Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 93 I 450



93 I 450

56. Urteil vom 11. Oktober 1967 i.S. X. gegen Steuerkommissariat und
Steuerrekurskommission des Kantons Thurgau. Regeste

    Art. 86 und 87 OG; Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs,
Zwischenentscheid.

    Der Entscheid der Steuerrekursbehörde, der die Kapitalgewinnsteuer
aufeinen bestimmten Betrag herabsetzt, die Berechnung des geschuldeten
Steuerbetrages aber der Steuerbehörde überlässt, ist ein Zwischenentscheid,
der keinen nicht wiedergutzumachenden Nachteilzur Folge hat. Will
der Beschwerdeführer die Veranlagung nur mit Bezug auf die von der
Rekurskommission bereits festgestellten Steuerfaktoren anfechten,
so braucht er die kantonalen Rechtsmittel nicht noch einmal zu
erschöpfen. (Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Nach § 53 des auf den vorliegenden Fall noch zur Anwendung
gelangenden thurgauischen Gesetzes über die Staats- und Gemeindesteuern
vom 5. September 1950 (aStG) sind Kapitalgewinne steuerpflichtiges
Einkommen. Als Kapitalgewinn gilt die bei der Veräusserung eines
Vermögensobjektes erzielte Differenz zwischen dem Anlagewert
und dem Verkaufserlös; der Anlagewert setzt sich zusammen aus den
Anschaffungskosten und den wertvermehrenden Aufwendungen (§ 54 aStG). Nach
§ 39 Abs. 2 der Vollziehungsverordnung zu diesem Gesetz (VVaStG) gilt bei
unentgeltlichem Erwerb (Erbgang, Schenkung) der Verkehrswert im Zeitpunkte
des Erwerbs als Erwerbspreis. Die Gewinnsteuerpflicht ist bei beweglichem
Vermögen auf zehn Jahre befristet (§ 55 aStG). Die Steuerberechnung
ist in § 57 aStG geregelt. Danach wird auf Kapitalgewinnen eine
volle Jahressteuer zu jenem Satz erhoben, der sich aus § 35 Ziff. 1
ergibt. Realisierte Kapitalverluste können nur mit den im gleichen
Steuerjahr erzielten Kapitalgewinnen verrechnet werden (§ 58 aStG).

    B.- Der Beschwerdeführer erwarb im Herbst 1952 durch Erbgang 11
nichtkotierte Namensaktien im Nominalbetrag von je Fr. 5'000.-- der
Firma Y. AG. Im Juni 1959 verkaufte er sie zum Preise von Fr. 11'000.--
pro Stück, zusammen also für Fr. 121'000.--. Die Steuerbehörde nahm
an, der Beschwerdeführer habe bei diesem Verkauf einen Kapitalgewinn
erzielt und eröffnete daher ein Veranlagungsverfahren mit Bezug auf die
Kapitalgewinnsteuer. Der Beschwerdeführer bestritt, einen Kapitalgewinn
erzielt zu haben, da der Verkehrswert dieser Aktien im Zeitpunkte des
Erwerbes (1952) mindestens so hoch gewesen sei wie der Verkaufserlös
im Jahre 1959. Mit Einspracheentscheid der Steuerkommission Arbon vom
18. Juni 1964 wurde der steuerbare Kapitalgewinn auf Fr. 28'600.--
festgesetzt. Die kantonale Steuerrekurs-Kommission (StRK) wies die
vom Pflichtigen dagegen erhobene Beschwerde am 24. Oktober 1966 ab und
bestätigte den Einspracheentscheid.

    C.- X ficht den Entscheid der StRK mit staatsrechtlicher Beschwerde
wegen Verletzung von Art. 4 BV an und beantragt, ihn aufzuheben.
Die StRK und der Regierungsrat des Kantons Thurgau schliessen auf
Abweisung der Beschwerde. In der Replik hält der Beschwerdeführer an
seinem Beschwerdeantrag fest.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Staatsrechtliche Beschwerden wegen Verletzung von Art. 4
BV sind erst gegen letztinstanzliche Endentscheide zulässig, gegen
letztinstanzliche Zwischenentscheide nur, wenn sie für den Betroffenen
einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge haben (Art. 87 OG).

    Während die ursprüngliche Veranlagung vom 10. August 1962 ausser
der Festsetzung des steuerbaren Kapitalgewinnes auf Fr. 44'000.--
auch die Berechnung der geschuldeten Steuer enthielt, beschränkt
sich der Einspracheentscheid vom 18. Juni 1964 darauf, den steuerbaren
Kapitalgewinn auf Fr. 28'600.-- herabzusetzen, ohne die dafür geschuldete
Steuer zu berechnen. Die StRK hat sich im angefochtenen Entscheid vom
24. Oktober 1966 ebenfalls darauf beschränkt, die Frage zu überprüfen,
ob und einen wie hohen Kapitalgewinn der Beschwerdeführer aus dem Verkauf
der Aktien erzielt habe, ohne die geschuldete Steuer festzusetzen. Der
angefochtene Entscheid schliesst mithin das Steuerveranlagungsverfahren
nicht ab; die Veranlagungsbehörde wird vielmehr auf Grund des von der
Rechtsmittelinstanz bestätigten Kapitalgewinnes die geschuldete Steuer nach
Massgabe der oben unter lit. A erwähnten gesetzlichen Vorschriften noch
zu berechnen haben. Diese Berechnung ist keine blosse Vollzugshandlung
mit Bezug auf den angefochtenen Entscheid, denn dieser setzt bloss den
steuerbaren Kapitalgewinn fest, auf Grund dessen die Steuerberechnung
erst noch vorzunehmen ist (nicht veröffentlichte Urteile vom 5. Mai 1965
i.S. Genossenschaft Hotel zur Post in Liq. S. 3/4 und vom 9. Juni 1966
i.S. Rickli S. 3/4). Im Rahmen des Steuerveranlagungsverfahrens stellt
der angefochtene letztinstanzliche Entscheid der StRK mithin keinen
Endentscheid, sondern lediglich einen Zwischenentscheid dar, gegen den
nach Art. 87 OG die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV nur dann zulässig ist, wenn er für den Beschwerdeführer einen
nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge hat.

Erwägung 2

    2.- Diese Voraussetzung trifft indes nicht zu. Der Beschwerdeführer
kann den Entscheid der StRK noch im Anschluss an die Festsetzung der
geschuldeten Steuer mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 4 BV anfechten. Die dadurch bewirkte Verlängerung des Verfahrens
stellt nach ständiger Rechtsprechung keinen nicht wiedergutzumachenden
Nachteil im Sinne von Art. 87 OG dar (BGE 87 I 372 Erw. 2 mit Verweisungen;
89 I 362).

    Es liesse sich einwenden, das Nichteintreten auf eine derartige
Willkürbeschwerde führe zu einem formalistischen Leerlauf, weil der
Beschwerdeführer vor erneuter Anrufung des Bundesgerichts abermals
an die kantonale Rechtsmittelinstanz gelangen müsse, obschon diese
über die gleiche Frage bereits befunden habe. Der Einwand wäre indessen
unbegründet. Nach der Rechtsprechung wird vom Erfordernis der Erschöpfung
des kantonalen Instanzenzuges abgesehen, wenn die angefochtene Verfügung
auf einem Entscheid der kantonalen Rechtsmittelinstanz beruht und von
dieser dergestalt zum voraus gebilligt worden ist, so dass sich die
Ergreifung eines weiteren kantonalen Rechtsmittels als zwecklos und
als leere Formalität erweisen würde (BGE 86 I 39 mit Verweisungen, 89 I
362/3). Wenn daher der Beschwerdeführer die Veranlagung der geschuldeten
Steuer nur mit Bezug auf die von der StRK bereits festgestellten
Steuerfaktoren anfechten will, so braucht er die kantonalen Rechtsmittel
nicht noch einmal zu erschöpfen, sondern kann unmittelbar staatsrechtliche
Beschwerde erheben (BGE 86 I 39/40, 89 I 362/3). Will er dagegen auch oder
nur die auf Grund des Entscheides der StRK vorgenommene Steuerberechnung
anfechten, dann muss er insoweit ohnehin zuerst den kantonalen Instanzenzug
durchlaufen, bevor er staatsrechtliche Beschwerde erheben kann. Vom
Standpunkt der Prozessökonomie aus hat diese Rechtsprechung den Vorteil,
dass alle Beanstandungen des Beschwerdeführers mit Bezug auf die kantonale
Steuerveranlagung dem Bundesgericht mit einer einzigen statt mit zwei
getrennten staatsrechtlichen Beschwerden unterbreitet werden können.

    Diese Auffassung entspricht einer gefestigten Rechtsprechung des
Bundesgerichts bei staatsrechtlichen Beschwerden wegen Verletzung von
Art. 4 BV in Steuersachen (BGE 89 I 362/3; nicht publizierte Entscheide
vom 5. Mai 1965 i.S. Genossenschaft Hotel zur Post in Liq., 9. Juni
1966 i.S. Rickli und 20. Juni 1967 i.S. Nowo-Immobilien AG). Aus den
oben genannten Gründen besteht kein Anlass, von dieser Rechtsprechung
abzuweichen, zumal sie vom Beschwerdeführer, der von Beruf Rechtsanwalt
ist, mit keinem Wort in Zweifel gezogen wird.

    Auf die Beschwerde ist daher nicht einzutreten.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.