Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 93 I 638



93 I 638

81. Urteil vom 1. November 1967 i.S. Raduner & Co. AG gegen Kanton
Thurgau. Regeste

    Wohlerworbenes Recht auf Wasserentnahme aus einem See.

    Das thurgauische Gesetz vom 2. Oktober 1832 über die Arbeits-, Erwerbs-
und Handelsfreiheit gestattete, ein Recht auf Wasserentnahme am Bodensee
zu okkupieren (Erw. 2).

    Voraussetzungen einer Okkupation (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- In den Jahren 1890/91 richtete ein Rechtsvorgänger der Firma
Raduner & Co. AG, Albert Signer, für Bedürfnisse seiner in Horn (Kanton
Thurgau) am Ufer des Bodensees befindlichen Bleicherei und Färberei
eine mechanische Wasserförder- und Filtrieranlage ein. Diese wurde
in den Jahren 1915/17 und 1946 erneuert und auf den Stand der Technik
gebracht. Die Förderleistung wurde im Jahre 1964 mit 6000 Minutenlitern
angegeben. Seit Jahren gibt die Raduner & Co. AG der Wasserversorgung Horn
"Aushilfswasser" ab, und zwar im Jahresdurchschnitt etwa 33'000 m3.

    Bis 1964 hatte der Staat der genannten Wasserentnahme keinerlei
Hindernisse in den Weg gelegt. Nun verlangte er aber von der Firma
Raduner & Co. AG, dass sie sich um eine Konzession bewerbe. Nachdem diese
Aufforderung nicht befolgt worden war, erteilte der Regierungsrat des
Kantons Thurgau der Raduner & Co. AG am 1. Juni 1964 eine auf 20 Jahre
befristete Wasserbezugskonzession über 6000 Minutenliter und auferlegte
ihr Benutzungs- und Konzessionsgebühren von annähernd Fr. 30'000.-- für
diese Konzessionsdauer. Gleichzeitig wurden auch die Konzessionsbedingungen
und - auflagen umschrieben.

    B.- Die Raduner & Co. AG reichte hierauf eine staatsrechtliche
Beschwerde ein, in welcher sie die Verfassungsmässigkeit der
Konzessionserteilung bestritt. Sie machte beim Bundesgericht zudem eine
Klage gegen den Kanton Thurgau anhängig. Darin beantragt sie festzustellen,
dass ihr das wohlerworbene Recht zustehe, unentgeltlich dem Bodensee zu
gewerblichen Zwecken und zum gemeinen Gebrauch bis zu 6000 Minutenliter
Wasser zu entnehmen und hiezu den öffentlichen Strandboden zwecks Betriebes
der Ansauganlage frei zu benutzen.

    (Dem Begehren der Klägerin, den Entscheid über die staatsrechtliche
Beschwerde bis zur Erledigung der Klage auszusetzen, wurde entsprochen).

    Zur Begründung ihrer Klagebegehren beruft sich die Raduner &
Co. AG vorab auf das Gesetz über die Ausübung der Arbeits-, Erwerbs- und
Handelsfreiheit vom 2. Oktober 1832, insbesondere dessen § 17. Sie macht
geltend, nach dieser Bestimmung habe jeder Uferanstösser das Recht gehabt,
Wassernutzungsrechte zu beanspruchen. Wohl sei heute der Kanton Thurgau auf
Grund des Gewässerkorrektionsgesetzes von 1895 berechtigt, Bewilligungen
für Sondernutzungen am See zu erteilen und dabei Wasserentnahmen im Lichte
des öffentlichen Interesses zu prüfen. Ein vor 1895 entstandenes Recht
auf Wasserentnahme hingegen dürfe er nicht entschädigungslos aufheben. In
Bezug auf den Umfang dieses Rechtes sei der heutige, seit vielen Jahren
bestehende Zustand massgebend, da der Staat es aus eigenem Verschulden
unterlassen habe, den Rechtsbestand im Jahre 1895 abzuklären. Ein
wohlerworbenes Privatrecht dürfe gebührenfrei ausgeübt werden.

    C.- Der Regierungsrat des Kantons Thurgau beantragt die Abweisung
der Klage.

    In erster Linie bestreitet er das Vorliegen eines wohlerworbenen
Privatrechts auf Wasserentnahme aus dem Bodensee. Er hält dafür, es
könne zum vornherein keine Rede davon sein, dass mit dem Eigentum an
einem Ufergrundstück ein Nutzungsrecht verbunden gewesen sei. Ein solches
habe vielmehr durch Okkupation erworben werden müssen und zwar durch die
Anlage eines Wasserwerks. Anerkannt würde, dass die durch Okkupation
erworbenen Wasserrechte gemäss dem Gesetz von 1832 privatrechtlicher
Natur waren und sind, soweit sie noch bestehen. Doch habe sich das
genannte Gesetz nur auf Wasserkraftnutzungen bezogen, wie auch die
ihm vorangehende Ehehaftenordnung von 1822. Es befasse sich nicht
mit den Seen und schon gar nicht mit dem Bodensee. Das ergebe sich aus
Spezialbestimmungen. Private Wasserrechte hätten somit nach dem Gesetz von
1832 nur als Wasserkraftnutzungsrechte und nur an fliessenden Gewässern
okkupiert werden können.

    Die Klage erweise sich auch als unbegründet, weil alle zwischen
1866 und 1895 entstandenen Wasserrechte auf eigentlichen Verleihungen
beruhten und die Klägerin keine Konzession zu ihren Gunsten nachweisen
könne. Dagegen seien ihr Konzessionen für einen Blockwurf und eine
Wasserleitung erteilt worden.

    D.- In der Replik weist die Raduner & Co. AG die Auffassung zurück,
wonach sich die Okkupationsmöglichkeit des Gesetzes von 1832 nur auf
Wasserkraftnutzungen bezogen habe. Aus § 1 ergebe sich das Gegenteil. Dem
Gesetz könne auch nicht entnommen werden, dass diese Bestimmung sich nur
auf fliessende Gewässer bezogen habe. Das treffe dagegen beim Gesetz über
die Gewässerkorrektion von 1866 zu. Dabei könne auch nach dem Wortlaut
dieses Gesetzes nicht einmal gesagt werden, ob damals wirklich ein
Verleihungssystem habe eingeführt werden sollen.

    Ende der 80er und anfangs der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts
seien der Klägerin in der Tat Bewilligungen erteilt worden, so zum
Legen von Leitungsröhren unter der Staatsstrasse, zur Erstellung eines
Wasserreservoirs entlang der Strasse und zum Anbringen eines Blockwurfes
vor dem Ufer. Doch habe dies alles mit der Nutzung des Sees keine direkte
Beziehung gehabt.

    E.- Der Regierungsrat hält in der Duplik an seinem Antwortbegehren
fest.

    F.- Im Rahmen der vorbereitenden Verhandlung haben sich die Parteien
darauf geeinigt, dass die Firma Signer vor 1895 (im Jahre 1891) dem See
höchstens 5000 Minutenliter entnommen hat.

    In rechtlicher Hinsicht behielt sich die Klägerin vor, auf die
Anerkennung, dass das Gesetz von 1895 die Konzessionspflicht für alle
Wassernutzungen eingeführt habe, zurückzukommen. Die Klägerin würde
dann den Rechtsstandpunkt vertreten, die massgeblichen Bestimmungen des
Gesetzes von 1832 seien noch bis zu ihrer förmlichen Aufhebung durch das
EG/ZGB im Jahre 1911 gültig gewesen.

    Der Beklagte machte noch geltend, das Gesetz vom 2. Oktober 1832 sei im
Jahre 1866 in veränderter Form in die Gesetzes sammlung aufgenommen worden.
Danach sehe es das Okkupationsrecht nicht mehr vor. Sollte dieses Recht
aber bis 1895 bestanden haben, dann wäre eine Okkupation im vorliegenden
Fall dennoch nicht anzunehmen, weil Albert Signer das in § 19 des Gesetzes
vorgesehene Bewilligungsverfahren nie eingeleitet habe.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Zulässigkeit der Feststellungsklage nach Art. 25 BZP)

Erwägung 2

    2.- Das thurgauische Gesetz vom 2. Oktober 1832 über die Ausübung der
Arbeits-, Erwerbs- und Handelsfreiheit, das Ausführungsgesetz des zuvor in
die Verfassung aufgenommenen Grundsatzes der Handels- und Gewerbefreiheit,
enthält u.a. folgende Bestimmungen:

    § 1

    Kein Kantonsbürger, und ebenso wenig ein gesetzlich Angesessener,
wenn in seiner Heimat den diesseitigen Angehörigen das gleiche Recht
zugestanden ist, soll gehindert werden, seinen Beruf auszuüben, Handel
und Gewerbe zu treiben, Industrie-Unternehmungen zu gründen, mechanische
Werke zum Dienst derselben und der Landwirtschaft zu errichten, sowie
dazu die öffentlichen Gewässer nach Erfordernis zu benutzen.

    Wasserwerke § 17

    Auf eigentümlichem Grund und Boden kann, ohne dass es einer besondern
amtlichen Bewilligung bedarf, jedermann Wasserwerke, zum Behuf von Mühlen,
Fabriken oder Gewerben irgendeiner andern Art, errichten, insofern von
keiner Seite privatrechtliche Einreden dawider erhoben werden.

    § 19

    Wer demnach ein Wasserwerk neu zu errichten gesinnet ist, soll
den Platz, auf den es hingebaut werden will, den Ort der Auffassung
des Wassers, und die Höhe der Schwellung ausstecken, - und durch den
Bezirksstatthalter den Kleinen Rat von dem Vorhaben in Kenntnis setzen,
welcher sodann die Veranstaltung trifft, dass die vorhandenen Nutzniesser
des nämlichen Wassers, die Güteranstösser, Wuhrpflichtigen oder sonst
Beteiligten, durch den betreffenden Gemeinderat über ihre Einwendungen
polizeilich einvernommen, und (nötigenfalls mit Zuzug von Experten)
die etwa obschwebenden Anstände gütlich zu heben versucht werden;
in welchem Fall das Übereinkommnis schriftlich abgefasst, von allen
Teilen unterzeichnet, und zur Eintragung in das Notariatsprotokoll der
Bezirkskanzlei vorgelegt wird.

    Aus dem Wortlaut dieser Vorschriften zieht die Klägerin den Schluss,
dass bis zum Jahre 1895 (und allenfalls später) auch am Bodensee
ein Wasserentnahmerecht habe erworben werden können, das über den
Gemeingebrauch hinaus gegangen sei.

    Der Beklagte bestreitet, dass das Gesetz von 1832 auf den Bodensee und
auf andere als Wasserkraftnutzungsrechte anwendbar gewesen sei. Eventuell
habe es an der Durchführung des in § 19 vorgesehenen Bewilligungsverfahrens
gefehlt.

    a) Auf den Gemeingebrauch an öffentlichen Sachen bezog sich das Gesetz
von 1832 wohl nicht. Ein solcher war schon immer frei und musste nicht erst
auf Grund der Handels- und Gewerbefreiheit freigegeben werden. Vielmehr
wollte der Gesetzgeber offenbar die öffentlichen Gewässer der Nutzung
über den Gemeingebrauch hinaus bis zur eigentlichen Sondernutzung hin
zugänglich machen. Es ergibt sich dies aus der Verknüpfung des Gesetzes
mit der Handels- und Gewerbefreiheit und der Absicht, alle jene Hindernisse
freier Gewerbetätigkeit zu beseitigen, die aus der Vergangenheit übernommen
worden waren. Hieraus leitet der Beklagte nicht ohne Grund ab, dass das
Gesetz von 1832 die Lücke auszufüllen hatte, die durch die Aufhebung der
ehehaften Rechte entstanden war. Die alten ehehaften Wasserrechte bezogen
sich in der Tat hauptsächlich auf die Wasserkraftnutzung. Der Wortlaut
des Gesetzes stützt diese These insofern, als der Abschnitt der §§ 17
ff. die Überschrift "Wasserwerke" trägt, und er sich im besondern auch
mit Wasserkraftnutzungen beschäftigt. Anderseits ist aber § 1 so allgemein
gehalten, dass nicht gesagt werden kann, der Gesetzestext schliesse es aus,
andere als Wasserkraftnutzungen darunter zu subsumieren.

    b) Eine historische Auslegung führt ebenfalls nicht zu dem vom
Beklagten vorgeschlagenen Ergebnis. Wohl galt es, ein Ersatzrecht für
die dahingefallene Ehehaftenordnung zu schaffen. Das Ziel des Gesetzes
von 1832 erschöpfte sich aber nicht darin. Die ehehaften Rechte wurden
nicht nur beseitigt, weil sie nicht mehr in die neue Zeit passten;
vielmehr ging es darum, durch die Abschaffung der Privilegien den
Weg für eine Industrialisierung des Kantons überhaupt frei zu machen
(vgl. BRUNO MEYER, Die thurgauischen Wasserrechte, ZSR 1940, S. 168).
Wie dem Ingress des Gesetzes zu entnehmen ist, setzte sich dieses zum Ziel,
die einmal geschaffene Freiheit "gegen Missbrauch" zu schützen. Solche
Missbräuche waren vor allem auf dem Gebiete der Wasserkraftnutzungen zu
erwarten. Da eine bestimmte Wasserkraft nur einmal genutzt werden kann,
bestand hier die Gefahr gegenseitiger Behinderung und eines Kampfes aller
gegen alle. Somit hatte das Gesetz von 1832 zwar die dahingefallene
traditionelle Rechtsordnung durch eine andere zu ersetzen. Es gab
aber keinen vernünftigen Grund, dabei stehen zu bleiben. Nicht nur
Nutzungen der Wasserkraft, sondern auch andere Wassernutzungen konnten der
Industrialisierung dienen. Es ist deshalb nicht anzunehmen, der Gesetzgeber
habe jene andern Wassernutzungen von der Freigabe ausschliessen wollen.

    c) Nach dem Wortlaut bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das
Gesetz auf die fliessenden Gewässer beschränkt gewesen sein soll. § 1
spricht davon, "öffentliche Gewässer nach Erfordernis zu benutzen". Solche
Nutzungen konnten sich auch auf den Bodensee beziehen.

    d) Angesichts des klaren gesetzgeberischen Zieles, Handel und
Gewerbe zu fördern, muss somit angenommen werden, das Gesetz von 1832
habe Sondernutzungen jeglicher Art an fliessenden und stehenden Gewässern
ermöglichen wollen. Gestützt auf jenes Gesetz konnte daher auch ein Recht
auf Wasserentnahme aus dem Bodensee okkupiert werden.

Erwägung 3

    3.- Ob die im Jahre 1832 geschaffene Möglichkeit, Wassernutzungsrechte
als Privatrechte zu okkupieren, noch in der Zeit zwischen 1890 und 1895
bestand, ist vorliegend ebenfalls umstritten.

    a) In seinem Entscheid i.S. Spinnerei Murkart c. Thurgau (BGE
VII 571 ff.) hat das Bundesgericht die Zulässigkeit der Okkupation
von Wasserkraftnutzungsrechten an einem Fluss bejaht. Anderseits ging
die thurgauische Gerichtspraxis offenbar dahin, die im Gesetz von 1832
enthaltene Ordnung "im Anschluss an das privatrechtliche Gesetzbuch des
Kantons Zürich" in ein öffentlich-rechtliches Verleihsystem umzugestalten
(vgl. Begleitbericht des Obergerichts zu einem am 25. März 1877 vom
Volke verworfenen Wassernutzungsgesetz). Wie MEYER gezeigt hat (aaO
S. 180), ging man auch an den gegenteiligen Feststellungen des genannten
Bundesgerichtsentscheides einfach vorbei.

    Es bedarfkeiner weiteren Erörterung, dass eine Gerichtspraxis
allein eine Rechtsänderung nicht zu bewirken vermochte. Zur Entstehung
eines gesetzesändernden Gewohnheitsrechts fehlte in jedem Falle die
Rechtsüberzeugung der von den angewandten Grundsätzen Betroffenen. Niemand
konnte nämlich ernstlich daran zweifeln, dass das privatrechtliche
Gesetzbuch des Kantons Zürich eine vom Gesetz von 1832 völlig abweichende
Ordnung enthielt und in keinem Fall thurgauisches Recht zu ändern
vermochte. Über dessen Inhalt konnte zumindest nach dem Entscheid des
Bundesgerichts i.S. Murkart aus dem Jahre 1881 keine Unsicherheit mehr
bestehen.

    Dass eine solche auch nicht bestand, ergibt sich aus der Botschaft des
Regierungsrates vom 20. August 1864 zum Gesetz über die Gewässerkorrektion
(vgl. MEYER aaO S. 177). Dort wurde u.a. ausgeführt: "Daraus folgern
wir, dass jede Art und Weise, die öffentlichen Gewässer zu gebrauchen,
im Zweifel so lange als zulässig erachtet werden muss, dass sie nicht
ausdrücklich verboten ist und im besondern nicht den Rechten Dritter
Eintrag geschieht...". Der Regierungsrat war also auch noch damals nicht
der Auffassung, Sondernutzungen an öffentlichen Gewässern seien durch
Verleihung zu begründen. Und er strebte eine solche Ordnung nicht einmal
für die Zukunft an, d.h. für den Entwurf über die Gewässerkorrektion,
der 1866 Gesetz wurde.

    b) Nach Auffassung des Beklagten haben zwei Ereignisse nach 1862 eine
Änderung des Rechtszustandes herbeigeführt.

    aa) Im Gesetz vom 29. Mai 1866 über den Unterhalt und die Korrektion
der öffentlichen Flussgewässer soll die Okkupation durch die Verleihung
ersetzt worden sein. Indessen lässt der Wortlaut des genannten
Erlasses dies zumindest nicht erkennen. Sodann war nach der Botschaft
des Regierungsrates (vgl. lit. a hievor) eine entsprechende Änderung
auch nicht beabsichtigt. Abgesehen davon bezog sich das Gesetz von 1866
seinem Text nach nur auf Flussgewässer, also nicht auf den Bodensee. Das
Gesetz von 1866 über den Unterhalt und die Korrektion der öffentlichen
Flussgewässer änderte daher nichts an der Möglichkeit, auf Grund des
Gesetzes von 1832 am Bodensee Wassernutzungsrechte zu erwerben.

    bb) Das zweite rechtsändernde Ereignis sieht der Beklagte in der
Neufassung des Wortlauts des Gesetzes von 1832 in der revidierten
Sammlung der thurgauischen Gesetze. In der Tat nahm das thurgauische
Obergericht anlässlich der Neuherausgabe des Gesetzes von 1832 verschiedene
Textänderungen vor. Die §§ 17 ff. (Abschnitt "Wasserwerke") wurden ganz
weggelassen und der Wortlaut der §§ 1 - 6 umgestaltet. Es scheint, das
Obergericht habe auf diese Weise versuchen wollen, den Rechtszustand
demjenigen des Kantons Zürich anzugleichen. Jedenfalls wurden in §
1 die Worte "... sowie die öffentlichen Gewässer nach Erfordernis zu
benutzen..." weggelassen. Da jedoch nicht der § 1, sondern nur der
völlig neu formulierte (hier bedeutungslose) § 6 dem Veto des Volkes
unterbreitet wurde, vermochte diese Modifikation des Gesetzestextes keine
Rechtsänderung herbeizuführen. Die ursprüngliche Fassung des Gesetzes
von 1832 wurde denn auch erst im EG zum ZGB aufgehoben.

Erwägung 4

    4.- Stand mithin das Gesetz von 1832 über die Ausübung der Arbeits-,
Erwerbs- und Handelsfreiheit, welches den okkupationsweisen Erwerb
von privaten Wassernutzungsrechten am Bodensee zuliess, auch in der
Zeit zwischen 1890 und 1895 noch in Kraft, so bleibt zu prüfen, ob eine
Okkupation durch den Rechtsvorgänger der Klägerin wirklich stattgefunden
hat.

    a) Dies war nicht der Fall, wenn die Firma Signer dem Bodensee
nur im Rahmen des damals zulässigen Gemeingebrauchs Wasser entnommen
hat. Zumindest nach herrschender Lehre und Rechtsprechung hat die
Zulassung zum Gemeingebrauch nicht die Natur eines subjektiven Rechts
(FLEINER, Institutionen 8. Aufl. S. 374; RUCK, Schweiz. Verwaltungsrecht,
3. Aufl. Bd. I S. 147, BGE 79 I 205; a.M. FORSTHOFF, Verwaltungsrecht,
9. Aufl. S. 362/3). Im Umfang eines noch zulässigen Gemeingebrauchs kann
daher kein Recht ersessen oder okkupiert werden.

    Allerdings sind die Grenzen des Gemeingebrauchs nicht leicht zu
bestimmen. Einerseits soll er derart beschaffen sein, dass er andere
am Gebrauch der gleichen Sache nicht hindert, anderseits ist auf den
üblichen Gebrauch abzustellen (FLEINER aaO S. 374, BGE 75 I 14). Ob
die Entnahme von 5000 Minutenlitern (auf diese Menge haben sich die
Parteien geeinigt) andere daran hindern konnte, am Bodensee Gleiches
zu tun, erscheint als fraglich. Es kann aber insofern offen bleiben,
als allgemein das Beanspruchen einer solchen Wassermenge nicht mehr zum
Gemeingebrauch gezählt wird (vgl. auch BGE 75 I 14).

    Als die Firma Signer im Jahre 1890 ihr Pumpwerk mit einer immerhin
beachtlichen Leistung errichtete, stellte ihr Unterfangen für jene Zeit
etwas Aussergewöhnliches dar. Von einer üblichen Gewässernutzung konnte
keine Rede sein. Albert Signer hat - ob er sich dessen bewusst war oder
nicht, ist unerheblich - mit der Errichtung der genannten Anlage ein
Sonderrecht in Anspruch genommen. Es fand dadurch eine Okkupation im
Sinne des § 1 des Gesetzes von 1832 statt.

    b) Wie erwähnt, haben sich die Parteien über den Umfang der dem See
entnommenen Wassermenge auf 5000 Minutenliter geeinigt.

    In den Rechtsschriften hatte die Klägerin anerkannt, dass nach dem
Inkrafttreten des Gesetzes vom 21. Mai 1895 über die Korrektion und
den Unterhalt der öffentlichen Gewässer (das sich auch auf den Bodensee
bezieht) keine Okkupation mehr möglich gewesen sei. In der vorbereitenden
Verhandlung behielt sich die Klägerin jedoch vor, geltend zu machen,
die Okkupation habe zumindest bis zur Aufhebung des Gesetzes von 1832 im
EG/ZGB ergänzt werden können.

    Wie es sich damit verhält, kann indessen dahingestellt bleiben. Die
Klägerin behauptet nämlich nicht, die Pumpanlage sei vor 1912 vergrössert
worden. Dies geschah anscheinend erst in den Jahren 1915/17 und 1946.

    c) Der Beklagte wendet ein, eine Okkupation habe nicht stattgefunden,
da nach den gemachten Erhebungen das Bewilligungsverfahren gemäss § 19
des Gesetzes von 1832 nie durchgeführt worden sei. Die Klägerin konnte
ein solches Verfahren in der Tat nicht nachweisen.

    Wohl sah das Gesetz von 1832 in § 19 ein Bewilligungsverfahren
vor, das der Feststellung konkurrierender älterer Rechte diente. Doch
kam diesem Verfahren keine konstitutive Wirkung zu, denn es heisst
in § 17 ausdrücklich, dass die Okkupation "keiner besondern amtlichen
Bewilligung" bedürfe. War aber nach dem Gesagten das Gesetz von 1832 auf
Wassernutzungsrechte jeder Art anwendbar, so galt dies notwendigerweise
auch für die §§ 17 und 19. Wer es unterliess, das Bewilligungsverfahren
durchzuführen, hatte lediglich später mit den Angriffen besser Berechtigter
zu rechnen. Abgesehen davon war das okkupierte Privatrecht jedoch gültig.

    Im vorliegenden Fall waren konkurrierende Rechte Dritter zum vornherein
nicht zu befürchten. Es wurden denn auch in den über 70 Jahren seit der
Begründung des privaten Wasserentnahmerechts keine derartigen Ansprüche
geltend gemacht.

Erwägung 5

    5.- Über die Tatsache, dass der Staat die Wasserentnahme für den
Betrieb eines damals und heute grösseren Industrieunternehmens bis 1964
in keiner Weise hinderte oder erschwerte, könnte ohnehin nicht leicht
hinweggegangen werden. Das von A. Signer eingerichtete Pumpwerk war für die
damalige Zeit einzigartig und wohl geeignet, auch die Aufmerksamkeit des
Inhabers der Gewässerhoheit auf sich zu ziehen. Der Staat hatte zumindest
über das Fabrikinspektorat Einblick. Wenn er bis 1964 die Durchführung
eines Bewilligungsverfahrens nicht für nötig erachtete, kann er nunmehr
hinsichtlich der 5000 m/l nicht darauf zurückkommen. Es wäre vielmehr
ein stillschweigender Verzicht anzunehmen. Übrigens erhielt die Firma
Signer ausdrücklich die Bewilligung, das Wasser unter der Staatsstrasse
durchzuführen und an dieser ein Reservoir zu erstellen. Es fällt schwer
anzunehmen. die Herkunft des Wassers sei dabei nicht bekannt gewesen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    1.- In teilweiser Gutheissung der Klage wird festgestellt, dass der
Klägerin ein wohlerworbenes Privatrecht zur unentgeltlichen Entnahme
von 5000 Minutenliter Wasser aus dem Bodensee zusteht und dass sie zum
Betrieb der Ansauganlage den Strandboden unentgeltlich benutzen darf.

    2.- Soweit die Klage mehr verlangt, wird sie abgewiesen.