Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 93 I 506



93 I 506

63. Auszug aus dem Urteil vom 23. Juni 1967 i.S. Korporation Pfäffikon
gegen Regierungsrat des Kantons Schwyz. Regeste

    Kantonale verwaltungsrechtliche Streitigkeiten; Zuweisung an das
Bundesgericht (Art. 114 bis Abs. 4 BV, Art. 116 OG, § 1 Abs. 3 des
schwyzerischen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege).

    1.  Zuständigkeit des Bundesgerichts zur Beurteilung einer
Verwaltungsgerichtsbeschwerde in einer Streitigkeit über die Auslegung
eines dem kantonalen Verwaltungsrecht unterstehenden Vertrages (Erw. 1).

    2.  Ist die Beschwerde mangels eines rechtlichen Interesses des
Beschwerdeführers an der von ihm begehrten Feststellung unzulässig? (Erw.
2.)

    3.  Grundsätze für die Auslegung eines verwaltungsrechtlichen
Vertrages; Anwendung des Vertrauensprinzips (Erw. 3).

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    Die Kantone St.Gallen, Schwyz und Zürich und die Schweizerische
Südostbahn vereinbarten im Jahre 1938, die Strasse und die Eisenbahn über
den Zürichsee zwischen Rapperswil und Pfäffikon (Schwyz) auf einen neuen
Damm zu verlegen und einen neuen, diesen Damm kreuzenden Schiffahrtskanal
durch die auf Schwyzer Gebiet liegende Hurdener Landzunge zwischen
dem oberen und dem unteren Zürichsee zu erstellen. Für diese Werke,
insbesondere den Kanalbau, wurde Land der Korporation Pfäffikon, einer
juristischen Person des schwyzerischen Rechts, in Anspruch genommen.

    In einem öffentlich beurkundeten Vertrag vom 16. Juni 1939, welchen
der Kanton Schwyz, die Südostbahn und das aus den Kantonen St.Gallen,
Schwyz und Zürich sowie der Südostbahn bestehende Bauunternehmen mit der
Korporation Pfäffikon abschlossen, wurden verschiedene die Bauvorhaben
betreffende Fragen geordnet. Nach Art. 10 dieses Vertrages übernahm
die Korporation die Erstellung des Kanalabschnitts zwischen der neuen
Strassen- und Eisenbahnbrücke und dem oberen Zürichsee. In lit. b
daselbst wurde bestimmt, dass das vorgesehene Kanalprofil "auch bei
späteren und erweiterten Ausbaggerungen" dauernd offen gehalten werden
müsse. In Art. 11 des Vertrages wurde vereinbart, dass das oberseeseitige
Teilstück des Kanals nach seiner Fertigstellung unentgeltlich in das
Eigentum des Kantons Schwyz übergehe und dieser dagegen der Korporation
das unentgeltliche Recht einräume, "den Seegrund des Kanals tiefer zu
baggern oder baggern zu lassen".

    Die Korporation übertrug die Erstellung des oberseeseitigen
Kanalabschnitts der Kibag AG gegen Entschädigung für die damit verbundene
Kies- und Sandausbeutung. Der Kanal wurde in den Jahren 1939 und 1940
gebaut.

    Später erwarb die Kibag AG von der Korporation das Recht zur
Kies- und Sandausbeutung in einer Parzelle im Hurdenerfeld südlich des
oberseeseitigen Teilstücks des neuen Kanals. Die Korporation will nun den
Kanal in diesem Abschnitt durch die Kibag AG breiterbaggern lassen. Sie
ersuchte den Regierungsrat des Kantons Schwyz um Feststellung, dass sie
hiezu nach dem Vertrag vom 16. Juni 1939 berechtigt sei. Der Regierungsrat
wies das Begehren am 23. August 1965 ab.

    Diesen Entscheid ficht die Korporation mit der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht an; sie erneuert ihr
Feststellungsbegehren, unter Hinweis auf die Verhandlungen vor dem
Abschluss des Vertrages vom 16. Juni 1939.

    Der Regierungsrat ist der Meinung, dass die Beschwerdeführerin kein
rechtliches Interesse an der von ihr begehrten Feststellung habe und ihr
Begehren auf jeden Fall unbegründet sei.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Kanton Schwyz hat gestützt auf Art. 114 bis Abs.  4 BV in § 1
Abs. 3 seines Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 18. Juli 1951
(VRPG) Verwaltungsstreitfälle, bei denen er als Partei beteiligt ist, mit
Ausnahme der Steuer- und Expropriationsstreitigkeiten dem Bundesgericht
als Verwaltungsgericht zur Beurteilung überwiesen. Auf diese Streitfälle
ist das für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht
vorgesehene Verfahren anzuwenden; die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist
zulässig gegen Entscheide des Regierungsrates des Kantons Schwyz (Art. 2
BB vom 16. Dezember 1952 über die Genehmigung von § 1 Abs. 3 VRPG). Auf
diese Ordnung stützt sich die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
die gegen einen Entscheid des schwyzerischen Regierungsrates gerichtet
ist. Sie ist zulässig, wenn der Anstand zu den Verwaltungsstreitfällen
gehört, die § 1 Abs. 3 VRPG dem Bundesgericht zuweist.

    Die Beschwerdeführerin will den oberseeseitigen Abschnitt des Hurdener
Schiffahrtskanals breiterbaggern lassen. Auch wenn die Baggerei von ihrem
Land im Hurdenerfeld her gegen den Kanal vorgetrieben werden soll, kann
das Projekt doch nur durchgeführt werden, wenn Material (Kies und Sand),
das heute unter der Wasserfläche des Kanals liegt, gehoben wird. Da
der Kanton Schwyz heute Eigentümer des oberseeseitigen Kanalabschnitts
ist, kann die Beschwerdeführerin ihr Vorhaben nur verwirklichen, wenn
sie das Eigentum des Kantons in Anspruch nehmen darf. Sie behauptet,
hiezu nach dem Vertrag, den sie am 16. Juni 1939 mit dem Kanton Schwyz
(und weiteren Partnern) abgeschlossen hat, berechtigt zu sein, während
der Kanton der Ansicht ist, dass dieser Vertrag ein solches Recht der
Beschwerdeführerin gerade ausschliesse. Der Streit dreht sich deshalb
in erster Linie um die Auslegung des Vertrages. Es ist zu prüfen, ob die
Vertragsbestimmungen, auf die sich die Parteien berufen, privatrechtlicher
oder verwaltungsrechtlicher Natur sind.

    Dafür ist nicht entscheidend, ob die Korporation Pfäffikon
eine juristische Person des öffentlichen oder aber des privaten
kantonalen Rechts ist (was als unsicher erscheint, vgl. SCHÄDLER, Die
Allmeind-Korporationen im Bezirke Einsiedeln, Diss. Freiburg 1941, S. 33
ff.); denn einen verwaltungsrechtlichen Vertrag kann ein Gemeinwesen
auch mit einem Privaten abschliessen. Massgebend ist vielmehr der Inhalt
des Vertrages.

    Der Vertrag vom 16. Juni 1939 regelt einerseits in Art. 1 ff. und
14 ff. den Verkauf von Grundstücken der Beschwerdeführerin an den
Kanton Schwyz und die Südostbahn zur Erstellung des neuen Bahn-
und Strassentrasses und des unterseeseitigen Abschnitts des neuen
Schiffahrtskanals durch das von den beteiligten Kantonen und der Bahn
gebildete Unternehmen. Die Käufer hätten für diese im öffentlichen
Interesse liegenden Werke das Enteignungsrecht in Anspruch nehmen
können. Freihandkäufe unterstehen indessen dem Privatrecht auch dann, wenn
sie vom Gemeinwesen für solche Zwecke getätigt werden (ZWAHLEN, Le contrat
de droit administratif, ZSR 1958, S. 534 a). Als Enteignungsverträge, die
dem öffentlichen Recht angehören, werden lediglich Einigungen betrachtet,
die nach Einleitung und innerhalb des Enteignungsverfahrens zustande
kommen (ZWAHLEN aaO, S. 535 a; IMBODEN, Der verwaltungsrechtliche Vertrag,
ZSR 1958, S. 139 a).

    Anderseits regelt der Vertrag vom 16. Juni 1939 in den Art. 10-13,
wo sich die umstrittenen Bestimmungen finden, die Erstellung des
oberseeseitigen Abschnitts des Kanals durch die Beschwerdeführerin. Auch
hier hat man es mit einem dem öffentlichen Interesse dienenden Werk zu
tun. Überträgt ein Gemeinwesen einem Unternehmen die Errichtung eines
solchen Werkes gegen Entgelt, so liegt freilich ein privatrechtlicher
Werkvertrag vor. Die Beschwerdeführerin hat jedoch die Erstellung
des oberseeseitigen Kanalabschnitts unentgeltlich übernommen, und sie
hat sogar das dafür beanspruchte Land unentgeltlich dem Kanton Schwyz
abgetreten. Eine solche Abmachung ist nur denkbar, wenn der zur Ausführung
des Werkes Verpflichtete ein besonderes Interesse an dessen Zustandekommen
hat. So verhält es sich hier in der Tat; denn die Beschwerdeführerin wollte
die in ihrem Boden liegenden Kies- und Sandvorkommen ausbeuten, und sie war
in der Lage, die Aushebung des oberseeseitigen Kanalabschnitts der Kibag
gegen Entschädigung für die damit verbundene Kies- und Sandausbeutung
zu übertragen. Zwar hätte der Beschwerdeführerin die Ausbeutung des
Kieses und Sandes im Gebiete, in dem sich heute der oberseeseitige
Kanalabschnitt befindet, auch dann nicht verwehrt werden können, wenn
der Kanal nicht gebaut worden wäre. Aber die Beschwerdeführerin hätte
jenen Kanalabschnitt ohne Bewilligung seitens des Kantons Schwyz nicht
erstellen dürfen. Nach alldem fallen die Art. 10-13 des Vertrages vom
16. Juni 1939 aus dem Rahmen der privatrechtlichen Verträge heraus,
die ein Gemeinwesen üblicherweise zur Verwirklichung seiner Aufgaben
abschliesst. Sie sind als verwaltungsrechtlicher Vertrag zu betrachten
("contrat de collaboration", ZWAHLEN aaO, S. 632 a).

    Auf diesen Vertrag ist in erster Linie das Verwaltungsrecht des Kantons
Schwyz anwendbar. Bundesrecht kommt, soweit es nicht dem kantonalen Rechte
vorgeht, nur als stellvertretendes kantonales Recht zur Anwendung. In
diesem Sinne sind die Grundsätze heranzuziehen, die im Bundesrecht für
die Auslegung der Verträge im allgemeinen und der verwaltungsrechtlichen
Verträge im besonderen massgebend sind.

    Somit handelt es sich hier um einen dem Schwyzer Recht unterstehenden
Verwaltungsstreitfall, an dem der Kanton Schwyz als Partei beteiligt
ist und der weder eine Steuer- noch eine Expropriationsstreitigkeit
darstellt. Die Beschwerde richtet sich gegen einen Entscheid, den der
Regierungsrat des Kantons Schwyz in diesem Streitfall als Hoheitsträger
getroffen hat. Daraus folgt, dass das Bundesgericht nach § 1 Abs. 3 VRPG
zur Beurteilung der Beschwerde zuständig ist.

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin verlangt die Feststellung, dass ihr das
Recht auf Breiterbaggerung des (oberseeseitigen) Kanals zustehe. Der
Regierungsrat hat im angefochtenen Entscheide dieses Begehren nicht etwa
als unzulässig erachtet; er ist vielmehr darauf eingetreten und hat es
abgewiesen. Er kann daher im Verfahren vor Bundesgericht nicht mehr geltend
machen, die Beschwerdeführerin habe kein rechtliches Interesse an der von
ihr begehrten Feststellung. Die Beschwerdeführerin hat gemäss § 1 Abs. 3
VRPG Anspruch darauf, dass der Entscheid des Regierungsrates aufgehoben
wird, wenn sich herausstellt, dass er ihr das Recht zur Breiterbaggerung
des Kanals zu Unrecht abspricht. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
ist einzutreten.

Erwägung 3

    3.- Der Vertrag vom 16. Juni 1939 behält in Art. 10 lit. b "spätere
und erweiterte Ausbaggerungen" der oberseeseitigen Kanalstrecke durch
die Beschwerdeführerin vor. Die Parteien streiten darüber, ob unter
den "erweiterten Ausbaggerungen" nicht nur Tieferbaggerungen, sondern
auch Breiterbaggerungen zu verstehen seien. In der Tat ist der Wortlaut
des Vertrages in dieser Beziehung nicht eindeutig. Er bedarf daher der
Auslegung.

    Im Bundeszivilrecht gilt der Grundsatz, dass Verträge nach den Regeln
von Treu und Glauben auszulegen sind (Vertrauensprinzip). Danach ist
einer Willensäusserung der Sinn zu geben, den ihr der Empfänger auf Grund
der Umstände, die ihm im Zeitpunkt des Empfangs bekannt waren oder hätten
bekannt sein müssen, in guten Treuen beilegen durfte (BGE 90 II 454 Erw. 3;
MERZ, Komm. zu Art. 2 ZGB, N. 121 ff.). Schon bei den Verhandlungen vor
dem Vertragsabschluss haben die Parteien sich nach Treu und Glauben zu
verhalten. Insbesondere muss eine Partei die andere in einem gewissen
Umfang über Umstände aufklären, die für deren Entscheidung, einen Vertrag
überhaupt oder unter bestimmten Bedingungen abzuschliessen, massgebend
sind (BGE 90 II 455 Erw. 4). Unterlässt sie dies, so muss sie dulden,
dass der Vertrag so ausgelegt wird, wie ihn der Partner angesichts der
ihm bekannten oder erkennbaren Tatsachen verstehen durfte.

    Auch verwaltungsrechtliche Verträge sind grundsätzlich nach
dem Vertrauensprinzip auszulegen. Immerhin ist zu beachten. dass die
Verwaltung beim Abschluss solcher Verträge den öffentlichen Interessen
Rechnung tragen muss. In Zweifelsfällen ist zu vermuten, dass sie keinen
Vertrag abschliessen will, der mit den von ihr zu wahrenden öffentlichen
Interessen in Widerspruch steht, und dass auch der Vertragspartner sich
hierüber Rechenschaft gibt (BGE 61 I 74 ff., 78 I 389, 90 I 126 Erw. 5;
ZWAHLEN aaO, S. 630 a). Indessen wäre es verfehlt, in allen Fällen der
dem öffentlichen Interesse besser dienenden Auslegung den Vorzug zu
geben. Die Wahrung der öffentlichen Interessen findet vielmehr gerade
ihre Schranke im Vertrauensprinzip, d.h. sie darf nicht dazu führen,
dass bei der Vertragsauslegung dem gewaltunterworfenen Vertragspartner
Auflagen gemacht werden, die er beim Vertragsabschluss vernünftiger weise
nicht voraussehen konnte.