anwendung
kantonalen Rechts. Das Institut der Willensvollstreckung ist vom
Bundeszivilrecht abschliessend geordnet. Dazu gehört die Befugnis
des Willensvollstreckers zur Prozessführung. Davon abweichende
kantonale Bestimmungen verletzen die derogatorische Kraft des
Bundesrechts. Insbesondere dürfen die Kantone keine prozessrechtlichen
Bestimmungen erlassen, welche die Verwirklichung des Bundeszivilrechts
verunmöglichen (vgl. HUBER, N. 45 ff. zu Art. 6 ZGB). Dem Gesagten zufolge
bleibt es dabei, dass die Berufung begründet ist.

Erwägung 3

    3.- Die Beklagten wenden in der Berufungsantwort - wie schon
vor der Vorinstanz - noch ein, der Kläger habe seine Legitimation als
Willensvollstrecker nicht bewiesen. Es sei unbestritten, dass Dr. Peiti
Willensvollstrecker des verstorbenen Luigi Costa sei. Dagegen stehe
der Umfang seiner Befugnisse nicht fest, da die letztwillige Verfügung
nicht vorgelegt worden sei. Es bestünden Anhaltspunkte dafür, dass die
umstrittene Angelegenheit nicht in seinen Geschäftsbereich falle.

    Zu diesem Einwand hat die Vorinstanz nicht Stellung genommen. Sie wird
dies in ihrem neuen Entscheid nachzuholen haben (vgl. ESCHER, Komm. zum
ZGB, N. 31 zu Art. 518 am Ende).

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichts
von Graubünden vom 29./30. Mai 1968 aufgehoben und die Sache zu neuer
Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.