Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 94 III 78



94 III 78

15. Auszug aus dem Entscheid vom 22. Mai 1968 i.S. Randegger. Regeste

    Ein bedingter Verzicht auf eine bereits vollzogene Pfändung
(insbesondere die Zustimmung zur einstweiligen "Sistierung" einer
vollzogenen Lohnpfändung) ist nicht zulässig. Hebt das Betreibungsamt
gestützt auf einen solchen Verzicht die Pfändung auf, so fällt
grundsätzlich die Betreibung als solche dahin. Umstände, unter denen
dem betreibenden Gläubiger nach Treu und Glauben (Art. 2 ZGB) nicht
entgegengehalten werden darf, die Betreibung sei infolge seiner
Verzichtserklärung dahingefallen.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Kurt und Robert Randegger betreiben ihren Vater Julius Randegger
gemeinsam für rückständige Unterhaltsbeiträge (Betreibungen Nr. 9675 und
2110). Am 13./23. Juni 1967 pfändete das Betreibungsamt Zürich 2 in diesen
(zur Gruppe Nr. 59 zusammengefassten) Betreibungen vom Lohn des Schuldners
Fr. 3.80 pro Arbeitsstunde.

    Nachdem der Schuldner regelmässige Zahlungen an die Gläubigervertreter
versprochen hatte, gaben diese am 7./8. Juli 1967 gegenüber dem
Betreibungsamte folgende "Erklärung" ab:

    "Auf Zusehen hin sind wir damit einverstanden, dass

    a) die verfügte Lohnpfändung mit sofortiger Wirkung sistiert wird,

    b) die Anzeige an den Arbeitgeber unterbleibt oder widerrufen wird,

    c) der Einzug der Lohngelder durch das Betreibungsamt unterbleibt.

    Wir haben davon Kenntnis, dass nach Ablauf der Lohnpfändungsdauer
für einen allfällig ungedeckten Betrag kein Verlustschein ausgestellt wird.

    Wir behalten uns das Recht des Widerrufs dieser Erklärung vor und
sind damit einverstanden, dass die Lohnpfändung sofort dann von Amtes
wegen angeordnet wird, wenn andere Gläubiger auf der Durchführung der
Lohnpfändung bestehen.

    Allfällig noch eingehende Lohngelder können dem Schuldner ausbezahlt
werden."

    Die Pfändungsurkunde, die auf diese Erklärung hinwies, wurde am
17. Juli 1967 versandt.

    B.- Am 27. November 1967 pfändete das Betreibungsamt Zürich 2
zugunsten der Gläubiger der Gruppe Nr. 129 "im Anschluss" an die Pfändung
zugunsten der Gruppe Nr. 59 vom Lohn des Schuldners wiederum Fr. 3.80 pro
Arbeitsstunde.

    Am 7. Dezember 1967 teilte das Betreibungsamt dem Schuldner mit, diese
neue Lohnpfändung bedinge die Wiederaufnahme der einstweilen sistiert
gewesenen Lohnpfändung in der Gruppe Nr. 59, und verfügte:

    "Vom Lohn des Schuldners ... werden mit Wirkung ab 27. November 1967
Fr. 3.80 pro Arbeitsstunde gepfändet, für die Pfändungsgläubiger in Gruppe
Nr. 59 längstens bis 13. Juni 1968."

    C.- Am 17. Dezember 1967 führte der Schuldner gegen die Verfügung vom
7. Dezember 1967 Beschwerde. Er machte u.a. geltend, die Pfändung zugunsten
der Gruppe Nr. 59 habe mit dem Einverständnis der Gläubigervertreter
"aufgehört" und sei folglich "nicht gültig".

    Die kantonalen Aufsichtsbehörden und das Bundesgericht weisen die
Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Bedingte Fortsetzungs- und Verwertungsbegehren sind unwirksam
(BGE 85 III 70 f.). Indem ein Gläubiger ein ohne Bedingung gestelltes
Begehren unter einer Bedingung, z.B. für den Fall der Leistung einer
bestimmten Teilzahlung durch den Schuldner zurückzieht, verwandelt er sein
Begehren nachträglich in ein bedingtes, d.h. in ein Begehren, das nur
beim Nichteintritt der fraglichen Bedingung, also z.B. bei Nichtleistung
der Teilzahlung, gelten soll und deshalb unzulässig ist. Der bedingte
Rückzug eines Fortsetzungs- oder Verwertungsbegehrens macht dieses also
unwirksam, m.a.W. der bedingte Rückzug eines solchen Begehrens hat die
gleichen Folgen wie ein unbedingter Rückzug (BGE 85 III 71/72; vgl.
BGE 41 III 431 und Ziff. 4 der Erläuterungen auf den obligatorischen
Formularen Nr. 4 und 27 für das Fortsetzungs- bzw. Verwertungsbegehren).
Ziff. 104 Abs. 3 der vom Obergericht des Kantons Zürich am 11. Februar 1952
erlassenen Anweisung zum SchKG sowie zum GebT, wo "einstweilige Rückzüge
von Fortsetzungs- und Verwertungsbegehren, die an die Bedingung einer vom
Gläubiger bestimmten Zahlung an das Betreibungsamt geknüpft sind", als
zulässig erklärt werden (vgl. BGE 85 III 69), ist daher bundesrechtswidrig.

Erwägung 3

    3.- Das Verfahren, das im vorliegenden Falle eingeschlagen wurde,
weicht vom gesetzlichen Gang des Betreibungsverfahrens noch stärker
ab als die Zulassung eines bedingten Rückzugs des Fortsetzungs- oder
Verwertungsbegehrens.

    a) Auf Grund des Fortsetzungsbegehrens in der Betreibung Nr. 9675
ordnete das Betreibungsamt am 13. Juni 1967 eine Lohnpfändung von
Fr. 3.80 pro Arbeitsstunde an. Nach Eingang des Fortsetzungsbegehrens
in der Betreibung Nr. 21 10 verfügte es am 23. Juni 1967 den Anschluss
der Gläubiger dieser Betreibung an die erfolgte Lohnpfändung. Diese war
damit vollzogen, dass der Beamte dem Schuldner unter Hinweis auf das
Verbot und die Straffolgen einer von Amte nicht bewilligten Verfügung
ausdrücklich erklärte, der erwähnte Lohnbetrag sei gepfändet (BGE 93
III 36). Die Eintragung dieser Erklärung ins Pfändungsprotokoll, die
nach BGE 74 III 4 auch noch zum Pfändungsvollzug zu rechnen wäre und
die im vorliegenden Falle übrigens zweifellos erfolgt ist, dient nur der
urkundlichen Feststellung und damit dem Beweis der massgebenden Erklärung
(vgl. Art. 8 SchKG und BGE 50 III 49). Die Anzeige an den Arbeitgeber,
die gemäss Art. 99 SchKG womöglich zu erlassen ist, wenn der Schuldner eine
unselbständige Erwerbstätigkeit ausübt (obligatorisches Formular Nr. 10),
ist kein wesentlicher Bestandteil des Pfändungsvollzugs, sondern es handelt
sich dabei wie bei der in Art. 98 SchKG vorgesehenen amtlichen Verwahrung
im Falle der Pfändung von Geld, Banknoten usw. (BGE 63 III 67, 75 III 108)
um eine Sicherungsmassnahme, die zum Pfändungsvollzug hinzutritt (BGE 93
III 36 mit Hinweisen). Eine solche Anzeige ist übrigens im vorliegenden
Falle laut Pfändungsurkunde am 14. Juni 1967 erlassen worden.

    Wurde die von den Gläubigern verlangte Pfändung am 13./23. Juni 1967
vollzogen, so kann die Erklärung betreffend Sistierung der Lohnpfändung,
welche die Gläubiger am 7./8. Juli 1967 im Hinblick auf die vom Schuldner
versprochenen Zahlungen an sie abgaben, nicht etwa als Rückzug eines
noch nicht befolgten Fortsetzungsbegehrens aufgefasst werden. Vielmehr
stimmten die Gläubiger mit ihrer Erklärung der Einstellung einer bereits
erfolgten Lohnpfändung zu (vgl. lit. a der Erklärung, wo ausdrücklich
von Sistierung der "verfügten" Lohnpfändung die Rede ist).

    b) Die Sistierung der vollzogenen Lohnpfändung, der die Gläubiger
zustimmten, war nicht bloss so gemeint, dass lediglich die Anzeige an den
Arbeitgeber zu widerrufen sei und der Schuldner die gepfändete Lohnquote
selbst an das Betreibungsamt abzuliefern habe, wie es bei der Pfändung
von Trinkgeldern und von Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit zu
geschehen hat (BGE 79 III 158, 93 III 36/37). Vielmehr erklärten sich die
Gläubiger ausdrücklich damit einverstanden, dass der Einzug der Lohngelder
durch das Betreibungsamt unterbleibe und dass allfällig noch eingehende
Lohngelder dem Schuldner ausbezahlt werden. Damit stimmten die Gläubiger
der Aufhebung der Lohnpfändung selbst zu.

    Die Gläubiger taten das freilich nur auf Zusehen hin und behielten
sich ausdrücklich den Widerruf ihrer Erklärung vor. Diese Befugnis wollten
sie sich offenbar vor allem für den Fall wahren, dass der Schuldner die
versprochenen Zahlungen an sie nicht leisten sollte. Ausserdem sollte die
Sistierung nach der Erklärung vom 7./8. Juli 1967 ausser Kraft treten, wenn
andere Gläubiger eine Lohnpfändung verlangen sollten. Das Gesetz gestattet
dem betreibenden Gläubiger jedoch nicht, unter Vorbehalt des Widerrufs oder
des Eintritts einer bestimmten äussern Tatsache auf eine vom Betreibungsamt
auf sein Begehren bereits vollzogene Pfändung zu verzichten. Er kann den
gesetzlich geregelten Gang des Betreibungsverfahrens nur durch die Stellung
der im Gesetz vorgesehenen Begehren und durch den (unbedingten) Rückzug
noch nicht befolgter Begehren oder der Betreibung als solcher unmittelbar
beeinflussen. Wo das Gesetz einen Aufschub von Betreibungshandlungen,
einen Stillstand oder die Einstellung der Betreibung vorsieht (Art. 36,
57 ff., 77 Abs. 3, 78 Abs. 1, 85, 107 Abs. 2, 123 Abs. 1, 173, 186,
297 Abs. 1, 317 b Abs. 4, 317 g SchKG), treten diese Rechtswirkungen
nicht auf Antrag des Gläubigers, sondern auf Anordnung einer Behörde
oder von Gesetzes wegen ein. Zudem werden in diesen Fällen nicht bereits
vollzogene Betreibungshandlungen rückgängig gemacht, wie das mit der
durch die Erklärung vom 7./8. Juli 1967 bewilligten Aufhebung der
Lohnpfändung geschah. Den Verzicht auf eine vollzogene Pfändung unter
dem Vorbehalt auszusprechen, dass dieser Verzicht widerruflich sei und
bei Eintritt bestimmter Tatsachen von selbst ausser Kraft treten solle,
ist also nach dem Gesetz ausgeschlossen. Ein bedingter Verzicht auf eine
bereits vollzogene Pfändung kann noch weniger zugelassen werden als ein
bedingter Rückzug eines noch nicht befolgten Fortsetzungsbegehrens. Nimmt
das Betreibungsamt einen solchen Verzicht entgegen und hebt es gestützt
darauf die Pfändung auf, wie es hier geschehen ist, so fällt damit
grundsätzlich die Betreibung als solche dahin. Der Gläubiger, der in die
Aufhebung der auf sein Begehren vollzogenen Pfändung eingewilligt hat,
kann in der gleichen Betreibung kein neues Fortsetzungsbegehren stellen
(BGE 28 I 226 - Sep.ausg. 5 S. 129 f.; JAEGER N. 6 C zu Art. 88 SchKG;
FAVRE, Droit des poursuites, 2. Aufl., S. 171 f.).

Erwägung 4

    4.- Auf Grund dieser Erwägungen wären die Betreibungen Nr. 9675 und
21 10 als zurückgezogen zu betrachten. Diese Annahme verstiesse jedoch
angesichts der besonderen Umstände des Falles gegen den allgemeinen
Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben, den das ZGB in Art. 2 ausgesprochen
hat und der nach heutiger Auffassung auch im Betreibungsverfahren zu
beachten ist (BGE 85 III 29 mit Hinweisen).

    a) Das Formular, das die Gläubiger für die Erklärung vom 7./8. Juli
1967 benützten, wurde vom Betreibungsamt aufgesetzt und vervielfältigt. Die
Gläubiger durften sich deshalb darauf verlassen, dass es einen gesetzlich
zulässigen Inhalt habe. Sie brauchten nicht zu befürchten, dass die in
dieser Erklärung vorgesehene Sistierung der Lohnpfändung die Betreibung
dahinfallen lasse. Das Betreibungsamt durfte ihnen daher nach Treu und
Glauben nicht entgegenhalten, die von ihnen unterzeichnete Erklärung
bedeute den Rückzug der Betreibung, so dass es nicht zulässig sei, die
Lohnpfändung in den darin vorgesehenen Fällen wiederaufleben zu lassen. Das
Betreibungsamt hat denn auch diesen Standpunkt nicht eingenommen, sondern
die Lohnpfändung zugunsten der Gläubiger der Betreibungen Nr. 9675 und 2110
wieder in Kraft gesetzt, nachdem andere Gläubiger das Fortsetzungsbegehren
gestellt hatten.

    b) Der Schuldner hat die von ihm gewünschte "Sistierung" der
Lohnpfändung dadurch erreicht, dass er den Gläubigern regelmässige
Zahlungen versprach. Dieses Versprechen hat er nur sehr mangelhaft erfüllt.
Er kann sich daher nach Treu und Glauben nicht darauf berufen, der in
der Erklärung vom 7./8. Juli 1967 für diesen Fall sowie für den Fall des
Eingangs weiterer Pfändungsbegehren angebrachte Vorbehalt sei ungültig und
die Bewilligung der Sistierung der Lohnpfändung bedeute in Wirklichkeit
den Rückzug der Betreibungen.

    Aus diesen Gründen ist die Verfügung vom 7. Dezember 1967, mit welcher
das Betreibungsamt die Lohnpfändung zugunsten der Betreibungen Nr. 9675
und 2110 wieder in Kraft gesetzt hat, nicht zu beanstanden, obwohl das
in der Erklärung vom 7./8. Juli 1967 vorgezeichnete Verfahren an sich
ungesetzlich war.