Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 93 I 471



93 I 471

59. Urteil vom 12. September 1967 i.S. Goldfarb gegen Bundesamt für
Industrie, Gewerbe und Arbeit. Regeste

    Unterstellung unter die besonderen Vorschriften des Arbeitsgesetzes
für industrielle Betriebe.

    1.  Die Verfügung, mit welcher die Unterstellung eines Betriebes
aufgehoben wird, unterliegt der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Erw. 1).

    2.  Der Arbeitgeber ist zur Beschwerde gegen die Aufhebungsverfügung
legitimiert (Erw. 2).

    3.  Aufhebung der Unterstellung einer Kürschnerei, deren Tätigkeit
nicht durch Verwendung von Maschinen oder durch serienmässige Verrichtungen
bestimmt ist (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Victor Goldfarb betreibt in Basel eine Kürschnerei, die durch
Verfügung des Bundesamts für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA) vom
20. Oktober 1937 dem Fabrikgesetz unterstellt worden ist. Im Jahre 1953 hat
er in Zürich ein Zweiggeschäft eröffnet, das durch Verfügung des BIGA vom
7. Oktober 1954 ebenfalls dem Fabrikgesetz unterstellt worden ist. Diese
Unterstellungsverfügungen sind nach dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes
über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (des Arbeitsgesetzes)
vom 13. März 1964 weiterhin in Kraft geblieben (Art. 90 Abs. 1 der
Allgemeinen Verordnung zum Arbeitsgesetz, vom 14. Januar 1966).

    Indessen hat das BIGA durch Verfügung vom 9. Juni 1967, gemäss einem
vom Industrie- und Gewerbeamt des Kantons Zürich unterstützten Antrag des
eidgenössischen Arbeitsinspektorates, die Unterstellung der Filiale Zürich
unter die besonderen Vorschriften des Arbeitsgesetzes für industrielle
Betriebe aufgehoben, mit der Begründung, dass die Voraussetzungen des
Art. 5 Abs. 2 dieses Gesetzes nicht erfüllt seien.

    B.- Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt Goldfarb die
Aufhebung der Verfügung vom 9.. Juni 1967. Er macht geltend, seine beiden
Betriebe in Basel und Zürich bildeten eine Einheit und tauschten zeitweise
Mitarbeiter aus, so dass in ihnen nicht zweierlei Bestimmungen angewendet
werden könnten. Vor 30 Jahren, als sein Basler Betrieb ungeachtet
seines Einspruchs dem Fabrikgesetz unterstellt worden sei, habe er nur 6
Arbeitskräfte beschäftigt, während heute in beiden Betrieben zusammen deren
45 tätig seien. Er fabriziere jährlich, zum Teil in Serien und mit Hilfe
verschiedener Maschinen, einige Hundert Pelzmäntel, -paletots und -jacken.

    C.- Das BIGA schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 55 Abs. 1 des Arbeitsgesetzes ist gegen
Verfügungen des BIGA "über die Unterstellung industrieller Betriebe"
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig. Dasselbe bestimmt Art. 99
Ziff. IX lit. a OG (in der Neufassung gemäss Art. 70 des Arbeitsgesetzes),
wonach die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Entscheide des BIGA
"betreffend die Unterstellung einzelner industrieller Betriebe unter
die Sondervorschriften des Arbeitsgesetzes" gegeben ist. Nach dem klaren
Wortlaut dieser Bestimmungen unterliegen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
nicht nur Verfügungen, durch die ein Betrieb jenen Sondervorschriften
des Arbeitsgesetzes unterstellt wird, sondern auch Verfügungen, durch
die eine Unterstellung abgelehnt oder aufgehoben wird (vgl. BGE 71 I 282
und 86 I 306, betreffend die alte Fassung von Art. 99 Ziff. IX lit. a
OG, wonach der Verwaltungsgerichtsbeschwerde Entscheide des BIGA "über
die Unterstellung unter das Fabrikgesetz" unterlagen). Im vorliegenden
Fall, in dem eine Aufhebungsverfügung angefochten wird, ist daher die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig.

Erwägung 2

    2.- Art. 55 Abs. 1 des Arbeitsgesetzes lässt die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen Verfügungen des BIGA über die
Unterstellung industrieller Betriebe "nach Massgabe der Bundesgesetzgebung
über die Organisation der Bundesrechtspflege" zu. Aus dieser Verweisung
kann geschlossen werden, dass auch Art. 103 OG, welcher die Legitimation
zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde betrifft, anwendbar ist. Nach Art. 103
Abs. 1 OG ist zur Erhebung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt,
"wer in dem angefochtenen Entscheide als Partei beteiligt war oder
durch ihn in seinen Rechten verletzt worden ist". Indessen findet sich
im Arbeitsgesetz am Schluss des Abschnitts "5. Verwaltungsrechtspflege",
in dem Art. 55 steht, noch die besondere Bestimmung des Art. 58 Abs. 1,
wonach "ausser den beteiligten Arbeitgebern und Arbeitnehmern deren
Verbände sowie Personen, die ein unmittelbares Interesse nachweisen",
zur Beschwerde berechtigt sind. Diese Bestimmung gilt offenbar für
alle in den vorausgehenden Vorschriften jenes Abschnitts erwähnten
Beschwerden, insbesondere auch für die in Art. 55 Abs. 1 vorgesehene
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Es stellt sich die Frage, in welchem
Verhältnis Art. 58 Abs. 1 des Arbeitsgesetzes zu der allgemeinen Bestimmung
des Art. 103 Abs. 1 OG steht. Sie kann jedoch hier offen gelassen werden,
wenn sich ergibt, dass der Beschwerdeführer Goldfarb nach Art. 103 Abs. 1
OG zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert ist; denn in diesem Falle
ist er auch im Sinne des Art. 58 Abs. 1 des Arbeitsgesetzes "beteiligt"
("intéressé", "interessato").

    Da er in dem angefochtenen Entscheide als Partei beteiligt war, ist er
im Sinne des Art. 103 Abs. 1 OG zur Beschwerde formell legitimiert. Auf
seine - rechtzeitig und in richtiger Form eingereichte - Beschwerde ist
daher nach dieser Bestimmung einzutreten.

    Die Beschwerde wäre jedoch nach der Auslegung, welche derselben
Bestimmung nach der Rechtsprechung zu geben ist, ohne weitere
Prüfung abzuweisen, wenn der Beschwerdeführer nicht auch sachlich
legitimiert. d.h. durch den angefochtenen Entscheid - dessen objektive
Rechtswidrigkeit vorausgesetzt - "in seinen Rechten verletzt", in seinen
rechtlich geschützten Interessen beeinträchtigt wäre (BGE 87 I 433, 436,
476; 91 I 74).

    Die besonderen Vorschriften des Arbeitsgesetzes für industrielle
Betriebe sind an sich nicht dazu bestimmt, die Interessen der Arbeitgeber
zu schützen; vielmehr belasten sie die Arbeitgeber mit zusätzlichen
Verpflichtungen. Indessen ist zu beachten, dass die Unterstellung
eines Betriebes unter diese Vorschriften nach Art. 60 Abs. 1 Ziff. 2
KUVG (in der Fassung gemäss Art. 65 Ziff. 1 des Arbeitsgesetzes) die
obligatorische Versicherung seiner Belegschaft bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt zur Folge hat. Diese Versicherung kommt
zwar in erster Linie der Belegschaft zugute, doch ist sie auch für den
Arbeitgeber vorteilhaft. In der Tat vermeidet er durch Zahlung der zu
seinen Lasten fallenden Versicherungsprämien mancherlei Misshelligkeiten
und Streitigkeiten, die sonst seine Beziehungen zur Arbeiterschaft
belasten würden (BBl 1906 VI 313), und infolge der Versicherung wird seine
Verantwortlichkeit gegenüber den Arbeitnehmern gemildert (Art. 129 Abs. 2
und Art. 130 Abs. 2 KUVG). Insofern schützt die Unterstellung unter die
besonderen Vorschriften des Arbeitsgesetzes für industrielle Betriebe
doch auch die Interessen des Arbeitgebers. Ist somit die Aufhebung der
Unterstellung geeignet, rechtlich geschützte Interessen der Unternehmung
zu verletzen, so ist diese zur Beschwerde gegen die Aufhebungsverfügung
sachlich legitimiert.

    Besitzt somit der Beschwerdeführer Goldfarb nicht nur die formelle,
sondern auch die materielle Beschwerdelegitimation, so ist seine
Beschwerde einlässlich zu prüfen (vgl. BGE 71 I 282 und 86 I 306,
betreffend Beschwerden von Unternehmungen gegen die Ablehnung oder die
Aufhebung ihrer Unterstellung unter das Fabrikgesetz).

Erwägung 3

    3.- Die Einwendungen, die der Beschwerdeführer gegen die angefochtene
Aufhebungsverfügung erhebt, sind unbegründet.

    Wenn seine beiden Geschäftsniederlassungen in Basel und Zürich
eine Einheit bilden, wie er behauptet, so ist dies unerheblich. Nach
Art. 5 Abs. 1 des Arbeitsgesetzes sind die besonderen Vorschriften für
industrielle Betriebe nicht nur auf ganze Betriebe, sondern auch auf
Betriebsteile anwendbar. Kann somit ein Betriebsteil gesondert diesen
Vorschriften unterstellt werden, so kann er auch für sich allein von der
Unterstellung befreit werden.

    Daraus, dass das Zweiggeschäft in Zürich seinerzeit dem Fabrikgesetz
unterstellt worden ist, folgt nicht ohne weiteres, dass es einen
industriellen Betrieb im Sinne des Arbeitsgesetzes darstellt. Die
Begriffe der Fabrik und des industriellen Betriebes decken sich nicht
(vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. a der Vollzugsverordnung vom 3. Oktober 1919 zum
Fabrikgesetz und Art. 5 Abs. 2 des Arbeitsgesetzes). Deshalb wird in einem
durch Art. 65 Ziff. 5 des Arbeitsgesetzes in das KUVG eingefügten neuen
Art.132 für eine Übergangszeit die Stellung des Personals von Betrieben
geordnet, die bisher als Fabriken der obligatorischen Versicherung
unterstellt waren, nun aber als nicht industrielle Betriebe nicht mehr
unter die Versicherungspflicht fallen.

    Vergeblich macht der Beschwerdeführer geltend, dass er in seinen
beiden Niederlassungen Pelzwaren zum Teil serienmässig und mit Hilfe
von Maschinen herstellen lasse. Selbst wenn diese Darstellung zutrifft,
ergibt sich daraus nicht notwendig, dass die Zürcher Niederlassung ein
industrieller Betrieb im Sinne des Arbeitsgesetzes ist. Nach Art. 5 Abs. 2
lit. a daselbst wäre ausserdem erforderlich, dass die Arbeitsweise oder
die Arbeitsorganisation in diesem Zweiggeschäft durch die Verwendung von
Maschinen oder durch serienmässige Verrichtungen "bestimmt" wird. Der
Beschwerdeführer bringt jedoch nichts vor, was darauf schliessen lässt,
dass diese Voraussetzung erfüllt ist. Nach den Ausführungen in dem
der Vernehmlassung des BIGA beigelegten Mitbericht des eidgenössischen
Arbeitsinspektorates fehlt sie; denn dort wird darauf hingewiesen, dass
in der Zürcher Niederlassung die Handarbeit gegenüber der Verwendung
von Maschinen überwiegt und Pelzwaren fast ausschliesslich nach Mass
angefertigt werden.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.